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Im Rausch des medialen Déjà-vu. Anmerkungen zur Bildnerischen Strategie von Oliver Pietsch
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 1
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Im Rausch des medialen Déjà-vu. Anmerkungen zur Bildnerischen Strategie von Oliver Pietsch

Zeitschrift Umělec 2007/1

01.01.2007

Lith Bahlmann | video | en cs de

Goff & Rosenthal, Berlin, 18.11. – 30.12.2006

Was eine Droge ist und was nicht, wird gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt, ebenso das Verhältnis zu ihr. Mit welcher Droge eine Gesellschaft umgehen kann und mit welcher nicht und wie von ihr filmisch erzählt werden kann, ob als individuelles oder kollektives Erleben oder nur als Verbrechen, demonstriert der in Berlin lebende Videokünstler Oliver Pietsch in seinem 2005 entstandenen 45-minütigen Found Footage Film „The Conquest of Happiness“.




Pietsch hat hierfür auf bestehendes und weithin bekanntes Filmmaterial zurückgegriffen und kurze Sequenzen aus dem Bildervorrat des Kinos extrahiert und in einem völlig neuen Gefüge zusammengesetzt, dessen Struktur sich aus der Unterteilung in die einzelnen Rauschmittel ergibt: Marihuana, Alkohol, LSD, Kokain, Crack, Opium, Morphium, Heroin, Pillen und einige andere, marginalisiertere Drogen wie Laudanum, Schnüffelstoffe, Poppers oder seltsame Wahrheitsseren. Die Recherche und das Editieren des Films haben zwei Jahre beansprucht und die Sichtung von mehr als 400 Produktionen des Mainstreams, des Genrekinos und des Frühen Films zum Thema vorausgesetzt.
Neben „The Conquest of Happiness“, der zu gleichen Teilen Dokumentation, experimenteller Film und Musikclip ist, werden in der gleichnamigen Soloausstellung drei weitere soeben fertiggestellte, kürzere Videoarbeiten des Künstlers präsentiert, in denen Pietsch das obsessive (oder besser expansive?) Spiel auf der Klaviatur des populären Films weiter perfektioniert. „Domin, Libra Nos“ zeigt Suizide durch Kopfschuss, „Maybe Not“ Menschen, die in den Tod springen oder fallen, und „Hit Me“ Frauen, die von Männern geschlagen werden. Wie bei „The Conquest of Happiness“ unterlegt Pietsch auch diese drei Videos mit Musik, die das Gezeigte sowohl affirmativ, als auch kontrapunktisch kommentiert und ein emotionales Metanarrativ über das explizite und schwierige Bildmaterial legt.
Pietschs Videocollagen stehen im Kontext einer experimentellen Richtung des Recyclings von Film, bei der die strukturelle Arbeit am Medium eine Möglichkeit darstellt, in die szenischen Kompositionen der narrativen Strukturen einzudringen. Dabei zeigt das filmische Recycling in der Dekonstruktion kinematographischer Erzählstrategien eine durchaus konstruktive Seite: Die subversive Reaktion auf den Fundus Kino decouvriert die Illusionsmächtigkeit der Filme, die für ein Massenpublikum hergestellt wurden, und fragt nach ihrer Bedeutung für unsere kollektiven Identifikationsmuster. Hierbei lässt der Prozess des Herauslösens das vorgefundene Material zum eigentlichen Thema werden.
In allen präsentierten Arbeiten der Ausstellung bringt Pietsch gleichermaßen die binnenstrukturellen Merkmale der populären Filmsprache zum Vorschein. Mit dem Zusammenfügen variabler Bild- und Motivebenen wird eine strukturelle Vergleichsebene geschaffen, die quasi mechanisch die Stereotypie immer gleicher Darstellungsmuster entlarvt und – oftmals an der Grenze zur unfreiwilligen Komik – deren Beschränktheit und Gleichförmigkeit offenlegt.
Gerade weil ganz direkt mit bekanntem Material gearbeitet wird und sich Pietsch auf die Vorkenntnisse des Betrachters verlässt, spielen seine Videos Memory mit unserem Bildgedächtnis und fordern uns als Betrachter auf, wiederkehrende Darstellungsformen zu vergleichen, Klischees und Stereotypen zu entdecken und nach Systematiken zu suchen.
