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Tranzitdisplay Kapitalismus in der Kunst
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2007, 4
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Tranzitdisplay Kapitalismus in der Kunst

Zeitschrift Umělec 2007/4

01.04.2007

Mariana Serranová | rezension | en cs de es

Mit der Vernissage zur Ausstellung des mexikanischen Künstlers Erick Beltran am 9. November 2007 in Prag wurden neue Räume in Betrieb genommen. Zwei einflussreiche Partner sind hier beteiligt. die tschechische Filiale der Initiative „tranzit“ und die Prager Galerie „Display“. Noch vor der Eröffnung konnte man im zentral gelegenen Kino „Svetozor“ eine Performance von Jan Mančuška sehen, mit dem Titel „Wenn an mir was Gutes ist, so weiß ich es nur ganz allein“. Gleich eine Woche später folgte in den neuen Räumlichkeiten von „tranzitdisplay“ ein Vortrag des viel gelesenen Politphilosophen Slavoj Zizek, verbunden mit der Feier zur Neuerscheinung seines ins Tschechische übersetzten Buches „Did Somebody Say Totalitarianism?“ (tranzit, Navigace, 2007). Ein so reichhaltiger Start zeigt anschaulich die Tätigkeitsbereiche und Präferenzen von „tranzitdisplay“. Da sind kurz gesagt ein internationaler Standard zu erwarten, der die Präsentation von weltweit erfolgreichen Künstlern und Theoretikern mit einschließt, sowie eine Wertevermittlung, die mit der Verschmelzung von Historischem, Sozialem und Politischem arbeitet.1 Im folgenden Text möchte ich versuchen, einige kulturstrategische Prämissen von „tranzitdisplay“ im Kontext der Kunstszene zu beleuchten.

Identitäten und Autoritäten .
Tranzitdisplay“ ist eine einflussreiche Allianz, die dank ihrer stabilen finanziellen Basis und der Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen ein vielschichtiges Programm generiert, welches in der Tschechischen Republik im Profil und von der personellen Besetzung her bislang einmalig ist. Abgesehen von einem einzigartigen und großzügigen Finanzierungsmodell der „tranzitdisplay“ Aktivitäten (Erste Bank Gruppe und Česká spořitelna) besteht ihr Einfluss in einem stimmigen Gedankensystem und einem ausgefeilten Programm – was in der Regel Voraussetzung für Überzeugungskraft jedweder Autorität ist. Diese Regel macht Ausnahmen in der tschechischen Umgebung umso deutlicher, als hier die großen staatlichen Institutionen ihre Katalysator-Funktion für eine kontinuierliche und durchdachte internationale Politik vernachlässigen.
Eine allgemeine Ablehnung offizieller Autoritäten sowie deren gleichzeitig inflationärer Einfluss zeugen heute, nachdem die nötige Bilanz des Transformationsprozesses nach 1989 teilweise gezogen ist, von symptomatischen Lokaldeterminanten, die stark durch die problematische Ethik der Machtverhältnisse innerhalb der Kunst- und Politszene beeinflusst sind. Zur Charakteristik der Unausgeglichenheit der heutigen Situation gehört das unlängst importierte Phänomen Biennale, welches durch sein unausweichlich massives Format und der schubweise auftretenden Geschäftigkeit den Eindruck vermittelt, dass in Folge von konzeptlos schlecht dosierten Ausstellungen aus dem Ausland die Kontinuität der lokalen Entwicklung nicht mit dem Niveau „gesunder“ Kulturzentren Schritt halten kann. Ein gewisses Missverhältnis besteht dabei darin, dass die allgegenwärtige „Pflicht“-Biennale den zögerlichen Anfängen eines stärker strukturierten, lokalen Kunstbetriebes zuvorgekommen ist. Es stellt sich die Frage, ob wir uns als globalisierte Peripherie so überhaupt jemals zu einem vielschichtigen „Kulturzentrum“ entwickeln werden.
