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Hope-Stop!
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 2
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Hope-Stop!

Zeitschrift Umělec 2005/2

01.02.2005

Alena Boika | Moskau Biennale | en cs de

Am 26 Januar 2005, während das Leninmuseum enthusiastisch die Pressekonferenz der ersten Moskauer Biennale ausrief, eröffnete das Zentrum für Gegenwartskunst, Zverev, die Gegen-Ausstellung Hope-Stop!. Der in Moskau lebende Kunstkritiker Andrej Kovalev hatte bereits ein paar Gerüchte läuten hören, als er fragte: “Handelt es sich bei Hope-Stop! um eine Anti-Biennale – ja oder nein? ” Dies waren die Antworten:

Alexej Penzin (Politischer Journalist, Mitglied der Gruppe “Chto delat/What is to be done?”): Auf die Ideologie der Moskauer Biennale passt Frederic Jamesons Definition einer “Lehre von der Beschränkung und ihrer Organisierung”. Die Biennale verfolgt “Beschränkung” im buchstäblichen Sinn. Meines Wissens konnten eine Vielzahl von Themen dort einfach nicht präsentiert werden. Ich denke, es wäre sehr komisch - im Positiven wie auch im Negativen – wenn die Hope-Stop!-Künstler einen wilden und Herz zerreißenden Mix aus Werken zu den Themen “Putin”, “Tschetschenien” und “Russische Orthodoxe Kirche” ausstellen würden.
Aber ist die passive und autistische Ignoranz, die das Projekt Russland-2 präsentiert, wirklich eine Alternative? Beide Varianten implizieren doch nichts anderes, als eine negative oder indirekte Abhängigkeit zum Biennale-Konzept; ein Konzept, welches von vornherein durch einen, uns allgemein bekannten tieferen politischen Kontext determiniert ist.
Es ist bezeichnend, dass das Wort “Alternative” heute hauptsächlich in der Mediensprache verwendet wird: Es wird mit einer Binarität operiert, die beliebig abstrakte und leere Kontraste schafft. Welche Alternativen kann es also in der Biennale geben? Wenn die Biennale eine ideologische Instanz der selektiven Repräsentation ist, so müsste die einzig wahrhaftige Alternative die reine Nicht-Repräsentation, sozusagen ein “außerparlamentarischer Partisanenkrieg“ für die Mittel der Kunstproduktion sein.

Anatolij Osmolovskij (Künstler, Theoretiker, Autor des Buches “Revolutionary-Repressive Paradise”): Während in der gegebenen Situation der Biennale Glanz und Glamour ihren scheinbaren Sieg davontragen, präsentiert die Gegen-Ausstellung Hope-Stop! eine weitaus komplexere Auffassung von der russischen Kunst. Mir persönlich macht die moralisch-ethische Seite der Gestaltung der Ersten Moskauer Biennale große Sorgen.

Stas Schuripa (Künstler): Die Moskauer Biennale deklariert eine “Privatisierung der Hoffnung”. Indem sie die Sprache der Wirtschaft auf die Kunst anwendet, versucht sie, den Kunstprozess auf die Kulturindustrie zu reduzieren. Die Ausstellung Hope-Stop! stellt die Grenzen des “prädeterminierten und unveränderlichen Sozialsystems des Kapitalismus” in Frage. Und versucht so, den Standpunkt des Betrachters zu erweitern.

Alexander Sokolov (Kurator): Meiner Meinung nach steht die Ausstellung Hope-Stop! in positivem Bezug zur Biennale. Der Videofilm Ass Peeping von Anna Ermolaeva (Sankt-Petersburg – Wien) wirkt wie ein privater Kommentar zum Biennale-Thema “Hoffnungsdialektik”. Auf der Biennale-Website steht “Es bedarf der Hoffnung, nachdem das Gefühl der Sicherheit verloren gegangen ist, und es unmöglich scheint, sich auf irgend etwas oder jemanden verlassen zu können.” Eine Weiterführung im Sinne von “Religion, Opium für das Volk”. Die Fähigkeit zur Hoffnung ermöglicht es, optimistisch in eine private und kollektive Zukunft zu sehen”.


