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Deja flap vu flap
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2011, 1
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Deja flap vu flap

Zeitschrift Umělec 2011/1

01.01.2011

Ivan Mečl | poesie | en cs de

So kann ich noch rumspielen. Bei einer Übersetzung finde ich zum Beispiel das Wort Flip Flap. Auf der Suche nach der Bedeutung dieses Wortes finde ich heraus, dass Flip Flap eine künstliche Blume ist, die sich durch Solarenergie bewegt, und stoße dabei in einer verlassenen Ecke des Internets auf ein Gedicht. Es wurde wahrscheinlich von irgendeinem jungen, verliebten Mädchen geschrieben. Es hat keinen Titel, ist mir sehr unangenehm und teilweise sogar peinlich, weil ich kalt und gefühllos bin, Liebe, Beziehungen und das alles nicht mag.

Ich gebe dem Gedicht den Titel ... Oh, Satan.

danke für die ganze zeit mit dir
als du sagtest: meine hände frieren
danke, dass es dich gibt
als wir streunende hunde sahen
danke, dass du wenigstens ich liebe geschrieben hast
dass du weit bist, mir den atem raubtest
es schmerzt, dass ich dich nicht hier habe
das sind die größten fehler
jetzt folge ich anderen jungen
weil sie mir eine kapuze aufziehen
damit ich nicht sehe, wie es schmerzt
daher wähle ich lieber die falsche liebe
doch tief drinnen liebe ich dich
dort im inneren wiederhole ich: danke
dass du mir das größte gegeben hast
ich will weiter nichts mehr
nur zurück zu dir
im kopf bin ich durcheinander
ich will einfach zu dir
ich will dich zudecken
so wie ich es früher tat
und es dann einfach aufgab
nicht mit absicht, ich musste es
du mochtest es, wenn ich zöpfe trug
ich will die zeiten zurück
ich will, dass du meine haare streichelst
ich will, dass du mir in den nacken hauchst
ich will, dass du mir eine feder hinters ohr steckst
ich will, dass du mich wieder anlächelst
ich will wieder deine wimpern berühren
ich will, dass du mich mit deinem blick verführst
ich will, dass du mich wieder durchs fernglas schauen lässt
die sterne waren damals so groß
meine augen feucht vor glück
als wir uns trennten
zerbrach mein herz
blut floss durch meine augen
als ob meine seele verwilderte
und ich nicht mehr hören wollte
es nicht mehr erleben wollte
ich wollte, dass du mich verlässt
das übel ist begangen worden
ich bin die schuldige meiner trauer
ich liebe dich ...


