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Marat Guelman: Die Kunst politischer Provokation Eine Geschichte in drei TeilenZeitschrift Umělec 2005/201.02.2005 Alena Boika | Kunst und Politik | en cs de |
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In Moskau wurde kürzlich die erste Moskauer Biennale ausgerufen – in der Ukraine eine Revolution. In beiden Fällen fällt der Name Marat Guelman, einziger Galerist unter den Polittechnokraten und einziger Polittechnokrat unter den Galeristen. Die letzten Jahre verbrachte er in den Wirren der großen Politik. Jetzt kehrt er zurück zur Kunst. Die Ausstellung “Russland-2” steht als Sonderprojekt im Programm der Sonderprojekte der Moskauer Biennale. Wer ist dieser Guelman in Wirklichkeit? Ein Polittechnokrat, der die Kunst vorschützt, oder ein echter Galerist, der sich für Politik interessiert?
Teil 1: Guelman, Politiktechnokratie und eine orangene Revolution Im August 2004 ereignete sich in Kiew etwas, das die gesamte ukrainische Kunstszene erschüttern sollte: Unbekannte verwüsteten Marat Guelmans Galerie für zeitgenössische Kunst. In den wenigen Jahren ihres Bestehens ermöglichte Guelmans Galerie vielen jungen ukrainischen Künstlern eine erste Ausstellung und den Verkauf ihrer Bilder, einige gingen von hier aus nach Moskau. Mit der Ausstellung “Südrussische Welle” mit Arbeiten von Sawadow und Sentschenko, Golosij, Reutbud, Gnilitzkij, Zagolow, Chorowskij u.a sorgte Guelman dafür, dass ukrainische Künstler sogar in der internationalen Szene bekannt wurden. Bis zu jenem Zeitpunkte zumindest herrschte die allgemeine Meinung, dass der postsowjetische Raum ausser seinem Moskauer Konzeptualismus nichts Interessantes zu bieten hätte. Die Fenster der Galerie waren eingeschlagen, an die Wänden geschmiert stand die ukrainische Version des “Yankees go home” – “Juden, weg nach Moskalien!”. Natalja Filonenko, die Kuratorin der Ausstellung, befand sich zum Zeitpunkt des Anschlags in Moskau. Als die Presse sie telefonisch informierte und um eine Stellungnahme bat, reagierte sie zutiefst schockiert. Der Schock wurde noch größer, als sie nach Kiew zurückkehrte: Die meisten Bürger schienen sich darüber einig, dass Guelman selbst das Progrom inszeniert haben musste. Folgende Versionen hielten sich im Stadtgespräch: - Marat Guelman war als Polittechnokrat an der Wahlkampagne des pro-russischen Kandidaten Janukowitsch beteiligt. Da sich dieser sich von seinen Leistungen lossagte, wollte er sich “geschickt” zurückziehen. - Marat Guelman stand Janukowitsch bei. Als dessen Niederlage deutlich zu erkennen war, wollte er sich aus Sicherheitsgründen zurückziehen. - Marat Guelman mit seinen reichen Erfahrungen, die er sich während seiner bisherigen Beschäftigung mit Politik gesammelt hatte, konnte die androhende Gefahr in Gestalt der revolutionär gestimmten Volksmassen erkennen, die auch durch das Pogram seiner Galerie bekräftigt wurde und wollte sich für eine gewisse Zeit zurückziehen. (Offizielle Version von Marat Guelman, der über sein Vorhaben spricht, die Galerie im Frühjahr wiederzueröffnen.) Viele unerwartete Stellungnahmen finden sich im Livejournal im Internt, wo das Publikum live auf die Ereignisse reagierte. Zuerst enthielt sich Marat jeden Kommentars zur Wahlkampagne in der Ukraine. Dann “verplapperte er sich”, indem er das Bild “Jugend für Janukowitsch” veröffentlichte; “Ich kann mich nicht enthalten” oder seinen Kontakt zum “Russischen Club” öffentlich machte. Einem Projekt (von Pawlowskij) eines legalisierten Eingreifens der Moskauer Politiker in die ukrainischen Wahlen an der Seite Janukowitsch. (Die gleiche Funktion der Legalisierung hatte, so die Meinung vieler Politologen in der Ukraine, bei Marat Guelman seine Galerie in der ukrainischen Hauptstadt). Marat Guelman selbst leugnet seine Mitwirkung an der Wahlkampagne und erklärt, er habe sich von der Politik losgesagt. Stattdessen zeigt er wieder sein Interesse für die Kunst generell und für die ukrainische insbesondere. Die Galerie arbeitet schon lange mit ukrainischen Künstlern: Sawadow und Sentschenko, Tistol, Gnilitzkij, Reutburd, Kerestej, Makow, Zagolow, Solomko, Martyntschiks, Maksimkow, dem verstorbenen Golosij. Es sind auch viele Kunstwerke in ihrem Besitz. Gestern sagte Jura Schabelnikow auf einmal: Marat, die ukrainische Kunst wird jetzt wohl zur Mode... Mißverstehen Sie das nicht, aber er scheint recht zu haben. Dieses Interesse ließ eigentlich nie nach. Ein Beweis dafür sind die Ausstellungen der ukrainischen Künstler in der Galerie von Guelman in Moskau. Dazu zählen auch die Ausstellung von Gnilitzkij im Januar 2005 und die Teilnahme vieler Ukrainer am Projekt “Russland-2”. Marat Guelman: “Im Jahr 1995, als ich mich aktiv aus der Kunst in das Leben, die Politik, die Medien stürzte, hatte ich das Gefühl: Ja, die Kunst ist interessant, intellektuell, aber nicht wirklich. Die Welt der Kunst hat eine große Bedeutung, aber sie ist zu eng und ihre Leidenschaften sind nicht authentisch. Die Welt der Politik hingegen ist echt, dort werden Geschicke gelenkt, Geld und Geschichte gemacht. Um ein Subjekt der Geschichte zu werden, um ein wahrhaftig kreativer Mensch zu sein, muß man also einen anderen Weg einschlagen. Die Politik schien mir eine seriöse und reale Sache zu sein. Mein Engagement in der Politik verstand ich als die Aktivität eines Menschen, der eine bestimmte universelle Erfahrung gemacht hatte und diese im realen Leben durchzusetzen versucht. Eine gewisse Zeit war dies auch der Fall. Vor einem Jahr war es dann bereits vorbei. Im Dezember, als die letzten Präsidentenwahlen zeigten, dass die Politik keine wirklich inhaltsreiche Aktivität mehr, sondern zu einem formellen Verfahren oder zur Literaturmacherei geworden ist. Die Politik hat keinen Inhalt mehr. Die Kunst hingegen ist das Gebiet, auf dem man heute etwas Wichtiges leisten kann, etwas, das von der ganzen Gesellschaft nachgefragt wird. Meine gegenwärtige Rückkehr zur Kunst begründet sich auf der neuen Situation. Wenn sich die Politmaschine zu einer Dampfwalze entwickelt, können neue Personen und Ideen, vor allem, wenn sie der Politik verbunden sind, nur ausserhalb der Politik stattfinden. Ein Beispiel sind Andrej Sacharow und Wladimir Wysozkij – ebenfalls Personen, die auch politische Dimensionen hatten. Wir versuchen, einen lebendigen Kontext zu entwickeln. Das soziale Gefüge, welches die Staatsmacht konstruiert, schafft neue Möglichkeiten für die Kunst. Es gibt wieder neue Ansätze. Die Aussichten für die Kunst und die Rolle der Kunst in der Gesellschaft werden wieder deutlich. Die Gesellschaft zieht es zurück zur Vergangenheit, in die Abgeschlossenheit. Die zeitgenössische Kunst dagegen strebt in die Zukunft, in den internationalen Kontext. Die Kunst könnte ein Raum für die Menschen werden, die sich in den von der Staatsmacht zugelassenen Spielraum nicht einfügen wollen.” Teil2: Russland-2 Nach seinem mißglückten Engagement in der politischen Szene initiierte Marat