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Die ideale Stadt ist eine tote StadtZeitschrift Umělec 2006/301.03.2006 Anna Mituś | rezension | en cs de |
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Die polnische Stadt Zamość wurde im 16. Jahrhundert als ideale Renaissance-Stadt erbaut. Jetzt eröffnete sie eine Austellungsreihe des Art Forums Berlin.
„I was paid to go here” – diese Worte zieren in nachdenklichen Falten die Tasche von Sebastian Cichocki, dem künstlerischen Direktor der Galerie Kronika in Bytom, hinter dem ich hereile. Dabei muss ich mich durch die rot-weißen Absperrbänder auf den engen Straßen von Zamość hindurchkämpfen. Mein Freund J. erklärt, dass die nicht enden wollende Restaurierung des Straßenbelags und der Platten auf dem Marktplatz darin besteht, das Pflaster einfach umzudrehen. “Polnische Wirtschaft” würden die Deutschen sagen, aber diesmal sitzen wir alle im selben Boot. Die Eröffnung der großen internationalen Ausstellung Ideal City. Invisible Cities kuratiert von Sabrina van der Ley und Markus Richter beginnt in zwei Stunden. Die Kuratoren haben keine Zeit, auf meine Fragen zu antworten (die Pressekonferenz ging vor einer Stunde zu Ende). Die gut organisierte guided tour führt eine Gruppe versprengter Kritiker geschickt zwischen Baustellen hindurch. Dem konzentrierten Gesichtsausdruck der Geführten nach zu urteilen halten sie die Baustellen für einen Teil des Ausstellungskonzepts. Auf dem Markt quatscht mich ein Anwohner an. Auf ein klappriges Fahrrad gelehnt fragt er, “was denn dieser Bau zu bedeuten hat, der den Blick aufs Rathaus verdeckt”. “Das ist eine Pyramide, die Colin Ardley gebaut hat”, antworte ich, aber mein Gesprächspartner gibt nicht so leicht auf. “Wozu?” Unserem Gespräch lauschen neugierig Reporter des deutschen Fernsehens. Es wird deutlich, dass nur weniger Bewohner von Zamość im Alltag mit der Frage nach der “idealen Stadt” konfrontiert sind. Was im goldenen Zeitalter der Renaissance die Ideen von Humanismus und Toleranz verkörpern sollte, ist heute ein verfallenes Kaff inmitten der Felder und Wälder von Roztocze, es erinnert eher an Alfred Kubins Perle denn an die Idealstadt Sabbioneta – trotz seiner Nummer im Register der UNESCO. Einen merkwürdigen Eindruck macht die Gruppe von etwa 40 Künstlern aus aller Welt, die in dieser schmuddeligen Architektur zwischen Häusern mit abblätterndem Putz umherwuseln, schwitzend bei 30° C kontinentaler Hitze. Es scheint wie die Landung des Raumschiffes Enterprise in zivilisatorischer Mission, dessen Besatzung “vordringt in Welten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat”. Mutig präsentieren sich die wunderbaren Installationen von Colin Ardley und Teresa Murak, welche die geometrisch-räumlichen Grundsätze der Renaissance in einem in Polen nicht gekannten Maße unterstreichen und kommentieren. Indem sie das Zentrum des urbanen Raums in einem symbolischen Netz von Vertikalen und Horizontalen verbinden, bejahen sie die Utopie der Ordnung im menschlichen Universum. Gleich um die Ecke erhält dieses System einen ironischen Kommentar in Form einer Paraphrase auf Tatlins Denkmal für die Dritte Internationale – auf dem Salzmarkt aus Birkenbrettern erbaut von Kai Schiemenza. Eine Gruppe einheimischer Halbwüchsiger ignoriert die Knackgeräusche der nassen Bretter sowie den Hinweis “auf eigene Gefahr” und nimmt im Laufschritt die scharfen Kurven des kominternen Turms zu Babel. In der Nähe des Marktes trifft man auf zwei gänzlich unterschiedliche Denkmäler der Desorientierung. Den Hinterhof eines der Häuser füllt ein Labyrinth von Frank Hoernschneider, dessen nachgebende Wand-Türen die freie Wahl des Weges ermöglichen. Der Titel Konditional offenbart die aktive Natur des Raums und bietet zugleich eine Therapie für die Depression des östlichen Minotaurus. Einer sehr glaubwürdigen Form bedient sich Monika Sosnowska, die einen provokanten, alptraumhaften Springbrunnen aus Würfeln gebaut hat. Jeder, der mal durch die Siedlungen aus der Gierek-Zeit gegangen ist, muss der Illusion erliegen, dass diese Skulptur schon immer auf diesem Platz stand. Und nicht einmal das ekelerregende schwarze Wasser, das in dem rechteckigen Becken gluckert, vermag den Zuschauer so leicht zu erstaunen. Invisible cities. Was das Auge nicht sieht... Der Geschmack der Kuratoren hat ein ungewöhnlich schönes, minimalistisches Ausstellungsprojekt hervorgebracht. Die gitterartige Struktur der idealen Stadt deckt