Bei solch einer Kräfteverteilung innerhalb der heimischen Kunstszene gehört das systematische Programm der bislang voneinander unabhängig agierenden „tranzit“ und „Display“ zu den Ausnahmen. Beide Partner blicken auf eine Menge verdienstvoller Arbeit zurück, zu welcher es ohne ihre Initiativen höchstwahrscheinlich nie gekommen wäre. Die bisher sporadische Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung, welche sich wie selbstverständlich aus gegenseitiger Sympathie und aus ähnlicher Ausrichtung auf Konzeptkunst und das Ausland ergab, ist in einer Partnerschaft aufgegangen: Es vereinten sich die tschechische Filiale der internationalen Plattform für Entwicklung in Mitteleuropa „tranzit“, Hauptsitz in Wien, und die nichtkommerzielle Prager Galerie „Display“. Das vielschichtige Konzept von „tranzit“ leitet in Prag seit 2002 der Theoretiker Vit Havranek. „Display“ veranstaltet seit seiner Entstehung (2001) meist Aktionen in Form von projektbezogenen Ausstellungen. (J. Dabering, S. Jansen, O. Dawicki, O. Breuning, Blue Noses; sub:label – M. Dopitová, J. Mančuška usw.). Das Galerieteam, bestehend aus den Theoretikern David Kulhánek und Ondřej Chrobák sowie den Künstlern Zbyňek Baladrán und Tomáš Svoboda, hat im Gegensatz zu den vorher eingeschränkten Möglichkeiten dank der neuen Räume und der finanziellen Unterstützung nun die Möglichkeit, auch größere Gruppenausstellungen zu realisieren.
Von manchen Kritikern wird die Entstehung von „tranzitdisplay“ auf dem künstlerischen Stadtplan Prags mit seiner minimalen Anzahl von aktiven Orten als ein Rückschritt in Sachen Vielfalt gewertet, also in etwa 1+1=1 oder sogar d+t=t (die low budget Galerie hat sich vom reichen „tranzit“ schlucken lassen). Die Mitglieder der neuen Plattform betonen jedoch, dass die ursprüngliche Identität von „tranzit“ und „Display“ gewahrt bleibt und dass bei einer pragmatischen Kooperation beide autonomen Einheiten in ihrer Programmatik fortfahren und diese ausbauen können. Einer der möglichen Gründe, warum nicht jeder mit der Politik von „tranzitdisplay“ sympathisiert, ist deren innovatives Modell. Es basiert auf Unterstützung und Initiative einer Bankengruppe, also dem Instrumentarium, das im alteingeprägten Imperativ der „institutionellen Kritik“ die kapitalistische Übermacht vertritt, der gegenüber man sich abzugrenzen hat. Die Kulturpolitik von „tranzit“ lässt aber ein neues institutionelles Modell entstehen. Der Gegenstand der „institutionellen Kritik“ verändert sich mit dem System. Die „institutionelle Kritik“, wie sie traditionell insbesondere in den 60er und 70er Jahren im Westen aufgefasst wurde, ist bereits passé.