Gelam ein Kunst-Projekt, das im Rahmen der Moskauer Biennale vorgestellt wurde und eine Menge widersprüchlicher Meinungen auslöste. Einige orthodoxe Gläubige fühlten sich von der dargebotenen Kunst in ihrem Glauben derart beleidigt, dass sie Anklage erhoben. Das Projekt wirkt sehr überzeugend: Es ist ein Appell an die Lage der Künstler in Putin-Russland, wo die zeitgenössische Kultur nicht in die Machtvertikale passt. Es ist eine Forderung nach Erweiterung des Lebensraums für die Kreativität. Marat Guelman: “Es kommt mir vor, als sei im heutigen Putin-Russland alles schon entschieden. Die Staatsmacht hat mit Errichtung ihrer berühmten Vertikale entdeckt, dass Regierung nur so und nicht anders funktioniert. Der Status der verschiedenen Beschäftigungsgruppen ist von vornherein festgelegt. In der sowjetischen Zeit galt die Stellung eines Wissenschaftlers oder eines Künstlers nicht weniger als die eines Fabrikdirektors. Heute erleben wir ein anderes Bild: Es gibt die Bürokratie, es gibt die bürokratisierte Wirtschaft, es gibt die Politik, und darüber hinaus gibt es nichts. Alles andere, sogar der Journalismus, gilt im Bewusstsein der Öffentlichkeit als fragwürdige Beschäftigung. Das trifft auch auf die inneren Bewertungskategorien im Menschen zu. Ich selbst zum Beispiel bin Vater, ein Mann von 40 Jahren, bekennender Atheist, russischer Staatsbürger und Galerist. Im heutigen Russland redet man mir ein, das wichtigste sei meine bürgerliche, nationale oder religiöse Identität - alles ander nur fakultativ. Für mich ist es aber genau andersherum. Bildlich gesprochen: Gebe einer den Befehl: Alle russischen Staatsbürger nach rechts, alle Männer nach links, würde ich mit den Männern gehen, weil ein Mann zu sein, ist für mich wichtiger. Die kulturelle Identität bleibt außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit. Nach der Zusammenlegung des Kultusministeriums mit dem des Ministeriums für Informationen gibt es keine selbständige kulturelle Arbeit mehr. In dieser Situation besteht offensichtlich ein Bedarf für einen neuen Verhaltensmodus. Man könnte zwar eine Kooperation mit der Staatsmacht versuchen, im gegebenen Fall wäre dies aber wohl der falsche Ansatz. Die heutige Staatsmacht ist nach dem Clanprinzip aufgebaut und bedarf keiner zusätzlichen Mitarbeiter von außen. Im Gegenteil - sie braucht mit jedem nächsten Tag immer weniger Personen. Eine weitere denkbare Möglichkeit wäre der Kampf gegen das System. Diese scheint mir ebenfalls sinnlos: Der Kampf benötigt Ressourcen – in der Form der politischen Klassen und der Unterstützung relativ breiter Schichten der Bevölkerung. Die Gesellschaft unterstützt das heute vorhandene Regime, die politischen Klassen wurden zerstört. Hinzu kommt, dass wir, die kreativen Menschen, zur absoluten Minderheit gehören. Unsere Meinung aber anderen aufzuwingen, scheint mir nicht korrekt. Es bleibt nur ein möglicher Weg: Das vorhandene Regime zu ignorieren. So lange zu warten, bis dieses sich selbst ausschöpft. Ich bin mir sicher: Je erfolgreicher Wladimir Putin seine Idee über den Aufbau einer neuen staatlichen Konstruktion durchzusetzt, desto schneller wird diese Maschine zusammenbrechen. Kein noch so großer Einsatz der Opposition wäre imstande, diesen Prozess zu beschleunigen. Es ist nicht schwer, über die vorhandenen Umstände hinweg zu gehen. Längst habe ich erkannt: Das Russland, in dem meine Gleichgesinnten und ich leben, und das Russland, in dem Präsident Putin lebt, sind zwei