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Sommerlager und Krähennest
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 1
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Sommerlager und Krähennest

Zeitschrift Umělec 2009/1

01.01.2009

William Hollister | krieg - kaukasus | en cs de es

Yael Bartana Videos
PS1, New York
Decolonizing Architecture: Scenarios for the transformation of Israeli Settlements
NGBK in Kooperation mit Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin


Vom Spielen in der Vorstadt zum Kriegsspiel
Mit fünf lebte ich in der vornehmsten Stadt New Jerseys und nahm im Kindergarten mit einem Freund namens Jerome an einer Theateraufführung teil; er spielte die Hauptrolle und wunderte sich: „Was mache ich hier in diesem Dorf voller Blödmänner?“.
Er sah sich selbst als die einzige vernünftige Person inmitten von Dummköpfen und versuchte mit unserer Irrationalität fertig zu werden. Heute sitzt Jerome hoheitsvoll unter azurblauem Himmel inmitten der Kontroversen um den Nahen Osten, und überlegt sich, gerissen und schlau, aber akademisch, immer neue Wege, seine Nachbarn noch weiter zu entrechten – Dummköpfe, wahrscheinlich.
Als ich zehn war, spielten Jerome und ich Krieg. Wir trugen Knüppel und Wasserpistolen und bekämpften imaginäre Feinde, rattattatam brüllend, um den Klang von Maschinengewehrschüssen zu imitieren. Wir sahen unsere imaginären Gegner tot und unter unvorstellbarem Leiden in New Jerseys Herbstlaub zusammenbrechen. Einmal sprengten wir G.I. Joe-Actionfiguren mit Feuerwerkskörpern vom 4. Juli in die Luft und sahen quiekend vor Freude zu, wie deren Plastikkörperteile zerfetzt wurden. Ich bin diesen Spielen entwachsen; Jerome ist hineingewachsen.
In meinen Zwanzigern wohnte ich Jeromes orthodox-jüdischer Vermählung mit einem lieblichen, ehemalig katholischen Mädchen aus einer Vorstadt in Pennsylvania bei – eine große Angelegenheit auf einem Landsitz, der einst von Woodrow Wilson bewohnt wurden, dem Architekten so manch einer kleinen Nation und dessen belanglosen Konflikten, die seither daraus entstanden sind.
Zu dieser Zeit verlor die Glückseligkeit dieses Vororts von New Jersey seine Bedeutung. Jerome zog nach Israel und siedelte sich im besetzten Westjordanland in Palästina an – in einem bezaubernden Ort namens Eli.
Es ist offensichtlich, dass viele Menschen, die sich in den 1990ern an der Kolonisierung der besetzten Gebiete beteiligten, wenig mit der Idee des “gelobten Landes” zu tun hatten, sondern zumeist desillusionierte kidults aus Orten wie den Vorstädten New Jerseys waren – nicht weit vom Zuhause meiner Kindheit.
Der späte Robert I. Friedmann beschreibt in Zealots for Zion (Random House, 1992) im Detail, wie Jerome später zum Herausgeber eines unhabhängigen, neokonservativen Journals wurde und sich zu einem leidenschaftlichen Spieler des ultimativen vorstädtischen Fantasy Rollenspiels Dungeons and Dragons entwickelte. “Jetzt spielt er Napoleon im Westjordanland und herrscht über die Palästinenser” schrieb Friedmann.
Mit Unterstützung reicher US-amerikanischer, neokonservativer Institutionen hat Jerome, ein Bewunderer des Extremisten Meir Kahane, unablässig ein Jahrzehnt lang daran gearbeitet, eine liberale Kunstschule aufzubauen, die Zionismus und Amerikanische Literatur predigt – und eine Form von Demokratie, die es als notwendig empfindet, Teile der Gesellschaft auszuschließen.
Jüngsten israelischen Zeitungsberichten zufolge ist Jerome, der Begründer eines erfolgreichen Institutes in Jerusalem, das Kolonialismus im Namen des Zionismus propagiert, nicht weit von diesem akademischen Ziel entfernt.
Darüber hinaus gilt Jerome als Ghostwriter für das Buch jenen Mannes, der gerade zum israelischen Ministerpräsidenten ernannt wurde: Benjamin Netanjahu.

Kunst des Engagements wegen
Die Frage hier ist, wie Künstler ihr Können anwenden können, um sich in einen tief sitzenden Konflikt einzumischen – in diesem Fall assoziieren sich alle mit dem Nahen Osten. Kürzlich sah ich zwei Kunstprojekte, die sich den Zielen, wie ich sie oben beschrieben habe, entgegensetzen, und auf eine ganz andere Art und Weise erfolgreich sind. Eines davon sind Yael Bartanas Videodokumentationen, von denen derzeit fünf in einer Ausstellung im PS 1 in New York, von Klaus Biesenbach kuratiert , gezeigt werden. Das andere Projekt heißt “Decolonizing Architecture: Scenarios for the transformation of Israeli Settlements“, ist kuratiert von Lieven De Cauter und wird derzeit im Zusammenhang mit Islands and Ghettos Project im NGBK und dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin vorgestellt.
Als Beschäftigung mit einem Konflikt, dessen Bedingungen universell verstanden werden, scheinen die Videos dieses israelischen Künstlers und diese architekturbezogene Initiative viel erfolgreicher zu sein als andere, wenn denn das Ziel Kommunikation durch Dialog sei.

