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DIe Comicszene in ÖsteRreichZeitschrift Umělec 2009/201.02.2009 Karin Kirchmayr | comics | en cs de |
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„Kinderbücher... geheftete Kinderbücher“ stellt der Zollbeamte an der tschechisch-österreichischen Grenze fest, als Nicolas Mahler und Heinz Wolf 2000 Stück ihrer im Eigenverlag „Edition Brunft“ herausgegebenen und in Tschechien gedruckten Comics verzollen wollen. „Eigentlich sind‘s Comics“, wirft Wolf ein. „Comic“, wiederholt der Beamte, während er einen kurzen Blick ins Heftinnere wagt. „Für was ist das gut?“ Mahler: „Das ist so was wie ein Buch... nur gezeichnet.“ – „Und das zeichnen Sie selber?“ – „Ja“ – „Jedes Bild? Ist das nicht langweilig? Ermüdend?“
Diese Szene, nachzulesen in Mahlers köstlichem Episoden-Comic „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“, ist gewissermaßen paradigmatisch für die österreichische Comic-Kultur. Die nämlich so gut wie gar nicht wahrgenommen wird oder wenn doch, nicht viel mehr als Fragezeichen in den Augen der meisten Menschen hervorruft. Ähnlich wie der Zollbeamte reagieren auch Frau Goldgruber, Mahlers Finanzbeamtin, die zu entscheiden hat, ob er den für Künstler reduzierten Steuersatz bekommt, oder die renommierten Professoren an der Kunstuni. „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“ ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Einerseits gibt es durch seine autobiografische, durchaus selbstironische Form überaus unterhaltsame Einblicke in das Leben von Österreichs erfolgreichsten, aber unbedanktesten Comic-Künstler. Außerdem ist es eine lustvolle Abrechnung mit dem selbstgefälligen Kunstbetrieb („ein Hort der Dummheit und Prätentionen“), mit Comic-Ausstellungen und Festivals, Fans, Werbefritzen und dem Sumpf der hiesigen Bürokratie. Das Fazit: „Comic und Kunst sind natürliche Feinde!“ Trotzdem ist das Buch (gemeinsam mit dem Nachschlag „Die Zumutungen der Moderne“) typisch österreichisch, zumindest was die Kultivierung des Grants, des Jammerns und des Nichtverstandenwerdens betrifft, gemixt mit treffsicheren Angriffen und trockenem Humor – und steht damit ganz in der Tradition von österreichischen Miesepetern wie Karl Kraus, Ernst Jandl oder Thomas Bernhard, wie Martin Zeyn in einer Rezension für die taz schrieb. Besonders ist „Kunsttheorie“ auch deswegen, weil es das erste von Mahlers Comics war, das – abgesehen von den wenigen in der kurzlebigen Edition Brunft veröffentlichten Heften – in Österreich erschienen ist, herausgegeben vom Literaturverlag Edition Selene. Dazu muss man wissen, dass der 1969 geborene Wiener „Witzzeichner“, wie sich Mahler selbst bezeichnet, in Comic-Verlagen, Anthologien und Zeitungen rund um die Welt publiziert und unter anderem mit dem Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic („Das Unbehagen“) und den besten Comic-Strip („Flaschko – Der Mann in der Heizdecke“) ausgezeichnet wurde. Auf seine minimalistischen, unförmigen Figuren, die zwar keine Augen und Münder haben, dafür aber lange Nasen, wurde auch L’Association aufmerksam, der französische Verlag für unabhängige Comics schlechthin, der Mahlers ursprünglich in der Edition Brunft erschienenes „Lone Racer“, eine herzzerreißende Studie über einen ehemaligen Rennfahr-Champion, ins Programm aufnahm. Seither hat er über 30 Bücher veröffentlicht, unter anderem bei Top Shelf, La Pastèque, Edition Moderne und Reprodukt, verfügt über einen bedeutend längeren Wikipedia-Eintrag in der französischen Version als in der deutschen, „Kratochvil“ wurde von der Schweizer Gruppe Vagabu fürs Theater adaptiert und die Trickfilm-Versionen seiner Flaschko-Strips liefen auf zahlreichen internationalen Festivals. Was schon irgendwie den Eindruck erhärtet, dass der überstrapazierte Spruch, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, doch