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TIRANA PRISHTINA PROJECT 2005
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2006, 3
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TIRANA PRISHTINA PROJECT 2005

Zeitschrift Umělec 2006/3

01.03.2006

Feni Zguro | info | en cs de

Wüste der Widersprüche

Die Reise nach Pristina, um zum Beispiel an einer Ausstellung teilzunehmen, dauert mit dem Flugzeug nur 25 Minuten. So umgeht man auch die ca. 2000 Haarnadelkurven entlang der “Autobahn” nach Kukes sowie die nur bedingt ansehnliche, von Zivilisationsmüll übersäte Landschaft. Zu unserem Beispiel: Der Künstler hat seine Inspiration gefunden und stellt ein Projekt zwischen Albanien und dem Kosovo vor. Das war die Idee von Florian Agalliu, Koordinator und Veranstalter von Kunstevents. Er entschied sich dafür, sie in einem Zyklus von Videoberichten zu realisieren.




Zu diesem Zeitpunkt beschloss ich, ein Projekt mit gleichem Namen zu initiieren, allerdings ohne Verbindung zu diesen Videoberichten und unter der Beteiligung mehrerer albanischer und ausländischer Künstler. Mein Projekt TiranaPrishtina zielte darauf ab, eine Retrospektive der Arbeit von albanischen Künstlern Mitte der 80er Jahre zu schaffen; eine Zeit, zu der Edi Rama (heute der Bürgermeister von Tirana) erstmals begann, Strukturen zu schaffen, in denen die Studenten der Kunsthochschule in Tirana in engeren Kontakt mit bildender Kunst kamen.
Diese Annäherung war unheimlich wichtig für junge Künstler wie beispielsweise Anri Sala, Adrian Paci, Alban Hajdinaj und Gentian Shkurti. Gleichzeitig sollte TiranaPrishtina die Zusammenarbeit zwischen sehr jungen und noch unbekannten KünstlerInnen in Albanien fördern, und albanische Medien und verschiedene Workshops sollten die Kunde von Kunstausstellungen verbreiten. Das Projekt wurde ein Informationswerkzeug für das Publikum von Tirana, einer Stadt, die noch immer geprägt ist von einem, sagen wir, “hermetischen” Kommunikationssystem.
Trotz der Schwierigkeiten, mit denen man in Albanien bei der Realisierung solcher Initiativen zu kämpfen hat (diese Schwierigkeiten drücken sich meist aus in schierem Rowdytum von seiten der “Rezipienten“), konnte das Projekt zu Ende gebracht werden. Es hat auf kraftvolle Weise das kulturelle Leben Albaniens berührt, das vorher geradezu gelähmt gewesen war. Drei der elf Projekte werden im Folgenden besprochen:


TIRANA OVERGROUND

Das Projekt Tirana Overground sollte ein breites Publikum in die Struktur der bildenden Kunst einbinden. Das Ziel dieses Projektes war, den Künstler aus den typischen Ausstellungsinstitutionen herauszunehmen und seine Arbeiten im urbanen Raum, von der Bar zur Bushaltestelle, zu zeigen. Die Kunst ging dorthin, wo die Öffentlichkeit ist, und nicht umgekehrt. In einem Land wie Albanien ist bildende Kunst völlig unbekannt, und der einzige Weg, sie dem Publikum und der Öffentlichkeit näher zu bringen, ist, sie auf den Straßen zu zeigen, wo soziale Probleme tatsächlich präsent sind.
Eine Ausstellung erreichte ganz offensichtlich die Zielsetzung von Tirana Overground. Armand Lulaj, Ergin Zaloshnja, Arian Risvani, Heldi Pema Andi Belalla und Fani Zguro führten zusammen eine künstlerische Intervention im Wasserkraftwerk von Koman durch. Dieses war einmal eines der ambitioniertesten Projekte im “Fünfjahresplan” des ehemals sozialistischen Systems in Albanien. Das Wasserkraftwerk, das einst das ganze Land mit Elektrizität versorgte, ist heute kein zukunftsweisendes Projekt mehr, sondern eine funktionsunfähige ökologische Katastrophe. Inspiriert von dieser widersprüchlichen Situation, nicht untypisch für Albanien, erschuf Armando Lulaj in der Eingangshalle des Kraftwerks einen riesigen Stern, der am Ende der Kunstaktion Feuer fing, explodierte und sich in “Nichts” auflöste. Ergin Zaloshnja improvisierte einen virtuellen Friedhof mit fünf Gräbern, auf die er die Namen einiger der bekanntesten albanischen Künstler schrieb. Die Geschichte geht weiter mit der Performance von Arian Risvani, bei der eine Gruppe von Nazis nationalistische Themen sowie die eigene gegenwärtige Situation diskutiert. Parallel dazu organisierte Andy Belalla eine weitere Performance: Ein Fußballspiel zweier Mannschaften, die das Problem haben, alle das gleiche Trikot zu tragen – das von Maradona. Hier spielt der Künstler mit der albanischen Mentalität, dass sich jeder als die Nummer eins fühlt.