„The Conquest of Happiness“ bietet in seiner visuellen Informationsdichte vorrangig eine komplexe wie kontemplative Reflexion über das komplizierte Verhältnis von Drogen und Film. Ihm kann u.a. entnommen werden, dass die Geschichte des Drogenfilms beinahe so alt und lang ist wie die Geschichte des Films selbst, denn bereits 1894 drehte der Amerikaner W.K. Laurie Dickson einen der ersten Drogenfilme überhaupt, „Opium Joint“, dessen Handlung einfach ist: Ein Mann betritt eine chinesische Opiumhöhle, raucht den erwähnten Stoff und hat daraufhin unheimliche Visionen – er halluziniert. Dieser frühe Film dauert genau eine halbe Minute, sein Plot sollte aber fortan oft wiederholt werden.
Zu Stummfilmzeiten verzeichnete der Drogenfilm einen regelrechten Boom, da Handel und Gebrauch von Rauschmitteln noch nicht verboten waren. Der Bearbeitung des Themas standen somit weder Tabuisierungen, noch strenge moralische und gesellschaftliche Reglementierungen im Wege; es gab keinen Unterschied zwischen Darstellbarem und Dargestelltem.
Der freie Umgang mit Darstellung und Interpretation des Themas sollte aber noch während der Entstehungszeit des Sujets ein jähes Ende finden, denn schon bald wirkte ihm ein ganzer Katalog von zensorischen Auflagen explizit entgegen, der bis weit in die 50-er Jahre hinein Gültigkeit hatte. Die Droge blieb zwar weiterhin ein idealer Kinostoff, fand aber nur noch Raum in der Darstellung ihrer Kontrolle. Polizei- und Kriminalfilme schufen da mehr oder minder klare Verhältnisse: Die „Rauschgifthändler“ waren das Böse schlechthin, eine Abstufung dessen fand sich höchstens in den gut-böse Gangstern, die nichts mit dem Handel zu tun haben wollten. Erst mit Coppolas Film „Der Pate“ von 1972 löste sich dieses Schema auf.
Seither wurden offiziell keine Filme mehr produziert, die dem Drogenkonsum auch positive Seiten abgewinnen konnten. Eine kurzzeitige Ausnahme bildeten da die 60-er Jahre, als der Gebrauch von Halluzinogenen noch nicht unter die Kontrollen gebracht war und die Trip-Filme des New Hollywood den Konsum von Drogen und deren so genannte bewusstseinserweiternde Wirkung propagierten. Hier kam es in der Darstellung erstmals auch zu Verschränkungen mit sozialen Konflikten. Neben dem Anstoß zur Neuordnung des Verbotenen und des Akzeptierten in den 60-er Jahren trug aber auch Reagans „War on Drugs“ einen entscheidenden Impuls zur Aufklärung und Entmythisierung des Themas bei.
So wurde Marihuana z.B. im Verlauf seiner Kinogeschichte mehr oder weniger zur guten Droge, mittlerweile sogar zur bürgerlichen Droge erklärt, die nicht unmittelbar zur selbstdestruktiven Passion führt. Zunächst vor allem im Genre Western eingesetzt, in denen sie Cowboys in Gewalt-Junkies verwandelte, wird sie im aktuellen Kino nicht mehr als das gezeigt, was zum Bruch zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft führt; sie ist nicht mehr Teil des Problems, sondern eher Teil der Lösung geworden („Saving Grace“, 2000; „Im Juli“, 2000).
Als Folge der liberalisierteren und sensibilisierteren Betrachtungsmöglichkeiten fand das Thema neben seinem festen Platz im Thriller, der seit geraumer Zeit auch die politisch-ökonomischen Seiten des Drogenhandels beleuchtet – wie unnachahmlich in Steven Soderberghs „Traffic“ von 2000 auf den Punkt gebracht – seine besondere Betrachtung in den Drogenbiografien. Im Kino ist der Süchtige zur Standardfigur geworden, und an ihm wird in mythischer Erzählweise ikonoklastisch eine Dramaturgie des Schreckens und des Elends des Drogengebrauches entwickelt.
