Zeitschrift Umělec 2007/1 >> PINCHUKS ARTODROM Übersicht aller Ausgaben
PINCHUKS ARTODROM
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 1
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

PINCHUKS ARTODROM

Zeitschrift Umělec 2007/1

01.01.2007

Alice Nikitinová | neuigkeiten | en cs de

Die Einladung zur feierlichen Eröffnung konnte man im Radio gewinnen, und zwar mit der richtigen Antwort auf Fragen wie: „Wie heißt die Malerei, bei der Ölfarbe auf Leinwand aufgebracht wird? – Ölmalerei! Oh, hervorragend, wir gratulieren unserem Hörer, sie haben gerade eine Eintrittskarte für die Eröffnung des Pinchuk Art Center gewonnen!!!“



In Kiew wurde unter Feierlichkeiten ein Zentrum für Gegenwartskunst eröffnet, das Pinchuk Art Center. Ein wirklich beachtenswertes Ereignis, wenn man bedenkt, dass in Kiew bislang nur drei Galerien Gegenwartskunst präsentierten und an der Kiewer Akademie die Kunstgeschichte mit dem Impressionismus abgeschlossen wird. Der Gründer und Namensgeber des Zentrums ist der bekannte ukrainische Oligarch und Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Kutschma, Victor Pinchuk1, der schon seit einigen Jahren zeitgenössische Kunst sammelt. Die Kuratoren seiner Sammlungen sind Nicolas Bourriaud2 und Olexander Solovyov3. In der Sammlung vertreten sind sowohl ukrainische Klassiker der Postmoderne der 90er Jahre (Olexandr Gnilitsky, Institution of unstable thoughts, Volodymyr Kozhuhar, Arsen Savadov, Oleg Tistol, Vasyl Tsagolov, Illya Chichkan.), russische Künstler ukrainischer Herkunft (Oleg Kulik, Boris Mykhailov, Serhiy Bratkov), wie auch international bekannte Künstler aus anderen Ländern (Xavier Veilhan, Subodh Gupta, Olafur Eliasson, Sarah Morris, Carsten Nicolai, Philippe Parreno, Navin Rawanchaikul, Thomas Ruff, Charles Sandison, Jun Nguen-Hatsushiba, Carsten Holler).
Zum eigentlichen Eröffnungsakt wurde man von der Security nicht nur bei fehlender Einladung abgewiesen, sondern auch dann, wenn diese zerknittert oder verschmutzt war. Kein Wunder – die Gesellschaft, welche sich zu diesem Ereignis traf, unterschied sich stark vom gewöhnlichem Vernissage-Publikum: Keine lässigen Bohemiens, sondern griesgrämige Muschiks in dunklen Anzügen, in Begleitung hochgewachsener, mit Schmuck behangener Schönheiten. Auf der Bühne spielte ein gewaltiges Orchester und auf zahlreichen Bildschirmen blitzten Schnipsel diverser Werke der Gegenwartskunst auf, während Gogo-Tänzerinnen sich in Käfigen um Stangen räkelten, verkleidet als berühmte Künstler. Die Namen der Künstler hatte man vorsichtshalber in Lateinischer und Kyrillischer Schrift an den Käfigen befestigt: Andy Warhol, Salvador Dali, Gauguin, Van Gogh, Picasso, und sogar Leonardo Da Vinci. Eine ziemlich unverfälschte Darstellung der Position des Künstlers in der gegenwärtigen Situation. Im Publikum wandelten vergoldete und beflügelte Musen umher. Von Zeit zu Zeit rief der Moderator laut nach Art eines Marktschreiers vom Podium ein Lob der Gegenwartskunst aus.
Die lokalen Kommentatoren des Ereignisses behaupten, Europa und die zivilisierte Welt seien nun in die Ukraine vorgedrungen. Aber es ist nicht eindeutig, welche Rolle das Zentrum spielt. Einerseits ist dadurch die Gegenwartskunst nach langer Zeit legitimiert und mit Aufmerksamkeit bedacht, anderseits wird offenkundig, dass sie zum Mittel der Politik verkommt. Da die zeitgenössische Kunst in der Ukraine bislang ein Randdasein fristete, existiert kein Diskurs im Inneren, sondern es gibt nur Befürworter oder Gegner. In der heutigen Situation gehören zu den Gegnern wie selbstverständlich alle möglichen nationalen und konservativen Gruppierungen, wohingegen ihre Befürworter automatisch im entgegengesetztem Lager eingeordnet werden (unter anderem bezeugt der jetzige Präsident Juschtschenko gerne seinen konservativen Geschmack, unabhängig davon, dass er politisch pro-europäisch orientiert ist; er unterstützt seine Lieblingskünstler und plant sogar die Gründung eines eigenen Museums, als eine Art politischer Konkurrenz zum Pinchuk Zentrum).
Ein weiteres Problem besteht darin, dass eine derartige, unerwartete Popularisierung der Gegenwartskunst deren ursprüngliche Funktion verfälscht. Dies gilt besonders wenn ihre historische Kontinuität unterbrochen ist . Lange Zeit existierten nur einige wenige kleine Galerien am Rande des Tagesgeschehens, wo sich die immergleichen Menschen trafen. Plötzlich erscheint die zeitgenössische Kunst dem breiten Publikum in Form einer groß angelegten Show, einem exotischen Vergnügen für Neureiche, als eine modische, trendige Angelegenheit, jeden Inhalts entledigt. Unterstrichen wird dies durch die Lage des Art Centers im Geschäftsviertel zwischen Luxus-Boutiquen. Auch die Werkauswahl unterstützt dieses Image. In der Mehrzahl handelt es sich um große, optisch „geschmackvolle“ Dinge, die in der Lage sind, einen unerfahrenen Betrachter zu „verblüffen“. In den Medien wird am häufigsten über ein kleines Feuer berichtet, das im Verlauf der Eröffnung ausbrach, oder man spekuliert über den Wert der ausgestellten Werke: „Es heißt, einige Exponate kosten tausende von Dollars“. In einer solchen Darbietung ist die Kunst jeglichen eigenen Standpunkts beraubt und die Sammlung wird lediglich zu einer Ansammlung von Kuriositäten.
Mehr und natürlich wesentlich positiver gestimmte Informationen erhalten sie unter: www.c-artpinchuk.org/peiges/english/2.html










Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

Tunelling Culture II Tunelling Culture II
Ein Interview mit Mike Hollands Ein Interview mit Mike Hollands
„Man muss die Hand von jemandem dreimal schütteln und der Person dabei fest in die Augen sehen. So schafft man es, sich den Namen von jemandem mit Sicherheit zu merken. Ich hab’ mir auf diese Art die Namen von 5.000 Leuten im Horse Hospital gemerkt”, erzählte mir Jim Hollands. Hollands ist ein experimenteller Filmemacher, Musiker und Kurator. In seiner Kindheit litt er unter harten sozialen…
Meine Karriere in der Poesie oder:  Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen  zu machen und die Institution zu lieben Meine Karriere in der Poesie oder: Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen zu machen und die Institution zu lieben
Der Amerikanische Dichter wurde ins Weiße Haus eingeladet, um seine kontroverse, ausstehlerische Poesie vorzulesen. Geschniegelt und bereit, für sich selber zu handeln, gelangt er zu einer skandalösen Feststellung: dass sich keiner mehr wegen Poesie aufregt, und dass es viel besser ist, eigene Wände oder wenigstens kleinere Mauern zu bauen, statt gegen allgemeine Wänden zu stoßen.
Acts, Misdemeanors and the Thoughts of the Persian King Medimon Acts, Misdemeanors and the Thoughts of the Persian King Medimon
There is nothing that has not already been done in culture, squeezed or pulled inside out, blown to dust. Classical culture today is made by scum. Those working in the fine arts who make paintings are called artists. Otherwise in the backwaters and marshlands the rest of the artists are lost in search of new and ever surprising methods. They must be earthbound, casual, political, managerial,…