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Ich bin nämlich auf keinen Weg gelangt
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 1
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Ich bin nämlich auf keinen Weg gelangt

Zeitschrift Umělec 2010/1

01.01.2010

Ivan Mečl a Veronika Vomáčková | grayscale | en cs de

Manchmal entdecken wir die Autoren unserer Zeitschrift auf ungewöhnliche Weise. Ich scheine Glück mit solchen zu haben, die an einer Veröffentlichung gar nicht interessiert sind. Die Arbeiten von Veronika Vomáčková wurden uns von ihrer Mutter angeboten. Erst rief sie in der Redaktion an, dann kam sie persönlich vorbei und erzählte von ihrer Tochter, wie sie nach Spanien abgehauen ist und dort mit merkwürdigen Menschen in einem Dorf unter elenden Bedingungen haust. Nach unserem Treffen zwang sie ihre Tochter, uns Auszüge zu schicken. Veronika tat dies mit mäßiger Begeisterung. Sie schickte uns einige Seiten aus ihren Tagebüchern. Ich hatte Interesse, und so trafen wir uns später persönlich in Prag. Das Interview verlief im Schatten der Grundsätze „Traue keinem über dreißig“ und „Fang mit Stadtmenschen gar nicht erst was an“. Deshalb kamen wir nicht besonders weit. Die Zeichnungen gefielen mir aber sehr, und ich wollte sie nicht unkommentiert lassen. Als wir uns verabschiedeten, bat ich Veronika um eine schriftliche Erzählung darüber, wie sie ihren Weg gefunden hat. In verkürzter Fassung bekam ich folgende Antwort …

... Ich bin nämlich auf keinen Weg gelangt. Ich wurde am 5.6.1982 geboren. Nach der Grundschule habe ich eine künstlerische Oberschule besucht. So habe ich vier Jahre nur herumgegammelt, weil ich dort absolut nichts gemacht habe, abgesehen davon, dass ich da überhaupt nicht hingegangen bin. Wahrscheinlich bin ich verrückt geworden – ich kann mich an diese Zeit kaum noch erinnern und die meisten Mitschüler und Lehrer glücklicherweise auch nicht mehr an mich. Ich habe mich an keiner Uni beworben. Sie hätten mich auch nicht genommen, weil ich eine unglaublich eingebildete, verzogene Göre war, die auch noch dachte, dass sie eine Künstlerin sei und so etwas nicht nötig hätte.
Dann kamen ungefähr drei Jahre auf dem Land, wo ich hingezogen bin, um nicht mehr mit meinen Eltern leben zu müssen und mich der Kunst zu widmen. Die Phase war aber nicht besonders, das Leben dort leider auch nicht. Verschiedene Arbeiten, Studentenjobs. In Kneipen oder bei Restauratoren, bei einem Spezialisten für Laugen oder als Hilfsarbeiterin auf dem Bau. Ich hatte zu niemandem Kontakt, es gab ja auch keinen. Ich blickte auf alle herab. Die meiste Zeit verbrachte ich mit den Jobs oder beim Herumbasteln im Haus und mit Kunst, von Farben und Kohle dreckig wie ein Schwein … Meine Mutter hat mir auch geholfen – die Arme hatte wohl das Gefühl, dass so eine Künstlerin unterstützt werden sollte …
Das Beste aber waren die Reisen. Erst geheime, nur kurze mehrtägige Trips, später mehrere Wochen durch ganz Tschechien. … Nach der Schule begannen dann die Ausflüge ins Ausland. Per Anhalter durch Europa, zu Fuß nach Polen ans Meer und dann zu Fuß nach Spanien. Bis dahin habe ich es aber nicht geschafft. In der Schweiz hat mich wieder eine alte Sehnenentzündung geärgert. Das ist normal mit einem Zwanzig-Kilo-Rucksack. Ich wollte auf keinen Fall zurück. Ich habe mich gerade noch nach Frankreich geschleppt, in einen Garten von sehr netten Leuten, die sich dann zwei Wochen lang um mich gekümmert haben. Es blieb ihnen aber auch nichts anderes übrig. Um den Fuß hatte ich seit der Schweiz einen Verband gebunden und ihn lieber nicht mehr abgenommen. Als das dann der Arzt tat, waren er und alle drumherum total schockiert, auch ich. Der Fuß hatte Form und Farbe verändert und war schrecklich behaart. Damals fing ich aus Langeweile mit dem Zeichnen an, weil ich mich nicht bewegen konnte.
Im Jahr darauf bin ich wieder für drei Monate nach Spanien aufgebrochen. Nach meiner Rückkehr hatte ich entschlossen, dort hinzuziehen. Und damit hörte der Spaß dann auf. Ich konnte kein Wort Spanisch und kannte eigentlich auch niemanden dort. … Das erste Jahr war also die Hölle. Tolle Arbeitsmöglichkeiten, Luxusunterkünfte und Gesellschaft – absolute Scheiße in jeder Hinsicht. Aber wenigstens bin ich dadurch auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Nicht, dass ich in den nächsten Jahren gesellschaftlich irgendwie aufgestiegen wäre, zumindest konnte ich mich dann aber schon ordentlich auf Spanisch verständigen.
Die Bilder sind ein Tagebuch der beiden folgenden Jahre. Im ersten Jahr hatte ich keine Nerven fürs Zeichnen und im letzten Jahr habe ich begonnen, mich etwas anderem zu widmen.
Wie Sie also sehen, kann von einem „Weg“ nicht die Rede sein. Vielleicht bin ich aber wenigstens ein anständiger Mensch mit etwas mehr Demut geworden.

Aus dem Tschechischen von Filip Jirouš




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