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Ein Interview mit Mike Hollands
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 1
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Ein Interview mit Mike Hollands

Zeitschrift Umělec 2008/1

01.01.2008

Ivan Mečl | interview | en cs de es

„Man muss die Hand von jemandem dreimal schütteln und der Person dabei fest in die Augen sehen. So schafft man es, sich den Namen von jemandem mit Sicherheit zu merken. Ich hab’ mir auf diese Art die Namen von 5.000 Leuten im Horse Hospital gemerkt”, erzählte mir Jim Hollands. Hollands ist ein experimenteller Filmemacher, Musiker und Kurator. In seiner Kindheit litt er unter harten sozialen Bedingungen und lebte oft auf der Straße. Als Kind verdiente er sein Geld manchmal auf dem Strich oder als Bauarbeiter, doch sein musikalisches Talent und seine Faszination für Film führten ihn schließlich in die radikale kulturelle Szene.
Er wurde Kurator und initiierte Aktivitäten am Horse Hospital Kulturzentrum, wo er fünf Jahre lang blieb. In letzter Zeit sind seine Filme Bear Circus und We Want the Boy Dead zu seinen bekanntesten Arbeiten geworden – neben einer vielschichtigen Arbeit von halluzinogener Poesie, Deklamation und Rhythmus: dem Film Here. Hollands hat ein Jahrzehnt lang daran gearbeitet. Man braucht eine 3D-Brille, um seinen jüngsten Film anzuschauen; nicht als Spielerei, sondern als guter Rat. Ursprünglich wurde den Zuschauern auch geraten, Acid zu nehmen, aber nach der Premiere wurde es sofort klar, dass Halluzinogene nicht nötig waren. Dies ist ein Beispiel für gefährliche Vielseitigkeit. Hollands prahlt nicht mit seinem Wissen oder Talent, sondern spricht eher davon, wie wunderbar andere sind. Er bietet einem erschöpfende Analyse, wenn man sich mit ihm auf Diskussionen über Poesie, Musik, Literatur oder radikale kulturelle Bewegungen einlässt. Und ich habe seine Band Patricide mehrmals gesehen. Die Gruppe produziert symphonischen HipHop, wobei sie EBM und Grime benutzt. Es ist keine Tanzmusik; die Leute sind in der Regel in Trance, wenn sie diese Musik hören und sich die verlockenden Projektionen über den Musikern anschauen, die zwischen ihren verschiedenen Instrumenten über die Bühne rollen.
„Bei dieser Art von Musik sieht man die Instrumente und das Teamwork nicht. Meistens geht irgendjemand mit einem Laptop zum Podium. Das ist eine völlig andere Energie”, sagt Allon, der Besitzer eines Musiklabels, das anbot, einige von Patricides Alben herauszubringen.
Jim ist ein Mensch mit einem eigenen Blickwinkel. Als er kürzlich zum ersten Mal in China war, schauten ihn die Menschen an und meinten: „Jim! Du bist Chinese!” Und das ist nicht das einzige, was wir in Europa noch nicht an ihm bemerkt haben.


Ein Interview mit Mike Hollands

Der Film „Here“ ist eine Neuverfilmung eines alten Films. Kannst du uns etwas über den Film erzählen und warum du das Original gewählt hast?

Das begann alles so: Ich hatte mich mit einem Freund mit „Special Brew“ betrunken, einem furchtbar starken Bier – widerliches Zeug – und außerdem war ich auf Ecstasy, und ich sagte „Wäre es nicht eine fantastische Idee, wenn du etwas, das ein Anderer geschrieben hat, einfach ausradieren könntest?“ Ich griff nach einem Buch vom Regal und tat das mit einem schwarzen Marker (macht eine Bewegung, als ob er etwas ausradieren würde). Ich habe ein Buch von diesem Typen Joe Orton herausgegriffen. Auf der aufgeschlagenen Seite war das Stück „The Erpingham Camp“, und ich radierte eine Zeile von „The Erpingham Camp“ aus, so begann ich es umzuschreiben.
Ich löschte alle Zeilen des Originals und fügte meinen eigenen Dialoge in die Struktur des Stücks, und das nannte ich „Here“. Als ich daran arbeitete, zeigte das National Film Theatre eine Filmversion des Stücks und ich nahm die Reaktionen des Publikums auf. Während der Umschreibung bekam ich den Job als Kurator im Horse Hospital, und durch die Kontakte dort kam ich an eine Kopie des Films. Naja, also hat alles damit begonnen, dass ich betrunken und auf Ecstasy war...