was Wahres hat. Aber: So schlimm ist alles nun auch wieder nicht. Auch in Österreich ist die Comic-Kunst in den letzten Jahren allmählich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Nach der Edition Selene hat sich mit dem Luftschacht-Verlag ein zweiter Independent-Verlag auf Comicterrain gewagt und Buchhandlungen, darunter auch große Ketten, haben begonnen, Comic-Abteilungen außerhalb der Kinder-ecke anzulegen, die mehr als Donald Duck- und Asterix-Bände anpreisen. Der jüngste Beweis dafür, dass österreichische Comics nie tot waren, ist die 2008 bei Luftschacht erschienene, gewichtige Comic-Anthologie „Perpetuum“, in der sich recht eindrucksvoll die künstlerische Bandbreite präsentiert, die ansonsten in solo oder kollektiv produzierten Zines und Mini-Comics schlummert. Auf Hochglanz- statt auf Kopierpapier ziehen 14 Künstler und Künstlerinnen auf 344 Seiten alle Register: Herausgeber und Zeichner Hannes Schaidreiter hat klassische Strips, subtile Situationskomik, autobiographische Stories mit Tiefgang, die sich mit beinharten Themen wie Isolation, Magersucht und Kindesmissbrauch beschäftigen sowie gewitzte Kurzgeschichten in den unterschiedlichsten Stilen und Techniken zusammen gewürfelt – und dabei überraschenderweise einige Schmuckstücke an die Oberfläche geholt. Zum Beispiel „Spacelove“ von Michaela Konrad (miko), ein von Pop Art inspiriertes Science-Fiction-Drama, in dem eine Frau, die eine Raumfähre putzt, in stillen Monologen außergalaktischen Liebesphantasien nachhängt. Oder Tommi Kuehberger, der mit seinen Meta-Comics Fake-Covers im Stil von Pulp-Magazinen der 50er Jahre zeichnet, die in einem einzigen Bild ganze Geschichten voller durchdringender Wehmut und Schicksalsironie erzählen. Nina Dietrich wiederum legt mit ihrem teils etwas bemühten, aber flott gezeichneten Diplomarbeitscomic eine Westernverdrehung vor, in der Machosprüche klopfende Girls Cars statt Cows hüten. Ein Highlight ist Klaudia Wanner, die in ihren pointierten Titania-Strips eine kluge und unglaublich amüsante Charakterisierung von tussigen Diven gibt, die nichts anderes zu tun haben, als mit lakonischer Coolness über Gott und die Welt zu schimpfen. Schon länger im Geschäft ist Thomas Kriebaum, der Geschichten über den Tod auf Hausbesuch beisteuerte, ebenso wie der Bregenzer Christoph Abbrederis, der sich während seines langjährigen Exils in New York und Madrid mit Illustrationen unter anderem für Cosmopolitan und The New York Times einen Namen machte und in Perpetuum mit Auszügen aus seinem Comicstrip-Tagebuch „Das tägliche Scheitern“ Einblicke in den Alltag „mit all seinen depressiven Wirklichkeitsbeobachtungen, idealen Wunschvorstellungen und tolerablen Zwischenpositionen“ gibt. Logisch, dass auch Nicolas Mahler und Heinz Wolf vertreten sind, die kürzlich ebenfalls im Luftschacht-Verlag die Gemeinschaftskomposition „Molch“ veröffentlichten, eine morbid-skurrile, in schwarz-grau-weiß gehaltene Geschichte um einen Serienmörder im Wien der 70er Jahre. Wer vermutet, dass sich alles immer um die üblichen Verdächtigen dreht, hat aber nur zum Teil recht. Wolf und Mahler sind in der Bundeshauptstadt schlicht am umtriebigsten und als Bindeglieder zwischen den noch aus den rauen 70ern und 80ern stammenden und neuen, im Dunstkreis von Kunsthochschulen entstandenen Comic-Generationen am besten verankert. Während Wien lange Zeit der Nabel der österreichischen Comicszene war und es bis heute nur wenige andere Orte gibt, wo man Independent und Alternative Comics erstehen kann, haben sich auch Graz in der Steiermark und Linz in Oberösterreich als Nährboden für Comic-Afficionados etabliert. So hat es in Linz gleich zwei Comic-Comebacks gegeben: Gerhard Haderer, eingefleischter Polit-Cartoonist für die österreichische Zeitschrift „Profil“ und den deutschen „Stern“ hat nach Jahren der Abstinenz im April 2008 die