Utopie und Manifest. Die Vergangenheit in der Gegenwart
Das Image der Kooperation prägt ein programmatisches Auftreten. Die gemeinsamen Äußerungen verfolgen in ihrer spezifisch post-konzeptuellen Systematik verschiedene Stränge. Es handelt sich dabei eindeutig um ein sorgfältig konstruiertes Profil. In dem gemeinsamen Manifest werden gleich mehrere sich gegenseitig durchdringende Tätigkeitsbereiche vorgestellt, die sich von anderen lokalen Strömungen unterscheiden. „Im Mittelpunkt des Interesses steht die Erforschung von Form und Inhalt der Gegenwartskunst“, wobei folgende Methoden der Umsetzung angewandt werden: „Partizipation“, „Laboratmosphäre“, „Visualisierung der Theoretischen Arbeit“ usw.2
Die Formen der partizipatorischen, informellen oder intertextuellen Konzeption haben Vorrang und können allgemein als Suche nach weltweit bestätigten Trends charakterisiert werden. „Tranzitdisplay“ geht selektiv vor, sucht für sich das Wesentliche heraus – jenes, das sich langfristig in die eigene Konzeption einfügt – und unterstützt dabei in Tschechien alles, was sich anschickt, auf großen, internationalen Kunstausstellungen wie der „Dokumenta“ präsentiert werden zu können. Hier gelangen wir wieder zu dem unverwechselbaren, durchdachten Image von „tranzitdisplay“, woran sich gegenwärtig die Kritik am meisten reibt, wenn sie es als zu einseitig wahrnimmt.3 Spricht man hingegen von einem positiven Beitrag, denkt man in erster Linie daran, wie „tranzitdisplay“ versucht, die tschechische Kunst im internationalen Kontext einzubinden und zeitgenössische Aktivitäten zu unterstützen.
Aber wie stellen sie es an? Ein konstitu-
tiver Pfeiler ihres Konzeptes ist der Versuch, das Vergangene mit der Gegenwart, das Globale mit dem Tschechischen und, etwas zugespitzt gesagt, den Kunstbetrieb mit der gesellschaftlichen Realität systematisch kontextuell zu verweben. Eine Vision ist mehr als eine Finanzquelle. Das gemeinsame Manifest von „tranzitdisplay“ ist notgedrungen von sich aus eine Art Hinweis auf alle erdenklichen Manifeste, die bereits Teil der Geschichte sind. Die programmatische Rhetorik, als unausweichliche Anspielung auf (modernistische) Utopien, deckt diese Konzeptualität der realen sozialpolitischen Beziehungen auf.
Die Wiederentdeckung von Künstlern wie Jiří Kovanda oder Stano Filko mit eigenen Ausstellungen und Katalogen unterstreicht den grundlegenden Einfluss, welchen das Werk dieser beiden Begründer der tschechischen und slowakischen Konzeptkunst auf die Generation der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen hat. Die bisherigen Tätigkeiten von „tranzit“, konkret etwa die Ausformulierung dieser Abfolge, zeigt, wie man eine lebensfähige, überzeugende Vision entstehen lässt. Auch darauf basiert der Einfluss des Konzepts: es handelt sich um die Aktivierung vergangener Werte und ihrer Verknüpfung mit gegenwärtigen Tendenzen. Dieses wird aus strategischen Gründen nachvollziehbar gemacht.
Heute sind wir uns mehr denn je bewusst, dass jede Epoche fortwährend das eigene kollektive Gedächtnis rekonstruiert, oder besser gesagt, dass die Gesellschaft selektiv ihre Vergangenheit konstruiert, statt sie wahrheitsgemäß zu schildern. Wie wir wissen, ist die Interpretation der Geschichte nach den Erfordernissen der Gegenwart eine Manipulation. Spricht man über das tschechische kollektive Kunst-Gedächtnis, so rekonstruieren wir uns analog dazu die Kunstgeschichte nach den Bedürfnissen der Gegenwartstendenzen. Also denken wir daran, dass was wir jetzt schaffen, die Zukunft recyceln wird (oder eben auch nicht!).