STICKER

Im Rahmen der Ausstellung wurde eine Reihe von Kunstaktionen und Diskussionen durchgeführt. Besondere Beachtung fand die Aktion Sticker.
Aufkleber in der Größe 35x45mm wurden den Massenmedien als alternatives Kommunikationsinstrument entgegengesetzt. Die Sticker wurden am 26 Januar im Zentrum der Gegenwartskunst Zverev an die Öffentlichkeit verteilt und am 27. Januar, dem offiziellen Eröffnungstag der Biennale, von den Besuchern begeistert an die großen Ausstellungsorte, Leninmuseum, Shchusev-Architekturmuseum sowie in der U-Bahnstation Vorobiovy Gory, weitergegeben. Die bunten Klebebildchen schmückten nicht nur die Wände, sondern klebten sogar an den ausgestellten Kunstwerken der offiziellen Biennale-Künstler. Es war eine lustige Entdeckung, dass einige der ausgestellten Maler an beiden – der offiziellen, wie auch der inoffiziellen - Biennalen teilgenommen hatten. So beispielsweise Dmitri Gutov, der sowohl in Marat Guelmans Biennale-Projekt Rußland-2, als auch der Hope Stop! im Zverev Zentrum zu sehen war. Auf die empörte Frage von Dmitri Vilensky, Redakteur der Zeitung “Chto delat/What has to be done?“, wie Gutov an einem derart moralisch und ethisch fragwürdigen Projekt wie der offiziellen Moskauer Biennale hatte teilnehmen können, antwortete Dmitri Gutov gelassen: “In erster Linie bin ich Maler. Und ich werde konsequent an allen Kunstprojekten teilnehmen, zu denen ich eingeladen werde.”
Am 31. Januar fand die Redaktionskonferenz zur Planung der neuen Ausgabe mit dem Titel “Ausnahmezustand” statt. Unter den Diskutierenden befanden sich Maler, Philosophen und Theoretiker der linken Kräfte des gegenwärtigen Russlands (Dmitri Vilensky, Boris Kagarlitski, Alexej Penzin, David Riff u.a.) und äußerten große Besorgnis in Bezug auf die Entwicklungen in der politischen Situation Russlands, die zweifellos ihre Widerspiegelung im sozialen und kulturellen Milieu erwarten lassen wird.
Nach den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit, die sowohl auf den Territorien Russlands, als auch in den GUS-Ländern stattfanden, entsteht ein stabiles Gefühl des Aufhebung der Ordnung, die erst vor kurzem existierte, eine Art “Punkt ohne Wiederkehr”.
Die Entwicklungen in der Ukraine zeigen deutlich, dass die alten Machtklischees und der Kalte Krieg noch sehr lebendig sind und die Wahrnehmung und Wertung der stattfindenden Ereignisse entscheidend beeinflussen. Es ist klar zu erkennen, dass die politischen Entwicklungen sich auch in der Kulturpolitik widerspiegeln.
