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Schleckt KunstZeitschrift Umělec 2011/101.01.2011 Adam | profil | en cs de |
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Wherever you are you are with brody&paetau
Ein gemeinschaftliches Künstlerteam, das globale Arroganz und regionalen Schleim rücksichtslos und an den Grenzen des Erträglichen karikiert. Bekannt wurden die beiden insbesondere durch ihre erniedrigenden Aktionen, in denen sie Funktionsweisen der zeitgenössischen Kunst aufs Korn nehmen. Kunstkritiker Adam Budak meint: „Dieses neo-dadaistische Konzeptkunst-Duo ist auf der Suche nach den schlimmsten Aspekten der institutionalisierten Kunst und dem eigentlichen Phänomen der KunTransRat FashionShowstproduktion an sich. Ihre Strategie ist offensichtlich und in ihrer wortwörtlichen und schnörkellosen Umsetzung geradezu peinlich – wobei gerade darin wohl ihre größte Stärke liegt. Ihre Themen und Angriffsziele sind ebenso elementar: Den Ursprung ihres gegenständlichen Vokabulars bilden Alltagsethik und Moralkodizes. In erster Linie richtet sich ihre Untersuchung auf die Psychologie des Verhaltens, das durch äußerliche Faktoren aus Leben und Politik beeinflusst oder provoziert werden kann. Schwankend zwischen Handlung und Misshandlung, fortgeschrittener Verarbeitung sowie einer kalten und unanfechtbaren Darstellung der Absurdität des Lebens sind ihre Werke in ihrem Wunsch nach Aufdeckung der Pathologien und versteckten Normalitäten zwischenmenschlicher Beziehungen wahrlich kritisch und aufrichtig. Ihre Aktionen sind stets gut strukturiert, mit einer beinahe perfekten, präzisen und ausgeklügelten Dramaturgie, kalt und emotional verstörend, gewagt und grausam sowie durchgehend eindringlich. Ihre Arbeit könnte lediglich eine etwas vorsichtigere Ausbalancierung gebrauchen; das erwünschte skandalöse Resultat würde dadurch noch expliziter auf den Niedergang bestimmter Werte und ihre plötzliche Zersetzung hinweisen.“ Ich bin oftmals eingeschüchtert von der Kunstwelt, wenn ich mit Künstlern konfrontiert werde. So machte ich mich in Begleitung der No-Nicknames Guy und Chica und einer gehörigen Portion Unruhe auf den Weg zum ACC Weimar, um einem Vortrag des selbsternannten „neo-dadaistischen“ tschechischen „Künstlers“ Ondřej Brody beizuwohnen. Brody arbeitet (angeblich auf platonische Weise) mit dem in Rio lebenden Kristofer Paetau zusammen. Obwohl ich mit einiger Offenheit in die Veranstaltung ging, ließ ich meinen Schwachsinnsdetektor angeschaltet. Ich habe Probleme damit zu entscheiden, ob das von den Künstlern mir Präsentierte echt oder nur Schwindel ist, da ich weder das notwendige Wissen noch die Hintergrundinformationen besitze, um visuelle Kunst und Musik adäquat beurteilen zu können. Jedoch brachte dieser selbsternannte Künstler meinen Schwachsinnsdetektor mit einer Heftigkeit zum Ausschlagen, die ich seit langer Zeit – mit Ausnahme der amerikanischen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen – nicht mehr erlebt habe. Brodys Vortrag bestand darin, hinter einem kleinen Tisch zu sitzen, eine brennende Zigarette in der einen, ein Bier in der anderen Hand, während die Kulturelite Weimars jedes seiner Worte erwartete. Gelegentlich stellte er das Bier weg, um per Mausklick „Video-Ausschnitte“ zu starten, welche Brody-Paetau-Performances aus ganz Europa zeigten. Gleich wegen mehrerer Gründe verärgerte mich Brody: Er widersprach sich, war auf qualvolle Weise sexuell frustriert und weigerte sich, über seine Arbeit zu