verschiedene Länder. Darin liegt das Konzept unserer Ausstellung “Russland-2” begründet. Und ich hoffe, dass sich daraus die Ideologie einer neuen Partei entwickelt”. Teil 3: Zwischen Politik und Kunst Es ist offensichtlich, dass - trotz Guelman´s Distanzierung zu jeglichen politischen Aktivitäten: “die Politik hat sich aus einer Männersache in eine `Schweinezucht´verwandelt, in der kein Ohrring-Träger mehr etwas verloren hat” –jedes Kunst-Projekt einen politischen Bezug hat. Ohne den politischen Hintergrund hätte es das Projekt “Russland-2” nie gegeben: Ohne Putin und das auf dem Gebiet des “Russland-1” entwickelten Gewaltensystem, gäbe es auch nicht die Möglichkeit der politischen Provokation, die Guelman so geschickt nutzte. Das ewige Bedürfnis nach einer politischen Ordnung, die kurzfristig verloren wurde, und die die Gesellschaft erneut aufbauen möchte: Die historische erste Wahl des russischen Volkes ist ein Beweis dafür. Anfang der 90er Jahre, nach der Entlarvung und der Bekümmerung über Millionen Opfer und Schrecken des Regimes, kam ein KGB-Mitarbeiter an die Macht - ein Vertreter desjenigen gesellschaftlichen Modells, in dem Zensur und bürokratische Hierarchie regierten. Marat Guelman gehört zu denen, die Putin “gemacht” haben. Er bekennt sich nicht öffentlich zu der Kampagne von Boris Yeltzin “Wähle, oder Du verlierst!”, leugnet aber auch nicht, dass er fünf Jahre lang als politischer Berater zum Stab des heutigen russischen Präsidenten gehörte. - Marat, was haben Politik und Kunst gemeinsam? - Eine Figur, die im Mittelpunkt steht. Politiker und Künstler sind von derselben Gestalt. Egozentrik, eine fixe Idee, die Mission, eine Botschaft zu vermitteln. Beide Berufe sind öffentlich, gehen auf eine klare Position zurück. Der grundlegende Unterschied liegt dabei im Gefühl der Verantwortung. An dieser Stelle gehen sie kardinal auseinander. Ein Künstler, der seine erste Verantwortung für die Gesellschaft empfindet, ist ein Nonsens, genauso, wie ein verantwortungsloser Politiker Nonsens ist. - Das klingt wie die Diagnose einer Krankheit. - In gewissen Maße. Beide sollten eine gewisse Unzurechnungsfähigkeit besitzen und einen Hang zum Exhibitionismus. Mit dem Unterschied, dass der Künstler Gesten erschafft und der Politiker Taten vollbringt. Was bedeutet, dass der eine fatal verantwortungslos ist, und der andere wiederum eine fast unmenschliche Verantwortung auf sich nimmt. Mehr, als ein normaler Mensch auf sich nehmen sollte - die Verantwortung für das Leben – wie den Tod – des Anderen. Man kann einem Politiker, der die Steuer herabsetzen will, nicht sagen: Bruder, das kennen wir schon. Das haben Deine Vorgänger auch schon gemacht, damit kannst du niemanden mehr überraschen. Für einen Künstler dagegen gelten nur Autorenschaft und Innovation. Auch die Welten, in denen Politiker und Künstler leben, sind grundverschieden. Die Kunst lebt in einer Art Spiegelkabinett. ... Seit einiger Zeit gibt es nur einen Auftraggeber – und das ist der Kreml. - Passen Sie dem Auftraggeber, oder passt der Auftraggeber Ihnen nicht? - Mir passen die neuen Arbeitstechniken nicht. Vor kurzem habe ich das so formuliert: Wildschweinfleisch schmeckt Schweinefleisch ähnlich. Aber die Jagd auf Wildschweine unterscheidet sich grundlegend von der Schweinezucht im Freigehege. Das Politconsulting war früher eine Jagd. Da es aber heute am politischen Horizont keinen anderen Spieler außer dem Kreml gibt, werden die politischer Berater gezwungen sein, im