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POISON IDEAZeitschrift Umělec 2005/201.02.2005 Spunk Seipel | rituale | en cs de |
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Zum Kunstbetrieb gehört sie einfach dazu: die Vernissage. Hier trifft man sich, pflegt Kontakte und der eigentliche Anlass, die Einweihung einer neuen Ausstellung und das Zeigen neuer Kunstwerke, gerät oft genug in den Hintergrund. Routine für die meisten, manchmal gähnend langweilig oder verkrampft, aber die Hoffnung bleibt, doch hin und wieder ein besonderes Erlebnis zu haben.
Die Vernissage als Ereignis ist oft diskutiert worden. Zeigt sich in der Entwicklung dieses Ereignisses doch immer auch eine Verschiebung der Rezeption von Kunst. Galt in den 60er und 70er Jahren, wie beispielsweise die Kunsthändlerlegende Paul Maenz bekennt, eine Vernissage mit wenigen Dutzend Besuchern als voller Erfolg, ist heute keiner mehr überrascht, dass sich die Besucherzahlen verzehnfacht, bei einigen Ereignissen gar verhundertfacht haben. Zu dieser Entwicklung tragen neben der neuen Bewertung von junger Kunst in breiten Bevölkerungskreisen auch wichtige Änderungen bei, die viele Galeristen im Berlin der 90er Jahre eingeführt haben. Der Verzicht auf die kunsthistorische Rede und die obligatorische Jazzmusik zugunsten von lockeren Gesprächen bei einer Flasche Bier und der Musik eines DJ’s hat Hemmschwellen abgebaut. Die Ideen von Galerielegenden wie der Berliner Projektgalerie Berlin-Tokio, die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Vernissage endgültig zur Party mutieren ließen, prägen bis heute das Kunstgeschehen in weiten Bereichen. Daneben gibt es aber immer noch genügend Institutionen und Galerien, die auf eher tradierte Rituale wert legen, darunter der Kunstverein Wiesbaden und die Projektgalerie Lothringer Laden in München. Schlecht ist dies nicht unbedingt, den Besuchern wird das Verständnis der gezeigten Kunst erleichtert und ihnen werden die relevanten Ansprechpartner vorgestellt. Die Vernissage diente und dient als wichtigster Kommunikationstreffpunkt in der Kunstszene. An diesem Abend werden die Geschäfte gemacht und Kontakte gepflegt. Seltsam mutet es da an, dass die Ausstellungseröffnung nur selten tatsächlicher Anlass für Kunstwerke ist. Sicher, es gibt die unterkühlten Gemälde von Alex Katz und die berühmte Installation von Edward Kienholz in der Berlinischen Galerie – beide jahrzehntealt. Aber heute? Vielleicht Tino Sehgal? Und dann? Gut möglich, dass mal etwas Nennenswertes von John Bock, Jonathan Meese oder Joep van Liefland dazu kommt. Aber wirklich substantielles war in den letzten zehn Jahren zu diesem Ritual der Kunstszene nicht zu sehen. Möglicherweise liegt das daran, dass insgesamt die Kritik am eigenen Business und dessen Machtstrukturen auch bei kritischen Künstlern - trotz aller gegenteiligen Behauptungen - eher gering ausgeprägt ist, von der eher leicht zu äußernden Kritik an der Flick-Connection im vergangenen Jahr mal abgesehen. Dagegen setzen Poison Idea, eine Kooperation von Baldur Burwitz (*1971) und Christof Zwiener (*1972) einen starken Kontrapunkt. In bislang vier Performances haben sie die Vernissage als Ausgangspunkt für ihre Kunstwerke benutzt und damit zugleich den Ausstellungsraum thematisiert. Die Besucher werden Teil und mehr oder minder unfreiwillig Mitwirkende am Entstehungsprozess ihrer Aktionen. Zugleich erfüllen die beiden Künstler auch den Wunsch nach dem Kick, dem außergewöhnlichen Ereignis, erzeugen einen gewissen Erwartungsdruck, der immer auch mit einer kleinen Dosis Angst zu tun hat. Poison Idea hat die Grenzen des Möglichen einer Vernissage ausgelotet und sich an Extreme herangewagt. Wichtige Voraussetzung für ihre Arbeit ist dabei, die Vernissage mit Musik und Bier als Party zu gestalten. Bei ihrer ersten Aktion im Mai 2003 im Projektraum der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig haben sie einen kleineren Raum aus Sperrholz eingebaut, dessen eine Wand im Laufe des Abends erst unmerklich, später zusehends deutlicher von einem ferngesteuerten Gabelstapler von hinten zugeschoben wurde. Nach vier Stunden waren Tresen und Tanzfläche zu einem schmalen Gang geschrumpft, in dem sich kein Mensch mehr aufhalten konnte. Die Feier endete, weil der Gesellschaft der nötige Raum geraubt worden war. Ein Jahr später, im Juli 2004, wurde im Offspace des Elektrohauses Hamburg über der Bar und dem DJ-Pult eine Kiste angebracht, aus der 11.000 Fliegen von einem Ventilator in den Raum geblasen wurden. Das Publikum verließ von Ekel ergriffen fluchtartig die Vernissage. . Die dritte Arbeit wurde in der Kunsthalle Faust in Hannover im Herbst 2004 durchgeführt. Zehn, per Annonce gesuchte Rocker stürmten die Party und schlugen in wenigen Minuten alles, dessen sie habhaft werden konnten, kurz und klein und vertrieben die Besucher. Bei ihrer jüngsten Aktion im Januar 2005 in der Galerie Olaf Stüber in Berlin wurden Schweiß und Kondenswasser der Besucher im Galerieraum gesammelt. Mit diesem Wasser speisten sie im Hinterraum der Galerie einen Zimmerspringbrunnen, der auf der Bar stand. Den eigenen Schweiß vermischt mit dem der anderen Besucher als Springbrunnenwasser zu sehen, löste bei einigen Besuchern ein starkes Ekelgefühl aus. Schon die Installation, mit leeren Wänden und von einer Wand abgetrennten, von der Straße jedoch durch das Schaufenster sichtbaren, brummenden Maschine stellt eine Provokation dar, in einer Zeit, in der die meisten Galerien in Berlin nur noch auf leicht verdauliche, dafür um so besser verkäufliche Malerei setzen. Burwitz und Zwiener machen die Vernissage wirklich zum Ereignis, nicht bloß zum Marktplatz der Kontakte und Meinungen, sondern thematisieren mit ihren Arbeiten die Mechanismen des Kunstbetriebs in bestechender Weise. Gerade auch durch die eigentliche “Nichthandelbarkeit“ ihrer Aktionen. Zugleich überraschen sie auch immer wieder mit der Offenlegung ihrer Installationen: Der Gabelstapler hinter der Wand ist genauso sichtbar wie der Kompressor, der Schweiß und Kondenswasser der Besucher absaugt. Sie verbergen nicht - sie spielen mit offenen Karten und legen die Strukturen ihrer Aktionen offen. Was diese Aktionen so bedeutend macht ist, dass mit den Mitteln der Eventkultur die Bedürfnisse nach einem besonderen Abend befriedigt werden und ihn gleichzeitig mit brachialen Mitteln zerstören. Und dabei hinterfragen sie so ganz nebenbei einige etablierte Rituale. Hier gehört die Vernissage nicht einfach zum routinemäßigen Betrieb, sondern sie ist das eigentliche Thema.
01.02.2005
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