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Mondsüchtiger Paparazzo
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 1
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Mondsüchtiger Paparazzo

Zeitschrift Umělec 2007/1

01.01.2007

Pavel Vančát | geschichte | en cs de

…/der Jäger/ im Dickicht versteckt/ den Finger am Abzug.

(M. O., Zeitschrift Divus Nr. 1/2005)



So endete ein Gedicht, das einst Marketa Othova in DIVUS publizierte, der von ihr mitgegründeten und geprägten Vorgänger-Zeitschrift des UMELEC (die aber noch chaotischer und verbohrter war). So gesehen ist Marketa Othova in ihren Enddreißigern eigentlich schon ein alter Hase. Gleichzeitig kann man darin einen Hinweis finden, aus welch tückisch naiven Wurzeln die liebliche Anmut ihrer heutigen Fotografien erwuchs, so wie in ihrer verträumten Schwarz/Weiß-Welt immer auch eine gewisse schwer beschreibbare, ergebene, gleichzeitig trotzige Aufrichtigkeit zu suchen ist. Das einleitende Zitat erlaubt es auch, Othovas Werk als Poesie zu denken, als eine Art fotografisches Haiku, ein Gedicht, das formal absichtlich eingeschränkt ist, sich aber ins Unendliche ausdehnt.
Obwohl dies alles leicht esoterisch klingt, ist Othova in der Lage, dabei sehr zielgerichtet vorzugehen. Sie ist eine der wenigen tschechischen Künstler mit absolut eigenständiger, auch international unterscheidbarer Handschrift. Ihr Stil ist langwierig konstruiert und ziseliert, basierend auf einem genau definierten Grundriss von einheitlich und schlicht eingerichteten Vergrößerungen. Ebenso lässt sich (überspitzt) ihr fotografischer Werdegang zusammenfassen: Von verhältnismäßig freien Aufnahmen, die aus der Faszination für das spezifisch Obskure in der Schwarz/Weiß-Technik entstanden sind, gelangte Othova bald zu poetischen Juxtapositionen aus nicht verwandten, gefundenen Motiven, welche sie oft mit ähnlich absurden Titeln versieht. Die im Jahre 2003 abgehaltene Ausstellung Best of, zusammengestellt aus „schönen“ Fotografien vorangegangener Installationen, schließt leicht ironisch dieses auf Juxtapositionen basierende Kapitel ab.
Jene schon erwähnte eigenständige Handschrift kann mit der Zeit für einen Autor zu einem Käfig werden. Gerade deshalb war es spannend zu beobachten, in welche Richtung sich Othovas Schaffen bewegen wird, nachdem ihre letzten Projekte zunehmend auf feinen Variationen eines einzigen Motives basierten. Ein erster Abstecher war der im letzten Jahr entstandene Zyklus Ile de la Tentation, in dem sie mit dem Scanner eine Auswahl persönlicher Memorabilien erfasste. Bei den farbigen (!!!), kleinformatigen Aufnahmen handelte es sich eindeutig um einen autobiografischen Zugang, nach Jahren verdeckter Andeutungen ein explizit persönliches Archiv.
Die gerade aktuelle Ausstellung Mluv s ni (Rede mit ihr) thematisiert diese „persönliche“ Linie aus einer anderen Sicht, unauffälliger, aber umso eindringlicher. Zwar ist sie wiederum auf die sensible Verschränkung eines einzigen Motives ausgelegt, stellt aber eine Fortsetzung der letzten Werke (Rückkehr, Utopia) lediglich in formaler Hinsicht dar. Die einunddreißig Fotografien sind spontan innerhalb weniger Minuten während der letztjährigen Biennale in Venedig entstanden. Sie werden hier als eine unangetastete Reportagensequenz mit nur winzigen Veränderungen in der aufgenommenen Gruppenszene präsentiert. Marketa Othovas Arbeit hat schon immer nach dem Prinzip fotografischer Homöopathie funktioniert: Eine oft unmerkliche Dosis Differenz und ein unbegreifliches Besessensein vom Gewöhnlichen verwandelt den gesamten Wahrnehmungsprozess ihrer Zyklen. Dieses Herangehen tritt in Mluv s ni noch deutlicher hervor. Je näher sie der „Schnellschuss“-Methode von Fotoreportern ist, umso weiter entfernt ist sie gleichzeitig davon; je mehr Fotografien, wenn auch fast identische, sie zeigt, desto größer ist paradoxerweise die Bedeutungskonfusion des gesamten Konzepts.
Ein weiteres, mehrdeutiges Element der Ausstellung ist die Kopplung an die Anwesenheit einer Prominenten (hier ohne abwertende Bedeutung des Wortes). Jedoch handelt es sich genau genommen um ein metaphorisches Autoporträt, wie Karel Cisar im Vorwort zur Ausstellung schreibt. Wenn Othova nach eigener Aussage das erste Mal nur das aufnahm, „was da ist und kein bischen mehr“, bedeutet das in ihrem Falle etwas anderes, als wenn wir einen Fotografen reden hörten. Die in der Fotografie klassische Hierarchie von Jäger und Opfer (siehe einführendes Zitat) wurde bei ihr schon immer wunderbar ausgehebelt. Nicht einmal hier ist sie unzweideutig. Othova hat so eigentlich sich selbst fotografiert, wie sie Björk aufnimmt; sie fotografierte die fotografierte Björk und nahm Othovas Fotografien von Björk auf. Oder hat eher Björk Othova fotografiert?
Ebenfalls erstaunlich ist, wie sich die „standardisierte“ Größe ihrer Fotografien ohne weitere Vorbereitung mit dem Raum der „Svestkova Galerie“ verbindet. Es wirkt so als wäre der gesamte Prozess im Voraus geplant, als ob es sich um eine inszenierte Szene handelte, wie maßgeschneidert für diesen Ausstellungsraum. Wie bei Othova üblich, hebt erst die Installation endgültig die Fragilität des Fotomaterials auf. Es handelt sich eigentlich um eine Parodie auf die klassische Fotoinstallation, bei der es üblich ist, den vorgefundenen Raum lediglich gleichmäßig und rhythmisch zu füllen. Diese leichte Absurdität des Ausstellungskonzeptes mit seinen minimalen, szenischen Divergenzen auf übergroßen Formaten gipfelt dort, wo eines der Fotos fast sadomasochistisch hinter Heizungsrohren platziert ist. Von hier ab ist nicht mehr sicher, ob es sich um Fotografien, Plakate oder nur um in die Wand eingelassene Ideen handelt.
„Mit einer gewissen Überspitzung ließe sich von barocken Kompositionen reden“, schreibt der Galerist Jiri Svestka in der Pressemitteilung zu der formalen Entwicklung ihres fotografischen Ausdrucks. („Von hier ist es zum Kreuzweg nicht mehr weit“, wie ein weiterer Künstler der Galerie treffend bemerkte.) Eine zeremonielle Bedeutung ist bei dem Zyklus in mehrfacher Hinsicht vorhanden. Es ist die Erzählung von Kult und Vergötterung mittels Fotografie (und vielleicht von der Leere in einer solchen Verehrung). Im Zusammenhang mit ihren älteren Arbeiten ist es auch die Erzählung von dem gefundenen Mut, ihren „Nächsten“ zu fotografieren, von neu entdeckter Zudringlichkeit und Scham. Deshalb könnte man eigentlich – und das ist vielleicht die größte Überraschung – weder von Fotografie noch von Installation, sondern eher von Othovas erster Performance sprechen.






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