Erinnerungsort
Die Umwandlung der kulturellen Identität im Rahmen der europäischen Integration verläuft
durch alle gesellschaftlichen Bereiche und trifft vor allem die Stimmung innerhalb des Kunstbetriebs. Gerade hier versagen nämlich die Institutionen in der Anpassung an Funktionsmodelle der europäischen Strukturen. Das Problem von Überbleibseln einer totalitären Mentalität besteht einerseits in verdrängten Traumata, anderseits im zögernden Zugang zu Herausforderungen eines innovativen Modells. Eine wiederholte Unterbrechung der entwicklungsgeschichtlichen Kontinuität im 20. Jahrhundert sowie das Überdauern ihrer Folgen erfordern eine permanente Revision. Die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte verstärkte in Theorie und Praxis das Interesse an kollektiver Identität und Erinnerung. Das gilt vor allem in Mittelosteuropa, wo die
historischen Einschnitte im 20. Jahrhundert als stark und traumatisch wahrgenommen wurden. Das Monument wurde mit seiner inflationären Verwendung in der Zeit des
kommunistischen Regimes zu nichts als
einer Requisite in der Hand des Herrschaft-
sapparates. Die Denkmäler sind beständig – der psychologische Prozess des Erinnerns ist dagegen ephemer.
Dank des Überkreuzens dieser Gegeben-
heiten mittels der archäologischen Me-
thode des schichtweisen Aufdeckens eines stereotypisch vermittelten Themas entsteht seit 2006 durch Initiative von Zbyňek Baladrán und Vít Havránek ein kollaboratives Kunstwerk. In einer Art „Work in progress“ fördern eingeladene Künstler und Theoretiker mit einer Sammlung von Beiträgen das Wachsen dieses Monuments. Das daraus resultie-
rende Archiv erfasst dabei nicht nur die Erfahrungen der postsozialistischen Länder, sondern auch Erinnerungen an die Zeit des Umbruchs in Ländern wie Griechenland, die erst später in die EU eintraten. Die Probleme der nahen Vergangenheit und Gegenwart, des kollektiven Gedächtnisses und des individuellen Blicks löst das „Monument der Transformation“ intuitiv.4
Monumente, Archive und Datenbanken als „Erinnerungsorte“5 werden vom Politischen überschattet. Wer führt die Erinnerungsprozesse an und mit welcher Absicht? Denkmäler mit ihren Ritualen der Erinnerung erzeugen soziale Bindungen. Auf ihre Art ersetzen sie dabei die natürliche Umgebung der Erinnerungsprozesse. Aber was, wenn der Erinnerungsprozess selbst zum Monument wird? Stellt man auf diese Weise nicht die Beziehung zwischen Geschichte und Gedächtnis wieder in ein natürliches, beinah vormodernes Verhältnis? Neben der Erforschung des kollektiven Gedächtnisses gilt das Interesse von „tranzitdisplay“ auch „Persönlichkeiten, welche aus sich das Bedürfnis und die Kraft zum Entwickeln eines subjektiven Systems und eigener universaler Weltmodelle haben. Diese Bemühungen erwecken in gewisser Weise das utopische Bedürfnis des Einzelnen, sich im Verhältnis zur Welt als Ganzes zu verstehen...“6

Was ist ein Diskurs?
Die Eröffnungsausstellung von Erick Beltrans Ergo sum in den Räumen von „tranzitdisplay“ stellt ein langfristiges Archivprojekt vor, welches aus einer gleichnamigen „Zeitung“ und einer räumlichen Installation besteht. Beltran reflektiert die Machtverhältnisse zwischen Publikation und der Konstruktion einer Diskussion. Er konzentriert sich auf die Mechanismen der „Definition, Auslese, Reproduktion und Distribution“ von Bildern mit dem Ziel, in der gegenwärtigen Gesellschaft einen ökonomischen und kulturellen Diskurs auszulösen; und gleichzeitig stellt er sich die Frage, wie die Person des Editors unseren Blick auf die Welt und die Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Gruppen definiert. Ich übergehe hier die neuzeitige Theorie des Diskurses mit ihren Gründungsvätern Foucault und Althusser, wie auch das Phänomen von Archiv und Datenbank als künstlerische Form und begrenze mich auf den Zugang Beltrans.