Eine unabhängige kritische Meinung steht heute in Russland (und überall) unter dem ständigen Druck der Wirtschaftsstrukturen einerseits und einer Politik, die von den “Meistern der Kultur” die populistische Legitimation ihrer politischen Richtung einfordert, andererseits. In den heutigen Bedingungen sehen wir nur allzu oft, wie sehr beide Ansprüche miteinander verbunden sind.
Von etwa 20 Personen, die an der Diskussion teilnahmen, erwiesen sich nur sieben als tatsächlich aktiv… Kann so Hoffnung entstehen? Kann eine kleine Gruppe russischer Intellektuelle es schaffen, auf das Getriebe der Regierungsmaschine einzuwirken? Gerne möchte ich der historischen Erfahrung vertrauen.
Am 5 Februar lud Hope Stop! zur Buchpräsentation von “Ein großes Projekt für Russland. Konferenzmaterialien, es handelte sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Kunstzeitung und dem Zverev Zentrums für Gegenwartskunst und wurde von internationalen Kuratoren unterstützt. Die Konferenz, abgehalten im Dezember 2003 in Moskau, verlief unter führender Beteiligung von dem wohl bekanntesten russischen Kuratoren Viktor Misiano, der aufgrund von Intrigen von der Moskauer Biennale ausgeschlossen wurde. Die Beteiligen waren: Viktor Misiano, Anatolij Osmolovskij, Dmitri Gutov, Oksana Sarkisjan, Tschubarov, Alexandr Panov, Alexej Kallima und Irina Korina u.a. Es dauerte nicht lange, bis sich das Gespräch anderen Themen als den Konferenzmaterialien zuwandte. Die Anwesenden kamen zu dem Schluss, dass das Hauptprojekt Biennale zu einer, wenn auch eindrucksvollen Show verkommen war und somit als intellektuelles Ereignis versagt hatte. Wie Viktor Misiano bemerkte: “Für die Behörde ist es das Wichtigste, dass die Biennale überhaupt stattfindet. In welcher Form, ist dabei zweitrangig. Hauptsache, es wurde die Aufgabe gelöst, ein Kunstsystem unter der Mantel staatlicher Kontrolle zu errichten.”
Wendet man sich der künstlerischen Seite der Ausstellung Hope-Stop! zu, so entspricht sie völlig ihrer Definition als “Anti-Biennale” und unterscheidet sich sowohl durch die kuratorischen Leistungen als auch durch die Festlegung der Ausstellung auf nur einen Ausstellungsort. Im Gegensatz zum Biennale-Gelände, auf welchem man dank der Vielzahl von “offiziellen”, “speziellen” und “Parallel-“ Projekten sowie fast stündlichen Programmänderungen schnell die Orientierung verlor. Vor allem aber überzeugte Hope-Stop! mit dem demonstrativ “nicht-künstlerischen” Konzept der ausgestellten Arbeiten. Die größtenteils konzeptuellen Werke regten den Betrachter zum Nachdenken an und ersetzten einen überladenen Biennale-Tisch durch asketisch – fast militärische - Bescheidenheit.