diskutieren. Widersprüchlichkeit Das erste Werk war ein kleines Stück mit dem Namen Licking Curator’s Ass. Das Video zeigte ihn und seinen Partner dabei, wie sie einen Kuratoren fesselten, seine Hose herunterzogen und ihm den Arsch leckten. Eine Tätigkeit, in der er augenscheinlich Profi ist – im übertragenen wie tatsächlichen Sinn. Brody betonte, dass sie gebeten wurden, etwas Schockierendes in der Galerie darzubieten und dass „Kotze und Scheiße wenig schockierend“ seien. Die Galerie befand sich in Antwerpen und ich habe meine Zweifel, dass „am Arsch lecken“ in irgendeiner Weise schockierend oder ungewöhnlich ist. In Antwerpen gibt es viele weltberühmte Clubs und ich nehme an, dass ein solches Verhalten nicht nur in den Darkrooms, sondern auch auf der Tanzfläche stattfindet. Wie dem auch sei, ich war offen für die Möglichkeit, dass diese „Performance“ tatsächlich Kunst war. Die Abkehr von diesem Entschluss erfolgte in dem Moment, als Ondrej sich selbst widersprach. Er zeigte einen Film, den er für das Art Forum Accident in 2005 gedreht hatte. Man sah, wie Brodys Partner auf den Boden einer Kunstmesse in Berlin kotzte. Ich beugte mich zu No‑Nickname Guy vor und flüsterte: „Hat er nicht gerade gesagt, dass Kotze nicht schockierend sei?“ Die letzte Hoffnung für und in Brody wurde zerstört, als er uns ein unbetiteltes Werk vorspielte, welches ihn und andere tschechische Künstler 2004 in Prag zeigte, wie sie vor die Arbeiten des Direktors der tschechischen Nationalgalerie kackten. Es war eine vage Form von Protest (und der Umweltgefährdung) ohne offensichtliche Wirkung. Der Film rief eine einzige Frage bei der kulturellen Elite Weimars hervor: „Wie habt ihr es geschafft, alle zur selben Zeit zu kacken?“ Ich beugte mich zu No-Nickname Guy vor und flüsterte: „Hat er nicht gerade gesagt, dass Kacken nicht schockierend sei?“ Ein paar Videos später präsentierte Brody einen Auftritt von sich bei Artstar, dem tschechischen Versuch einer Künstler-Show, wie American Idol, DSDS und (wahrscheinlich) Česko hledá Superstar. Er war einer der Kandidaten und wurde gebeten, irgend- etwas auf der Bühne vorzuführen. Gesagt, getan. Die Juroren rätselten noch, bis sie bemerkten, dass er dabei war, sich in die Hosen zu pinkeln. Nach kurzer Diskussion wurde er von der Bühne geführt. Ich beugte mich zu No-Nickname Guy vor und flüsterte: „Warum wäre Pinkeln schockierend, wenn Kotzen und Kacken es nicht sind?“ Sexuelle Frustration Neben der Tatsache, dass Brody sich selbst widersprach, wurde auch klar, dass er sexuell frustriert war. Seine Arbeiten haben oft einen sexuellen Blickpunkt, der mich vermuten lässt, dass er auf ewiger Jagd danach ist, „es zu tun“ – ein Ziel, das er nur erreichen kann, indem er jemanden dafür bezahlt (oder auch nicht), für ihn zu modeln. Seine Performance Miss Krimi bot – wie die Website es nannte – „eine Frau ungewissen Alters“ dar, oder – wie ich es nenne – eine ältere Frau, die einen Weg entlanggeht. Ihr wird gesagt, sie solle ihre „Fotze“ zeigen, was sie auch tut, ebenso wie ihre Brüste. Der Film stammt aus dem Jahr 2005 und es ist gut möglich, dass Brody zum allerersten Mal eine nackte Frau sah und – dies ihn faszinierte. Ein weiterer gezeigter Film von 2006 hieß Le déjeuner sur l‘herbe. Auch er ein Zeuge Brody lebenslanger Neugier der weiblichen Vagina gegenüber. Per Video stellte er das gleichnamige Gemälde von Edouard Manet nach, welches einst als skandalös empfunden wurde und heute im Pariser Musée d‘Orsay hängt. Über einen Blue Screen gab es Nahaufnahmen von Mädchen, die sich Vibratoren in ihre Vaginas steckten. Dann sah man einen älteren Mann, der die Mädchen mit der Zunge befriedigte und die ihm später den Schwanz lutschten, während sie die ganze Zeit sehr unfranzösische Sätze wie „Komm schon, komm schon ... Mach‘s mir!