Ausgangspunkt für die „katalogisierende Arbeit“ Ergo sum ist die Frage nach dem Diskurs. Diese Frage initiiert einen Dokumentationsprozess zur Organisation des Denkens. Das Wichtigste an jeder Art von Sammlung sind nicht die Einzelteile, sondern ihre Verbindungen und die Dialektik im Fluss der Gedanken. Es geht hier nicht um die Anhäufung von Material, sondern um den „Prozess“ der Datensammlung. Das Projekt der Ausstellung fängt diese Stränge in verschiedenen Schichten ein und ordnet sie systematisch in einer grafischen Umsetzung mit Hilfe von Systemen, Diagrammen, Symbolen, und thematischen Linien. Co-Autor ist hier Eduardo Barrera.
Erick Beltran benötigte volle 8 Stunden, um am Tag nach der Vernissage im Rahmen eines angekündigten Vortrages alle Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen in der Konstruktion enthaltenen „Komplexen“ des eigenständi-
gen Projekt-Universums zu erläutern. Als Parallele diente ihm dabei der offene Prozess der organischen Evolution. Beltran vergleicht sein langfristiges Projekt Ergo sum aber auch mit Rubiks Zauberwürfel. Seine Forschung ist nach seiner Ansicht zu einer Art „Maschine“ geworden, die ständig neue und neue Kombinationen generiert. Es handelt sich um eine subjektive, an die Faktoren Intuition und Zufall gebundene Methode.Auf Grundlage seiner Recherche und Materialauslese zum Thema Reproduktion, Distribution und Information (Text, Bildmaterial, Fotografie, Druck, Medien, Internet...) kam er zu der Feststellung, die Menschen seien im Grunde auf nur ein Thema festgelegt. Mit seiner gewagten Forschung gelangte er zu einem bestimmten Typ allgemein gültiger Muster, einer Art Archetypen. Ihr Auftauchen bestätigte ihn in der Annahme, das das Kriterium „es gefällt / es gefällt nicht“, also ein Kriterium der angeborenen Impulse, Linien ablesen lässt, die in den gesamten Herrschaftsbereich dessen fallen, was das Individuelle konstituiert. Ein scheinbar paradoxer Befund dieser Methode ist: je mehr Material man anhäuft, umso deutlicher tritt eine primäre Linie hervor.

Modelle und Systeme
Ein utopisches Element in der abendländischen Geschichte ist das Moment der Teilnahme am kollektiven Prozess der materiellen Arbeit, indem dieser als etwas begriffen wird, das einen authentischen Sinn für die Gemeinschaft generieren könne. Dieses gilt auch für stimulierende Projekte, für die sich nur ein kleiner Teil der Gemeinschaft begeistert. In der Realität, die sich als eine „Struktur von diskursiven Praktiken eines vollkommen unvorhersehbaren Systems“ (Zizek) zeigt, wirkt jeder Versuch, dieses System zu verstehen, wie eine neuzeitige, fast schon „romantisierende“ Utopie. Das Wissen um diese undurchsichtige Komplexität fordert zur Suche endloser Ketten möglicher Verbindungen auf, ergo: je mehr Material man ansammelt, desto stärker werden einige grundlegende Themen verdeutlicht. Anstelle einer einseitigen, nur ein isoliertes Problem betrachtenden Kritik oder anstelle von Abgrenzung zum bestehenden, frustrierenden Zustand, zeigt „tranzitdisplay“ eine gewisse Alternative auf, wie man innerhalb des Systems überleben kann. Sein Modell belegt: das System kann man nicht umgehen, es ist notwendig mit ihm zu kommunizieren, selbst wenn die Positionierung als Autorität gewisse Tendenzen aufweist, die Ideen, aus denen man seine Legitimierung speist, im Wert zu mindern. Die Verhältnisse im gegenwärtigen System sind sehr komplex; die Idee klassischer Hierarchien erfasst nicht mehr den gegenwärtigen Zustand in all seinen Aspekten. Es geht eher um eine fließende Reflexion komplizierter Verhältnisse und Dialoge, eine Orientierung im System, ein Ausnutzen seiner Dominanten und seiner Mechanismen.