Ein Hakenkreuz aus Stiefeln, Installation.2004
… Er ging durch die Südstadt. Der Markt war belebt. Die Menschen schrieen etwas in einer ihm unbekannten Sprache. Kurskij war nie in einer der Städte Mittelasiens gewesen. War dies vielleicht Taschkent oder Samarkand, Kabul oder Zypern? Alles war möglich. Hohe Häuser im Kolonialstil umgaben ihn. Er schritt barfuss über schmutzig-heiße Erde, seine Schuhe trug er in den Händen. Das schien ihm dumm: Schließlich konnten sich Glassplitter, Speisereste, Müll oder giftige Insekten auf dem Boden befinden. Er blieb stehen und zog die Schuhe wieder an. Es lief sich gleich viel bequemer, aber nach kurzer Zeit stellte er fest, dass er die Schuhe schon wieder nicht an den Füßen, sondern in den Händen trug. Offenbar hatte er sie, vertieft in Gedanken, unbewusst wieder ausgezogen. Er stoppte, zog die Schuhe wieder an. Dann ging er weiter, blinzelte in die helle Sonne. Das Spiel wiederholte sich: Wieder war er barfüssig und hielt die Schuhe in den Händen, wieder zog er die Schuhe an. Der Spaziergang war durchaus interessant, die Stadt amüsierte ihn, und doch schweiften die Gedanken und ließen ihn die Schuhe in die Hand nehmen und barfuss über die gefährliche Erde laufen. Endlich beschloss er, sich von den Schuhen zu befreien: Er holte zum Wurf aus und schleuderte sie in den offenen Hauseingang eines alten Hauses. Sie fielen auf die Stufen einer Holztreppe, die in den zweiten Stock führte. Träumend wollte er seinen Weg durch die Stadt fortsetzen, aber er konnte nicht. Der Anblick zweier schwarzer, eng geschnittener und gut gebürsteter, auf den staubigen ausgetrockneten Treppenstufen liegender Schuhe verzauberte ihn. Er blieb stehen, konnte sich von dem Anblick nicht losreißen. Es lag etwas krankhaft Rührseliges in ihrer unpassenden Eleganz, ihrer Hilflosigkeit, in ihrem gehorsamen Verweilen auf den Stufen. Etwas Rührseliges, aber auch Bedeutendes, fast Religiöses. Nein, er konnte sie nicht so allein in dieser fremden und vulgären Stadt liegen lassen. Er trat in den Hauseingang, stieg vorsichtig die alten Bretterstufen hinauf, riskierte Verletzungen durch einen Splitter oder rostigen Nagel, und nahm die Schuhe zurück in seine Hände. Aber noch im gleichen Moment überrannte ihn der Zorn; er begriff, dass die Schuhe ihn in einen Abgrund des Wahnsinns ziehen würden, dorthin, wo es heiß und staubig und verworren war, wie in dieser Stadt. Er warf die Schuhe mit aller Kraft die Treppe hinauf.. Mit einem gehorsamen Klonk! fielen sie nieder, sie gehorchten geduldig dem wunderlichen Willen ihres Besitzers. Und er hatte wieder Mitleid; denn dort lagen sie wie zwei schwarze Krokodile und blickten durch Schnürsenkellöcher auf ihn herab. Er stieg zu ihnen hinauf, nahm sie in die Hände, und warf sie sofort wieder beiseite. Sie landeten in einem halbdunklen Flur. Und wieder tat es ihm leid, um die Schuhe.…Da begriff er, dass die Schuhe ihn zu “führen” begonnen hatten. Er folgte ihnen in einen Flur mit hohen abgeschabten Türen. Er begann die Türen zu öffnen und hineinzuschauen: alle Zimmer waren leer, alt, durch die bestaubten Glasscheiben drang trübe das Sonnenlicht und der Lärm der Südstadt. Und doch gab es ein Lebenszeichen in diesen Zimmern – auf jedem Fußboden standen große Mengen von Schuhen, unzählige Paare, sie alle bildeten Symbole.
Im ersten Zimmer bildeten die Schuhe die Form eines großen Kreuzes. Die Schuhe (alle abgetragen, aber gut gebürstet) standen paarweise eng zusammen. Es gab Herren- und Damenschuhe, Kindersandalen, sogar Pantoffel. Im zweiten Zimmer formierten sich die Schuhe zu einem fünfzackigen Stern; im dritten Zimmer zeigten sie den Davidsstern. Vorsichtig öffnete er die Tür zum fünften Zimmer. Dort befand sich ein aus Schuhen gebildeter Halbmond. Alle Zeichen waren streng symmetrisch. Das Hakenkreuz fand er, wie es zu erwarten war, im vierten Zimmer. Es war wie die anderen Zeichen aus Schuhen aufgebaut; im Gegensatz zu den anderen Zeichen jedoch war eine Spitze noch nicht vollendet - ein Paar Schuhe fehlte für die strenge Symmetrie des Symbols. Sorgsam stellte Kurskij seine Schuhe in die fehlende Spitze des Hakenkreuzes. Jetzt war es vollendet. Offenbar strebten seine Schuhe danach von Anfang an, deshalb benahmen sie sich so merkwürdig. Kurskij wollte leise hinausgehen, aber er sah sich um – nach wie vor sahen seine Schuhe auf ihn mit Liebe durch seine Schnürsenkellöcher. Er kehrte zurück, zog die Schuhe an, ohne sie von der Stelle, die sie im Hakenkreuz einnahmen, zu schieben. Er stellte sich unbeweglich am Ende eines der Hakenkreuzsegmente und empfand mehr kein Bedürfnis mehr, weiterzugehen. Er wusste, dass er von nun an und für immer hier in diesem leeren alten Zimmer unbeweglich stehen würde, ohne Müdigkeit, Langweile, Tod zu durchleben. (Pavel Pepperstein “Das Hakenkreuz”).




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