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Jitka MikulicováZeitschrift Umělec 2008/201.02.2008 William Hollister | neue gesichter | en cs de es |
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Es ist ein enttäuschend einfaches Spiel; ein Kinderspiel. Reiße ein Stück Papier in Fetzen verschiedener Formen und Größen, streue sie wie Schneeflocken auf einen Tisch hinab, dann schiebe sie umher und ordne sie unterschiedlich an, bis Bilder daraus entstehen. Was auf diesem Weg herauskommt – Ordnung aus Chaos –, sagt etwas anderes über deine innere Landschaft aus als ein wohl durchdachtes Gemälde.
So begann auch Jitka Mikulicová (geboren 1980 im südmährischen Hustopeče). Sie arbeitet, seit sie Papier entdeckt hat, mit verschiedenen Medien, entwickelt eine innere Sprache, eine Ikonographie der Fragmente. Eine Sprache ist das, die Papierspiele mit einem rigorosen intellektuellen Vorbereitungsprozess verbindet, der Kunstgeschichte und kritische Methodologien miteinbezieht. Das ist es, was die Kunst der Generation so bemerkenswert macht, die in Mitteleuropa gerade antritt. Jitka lebt in Prag und stellt seit 2003 aus. Sie hat in Brno bei Martin Mainer, in Leipzig bei Neo Rauch und in Prag bei Jiří David studiert und die Tschechische Akademie der Künste 2007 abgeschlossen. Papierfetze sind die Scherben vergangener Erinnerungen, die Gegenwart – von Ideen, Träumen, der Zukunft, dem Heiligen und dem Profanen… von Tod. Beide definieren Ideen und lassen sie verblassen. Ein so gebildeter Schneemann (2007) stellt sich bei näherer Betrachtung nicht als Form aus gestreutem Papier heraus, sondern aus sorgfältig hergestellten Gebilden, die zerrissenes Papier bloß nachahmen. Eine Holzplatte als Hintergrund besteht nicht aus Holz, sondern aus Klebetapete. In Südmähren, wo Jitka aufgewachsen ist, sind Holzintarsien eine weitverbreitete Volkskunst. Mit solchen Arbeiten fing Jitka an, ersetzte allerdings die Harthölzer – sakrale Elemente – durch weltliche Formate wie Tapete und andere Holzimitate, um erst mal abstrakte Landschaften zu schaffen. Aus der Distanz stellt man sich echte folkloristische Handarbeit vor, aber aus der Nähe besehen bemerkt man, dass die Billigkeit des Naheliegenden den Status quo gestaltet. Sobald sie aber auf Leinwand kommen, erlangen sie eine Noblesse wieder, die den gegenwärtigen Augenblick ehrt, die die Welt der Künstlerin in ihrer Umgebung ehrt. So wie sie es selbst in ihrem Portfolio schreibt, handelt es sich um «umgekehrte Formen, die zu einem Haufen Holzabfall ohne Zweck arrangiert worden sind und faszinierend und inspirierend wurden… dank dieser Erfahrung begann ich mich mit dem Fragmentieren und Komponieren von Nonsens-Formen zu beschäftigen.» Ihre ursprüngliche Tendenz zur Abstraktion fand dann den Weg zum Portäthaften, entwickelte sich aus diesem fragmentiereten Hintergrund heraus vorwärts. Eines von drei kürzlich in der Prager Galerie Jelení präsentierten Gemälde Next to the Wall (2008) portätiert die Mutter der Künstlerin, deren Kleider und die Hochglanzheft-Pose auf eine vergilbte Haltung aus längst vergangenen Jahren verweisen. Hier werden die abstrahierten Formen aus Papierfetzen zu misstönenden linearen Sfumato-Geweben, die eine Wand aus Feldsteinen bilden, und sie sind mit kühnen, schnellen Pinselstrichen in drei Strukturen auf einem gelben Hintergrund eingearbeitet. Dadurch, dass sie als Kontrast selbst in der Pose eines Individuums aus der nicht so fernen, aber doch so andersartigen sozialistischen Vergangenheit auftritt, erkennt man eine junge Künstlerin, die sich in eine bewusste Zweideutigkeit der Absicht vertieft, die sich zwar in der Gegenwart verortet, aber in der Vergangeheit eingefroren ist. Die beiden anderen großformatigen Porträts in der Ausstellung in Galerie Jelení sind ähnlich bezeichnend für diese Fortentwicklung weg von der Abstraktion. In Porträt (2005) ist der Blick einer jungen Frau starr nach unten gerichtet. Es könnte eine sozrealistische Statue sein, das Gesicht blickt von einer dunklen Akryloberfläche gleichgültig auf den Horizont der Menschheit herab. Es ist der hybride Geist religiöser Ikonen, die einen leeren Blick aus der tschechoslowakischen «Normalisierungs-»Zeit der 1970er Jahre trägt. Dieses Wesen, das vieles aus einer Kultur repräsentiert, die die Künstlerin nicht mehr selber erlebte, hat keine bestimmte Bezeichnung, aber wir nehmen an, es handelt sich um