Freigehege zu arbeiten. Das ist eine ganz andere Arbeit, eine die andere Leute braucht. - Ihr Ausscheiden aus der Politikberatung gleicht einer unserer Werbungen für Bier: “Flaschenöffner braucht keiner mehr...” - Ja, dafür haben wir aber Konserven - in meinem Fall die Kunst. Meine Position ist ausreichend gesichert. Je weniger politische Prozesse es im Land gibt, desto mehr Platz wird der Kunst eingeräumt. Nachdem das Putin-Russland seine harte Form erhalten hat, bekommt die Kunst eine Basis, die zum neuen Ausgangspunkt wird. Die Funktionen der Kunst sind klarer geworden. Es gibt eine Chance für einen Umbruch. Neben dem komplizierten und schwierigen Prozess in der Gesellschaft existiert auch noch die formelle Seite. Die Zeitungen brauchen etwas, worüber sie schreiben können - Putin kann nicht alle Seiten füllen. Die Kunst hat eine echte Chance, von der Gesellschaft bemerkt zu werden. - Die beiden Seiten haben nicht den gleichen Wert. In der Kunst würden Sie den Künstler Schilow beispielsweise niemals fördern, da es Ihren ästhetischen Ansichten widersprechen würde. In der Politik treten Sie dagegen für ein breites Spektrum ein. Heisst das, dass Sie für jedermann arbeiten würden? - So ist es. In der Kunst stehe ich persönlich innerhalb meines Berufs. Hier ist meine Reputation, hier realisiere ich mich. In der politischen Beratung delegiere ich allein mein Können. Ich halte es nicht für nötig, sich in der Position des politischen Beraters als historische Persönlichkeit zu verstehen – im Gegenteil, ich halte es sogar für sehr schädlich. Die Verantwortung tragen die Politiker. Jeder will wissen, wer die Tat begangen hat, und nicht, wer sie sich ausgedacht hat. Meine Arbeit in der Politik ist die Dienstleistung . Nachwort: Die Anfänge der “Orangen Revolution” Als die Eregnisse in der Ukraine ihren Höhepunkt erreicht hatten, wies Marat Guelman auf sensationelle Materialien hin, in denen der berühmte Maler und Designer Andrej Logwin über die Entwicklung des künstlerischen Images der “orangenen Revolution” berichtet. Ohne Kommentar. Jahresende: Alle veröffentlichen ihre “Ergebnisse” und brüsten sich damit. Also habe auch ich mir Gedanken darüber gemacht, was das wichtigste Ereignis im Leben unseres kleinen Studios war. Worüber wir mit Stolz sagen können: “Das haben wir geschafft!” Sie werden lachen, ich habe die “orangene Revolution” in der Ukraine ausgewählt! Von 2001-2002 haben wir, Sergej Logwin und ich, für die Wahlen in Kiew gearbeitet. Eine neue politische Partei sollte der Rada, das ist das ukrainische Parlament, untergeschoben werden. Zwischen einigen, meines Erachtens nach vernünftigen Projekten wurde das sogenannte “orangene Projekt” erwähnt. Zu unserem Bedauern bekam es keine Zustimmung “von oben”. Es war nicht ganz richtig gemacht, wie die Ereignisse der letzten Monate gezeigt haben. Wer will denn behaupten, dass unser Projekt geklaut und von gaunerischen Politikberatern umgesetzt wurde. (Es könnte ja auch ein merkwürdiger Zufall sein). Aber ist es nicht ein schönes Gefühl, die ein drei Jahre altes Projekt vorzustellen und sagen zu können: “Schauen Sie nur, wie klug wir waren! Jetzt kann man nicht mehr sagen, die Moskauer hätten Juschtschenko nicht geholfen!” Dokument. Geschickt an einen Auftraggeber am 29.11.2001: Logwin an Ogurzow: Projekt “Orange” Ziel des Projekts: Einprägung der Farbsymbolik unserer politischen Bewegung und Kampagne in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit. Planung informativer