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Der Schreck Der Kritik von McNally

Zeitschrift Umělec 2012/1

19.12.2012 18:23

Catherine Hansen | kritika | en cs de

Falls die Monstrosität des Kapitalismus monströse Metaphern fordert, sollte vielleicht die Bewertungsmethode auch monströs werden. Wäre das nicht das Wenigste, vorausgesetzt, dass wir bereits einen Alptraum leben? Oder ist es angesichts des Schreckens erforderlich, die Demut zu bewahren und sich nicht von schönen Metaphern verleiten zu lassen und den Teufel nicht mit seinem eigenen Vokabular austreiben?

In der jüngsten Ausgabe der Comicbuchserie The Walking Dead hat es eine stark angeschlagene Gruppe, die sich ihren Weg durch eine postapokalyptische Welt monströser Gewalt gekämpft und erstorben hat, endlich geschafft, eine kleine, beständige Gemeinde zu gründen – eine gemeinsame Überlebens-Waffe gegen  Horden von Zombies. In diesem Prozess mussten sie selbst zu Monstern werden und bereit sein, alles zu tun, um sich selbst zu beschützen. Die Gruppe trifft auf einen mysteriösen Charakter, der – allem Anschein nach – kein Schwert trägt, sondern eine Pflugschar. Als Anführer einer anderen Gruppe von Überlebenden möchte er die Gefährten in das wachsende, gruppeninterne Handelsnetz integrieren, das er gerade aufbaut. „Glaubt ihr, ihr seid die einzigen Überlebenden hier?“, fragt er. „Leute, eure Welt wird sich definitiv verändern.“1

In dieser Serie scheinen die Zombies keine andere Bedeutung als die eines Mittels zur Schaffung von Tod und Zerstörung zu haben – vielleicht sind sie aber aus genau diesem Grund eine Kraft der Erneuerung. Sie haben mit all den hartnäckigen Problemen, mit denen die Welt heutzutage konfrontiert ist, aufgeräumt; wenn auch zum Preis einer schmerzhaften Rückkehr in den Naturzustand. Es ist die Chance, nochmal ganz von vorn zu beginnen, unsicher zwei Schritte vorwärts nehmend und einen zurück. Zombies als Kraft subversiv kreativer Zerstörung spielen auch in Max Brooks’ World War Z eine Rolle, auch wenn es hier nicht direkt um die Zombies geht, sondern eher um das, was sie verursachen und offenbaren. In Zeiten des post-apokalyptischen Wiederaufbaus beispielsweise, werden die Mitglieder der alten post-industriellen, dienstleitungs-basierten Wirtschaft Amerikas (Führungskräfte, Vertreter, Analytiker, Berater, Hedge-Fond-Manager, Kulturadministratoren) jetzt mit „ohne sinnvolle Berufung“ eingestuft und werden zu Hilfsarbeitern, die zum Teil extensiv nachgeschult werden müssen.

Brooks stellt sich folgendes vor:

„Du bist leistungsstarker Anwalt eines Unternehmens. Du hast den Großteil deines Lebens mit Vertragsprüfungen, Geschäftsaushandlungen und Telefongesprächen verbracht... Je mehr du arbeitest, desto mehr verdienst du und desto mehr Sklaven kannst du einstellen, die dir den Rücken freihalten, damit du noch mehr Geld machen kannst. So funktioniert die Welt. Aber eines Tages ist das nicht mehr so. Keiner muss einen Vertrag geprüft oder ein Geschäft ausgehandelt haben. Was es jetzt braucht, ist die Reparatur von Toiletten. Und plötzlich ist dein Sklave dein Lehrer, vielleicht sogar dein Boss. Für einige war diese Vorstellung angsteinflößender als lebendige Tote.“2

In seinem Buch Monsters of the Market: Zombies, Vampires and Global Capitalism tritt David McNally in einen Diskurs ein – und verstärkt diesen noch –, der die Ungeheuerlichkeit, insbesondere die Vielfalt der Zombies, in einem sozialkritischen Kontext betrachtet – auch wenn das Wort Kritik hier vielleicht zu schwach ist.

McNally möchte zeigen, dass Monster-Geschichten mächtige Werkzeuge sein können, die wachrütteln und Widerspruch erzeugen, oder zumindest außerordentlich sensible Verzeichnisse der Spannungen und Ängste der jeweiligen Zeiten aufzeigen. Die Gruppe in The Walking Dead könnte (würde sie in McNallys Buch vorkommen) beispielsweise als Metapher für die Überlebenden der Verwüstungen des globalisierten Kapitalismus oder für kampfbereite Revolutionäre stehen; und Brooks Führungskräfte für die reumütigen Überlebenden eines revolutionären Umsturzes der Gesellschaftsfundamente.