Und dann entfernte ich aus dem letzten Vers die Worte ich weiß es, tatsächlich … Die haben dem Gedicht am meisten geschadet. Jetzt liest es sich viel besser. Wenn die Autorin oder ihre Freunde es in diesem Magazin vorfinden, wird es zunächst wie ein Déjà-vu und dann wie ein Diebstahl wirken. Ein Déjà-vu muss keine Verfehlung Gottes, sondern kann auch ein menschlicher Fehler sein.
Vor langer Zeit stellten wir uns vor, dass es die ganze Welt nur wegen uns beiden gäbe. Dass alles um uns herum nur mit großer Anstrengung arrangiert, organisiert und dekoriert worden wäre, damit wir es nicht merkten. Einige große Gebäude, weitläufige Anwesen, Naturreservate und komplizierte technologische Erfindungen wurden im Voraus errichtet, das alltägliche Tages- und Nachtleben aber nicht. Dieses richtete sich danach, wohin wir uns entschlossen zu reisen, einen Spaziergang zu machen oder allein, in welche Richtung wir unseren Kopf drehten. Es war wohl gar nicht einfach, diese regelmäßige Einteilung Hunderttausender Menschen und Maschinen zu steuern, das Ganze zu entwickeln, jeden Tag etwas Neues zur Unterhaltung zu bringen, aber auch, uns mit einer vorübergehenden Tragödie im Zaum zu halten. Und dabei weiterhin zu beobachten, wohin wir uns gerade wandten. Manchmal versuchten wir, die Menschen zu überführen, indem wir uns plötzliches umdrehten. Wir wollten sie dabei erwischen, wie sie ihre Rollen verlassen, sich von ihrem gespielten Grinsen lösen und dabei manchmal fluchen. Oder sie lehnten sich an eine Hauswand und betrachteten uns von hinten, nachdem wir vorübergegangen waren. Vielleicht sind wir in eine unerwartete Richtung gelaufen, wo die Geschäfte noch geschlossen hatten, die Straßen nicht voller Menschen und das Gras noch nicht gekämmt, der Rasen überall verteilt. Wir fanden eine Menge Fehler. Zum Beispiel führte der Mangel an verschiedenen Typen, Charakteren und Verkleidungen zu ungewollten wiederholten Begegnungen. Wir nahmen dieselben Gesten wahr und hörten Phrasen, die mit derselben Kadenz und Stimmfarbe vorgetragen oder geschrien wurden. Sie ahnten, dass wir etwas ahnten und alles dafür taten, irgendeinen großen Fehler zu entdecken. Trotz kleinerer Fehlschläge funktionierte aber alles perfekt. Abgesehen von den Melonen, die auf mit Kuttelflecksuppe gefüllte Plastiktüten auf die freien Rücksitze der Autos gelegt wurden, damit uns die Fahrer nicht als Anhalter mitnehmen mussten. Das war eine sehr schmerzhafte Improvisierung. Aber sie verbesserten sich. Dank ihrer verblüffenden Fähigkeit, unsere Handlungen vorauszusehen, hatten wir unablässig das Gefühl, dass sie unsere zukünftigen Gedanken lesen könnten, obwohl sie uns noch gar nicht eingefallen waren. Wir fanden heraus, dass sie sogar nachts daran arbeiteten, als wir schliefen. Manchmal taten sie uns leid.
Hin und wieder hatten wir einen starken Drang danach, jemandem alles zu erzählen und über alles auszufragen. Zu versuchen, für einen Moment das Spiel zu unterbrechen oder nur ihr Geständnis zu erzwingen. Daran dachten wir, wenn wir in einer Bar mit einem angenehmen Menschen ein wenig Wein getrunken hatten. Wir vertrauten uns ihm an. Doch meistens lächelten sie nur oder hörten auf, sich mit uns zu unterhalten. Ein Pfarrer sagte mir, dass alles von Gott organisiert sei. Dann beschrieb er ihn aber als jemanden, der sicherlich in der Lage wäre, etwas Glaubhafteres zu lenken. Als wir ein anderes Mal einer Gruppe von redseligen Künstlern beschrieben, welche Fehler in der Organisation unseres Lebens auftreten, erklärten sie uns diese als psychische Zustände. Geschichten und Bilder, die sie Déjà-vu nannten. Sie hörten nie auf, sich etwas auszudenken.
Einige Jahrzehnte warteten wir darauf, dass sich etwas veränderte. Dass sich alles abnutzte, zerfiel und diesen unzähligen erschöpften Menschen keinen Spaß mehr machen würde. Dass eines Tages beim Frühstück die Tür aufgeht und ein Mann mit den Worten eintritt: „Hallo. Es ist alles vorbei. Ab heute hören wir auf zu spielen. Wenn ihr mit dem Frühstück fertig seid, werden sich alle normal mit euch unterhalten. Es ging eh nicht mehr so weiter.“
„Na, gut. Aber seid nicht traurig. Manchmal war es auch ganz gut. Vielleicht etwas zu lang …“, würden wir antworten.
Abgesehen davon, dass wir nicht mehr zusammen sind, hat sich nichts verändert. Es scheint, dass sie es immer besser können, und ihre unerschöpfliche Energie beängstigt mich. Neulich verglich ich alte und neue Fotos von Menschen. Alle, die ich finden konnte. Private und jene, auf denen Leute für fremde Blicke posieren. Es fiel mir auf, dass die Menschen mit der Zeit immer häufiger lachten. Früher standen sie da und schauten oft nur ernsthaft. Dann begannen sich langsam die Mundwinkel zu heben – das war vor etwa zwanzig Jahren. Jetzt lachen aber alle auf den Fotos wie verrückt. Sie zeigen die Zähne, manchmal sogar die Zungen, winken mit den Händen nach allen Seiten. Dabei gibt es dafür überhaupt keinen richtigen Grund. Ich würde eher sagen, dass es umgekehrt sein sollte.
Das ist aber einer der Fehler, der dieses ganze Schelmenstück überführt. Im Verlauf der Jahre ist ihr Selbstbewusstsein gestiegen. Sie sind begeistert, dass es uns nicht gelungen ist, ihnen etwas nachzuweisen. Sie lachen darüber, dass ich mit meinen peinlichen Zweifeln allein geblieben bin. Ich weiß, dass ich es ihnen nie mehr verderben werde. Dafür habe ich schon zu wenig Kraft. Und wenn ich ein Déjà-vu habe, lache ich nicht mehr.

Gedicht übernommen von http://ballu.blog.cz

Aus dem Tschechischen von Filip Jirouš.




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