Produktion von „Moff“, dem „feinen Schundheftl“ in Mini-Querformat wieder aufgenommen, in dem er lokale Gepflogenheiten genauso wie Bundespolitiker ordentlich aufs Korn nimmt. Nach fast zehn Jahren Schaffenspause haben sich außerdem passionierte Verfechter der sequentiellen Bildkunst wieder aufgerafft, um neue Ausgaben des Comic-Magazins „Unkraut“ herauszubringen und mit Aktionen wie Comic-Battles und Kitchen Drawing die lokale Bildersuppe am Köcheln zu halten. Seit 2005 erscheint zudem das Heft für Comic und Bildliteratur „Lin_c“, das österreichische wie auch internationale Zeichner versammelt und Comic-Wettbewerbe an Schulen veranstaltet. International angelegt war auch das ambitionierte nextComic-Festival, das im März im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Linz09 ausgerichtet wurde. Der Künstler Gottfried Gusenbauer, Mitbegründer von „Lin_c“ und Festivalleiter, trommelte zu diesem Anlass natürlich die heimischen Comicschaffenden zusammen: Neben Mahler und Haderer stellte etwa Anna-Maria Jung ihren kürzlich erschienenen Hardcover-Band „Xoth!“ vor, einen abenteuerlichen bunten Comic-Roman, der das Universum von H.P. Lovecraft gefinkelt auf den Kopf stellt. Vertreten waren auch die vielseitige Bild- und Performancekünstlerin und Karikaturistin elffriede, das Grazer Independent-Label Tonto, das auf dem partizipativen Mitmachprinzip aufgebaute Wiener Kollektiv Murmel Comics, und das Wiener Kriminaljournal, ein kleinformatiges Heft, das recht erfolgreich und mit viel Schmäh das Prinzip der Crime Comics ins Wiener Milieu versetzt. Als Partner fungierte das renommierte Schweizer Comic-Festival Fumetto, eingeladen waren außerdem die Berliner Online-Verleger von Electrocomics sowie weitere Künstler aus der Schweiz, Deutschland, Italien, Slowenien und Serbien. Mit Ausstellungen, Lectures, Workshops und Podiumsdiskussionen sollte ein breiter Zugang erreicht werden, der auch die Wechselbeziehungen zwischen Comics und Film, elektronischen Medien, Design und Mode und damit die Alltagstauglichkeit von Comics thematisierte. „Es geht um eine Öffnung dem Comic gegenüber“, sagte Festivalleiter Gusenbauer. „In Linz sind durch das Ars Electronica Center, die Kunstuni und eine starke freie Kulturszene die Voraussetzungen optimal dafür.“ Die fehlende Comic-Tradition in Österreich, die in den 50er Jahren aus Angst vor Veramerikanisierung abgewürgt wurde, sieht Gusenbauer daher nicht als Nachteil, sondern als Chance, einem unvoreingenommenes Publikum innovative, interdisziplinäre Projekte nahe zu bringen, ohne einfach nur die neuesten Bücher vorzustellen, wie sonst bei einschlägigen Festivals und Messen üblich. Dementsprechend waren auch Cosplay (die Manga-inspirierte Kostümierungskultur), Computeranimation und Interactive Drawing Thema bei nextComic. Auch in Graz war die Kür zur Kulturhauptstadt im Jahr 2003 Motor für mehr Selbstbewusstsein in der Comicszene. In diesem Jahr fand erstmals das Comic-Festival Tonto statt, organisiert von einer Gruppe enthusiastischer lokaler Zeichner, die nicht nur einen Experimentierraum für Bildkunst abseits der Konventionen bieten, sondern auch als Kleinverlag für eine Reihe von Independent-Comics und das Tonto-Magazin fungieren. Tonto hat stets auch die Fühler über die Grenzen ausgestreckt und pflegt einen fruchtbaren Austausch mit dem serbischen Künstler Alexander Zograf und der Kuhinja-Gruppe, slowenischen Zeichnern aus dem Umfeld von Stripburger sowie der Schweizer Comicszene rund um das Magazin Strapazin. Aus dem offenen Zugang entwickelte sich auch das ungewöhnliche Konzept, themen-bezogene Hefte zu publizieren, in denen aus einzelnen Beiträgen verschiedenster Autoren und Zeichnern ein narrativer Bogen gespannt wird und so verschiedene Ansätze durch die Verschränkung eine zweite Bezugsebene und neue Interpretation ermöglichen, wie es Helmut Kaplan beschreibt, neben