sich mit der kühlen geometrisierenden und intellektuell disziplinierten Ästhetik der von ihnen ausgewählten Arbeiten. Die formale Ähnlichkeit verwischt auf höchst spannende Weise die Unterschiede in der Motivation bestimmter Werke und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Interpretation. Umso mehr überrascht ein aus dem Inneren einer wandähnlichen, betonfarbenen Konstruktion herausbrüllender Radetzky-Marsch. Die Töne erklingen mit neuem Schwung jedesmal, wenn irgendein verliebtes Paar sich aus dem Park heraus in Richtung Bürgersteig bewegt. Einen Moment später löse ich das Geheimnis der rätselhaften Konstruktion mit Hilfe von Andy Rottenberg, einem der Kommissionsmitglieder der Ausstellung. Es handelt sich um ein von Miroslaw Balka entworfenes 1:1-Modell der Küche von Auschwitz, vor der das Gefangenenorchester die ins Lager einfahrenden Transporte mit Musik begrüßte. Die Überraschung weicht jedoch schnell einer typisch polnischen (mit deutschenfressender Unverbesserlichkeit gewürzten) Nörgelei: In einer der Utopie gewidmeten Ausstellung konnte eine derartige Installation wohl nicht fehlen, zumal in einer, deren Schirmherr das Art Forum Berlin ist. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiten repräsentiert einen antiutopischen oder die Utopie privatisierenden Ansatz. Man gewinnt den Eindruck, dass das Konzept “ideal city” sowie das ausgestellte “gelobte Raster” für die Organisatoren in gewisser Weise nur ein geschickter Vorwand sind. Sie zeigen hervorragende, aber doch ziemlich berechenbare Arbeiten. Die Krise der modernen idealistischen Philosophie verbindet sich mit der Kritik der Aufklärung (die Raumanalysen der Minimal Art, der in der Organisation des gesellschaftlichen Lebens zu Tage tretende Autoritarismus, Auschwitz als ideal city), während die Errungenschaften der nachfolgenden gesellschaftlichen Schlachten bis hin zu den 68er-Revolten und den siebziger Jahren einer Revision unterliegen (Dan Graham, Tacita Dean, Jonas Dahlberg, Melani Smith, Jakob Kolding, Daniela Brahm, Anton Vidokle). Aus Palästina stammende Künstler (Rula Halwani i Tarek Al-Ghoussein) führen diskret eine aktuelle politische Dimension (die Mauer) ein. Durch die Werkstätten der Planer und Architekten führt die Zuschauer die rätselhafte Gestalt des Mikołaj Chrupkowski, Ahasveros, des ewig wandernden Juden der internationalen Architektur, dessen “ideales unsichtbares Museum” Les Schiesser gebaut hat – an die Stelle irgendeines vor einiger Zeit abgerissenen Zamościer Hauses. Der fiktive Architekt stammt angeblich aus Rosa Luxemburgs Geburtsstadt, erinnert vom Aussehen her an einen Volkskommissar und ist, wie der fiktive Tourist-Guy im Internet, auf historischen Fotografien von Architekten präsent. Eine fiktive Sensation: Chrupkowski war bei der Entstehung ihrer Projekte dabei. Das Paradox der Utopie wird Wirklichkeit im adäquaten Phantom einer idealen Unsichtbarkeit. Vor zehn Jahren beschrieb Hans Belting die Situation der Inkompatibilität von westlichem und östlichem Kunstdiskurs wie folgt: “Die westliche Kultur, die für sich die Idee der Freiheit und die Marktpräsenz beansprucht, hat sich zur universalen Erbin der Geschichte entwickelt – sie schluckt einfach die östliche Kultur, die so sehr kompromittiert wurde. Aber kann oder soll die westliche Kunst einfach in den Osten exportiert werden, so wie westliche Währungen exportiert wurden, mit dem Zweck, das Land und die Menschen östlich der Grenze aufzukaufen?” (zitiert nach: East and West at the Watershed of Art History, in: Art History after Modernism, S.56). Hat die Kunst aus dem Osten im Laufe dieser zehn Jahre bereits Marktreife erlangt? Hat der Diskurs dieser Kunst es geschafft, auf den westeuropäischen Modernozentrismus irgendeinen Einfluss zu nehmen? Es scheint, als würde vor allem die elegante Kolonisierung durch westliche Institutionen, die für den eigenen einbrechenden Markt kompensieren wollen, Fortschritte in diesem Integrationsprozess machen. Im Kontext dieser samtenen Reconquista klingen die Verse Laurence Weiners, die sich um die Pfeiler des Zamościer Kreuzgangs ranken, besonders beißend: Found – after any given time due to its nature – after any given time due to proximity – after any given time mixed and matched – after any given time by chance – after any given time to make do with – after any given time wheresoever it is – after any given time
01.03.2006
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