Der Film selbst ist also eine Stunde lang, und der Originalfilm beruht auf einem Buch?

Ja, es stammte ursprünglich von Joe Orton, dem schwulen britischen Dramatiker. Orton war das Enfant terrible der „Angry young men“ der 60er Jahre. Er ist wahrscheinlich besser dafür bekannt, dass er von seinem Liebhaber mit einem Hammer zu Tode geschlagen wurde. Seine veröffentlichten Tagebücher sind sexuell sehr explizit, daher ist sein Leben in besserer Erinnerung als sein literarisches Werk. Ich würde sagen, dass der einzige Grund für dieses Projekt ein zufälliger Akt war, aber von da aus habe ich mir dann die unterschiedlichen Bedeutungen in dem, was ich tue, und wie es sich so entwickelt, angeschaut. Man erinnert sich nicht viel an Ortons Werk, es ist auseinander gerissen worden, und wenn es in Theatern aufgeführt wird, ist es sehr reaktionär, es spielt immer in den 60er Jahren, es wird immer einem bestimmten Zeitrahmen zugewiesen – was nicht unbedingt so ist. Er wird für immer mit den 60er Jahren verbunden werden. Dadurch, dass ich sein Werk hernehme und umarbeite, platziere ich es in der experimentellen Tradition, von der er ursprünglich kam.

Der Film basiert also auf dem Stück, das er geschrieben hat. Was ist die Handlung des Originals?

Die Geschichte ist eine Neubearbeitung von Euripides’ Bacchae. Ortons Version spielt in einem Butlins Ferienlager, wo britische Arbeiter ihren Urlaub verbrachten. Der Leiter des Feriencamps stellt einen jungen Mann als Unterhaltungschef ein, als der ursprüngliche Unterhaltungsmensch stirbt. Es kommt zu einer Revolution im Lager und der Leiter, Erpingham, wird am Ende getötet. Im Film geht es um den Tod des Vaters, wie in den meisten Filmen.

Der Tod des Vaters? Der Vater des Lagers?

Der Vater generell.

Er gibt sich als Vater des Lagers aus? Ich frage, weil wir das Original nicht kennen und man nur erahnen kann, worum es darin geht.
Die Handlung des Originals ist ganz und gar nicht wichtig. Sie ist eine Handlung im Hintergrund, aber für mich ist sie überhaupt nicht wichtig. Der wichtige Teil ist, die ursprüngliche Handlung so weit wie möglich auszuradieren, um sie umschreiben zu können. Es ist der Versuch aus etwas, das du schon hast, etwas Neues zu machen. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft, als Menschen, etwas, das wir schon haben, hernehmen und es in etwas, das funktioniert, umarbeiten können; denn das hier funktioniert ja offensichtlich nicht.

Und diese Bedeutung wolltest du in deine Bearbeitung bringen?

Oh ja. Das Umschreiben war aufgrund meiner Vorgehensweise ein langer Prozess. Ich verwendete gefundene Sätze – alles, was irgendjemand zu mir sagte; oder wenn ich einen Satz in einem Film sah oder hörte, schrieb ich ihn auf. So hatte ich eine Datenbank von vielleicht 7000 Sätzen, die ich dann umarrangierte, um zu versuchen, aus Datenbanken von Sätzen zu ähnlichen Themen eine Art von Bedeutung herauszufiltern. Wenn ein bestimmtes Wort in einigen Sätzen vorkam, stellte ich diese in einem Rahmen zusammen und fügte sie erneut in den Text ein. Der Kampf, eine neue Bedeutung zu finden, war lang und komplex und ziemlich schmerzhaft. Ich würde keinem empfehlen, da durchzugehen.

Aber ist es nicht Unterhaltung? Willst du nicht, dass das Publikum Aufmerksamkeit zeigt? Du empfiehlst, nicht da durchzugehen?