Anlässe; Image- und Stilentwicklung. Das Projekt verwendet die Farbe Orange sowie verschiedene orange-farbene Objekte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um positive Emotionen sowie eine festliche und fröhliche Atmosphäre zu erzeugen und auf diesem Wege Energie, Innovation und eine neue Einstellung zu ermöglichen. Umsetzung 1. Am 29. Dezember soll zum Finale des Fernsehwettbewerbs der jungen Politiker an einem öffentlichen Platz in Kiew ein “orange-farbener Tannenbaum” aufgestellt werden. Es handelt sich dabei um einen “echten” Tannenbaum, von etwa zwei Meter Höhe, bestehend großen gewaschenen Karotten, die an einem Drahtgerippe befestigt sind, und mit zahlreiche Orangen dekoriert. Das Objekt ist auffallend und dekorativ. An dem orangenen Tannenbaum hängt ein Transparent mit der Aufschrift: “Ein Neues Jahr! Eine neue Farbe!” Wir sind uns darüber im Klaren, dass - bleibt der Tannenbaum ohne Aufsicht - Orangen und Karotten geklaut werden. Wir haben nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil: Es könnte ein Happening werden. Wichtig ist, dass der Tannenbaum eine Menge Menschen anzieht und zur Fernsehnachricht wird. Es wäre ganz wunderbar, wenn die Information über den Tannenbaum gleichzeitig mit der Information über das Wettbewerbfinale der Politik übertragen wird. Für die visuelle Gestaltung des Wettbewerbfinales könnte ein ähnlicher Tannenbaum (in kleinerem Format) verwendet werden oder auch Poster mit dem Tannenbaumbild und Orangen mit Aufklebern als selbständige Objekte. Die Orangen könnten beispielsweise bei der Stimmzählung eingesetzt werden. Weitere Überlegungen zur visuellen Gestaltung des Wettbewerbs werden im Anhang unter “Orangene Krawatte” beschrieben. Die Orangen mit einem Aufkleber könnten in der Kampagne als Werbungsgeschenk verteilt werden - als dekoratives Element und zum Verschenken (für Kinder beispielsweise) bei verschiedenen Veranstaltungen und Treffen mit Wählern. Die Aufkleber für die Orangen sind situationsbedingt Folgende Textvarianten für die Aufkleber wären denkbar: 1. Die Zukunft der Gegenwart 2. Hergestellt in der Ukraine. Hergestellt für die Ukraine 3. Neue Ukrainische Politische Frucht 4. Probiere die Politik! 5. Der Frühling kommt! ... (Unterschrift) 6. Wir sehen uns im Frühling! ... (Unterschrift) 7. Leuchtend-gelber Gruß von ...(Unterschrift) 8. Nimm Orange. 2. Silvester Eine Wiederholung der Aktion mit dem orangenen Tannenbaum in verschiedenen Großstädten wäre denkbar. Eine Medienpräsenz wäre dabei von großer Wichtigkeit. Auch wäre es sinnvoll, den orangenen Tannenbaum in einigen Festtagssendungen im Fernsehen unterzubringen. 3. Parteitag Für die festliche Gestaltung des Parteitages werden orangene Luftballons, Poster mit dem Tannenbaum und Parteiuniformen verwendet (siehe im Anhang “Orangene Krawatte”). 4. Das alte Neue Jahr Die lokalen Wahlstrukturen verteilen Karten mit der Aufschrift “Eine orangene Christbaumkugel kriecht aus der lilafarbenen Kugel” mit der Unterschrift “Immer Neu” . Zur Karte gehört ein kurzer Text (in der Funktion eines Mikroflugblattes). Die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit eines Billbords mit dem gleichen Bild und Slogan wäre zu überlegen. Auch könnte auf der Grundlage des Bildes ein kurzer Werbespot gedreht werden: Eine lila Kugel kommt in Bewegung, vibriert und platzt. Zum Vorschein kommt eine größere Kugel in grellem Orange. 