Um zu einer differenzierteren Darstellung des Drogenthemas im Film zu gelangen (wie es zum Teil den Filmen von Robert Altman oder Pedro Almodovar gelingt), müsste wohl erst mal das Bild der Realität korrigiert werden, denn obwohl Drogen – auch illegale – fester Bestandteil unserer Alltagskultur sind, gelten Konsumenten und Konsumentinnen von Drogen gemeinhin als Menschen, die ausgebrannt und grundsätzlich auf Hilfe von außen angewiesen sind. Der Tatsache, dass es auch einen genussorientierten, autonom kontrollierten Drogengebrauch gibt und die meisten aller Konsumenten von legalen wie illegalen Drogen sozial integriert sind und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ohne aufzufallen oder auszusteigen, steht die Öffentlichkeit eher ambivalent gegenüber und sieht sich hierin hilflos mit ihren eigenen Ängsten konfrontiert.
Daran, dass ein dauerhafter und exzessiver Drogenkonsum höchst riskant ist, kann kein Zweifel bestehen. Wer abstürzt und in einen Suchtkreislauf gerät, zahlt einen hohen Preis. Doch die Bereitschaft, Risiken in Kauf zu nehmen, ist gestiegen – und sie wird weiter steigen, weil viele darin die einzige Chance sehen, in den Gegebenheiten einer modernen Gesellschaft psychisch zu überleben.
In formaler Hinsicht ist die Geschichte der Drogendarstellung im Film auch immer die Geschichte der ästhetischen Mittel seiner Darstellbarkeit. Das Bild des Menschen unter Drogen fordert nach Visualisierung. Eine besondere Schwierigkeit scheint hierbei in der Darstellung des Rausches zu liegen. Die Droge lässt den Ort verschwinden, löst den Raum vor unseren Augen auf und verändert zeitliche Wahrnehmungen. Kaum eine LSD Reise kommt in ihrer Präsentation ohne billige optische Tricks wie Farbfilter oder Doppelbelichtung aus, und die Substanzen werden darüber zu wahrhaft teuflischen Substanzen erklärt. Abgesehen von der permanenten Gefahr der unfreiwilligen Komik dieser Effekte, erfährt man über die tatsächlichen, subjektiven Wirkungen in der Regel recht wenig, auch nichts über etwaige positive Aspekte der Auswirkungen.
Die dramatische Darstellung der Drogenkarrieren hingegen verlangt nach möglichst authentischen Bildern wie der Nahaufnahme der Drogen, der Verletzung der Körper beim Konsum, der Darstellung des „flashs“. Schockbilder, noch immer, und eine Annäherung an körperliche Intimität. Oftmals wird der voyeuristische Blick des Zuschauers hierüber zum fetischistischen.
Eine große Auswahl von Bildern der „schönen Zerstörung“ hat auch Oliver Pietsch strukturell vergleichend in „The Conquest of Happiness“ für uns bereitgestellt. Bei „The Conquest of Happiness“, wie auch bei den drei kürzeren Videoarbeiten gerät der Betrachter in die Vorgaben eines eng geknüpften Koordinatensystems aus Found Footage, welches vor allem die Tiefenstrukturen im Sozialverhalten des in dieser stereotypen Weise Dargestellten zum Vorschein bringt und welches zur Befragung im Umgang mit unseren Sehgewohnheiten herausfordert.
Aufgrund ihres strukturellen Charakters verweist Pietsch mit seinen Arbeiten methodisch auf eine Gruppe von Künstlern, zu der u.a. Pierre Huyghe, Douglas Gorden, Craig Baldwin oder Monica Bonvicini zählen, die ein gemeinsames Interesse daran haben, die herkömmlichen filmischen Repräsentationsmodelle zu transformieren.
In der Verarbeitung von Found Footage und Ikonen der Filmgeschichte eröffnen gerade diejenigen Arbeiten, die ganz direkt mit Wiedererkennbarkeiten spielen, Reflexionsansätze über das Wesen kinematographischer Bilder und deren Bedeutung für unser kollektives Bildgedächtnis und befragen dadurch unsere elementaren Wahrnehmungsmodi. Das vermeintlich bekannte Material lässt den Bildkonsumenten Assoziationsbilder produzieren und eröffnet Reflexionsansätze, in denen die Bildkonsumenten gleichermaßen zu Bildproduzenten werden.
Vor dem Genuss der Videos sei gewarnt, denn auch das Kino eignet sich ganz zum Vorteil seiner Konsumenten ja bekanntlich zuweilen sehr gut als Droge – und das ganz legal!







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