Ich empfehle keinem, denselben Prozess durchzumachen, den ich durchgemacht habe. Wenn du den Film siehst, kannst du Ihn als Unterhaltung ansehen. Es ist ein emotionales Experiment, wie ein Actionfilm, und man könnte es auch als Unterhaltung ansehen, so wie man jedes Werk experimenteller Literatur als Unterhaltung ansehen kann. Der Film ist experimentelle Literatur auf Video. Ich hoffe die Leute behandeln es so, wie sie jede beliebige experimentelle Erzählung behandeln würden; man kann sich Dinge rausnehmen, wenn man möchte. Man kann Poesie für ihre Schönheit lesen, oder man kann versuchen, eine Bedeutung darin zu finden.
Da du „Here“ sowohl sehen, hören und auch lesen kannst, kannst du dir mehr rausnehmen als von etwas, das in einem Buch abgedruckt ist. Es ist ein Versuch, zu dem Punkt zu gelangen, an dem die Erzählung zu einem synästhetischen Medium wird und wo Film ein synästhetisches Medium in sich selbst ist, und ich glaube nicht, dass man das ohne Literatur, ohne Wörter, ohne Lesen erlangen kann.

Wenn man den Film sieht, muss man durch unterschiedliche Lagen gehen. Da ist die visuelle Schicht, die der Originalfilm ist. Dann ist da die zweite visuelle Schicht: deine Bearbeitung bzw. die Effekte; die dritte Schicht, die Untertitel; und die vierte Schicht sind die Stimmen...

Die die Stimmen der Untertitel sind.

Aber die Untertitel und die Stimmen sind nicht identisch...

Nicht immer, aber manchmal kommen sie zurück und treffen einander und gehen dann wieder auseinander. Und Musik kommt noch hinzu.

Also gibt es da fünf Schichten?

Ja. Es ist wie jede andere DVD. Die haben Effekte, Sounds und Untertitel; in Filmen wird normalerweise alles so zusammengefügt, dass ein zusammenhängendes Ganzes geschaffen wird. In meinem Film verändere ich diese Vorgehensweise. Ich verwende die unterschiedlichen Schichten eher als Ebenen statt als Leim.

Könntest du deine Arbeit mit einigen Büchern, die du magst, vergleichen?
Oh nein! Das könnte ich nicht.

Der Film ist nicht einfach anzusehen. Du musst ihn vielleicht dreimal sehen, um rein zu kommen. In der Vergangenheit gab es zum Beispiel Nerval oder die Symbolisten, und so viele Leute sagen, sie haben sie gelesen, obwohl sie nur durch drei Seiten gekommen sind. Das könnte auch das Schicksal deines Films sein, denn in der Welt geht’s um Unterhaltung.
Ich glaube es ist einfacher, etwas anzusehen als zu lesen, deshalb würde ich es nicht einfach nur als Text machen wollen. Ich denke, du musst die Medien, die da sind, verwenden; du musst moderne Medien verwenden. Und wenn Nerval jetzt leben würde, wäre ich mir sicher, er würde an einem Computer in einem staubigen Raum sitzen, umgeben von Hummern und iPods. Sie waren Modernisten, und Nerval war ein Meister. Er war der erste, der den Ausspruch „Je suis l’autre“ verwendete, die Rimbaud später als „Je suis un autre“ übernommen hat, aber Nerval sagte „Je suis l’autre“, das bedeutet: „Ich bin der Andere“. Er war die erste Person, die sich mit dem Objekt und nicht dem Subjekt identifiziert hat. Er hat auf jeden Fall einen starken Einfluss auf meine Arbeit. Wenn ich arbeite, habe ich eine Kopie von Aurelia vor mir auf dem Tisch – ein Bild von Omar von The Wire.
In Bezug auf experimentelle Literatur haben die Prozesse, an die ich mich anlehnte, weniger mit Nerval zu tun, obwohl er klar die Schlüsselfigur ist. Da ist Dada, das Werk von Lettriste und auch ein britischer Autor namens Ronald Firbank. Für mich war Ronald Firbank der erste Autor, der die Idee des Schreibens in Vorstellungen von Momentaufnahmen auftrennte, von Sätzen, die getrennt voneinander eingefangen werden. Er schrieb auf Postkarten, sammelte eine große Menge davon und fügte sie dann – oft in der British Library – in verschiedenen Reihenfolgen zusammen, bis er wusste, für ihn zum Schreiben die beste Reihenfolge war. Wenn du sein Werk liest, ist es, als ob du durch einen Raum schreitest und Teile von Gesprächen aufschnappst, und dann kriegst du diese Idee, Bruchteile von Sätzen zu nehmen und sie an verschiedenen Stellen zu positionieren. Du findest das bei Tristan Tzara, wenn er Wörter aus Hüten zieht, das ist allerdings zufälliger als bei Firbank. Diese Zufälligkeit wurde dann von William Borroughs beschleunigt und gefördert, obwohl sie Brian Gysins Technik war. Sie haben das noch stärker mit der Idee des Zufalls verbunden. Orton war stark beeinflusst von Firbank, und ich ging zurück zur nicht-zufälligen Form von Schneidearbeit, denn der zufällige Akt war mit dem Wählen des Buches schon passiert. Ich wollte keine Zufälle mehr hinzufügen, weil es an diesem Punkt sehr schwer ist, eine Bedeutung herauszufiltern. Dieselben Dinge passieren immer und immer wieder. Es ist wie beim Lesen von Tarotkarten, und daher war das nicht interessant für mich.