5. Tatjana-Tag Zum Studentenfest wird eine Postkarte (und/oder ein Poster) mit dem Titel “Die Modefarben der Saison” vorbereitet und verteilt. Das Bild zeigt ein modernes Paar: Die Frau hat orange gefärbte Haare und eine Brille mit verschiedenen Gläsern (gelb und blau). Die Haare des Mannes sind gelb-blau, die Brillengläser orange. Die Poster im Stil einer “echten” West-Werbung (zum Beispiel Martini). Der Slogan wird zur Zeit ausgearbeitet. 6. St.Valentin-Tag / 8. März (Frauentag) Herstellung und Verteilung von Postkarten mit den Worten “Ich liebe Sie!” mit dem jeweiligen Namen (siehe “Postkartenprojekt”). Die Postkarten werden mit einem orangenen Herz bedruckt. Dem Namen auf der Karte könnte auch das fettgedruckte Wort “Ukraine” hinzugefügt werden. Zusätzlich zu den Postkarten (in der Zeit vom St.Valentin-Tag bis zu den Wahlen) wird in allen Veranstaltungen (Treffen mit dem Volk, Festivals, Konzerte) eine Erinnerungskarte verteilt: “Ein orangenes Herz mit Armen” (s. Bild heart.jpg). Natürlich mit Parteisymbolik und Wünschen der Wahlkandidaten oder der politischen Gruppen. Zusätzliche Bemerkungen: In das vorgeschlagene Konzept würden auch Fernsehspots mit orangenen Objekten passen. So könnte ein Drehbuch über das Abenteuer eines orangenen Varenikis (ukrainische Nationalspeise; es handelt sich um Teigware, oft mit Kartoffeln, Beerenobst oder Pudding gefüllt) finalisiert werden (das Drehbuch wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugeschickt). Das Ergebnis wäre ein lustiger und sehr billiger Spot. Erforderlich wären einige Ausschnitte aus einem Filmarchiv und etwas Animation. Eine weitere Überlegung ist die breite Verwendung der orangenen Aufkleber beispielsweise in der “Aktion letzter Tag”. Die Sticker könnte man auf verschiedene Gegenstände aufkleben, auf eigene und fremde Plakate. Das Problem sind die relativ hohen Kosten, da die Aufkleber nur aus transparente Klebfolie hergestellt werden können. Zusätzlich zu den Folie-Aufklebern können auch runde orangene Papieraufkleber mit einem Durchmesser von 2-10 cm verwendet werden. Sie sind billiger und einfacher zu handhaben, hundert Stück passen in die Jackentasche. Referenzen: Wiktor Pelewin (bekannter russischer Schriftsteller; veröffentlichte “Das heilige Buch eines Werwolfs”) ... Die Arbeit eines Politischen Beraters besteht darin, im Auftrage der sich abwechselnden Oligarchien die Demokratie im Keim durch ihre Simultation zu ersetzen. Der Politische Berater analysiert die öffentliche Meinung, um herauszufinden, was genau sich die Menschen wünschen. Dieses gibt er dann in Form falscher Wahlversprechens zurück. In einer solchen Situation ist die Ideologie einer Opposition im Prinzip nicht möglich. All ihre Wahlparolen werden sofort von der Oligarchie abgefangen. Ähnlich, wie die Wirtschaft das Bild Che Gevaras abgefangen hat. So kamen die europäischen Ultras zum Ergebnis, nicht die Politiker, sondern die Polittechnologen müssten weggeschossen werden. Ich denke aber, man muß niemanden wegschiessen. Ein fünfbeiniger Hund nähert sich den Politikberatern von einer anderen Seite. Die Menschen lehnen unwillkürlich ihre Produkte ab, genauso wie es mit der kommunistischen Ideologie im letzten Jahrhundert der Fall war. Warum hat Bush in Amerika gewonnen? Sein Konkurrent war ein politisch beratender Golem. Die politischen Debatten hatte Bush zuerst verloren, dann in den Wahlen gewonnen. Vielleicht hatten die Menschen mehr Vertrauen zu ihm, weil er weniger nach politischer Beratung stank.
01.02.2005
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