McNally macht jedoch etwas eher Ungewöhnliches. Er zeigt auf, dass die Zombies, als das Märchen vom Zombie erstmals der Popkultur sein Gesicht zeigte, keine fleischfressenden „grauenhaften Konsumenten“ waren, sondern eher Arbeiter – ihrer Seele beraubte Körper, angeschirrt als Arbeitskräfte. Und so wie diese ursprünglichen Zombies auf den Zuckerrohrplantagen schuftend zu finden waren, sind McNallys Arbeiter-Zombies Angestellte in Ausbeuterbetrieben, Lohnsklaven, die versuchen, in der sogenannten informellen Wirtschaft zu überleben. Er betont, dass Monstrosität immer eine Wechselwirkung hervorrufe. Monströse Formen von Macht und Unterdrückung – wie jene in den Netzwerken des globalisierten Kapitalismus, mit seinem „Vampir“-Finanzwesen und „Zombie“-Banken, Manifestierten – machen ihre Opfer zu verzweifelten und zerfetzten Monstern, die – ebenso wie in The Walking Dead – buchstäblich mit ihrem Körper für ihr Überleben gezahlt haben.

Wenn diese Monster sich nun erheben und rebellieren, müsse schnellstens die Bereitschaftspolizei beordert werden, da sie nun umso abscheulicher und zu einer „gesetzlosen Meute“ verkommen seien. McNally jedoch fordert diese zerfetzten Überlebenden, die Zombies der Zuckerrohrplantagen, direkt auf: steht auf und geht weiter.

Dies ist in der Tat die Aussage der vollmundigen Schlussfolgerung des Buches. Die kapitalistische Gesellschaft, so McNally, stelle bereits die Nacht der lebenden Toten dar. Aber die „offenen Wunden“ der arbeitenden Bevölkerung könne sie miteinander in einer „monströsen Gesamtheit“ zusammenbringen. Er ruft auf zum Gelage, dem Aufstand der Zombies, und feierlichem Aufruhr (auch wenn man sich fragen mag, was auf der Festtafel aufgetischt wird). Der von ihm für diesen Aufruhr ausgewählte Soundtrack kommt aus einer Zeit, die Thriller oder der modernen Massenveranstaltung des Zombie Walk weit vorausgeht: die „schrillen Gegensätze und Poly-Rhythmen“ des Bebop.

In gewissem Sinne ist die Lektüre von McNallys Buch oft ein von schrillen Gegensätzen geprägtes Erlebnis und wenn man die sozialen Missstände und Ungleichheiten, auf die er sich bezieht, berücksichtigt, ist das vielleicht auch angemessen. Er schreitet panoramisch über grundverschiedene Genres und Situationen, und setzt sich mit Sprüngen und Improvisationen über die grundlegenden Entwicklungen seiner Hauptthemen hinweg. Dies wird jedoch durch seine außerordentlich klare und geduldige Prosa kompensiert; sie ist sich, trotz all ihrer flexiblen und offenen Anwendungen, ihrer Schlüsselfunktion sicher und schafft es - wie eine Fabel oder Parabel -, das heterogene Anliegen des Buches in einem Momentum zusammenzufassen.

Die Monstrosität kapitalistischer Beziehungen liege laut McNally darin, dass sie uns normal erscheine. Eingebettet in die Struktur unserer täglichen Lebensabläufe und Erfahrungen bedrohen sie, sowohl offensichtlich, als auch nicht sichtbar, unmittelbar unsere körperliche und mentale Integrität. Es gebe „verborgene“, jedoch unmittelbare Verbindungen zwischen den abstrakten Kreisläufen globalen Kapitals und unseren Körpern: McNally enthüllt diese halb versteckten, vom Kapital buchstäblich „verstümmelten“ Stellen (Marx nennt sie die „versteckten Domizile der Produktion“). In seiner Schufterei gefangen, sei der Mensch nicht nur gezwungen, seine „Lebensenergie“ zu verkaufen; manchmal müssen sogar die eigenen Organe veräußert werden. Man lebt in einem Albtraum, in dem das, was Leben bedeutet, was aus Fleisch und Blut ist, was greifbar und einzigartig ist, zu einer Art untoter Abstraktion wird (Kommerzialisierung, Konsumfetischismus). Und genau aus diesem Grund, weil sie eine „verfremdende Wirkung“ innehaben, gewinnen die Geschichten, die wir erzählen – fantastische Geschichten über Zombies, Vampire und Hexerei –, an Bedeutung. Sie ermöglichen, dass das, was normal und alltäglich scheint, als tatsächliche Monstrosität und Fremdartigkeit wahrgenommen wird. Eine der provokativsten und stringentesten im Buch vertretenen Ansichten ist die, dass die Kritische Theorie sich „mit dem Fantastischen“ vereinigen müsse:

Die Kritische Theorie sollte die fantastische Darstellung des okkulten Kapitalismus so lesen, wie die Psychoanalyse Träume interpretiert – als eine zwangsläufig kodierte Form subversiven Wissens, dessen Entschlüsselung tiefgreifende Einsichten und transformative Energien offenlegt. Kritische Theorie muss - durch die Offenlegung einer gängigen, von Menschen verschleppenden und sezierenden Vampiren, Zombies und bösartigen Unternehmen bevölkerten Realität -, schocken – ein Effekt, der es uns ermöglicht, die abscheulichen Veränderungen zu erkennen, die einer solchen kommodifizierten Existenz zugrunde liegen. (8)

McNally lässt sein kritisches Auge schnell wandern: von den Galgenaufständen und der Privatisierung des Gemeinguts im 16. und 17. Jahrhundert, über die öffentliche Sezierung der Leichen armer Kriminineller als Mittel zur Darstellung der Macht höherer Gesellschaftsschichten, bis hin zu den „konkurrierenden Monstrositäten“ der habgierigen Anhäufung von Privatbesitz, der die Vergehen gegen eine solche Form von Eigentum gegenüberstehen (Diebstahl, unerlaubtes Betreten von Grundstücken und Besitz); von hier wiederum zu Frankenstein und Marx und dem Skandal um die Enron Corporation, zu Erklärungen zum Devisenmarkt, Kreditderivaten, Kreditausfall-Swaps, hin zu Umschuldungsstrategien internationaler Finanzinstitutionen im globalen Süden (wo aalglatte „Geister-“Finanzbetriebe reale Ressourcen plündern und reale Menschen aussaugen), die verheerende „strukturelle Regulierungen“ verhängen; und von hier zu beliebten Erzählungen und Fabeln über Zauberei und Hexenwesen im gegenwärtigen Schwarzafrika – die schlechten Träume einer kollektiven Vorstellung – und zu den sinnestäuschenden Visionen Lagos’ des Schriftstellers Ben Okri.

Mit anderen Worten: in gewisser Hinsicht ist das Buch an sich auch monströs. So wie der Kapitalismus alles berührt und sich in allem andeutet, so folgt McNally ihm, ohne Rücksicht auf akademische Disziplin oder Buchverkaufszahlen, in jeden Schlupfwinkel und jede Höhle. So global der Kapitalismus ist, so umfangreich ist das Buch. Und das ist seine Stärke und seine Schwäche zugleich: da der Umfang des ehrgeizig behandelten Bereichs so groß ist, treten unausweichlich seltene Momente ein, die oberflächlich oder sogar tendenziös erscheinen. McNally scheint z.B. beim Lesen Frankensteins das Buch mit vorherbestimmten Botschaften beleben (oder wiederbeleben) zu wollen, um es für ihn sprechen zu lassen. Mary Shelleys Anliegen sei es u.a., die „herrschenden Klassen“ vor den Konsequenzen des „Missbrauchs proletarischer Körper und Seelen“ zu „warnen“. Bestätigung für diese These sucht er in Shelleys emotionalen Beziehungen, politischen Gesinnungen und ihrer Wahrnehmung des Zeitgeschehens. Auch wenn Literatur ein gewisses „politisch Unbewusstes“ innewohnen kann, oder ein literarisches Werk einem bestimmten sozio-politischen Kontext entspringen oder diesen reflektieren kann, sollte eine solche Bedeutung nicht in Spekulationen über die wahren Beweggründe des Autors gefunden werden. Und auch wenn McNally vielleicht zu Recht der Überzeugung ist, dass die Kritische Theorie „dazu verpflichtet ist, dem Leid eine Stimme zu verleihen“, so kann hierfür dennoch nicht jedes erdenkliche Mittel Recht sein.

Wie dem auch sei, David McNally hat die Gabe, die Stimme der Leidenden zu hören und zu verbreiten. Und er fordert sie mit zunehmender Dringlichkeit dazu auf, sich selbst Gehör zu verschaffen und sich mit anderen zu vereinigen. Denkt ihr, ihr seid die einzigen Überlebenden da draußen? Diese Frage hätte genau so gut er stellen können. Eure Welt wird sich definitiv verändern.

 

 

1 Robert Kirkman, Charlie Adlard, und Cliff Rathburn, The Walking Dead # 92 (Berkeley, CA: Image Comics, December 2011), S. 22.

2 Max Brooks,  „Wer länger lebt, ist später tot: Operation Zombie“ (New York: Three Rivers Press, S. 200






19.12.2012 18:23

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