In deiner Arbeit erwähnst du die armen Verhältnisse, aus denen du kommst, und deinen Hintergrund als Schwulenrechtler.

Meiner Familie ging’s ok, nur ich kann nicht mit Geld umgehen. Ich komme aus einer Mittelklasse-Familie, meine Mutter war Arbeiterin, mein Vater Einwanderer. Beide waren Journalisten und arbeiteten hart. Beide Eltern waren bereits tot als ich 19 Jahre alt war, also war ich auf mich allein gestellt, und ich und Geld gehen nicht gut zusammen. Meine Armut ist meine eigene Schuld, die kommt nicht von irgendwo. Ich habe es immer bevorzugt, meine eigene Zeit statt Geld zu haben. Du musst das Beste aus den Umständen machen. Vor allem wenn du in Video oder Film arbeitest, das ist ein teures Medium. Für „Sweet“ [Hollands erster Film] mussten wir Autos stehlen, Typen einen blasen, um an die Kameras zu kommen, und was du sonst noch tun musst, um etwas zu schaffen, das dich aus dieser Situation herausbringt. Bei „Here“ war ich daran interessiert, vorhandenes Equipment zu nutzen und zu sehen, wie weit ich damit kommen würde. Ich wusste auch nicht, wie ich sonst Filme machen sollte; also, wenn ich nicht mit etwas arbeiten könnte, das es schon gab. Ich meine, wo sollte ich das Geld hernehmen? Ich bezweifle stark, dass ich aufgrund der Art meiner Arbeit Zuschüsse bekommen würde. Ich weiß nicht, wie es jetzt ist, wir werden sehen.
In Bezug auf die homosexuelle Szene… mit 18 und 19 war ich in einer britischen Form von ACT-UP aktiv, der AIDS Coalition To Unleash Power, um für Menschen, die HIV-positiv waren, das Recht zu bekommen, Geld für Medizin zu sammeln, an dir selbst Tests durchzuführen, und gratis Medikamente zu erhalten – all dieses Zeug, das in Großbritannien eigentlich keine Rolle spielt, weil wir ein nationales Gesundheitssystem haben. Ich reiste nach New York, um dort 1987 die New Yorker Zweigstelle zu besuchen, und das hat mich einfach umgehauen. Ich hatte nie zuvor gesehen, dass Homosexuelle wütend waren, und die Typen und Drag-Queens da waren wie Pitbull-Terrier. Auf Demonstrationen haben die den Polizisten regelrecht ins Gesicht gespuckt. Das war irre. Und ihre Kunstkampagne war genial: „Silence=Death“.
Generell existiert in der homosexuellen Literatur, Kunst und Kultur eine Objektifizierung des jungen Mannes. Das kommt vom griechischen Päderastenideal, in dem der ältere Mann den jüngeren idealisiert. Und um auf Gerard de Nerval zurück zu kommen, für „Here“ nahm ich die Idee an, dass ich der Junge bin: Ich bin der Andere; ich bin das Ding, das keine Stimme hat. Dem Jungen wird die Idee des Objektes zugewiesen, idealisiert in Skulpturen, in Filmen, in Literatur, aber er spricht niemals. Es ist die Stimme des älteren Mannes, die für den Jungen spricht, und das generell vom Standpunkt des Autors. Bei jedem von Alan Hollinghurst bis Dennis Cooper – es ist immer die Stimme des älteren Mannes.
„Here“ ist die Stimme des Jungen, der Junge schlägt zurück und sagt nein, wir nehmen diese Objektifizierung nicht mehr hin, und wir nehmen nicht mehr hin, dass wir schweigen sollen. Es ist Zeit, zurückzuschlagen. Dieser Stimme wird in unserer Kultur oft nicht genügend Gewicht gegeben, und als ich das schrieb, als ich 27-29 war, glaube ich war es ungefähr das letzte Mal, dass ich das hätte sagen und mich an all diese Stimmen erinnern können. Ich bin jetzt zu alt, um aus dieser Position zu sprechen. Daher bin ich froh, dass ich es damals aufgenommen habe, denn ich denke, es ist wichtig, das auszusprechen.