eine Gottheit, und wir wissen, dass sie weiblich ist. Nicht ohne Bedeutung ist dabei, dass dieses weiße Antlitz ohne Ausdruck steif auf einem mit glänzenden Punkten übersäten schwarzen Hintergrund gezeigt wird – wieder die kleinen weißen Papierfetzen. Während diese Fläche hier ein Sternenhimmel ist, steht der dunkle Hintergrund im Bild des nächsten Saals, Mirecek (2008), eher für einen Abgrund. Das geisterhafte Gesicht des Jungen glänzt eindringlich mit einem starren Blick nach vorne, die Augen aufgerissen, wie in kalkuliert roher Folklore-Manier. Es war das Gesicht eines Jungen auf einem Grab, dessen Existenz die Fantasie der Künsterlin gefangen nahm. Obwohl es unheimlich wirkt, gibt es keinen Hinweis darauf, dass das Bild mit dem auf dem Grabstein gravierten Gesicht identisch ist. Mirecek war im selben Jahr wie Jitka geboren und lebte in derselben Stadt – und auf dem Grab steht auch die männliche Form des Nachnamens der Künstlerin: Mikulica. Jitka transformierte das in Stein gravierte Bild und transformierte somit auch die Prozesse, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Der volkstümliche Stil des Originals wurde beibehalten, sogar der leichte Silberblick. Die Künstlerin fand eine Parallele zu dem, wie sie das gravierte Foto des Toten beobachtete, darin, wie sie die Resonanzen erkundet, die es zwischen ihrem Leben jetzt und demjenigen ihrer Umgebung geben könnte. Dieses malerische Erkunden der Steinform brachte Jitka einen Schritt weiter – zu einem Grabsteinzyklus. Sie sind nicht auf Leinwand, sondern auf echtem Basaltstein – dem gleichen Stein, der auch bei Grabmälern verwendet wird, und auf dessen polierte Oberfläche man Bilder der Verstorbenen einätzt. Aber die Menschen, die Jitka in ihrem Zyklus porträtiert, sind nicht tot. Sie hat sie mitten im Leben festgehalten, eingefroren, mit einem begeisterten Lächeln wie bei Schnappschüssen üblich – so wie die spirituelle Arbeit Porträt, vielleicht sozrealistisch, aber in jedem Fall in einem idyllischen, optimistischen Augenblick eingefroren. Sogar Jitkas eigenes Porträt ist dabei, sie trägt ein bis oben zugeknöpftes Hemd, mit optimistischem Lächeln. Auf welche Zukunft könnte man sich mehr freuen als auf eine, die in Stein «eingrabiert» ist. «Ich arbeitete mit flüchtigen Gefühlen,» erklärt sie, «die dank der Steingravur dauerhaft oder unzerstörbar wurden.» Jitka arbeitet meist in ihrem Studio in Prag-Karlin, wo sie ihre Schulbank mit dem weißen Imac-Computer drauf stehen hat, umgeben von den Elementen, die zusammengewirbelt ihre Arbeiten bilden werden. Kindercollagen aus einer Schule auf der einen Wand, dazwischen Fotokopien von Edouard Manets Jardin sur l'herbe und Schablonendrucken von Jaroslav Rössler, Josef Čapek und S.K. Neumann. Herbert Bayers Lonely Metropolitan von 1932, eine Collage geöffneter Hände mit Augen vor einem Mietshaus, hängt neben einem Foto einer Handfläche, auf dem ein quadratisches Bild einer Verwandten ist, deren Gesicht teilweise von einem weißen Rechteck verdeckt wird. Das sind Vorarbeiten für ein künftiges Bild. In der Nähe hängt noch ein Schwarzweiß-Foto, das in ein Gemälde transformiert wurde. Jitkas wisschenschaftliche Herangehensweise ist am deutlichsten im großen Akrylgemälde Stairs (2007) zu erkennen. Das Bild beruht auf einer aufgeklebten Fotografie, ein altes Schwarzweiß-Porträt einer Verwandten, die vertikal vor dem Hintergrund der horizontalen Treppenstufen aus Eisensteins Potemkin steht. Jitkas gemaltes Porträt der Verwandten aus der sozialistischen Vergangenheit lässt in den Schatten die kalten Basaltformen von Mirecek durchscheinen. Und wie auch bei anderen Porträts ist das Gesicht zum Teil von einem weißen Rechteck verdeckt – einem Papierfetzen. Und die langbeinigen Damen im Hintergrund sind ebenfalls getilgt worden, vom Unterleib eines herunterschreitenden Models überdeckt. Hier wird Geschichte neu geschaffen, ein bisschen revidiert, ein bisschen verzerrt, aber gewissenhaft neu erschaffen. In ihrer Entwicklung weg von der Abstraktion hat Jitka gezeigt, dass die Möglichkeiten, die menschliche Gestalt wiederzugeben, individuell, anonym oder gar als plastischer Akt – eine systematische Studie wieder instandgesetzter Kunstgenres – ein komplexes Wiedergeben der Wechselwirkung von Oberflächen, Ideen und Generationen ist – ein Spiel, einfach ein Kinderspiel.
01.02.2008
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