OPEN SPACE

Einige Menschen versuchen heutzutage, den eigenen Beruf um die Dimension lebenslangen Lernens zu erweitern. In den Entwicklungsländern wird das keinesfalls als Grundbedingung für Entwicklung angesehen, sondern als Lüge für die Geschichtsbücher. Man stelle sich eine verlassene Insel vor, wie zum Beispiel Sazan im Ionischen Meer, wo es nur einen Militärstützpunkt gibt, der selbst das Wasser von woanders her bezieht. Aus dieser hermetischen Umgebung heraus wurde das Projekt Open Space konzeptualisiert. Im Rahmen eines Kino-Forums hatten Soldaten die Möglichkeit, an Dokumentationen und Konferenzen teilzunehmen, die von namhaften und innovativen Persönlichkeiten der zeitgenössischen Kunst vorgestellt wurden. Künstler, Kuratoren, Musiker und Filmemacher wie Harald Szeemann, J.T. Leroy, Mike Patton und Kitano Takeshi eröffneten neue Räume an einem Ort, an dem es außer dem Ionischen Meer nichts gegeben hatte. Der erste Kontakt mit dem Militär war sehr chaotisch. Erst später begann man vorsichtig, dieses Etwas zu erkunden, das nichts mit Disziplin und militärischem Mut zu tun hatte. Hier bot die Kunst an, Wege außerhalb formaler Rahmen zu beschreiten und zu experimentieren.


DAMMI I COLORI

Dammi i Colori ist eine Videodokumentation, die der albanische Künstler Anri Sala in Zusammenarbeit mit Bürgermeister Edi Rama für die vorletzte Biennale in Venedig schuf. Dieser Dokumentarfilm beschäftigt sich mit den grundlegenden Veränderungen, die in Tirana seit dem Amtsantritt des neuen Bürgermeisters Rama stattgefunden haben. Nach Fertigstellung dieses Dokumentarfilms drehten die Künstler Alban Hajdinaj, Gentian Shkurti, Heldi Pema und Fani Zguro jeweils ein kurzes Video zu diesem Thema, und stellten dabei unterschiedliche Veränderungsprozesse in Tirana vor. Ihre Videos Eye to Eye, Colour Blind in Tirana, Client and Torture Stamp sind Visionen vor dem Hintergrund einer “neuen” Stadt, in der die “alten” Probleme der albanischen Gesellschaft weiterbestehen. Ein einziger gesetzgebender Machtfaktor wie Edi Rama genügt nicht, um einen radikalen Wandel herbeizuführen. Trotz aller Initiativen leidet Tirana immer noch unter Korruption im Staatsapparat, der beschuldigten Mentalität der Gesellschaft und schrecklicher Armut. Die Videos von Dammi i Colori handeln von genau diesen Dilemmata. Außer in der Gallery of Arts in Tirana wurden sie beim EXIT Festival in Novisad gezeigt.
Um diese Probleme abseits der Situation, die sie erzeugt, auf einem Bildschirm darstellen zu können, wurden sie in eine neue Form gebracht. Die fünf Videos werden gleich neben den Performances von Fat Boy Slim, Underworld und White Strike gezeigt. Das Projekt Dammi i Colori zeigt gleichzeitig zwei albanische Persönlichkeiten wie Edi Rama und Anri Sala als Metaphern für ein Bemühen um Veränderung – und dies in einer Stadt, wo Veränderung an Wechselkursen gemessen wird, und in der jedes Synonym für einen Wandel in Bezug auf Kunst als Zeitverschwendung angesehen wird. Genau dieser Bruch wird in den Videos der beteiligten Künstler thematisiert.







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