Wenn wir über die jetzige Kultur sprechen, kannst du mir sagen, welche Kreationen um dich herum du magst, was Mist ist und was einfach nur schädigend für die Kultur des Fortschritts ist?

Was ist falsch daran, der Kultur des Fortschritts zu schaden? (lacht)

Du hast einmal erzählt, du wolltest Damien Hirsts Diamanten-schädel zerschlagen?

Ja, das ist die einzige logische Reaktion auf so etwas. Was würdest du damit machen wollen? Es besitzen? Es ansehen? Du würdest keines der beiden wollen, da kannst du es genauso gut auch zerschlagen. Den Schädel zu zertrümmern war allerdings Aryan Darzis Idee, ich wollte ihn entführen und Diamant um Diamant zurückschicken, um Lösegeld zu kassieren. Ich will auch die Roboter von Kraftwerk entführen, eine Hand abschneiden und Lösegeld verlangen!

Das könnte aber ein Akt der Kunst sein…

Das ist der Grund, warum ich es nicht tue, aber ich ermuntere definitiv andere, es zu tun. Ich liebe Leute, die auf Kunst so reagieren! Wie Jubal Brown, der in diese Galerie spazierte und auf diesen Mondrian kotzte – klasse Aktion, Jubal! Es ist toll, wenn Leute das machen. Nicht für mich, aber ich unterstütze das definitiv. Wenn jemandem eine Plattform, etwas zu sagen, gegeben wird, und sie sagen nichts, und sie produzieren ein Werk, dann zerschlag es. Nimm sie raus, erschieß sie. Das wäre ein Akt der Kunst, erschieß sie alle. Erschieß Damien Hirst.
Aber die jungen Leute? London ist toll. In den letzten 15 Jahren haben wir vier neue Genres von Musik geschaffen: jungle/drum’n’bass, garage und 2-step, grime, und dubstep. Nenn mir eine andere Stadt, die das fertig gebracht hat. Jamaica macht Dancehall, Amerika macht immer noch HipHop. Wir haben in der Zwischenzeit vier unterschiedliche Typen Musik kreiert. Hol das auf!
Ich lebe im Bezirk Brent in London, und Brent ist der multikulturellste Ort in Europa! Mit einer 85prozentigen Wahrscheinlichkeit ist die Person, die dir als erster begegnet, wenn du eine Straße entlangläufst, aus einem total anderen Land und spricht eine andere Sprache als du. Jugendliche in London sprechen alle eine andere Art von Dialekt, und das geht so seit 20 Jahren. Das passiert, um die Grenzen von Nationalität auszugleichen. Alle Jugendlichen sprechen auf die gleiche Art miteinander. Wenn du einen Jugendlichen am Telefon hörst, kannst du nicht sagen, ob er/sie schwarz ist, Pakistani, Chinese oder weiß. Die sprechen alle gleich, und das ist sehr wichtig. Kulturell gesehen, vermischt das alles, und die Musik ist einfach unglaublich. Ich bin viel stärker von Musik als von irgendetwas anderem beeinflusst. Jeder sollte Rinse FM hören, speziell die Newham Generals Sendung an Sonntagen. Und all das kommt in „Here“ zusammen. Ich war 11 und 12, als (Malcolm McLarens) Buffalo Gals und (Grandmaster Flash and The Furious Five’s) The Message raus kamen, also mein Bezugspunkt war immer HipHop, neben ein paar anderen Dingen die du so nebenbei aufschnappst. Aber da war ein konstantes Brummen von HipHop im Hintergrund. Das erste mal Scratching zu sehen, Keith Harings Arbeiten zu sehen – das waren meine ersten Einführungen in die Kunst, und ich denke, man kann sehen, dass die Sample-Kultur sehr viel Einfluss auf meine Arbeit gehabt hat, wenn auch von einem experimentellen Literatur/ Noise Music/ schwulen Blickwinkel. Aber es kommt alles von der HipHop Kultur.