Nach der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe ist es erstrebenswert, dass die Kunst im sozialen Raum interveniert, um gegen die kapitalistische Dominanz vorzugehen, was ihrer Meinung nach aber ein tiefgründiges Verständnis der dynamischen Politik in ihrer „antagonistischen Dimension“ erfordert. Politik und Kunst sind ihrzufolge keine separaten Bereiche, zwischen denen man Beziehungen knüpfen muss, sondern: „im Politischen gibt es eine ästhetische Dimension, so wie es in der Kunst eine politische Dimension gibt“.7
Das Manifest von „tranzitdisplay“ erläutert, auf welche Werte das Programm setzt und welche Prinzipien der Realität es reflektiert: „…die Kunst interessiert uns als eine Gegenwartspraxis, welche den sozialen Raum und die zwischenmenschlichen Beziehungen aktiviert und dabei die eigene Sensibilität für Dinge schärft und ihnen eine politische Dimension gibt...“(unter anderem).8
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man die Wechselbeziehungen einer Plattform zu betrachten hat, die auf die bildende Kunst ausgerichtet ist und von einer Bankengruppe finanziert wird, die darin investiert. Ich wage nur die Einschätzung, dass auch eine solche Beziehung durch die allgemein gültigen Gesetze der Unvorhersehbarkeit gelenkt wird, so dass man sich von der paranoiden Vorstellung befreien sollte, der Bank gehe es nur um ihr Image. Die Bank mag sich im Rahmen eines sozialen Monitorings ein Versuchslabor geschaffen haben, in dem sie herauszufinden versucht, wer über das Leben und die Welt wie denkt.
Im jeden Fall ist das Ergebnis dieser Regelwidrigkeit eine Reihe von einmalig abgestimmten Kulturaktivitäten innerhalb dieses Systems. Letztendlich reflektiert das Programm von „tranzitdisplay“ und die präsentierten Kunstprojekte nur die Beziehungen und Prozesse innerhalb des Systems. Am Ende scheint es, als ob der im Manifest aufscheinende Utopismus in Wirklichkeit die Botschaft von einem Modell ist, das „realistischer“ ist als jedes andere.
Eine Kritik der realistischen Positionen der Plattform „tranzitdisplay“, sei sie vorgetragen oder absehbar, müsste ein anderes kohärentes Modell konstruieren, wie im System zu
überleben sei. Das zuweilen benannte „Eli-
täre“ der Plattform ist dadurch legitimiert, dass sie ihr qualitatives Programm souverän zu verteidigen weiß. Abgesehen vom strate-
gischen Anknüpfen an vergangene Werte und Verknüpfungen mit der internationalen Kunstszene, erhält sie sich ein in Theorie und Praxis stimmiges Gedankenkonzept. Gemessen am theoretischen Überbau hängt die Latte sehr hoch. Die weitläufigen Visionen zu realisieren, wird nicht ein-
fach sein. Ausdifferenzierung bedeutet Qualität – das gilt insbesondere in einem begrenzten Umfeld, wo nur wenige profilierte Szenen existieren. Eine weitsichtige, von jeglichem Ballast befreite Strategie zeigt, wie man sich in den Koordinaten realer Probleme und Zusammenhänge bewegen kann. Im Ergebnis handelt es sich vor allem um qualitative Projekte: Sonden, Forschungen, Diskursanalysen und Erinnerungsarchäologie... Allein durch seine Existenz ist „tranzitdisplay“ ein positiver Beitrag, nicht allein durch das Formulieren visueller Kenntnisse von neuen Kunstfor-
men, sondern auch in der Vermittlung von Kenntnissen über Systemmechanismen. Diese sind nämlich wichtig, unabhängig davon, ob uns das System als solches zusagt oder nicht.






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