Edda Strobl und Michael Jordan Mastermind hinter Tonto. So ging aus den Arbeiten, die in Workshops und Jams während des Comic-Festivals 2004 entstanden, der 162 Seiten starke Band namens „Stormy. Topographien des Jenseits“ hervor, in dem Geschichten und Fragmente rund um die Grauzonen zwischen Traum, Vision, Wahn und Wirklichkeit in einen größeren erzählerischen Rahmen montiert werden. Genauso funktioniert auch der Band „Jack, Mom und die anderen“, in dem Arbeiten von acht Zeichnerinnen und Zeichnern aus drei Ländern versammelt sind, die im Zeitraum zwischen 1985 und 2007 entstanden. Unübersehbar ist jedenfalls, dass die regionalen Kleingruppen, die sich über die letzten Jahre formiert haben, immer weitere Kreise ziehen. Nach wie vor werden unermüdlich Mini-Comics, die auch Amateuren jeder Art offen stehen, in liebevoller Selbstausbeutung verbreitet. Doch darüber hinaus kommen immer mehr professionell gestaltete unabhängige Graphic Novels auf hohem künstlerischen, aber auch breitenwirksameren Niveau heraus. Jörg Vogeltanz etwa hat eben in seiner Edition Prequel gemeinsam mit dem Autor Thomas Ballhausen „Anger Diaries 2: Wired Worlds“ herausgebracht, ein weiterer Teil der wunderbar darken Graphic Novel-Serie, die in feingliedrigen, aber kräftigen Zeichnungen ein futuristisch-paranoides Weltsystem ausbreitet, in dem Verschwörungstheorien auf Lokalpolitik stoßen. Beispiele für einen Aufbruch sind auch die von Hardboiled-Crime-Literatur inspirierte „Frank“- Reihe von Erik Andara und Christian Schreiner oder eben „Xoth!“ von Anna-Maria Jung. Trotzdem bleibt es in Österreich aufgrund des verschwindend kleinen Marktes ein unglaubliches aufreibendes Unterfangen, hochwertige Comics herauszubringen: Nach wie vor ist ein Fördersystem nicht vorhanden und gibt es keine speziellen Verlagsstrukturen für Comics, was die Produktion kleiner Auflagen rund um die 1000 Stück sehr teuer macht. Zumindest der Vertrieb gestaltet sich seit einiger Zeit etwas einfacher: Statt selbst alle möglichen Buchhandlungen abzuklappern, macht das zu einem Gutteil Sebastian Bobrowska, der mit seinem Vertrieb „Pictopia“ nicht nur für die heimische Comic-Kultur wertvolle Dienste leistet, in dem er unermüdlich alle Erscheinungen in möglichst vielen Regalen unterbringt, sondern auch andere deutschsprachige Independent-Verlage wie Reprodukt und Edition Moderne unter die Leute bringt. Im offenen TV-Kanal Okto gibt es mit „Ka-Puff!“ erstmals eine regelmäßige Sendung zu Comics und auch die Feuilletons der Zeitungen, in denen Comics bisher so gut wie gar nicht besprochen wurden, trauen sich vereinzelt über eine Rezension. Eine feine Plattform bietet nicht zuletzt das 2003 von Nicolas Mahler, Heinz Wolf und dem Cartoonisten Rudi Klein gegründete Kabinett für Wort und Bild, das im Wiener Museums- quartier regelmäßig die Werke ausgewählter österreichischer und internationaler Comicschaffender ausstellt und begleitende Mini-Comics in einem Automaten vertreibt. Man kann also davon ausgehen, dass sich die Frau Goldgrubers in Österreich eines besseren belehren lassen. Doch: Was sagt Nicolas Mahler, unumstrittener Doyen der heimischen Comic-szene über seine Motivation? Es sei schon ein bisschen die Verbitterung über die hiesige Kleinkariertheit, die ihn antreibe und ihm Stoff für seine Strichmanderl gibt. Wollen wir also hoffen, dass er und alle anderen Comiczeichner noch einige Zeit davon zehren können – zumindest solange die Öffnung in Richtung einer akzeptierten selbständigen Kunstrichtung noch auf sich warten lässt. Ausgewählte Links: www.pictopia.at www.mahlermuseum.at www.heinzwolf.at www.spacelove.at www.tonto.at www.murmel-comics.org www.elffriede.net www.prequel.at www.mixercomics.at www.kabinett.at www.unkraut-comics.at www.lin_c.net www.nextcomic.org www.onlinemoff.at
01.02.2009
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