Aber in deiner Band Patricide machst du etwas anderes als HipHop?

Ja, aber ich glaube, es ist immer noch HipHop.

Wirklich?

Auf jeden Fall. Vom Blickwinkel einer Zulu Nation, wenn du an die Grundsätze des HipHop glaubst, dann kannst du das HipHop nennen. Ich meine, wir spielen viele verschiedenen Dinge, HipHop Beats, Grime Beats, Garage Beats, Dubstep Beats, House Beats, aber es sind alles Beats und Vocals. Patricide war für mich ein Experiment, zeitgenössische Beat-getriebene Musik mit Free Jazz darüber zu spielen. Aber der Free Jazz Teil wird anstatt von Saxophonen und Trombonen von Computern und Synthesizern gespielt.

Wie seid ihr zusammen gekommen?

Das war durch die Radiosendung des Horse Hospitals. Ich hatte damals eine Sendung auf Resonance FM, und für das Meiste war ein Typ namens Orrin Hare verantwortlich. Er hat mich mit allen, die in die Sendung kamen, bekannt gemacht. Nach vier Jahren bin ich ausgestiegen, ich war gelangweilt und dachte wir hatten mit der Sendung einen Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr weiter kamen. Die anderen vier in Patricide, Aryan Darzi, Ze Soundtexture, GazCloud und CJ Johnson, haben nach Ende der Sendung einfach weitergespielt. Es ist immer noch dasselbe Konzept, nur dass wir jetzt unsere eigenen Beats machen und nicht die anderer Leute verwenden.

Wenn du ein Patricide Konzert hörst, oder zu ein paar Konzerten gehst, dann erkennst du die Songs, aber meistens hört es sich wie Improvisation an.

Ja, es ist Improvisation um gewisse Themen herum, wie jeder andere Jazz. Wir kreieren unsere eigenen Beats und spielen dann solange, bis sich wiederholende Themen ergeben. Ich würde es nicht anders wollen. Ich sehe keinen Sinn darin, nicht zu improvisieren, und warum sollte Improvisation nicht Spaß machen? Warum sollte man nicht dazu tanzen? Es muss nicht immer dieses altmodische AMM Modell von Improvisation sein. Das ganze Format wurde von etwas Brilliantem zu etwas sehr Trockenem gemacht. Wir versuchen einfach nur, es ein bisschen funkiger zu machen.

Wie kommt man an deine Arbeiten ran?

Wir werden viel auf Tour sein, aber wenn jemand interessiert ist, kann man mich einfach per Email anschreiben. Es wird eine erste Promo-Version von „Here“ rauskommen und es gibt eine Pay-Pal Adresse, falls jemand „zur Sache“ beitragen möchte oder zu meiner Arbeit (lacht). Genauso mit der Musik. Meine Email Adresse ist jim@chantdownbabylon.com. Ich würde den Film wirklich gerne in eine Museumssammlung rein bekommen...

Planst du im Augenblick etwas Neues?

Nein, nicht wirklich. Ich bin erstmal hiermit auf Tour. Aber ich habe die Erlaubnis für eine Drehbuchadaption für eines der Bücher von RM Vaughan bekommen. Die Idee ist, dass ich daran rumbastle, während ich mit „Here“ auf Tour bin. Es wäre schön, mal einen Film mit Geld zu machen. Diese Herausforderung hätte ich wirklich gerne.

Was wäre da dann deine Rolle? Schreibst du für jemanden?

Nein, ich würde Regie führen.

Das wäre dann ein Film mit Schauspielern und allem Drumher-um?

Ja, „Sweet“ ist ein Film mit Schauspielern und allem anderen, aber mir hat diese Erfahrung nicht unbedingt gefallen. In vielerlei Hinsicht war „Here“ eine Reaktion gegen den Regisseur als Konzept; dagegen, Menschen auf diese Weise zu kontrollieren. Ich glaube, dadurch, dass ich „Here“ gemacht habe, habe ich Wege gefunden, wie du dem ausweichst, Hitler zu sein, denn das ist, was Regisseure sind und ich denke nicht, dass das irgendjemandem gut tut. Ich hätte gerne mehr Spielraum durch ein größeres Budget. Aber ich mache es auch ohne Geld, wenn ich muss, das habe ich immer gemacht. Aber es wäre gut, ein paar Investoren zu finden.