“ riefen. Die „Schauspieler“ (ich gebrauche diese Bezeichnung eher großzügig) waren Tschechen, die Französisch sprachen, was sie offensichtlich nie zuvor in ihrem Leben getan hatten. Die Kamera, die Profis der Pornobranche ein paar neue Techniken hätte zeigen können, erlaubte es mir, ganz nah an Dingen zu sein, welche ich eigentlich nicht wirklich untersuchen wollte. Aber es erlaubte auch Brody, etwas zu sehen, was er noch nie zuvor gesehen hatte. Verweigerung der Diskussion Brodys bemerkenswertester Fehler war die totale Weigerung, über seine Arbeit zu sprechen oder sie zu verteidigen. Mehrmals versprach er während der Vorstellung eines Clips: „Ich erzähl euch mehr, wenn wir den Film gesehen haben“, um anschließend doch jede Äußerung zu verweigern. Am augenfälligsten war dies bei Miss Krimi. Ich erinnere mich genau, wie er keinerlei Angaben machte, bis auf die Information, dass sie die Frau in dem Video „nicht, doch, naja, nicht wirklich“ bezahlt hätten. Die größte Verteidigung, zu der er sich an diesem Abend durchringen konnte, war der Hinweis, dass wir ja nur „Ausschnitte“ sehen würden und nicht das ganze Werk – eine komplette Schwachsinnsantwort, weil ich nicht erkennen konnte, das uns etwas vorenthalten wurde, was für die Arbeiten hätte relevant sein können. Kein Künstler Ich habe genau ein Kriterium dafür, was Kunst ist: Wenn ich es kann, ist es keine. In Ondřej Brodys Fall: Wenn ich selbst darauf gekommen wäre, ist es keine. Brody zeigte nur ein „neues Kunstwerk“. Als Einführung erklärte er, dass es möglich sei, Fotos nach China zu schicken, die chinesische Maler auf Leinwände malten und anschließend zurücksenden. Ich brauchte ungefähr 10 Sekunden, um zu entscheiden, was ich mit dieser Information anfangen würde. Natürlich würde ich Fotos nach China schicken, die dort normalerweise nicht gemalt werden dürften. Ich dachte an nichts Bestimmtes. Aber angesichts der Tatsache, dass China nicht gerade für die Einhaltung der Menschenrechte berühmt ist, sollten Ideen nicht schwer zu finden sein. Genau das hat Brody getan: 1500 Euros später erhielt er 30 Bilder, die er ausstellte. Nicht geneigt, uns mitzuteilen, was er mit dieser Aktion sagen wollte, wies er jedoch darauf hin, dass er die gesamte Sammlung für 25000 Euros verkaufen würde, sollte jemand Interesse daran haben. Ich werde an Brodys Stelle erzählen, worum es bei dieser Aktion ging: Es ist nichts als Ironie und der Triumph des allmächtigen Geldes. Natürlich ist es in China erlaubt, Bilder zu malen, die sonst niemand zu Gesicht bekäme, um damit Profit zu machen. Außerdem ist dies eine Möglichkeit für den Westen, China von innen heraus zu beeinflussen, indem man Informationen an den offiziellen Zensurbehörden vorbeischleust. Am Ende blieb ein bitterer Nachgeschmack: Brody wollte oder konnte seine Kunst nicht verteidigen oder erklären. Ich verließ die Veranstaltung absolut unbeeindruckt. Und nachdem ich seine Homepage besucht habe, weiß ich nun, dass er mindestens ein Mal in näheren Kontakt mit der Vagina einer Frau gekommen ist. Schade, dass er dabei wie Hitler aussah. 22. Februar 2008 Aus dem Englischen von Thomas Körner.
01.01.2011
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