Wie lange at es gedauert „Here” zu machen?

Oh, zehn Jahre…

Zehn Jahre?

Ja! Davon dauerte das Schreiben zwei oder mehr Jahre; an den Film zu kommen, ungefähr ein Jahr; ihn aus dem BFI Archiv rauszubekommen, die Leute zu treffen, all das brauchte eine Weile. Davor habe ich in meiner Arbeit immer verwendet, was ich konnte. Ich konnte mir keinen Computer leisten. Und dann sah ich den Film („The Erpingham Camp”), und ich hatte das Skript, und ich realisierte „oh, das ist, was ich damit machen will”. Normalerweise würde der Künstler an diesem Punkt jemanden einstellen, um das zu tun, aber an solch einem Prozess bin ich nicht interessiert. Ich kümmere mich nicht um diese Art von Kunstwerken, die von Künstlern bezahlt werden.

Vielleicht ist das auf halbem Weg zum Kurator… anderen Künstlern zu sagen was sie tun sollen? Künstler, die zum Kuratieren wechseln, um anderen Künstlern sagen zu können, was sie tun sollen?

Ja, das ist alles ein bisschen dogmatisch. Wenn ich kuratiere, sehe ich das als eine Beraterrolle. Das ist bloß ein Machtspiel… Das Zitat am Anfang von „Here” stammt von Robert Gluck – aus einer seiner Lesungen. Das Zitat ist: „Als Anarchist möchte man sagen, Macht sollte weg gegeben werden, rumgereicht werden, von innen nach außen gedreht werden.” Wenn du anderen Leuten sagst, was sie tun sollen, ist das nicht, um Macht wegzugeben. Du nimmst sie damit für dich alleine. Die Idee, dass ein Künstler sein Werk ökonomisch mit jemandem teilen kann, indem er jemandem Geld gibt, um das Werk zu machen und sie es dann ihr eigen nennen können, das ist ganz und gar nicht teilen. Ich glaube, das bewahrt nur diese furchtbar beschissenen Strukturen. Ich ging aufs College und besuchte einen Grundkurs in Computerkunst am Tower Hamlets College, danach arbeitete ich, und dann machte ich meinen MA an der Thames Valley Universität. Das meiste lernte ich von einem tollen Typen namens Andrew Greaves am Tower Hamlets College; er zeigte mir, wie man einen Computer benutzt. Das waren dann 4 Jahre für die digitale Arbeit, ich begann ganz von vorne. Das Ganze zusammenzufügen, dauerte 9 Monate, aber das alles zu lernen, dauerte vier Jahre.

Und das China-Erlebnis? Du gingst nach China und hast dich selbst gefunden?

Mein Vater war zur Hälfte Chinese. Er wuchs in Hongkong auf, er und meine Mutter starben als ich relativ jung war. Viele meiner Erinnerungen an meine Kindheit sind ziemlich verschwommen, und ich habe keine Eltern mehr, um sie zu untermauern. Als ich nach China ging, erkannte ich mich selbst in den anderen Menschen. Menschen sahen aus wie ich. Das passiert mir nicht of in Großbritannien. Ich bin mit diesen Bezügen aufgewachsen, aber war mir nicht sicher, ob sie real waren, und als ich mit The Doc nach China ging, erkannte ich, dass sie wahr waren. Ich wünschte, jemand hätte mich früher dorthin gebracht, ich glaube ich hätte mich anders entwickelt. Ich habe niemals geglaubt, dass dieses Zeug um deine Wurzeln wichtig ist, aber jetzt glaube ich, es ist wichtig. Es ist schade: Es wäre schön, sagen zu können, dass es nichts ausmacht, woher du kommst, aber das tut es. Ich empfehle China. Das Essen ist fantastisch, das beste Essen der Welt. Neben Jamaika. Würde ich nach Jamaika gehen, käme ich 150 Kilo schwerer zurück. Das Flugzeug würde abstürzen. In den Big Ben.






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