Yael Bartana beobachtet die Nachbarn
Auf den ersten Blick wirkt Yael Bartanas Videoarbeit Kings of the Hill (2003), eine von fünf, die im PS1 in New York gezeigt werden, wie die Dokumentation einer südkalifornischen Strandszene. Teure amerikanische Geländewagen schlittern die hügelige Küstenlandschaft rauf und runter, schmettern über Sanddünen und rotieren mit sich durchdrehenden Reifen um die eigene Achse. Die Männer fahren und die in Schals gehüllten Ehefrauen beobachten sie aus sicherer Distanz. Es gibt kein Ziel und es gibt nichts, wohin man fahren könnte. Aber es ist nicht Amerika; es ist Israel, und es ist das Mittelmeer und die Männer sind keine Könige. Wie Sergio Edelsztein im Ausstellungskatalog bemerkt, “die siegreichen ‘Könige’ sind in Wirklichkeit Arbeiter und Unternehmer der unteren Mittelklasse, die sich die Geländewagen nur wegen einer Steuervergünstigung leisten können“.
Bemerkenswert ist, dass all diese Geländewagenfahrer als israelische Bürger derzeitige oder ehemalige wehrpflichtige Soldaten dieses Landes sind. So gesehen sind sie aus dem selben Holz geschnitzt, wie die Männer, die palästinensische Heime mit Traktoren niederwalzen. Die Methode, die Häuser von Verwandten von Selbstmordattentätern zu zerstören, gehört schon lange zur Strategie der israelischen Armee. Solche Traktoren sieht man in Bartanas Summercamp (2007) von den Trümmerhaufen eines dieser Gebäude wegrollen.
Dieser Kurzfilm dokumentiert, wie eine Gruppe von Personen – internationale, Palästinenser und Israelis – es auf sich genommen hat, die Ungerechtigkeit der „Kollektivbestrafung“ auszugleichen, indem sie dabei hilft, solche Häuser wieder aufzubauen. Das außergewöhnliche an diesem Film ist dabei nicht so sehr das alltägliche Drama von Friedens- und Gerechtigkeitsaktivisten, die Zement gießen und Bausteine aufeinander setzen - der Film wird gleichzeitig einem anderen gegenüber gestellt, der trotz ähnlicher Motive von ganz anderer Natur ist:
Es ist der israelische Propagandafilm Avodah, gedreht 1935 vom Ungarn Helmar Lerski. Er zeigt frühe israelische Siedler, die ein neues Israel aufbauen, Felder bestellen, Flüsse begradigen und die Bausteine einer zukünftigen Nation aneinanderfügen. Beide Filme werden simultan auf den sich gegenüberliegenden Seiten einer Leinwand in der Mitte eines mit Zedernholz getäfelten Raumes projiziert, die Musik beider Filme im Hintergrund. Der eine Film ist dramatisch, mit Filmeinstellungen wie direkt von Eisenstein, und stark an Riefenstahl erinnernd. Die großen, skulpturalen Figuren der ersten Stunde stehen im starken Gegensatz zu den Jeans und T-Shirt tragenden Aktivisten, wenngleich ihre auch keine geringere Mission ist: Die Erschaffung eines Raumes für Gerechtigkeit und Koexistenz.
Ein ähnliches Video, Low Relief II (2004), zeigt schlichtweg Bilder von Aktivisten, jedoch von einer epischen Beschaffenheit babylonischer Wandreliefs – in der Kunstform des Videofilms. Dieser einfache Filmtrick steht im Kontrast zum alltäglichen menschlichen Drama eines 18-jährigen israelischen Pazifisten, der von Bartana beim Nachspielen der „Evakuierung der Kolonie Gilad“ gefilmt wurde. Dieses Kinderspiel stellt eine Militäraktion nach, bei der jüdische Siedler gezwungen wurden, besetztes Land zu räumen und einige der Widerständler versuchten, zu entkommen. Entgegen der dramatischen Vorgeschichte können sich die Spielteilnehmer hier widersetzen und sich von anderen Mitspielern, die sich vorher bereit erklärt haben, die “Autorität” zu darzustellen, losreissen. Die Akteure bedienen sich bei diesem Spielt der Sprache, die von den evakuierten Siedlern damals tatsächlich verwendet wurde.
In Trembling Time (2001) stellt man sich wiederum vor, eine Szene in Amerika zu beobachten, bei der Fahrzeuge, nachts von einer Brücke aus gesehen, langsam zum Stillstand kommen. Menschen steigen aus ihren Fahrzeugen und stehen einfach still da, bevor sie wieder weiterfahren. Dies spielt in Tel Aviv und die Menschen erinnern sich an die Gefallenen aller früheren israelischen Militärkonflikte. Mit diesem Handeln bekräftigen Sie die Struktur des Militarismus im Alltag Israels.
Bartana weckt in der Tat den Zorn des Caliban, während er, sich selbst im Spiegel betrachtend, wahrzunehmen versucht, ob es Anzeichen von Ärger in seinem Gesicht gibt, oder ob die Menschen dazu motiviert werden können, sich zu ändern. Als dieser Film bei der Prager Biennale gezeigt wurde, sagte Bartana in einer Erklärung: “Ich konzentriere mich auf Israel, um zu fragen: Was ist dieser Ort, an dem ich aufgewachsen bin? Wie lange wird diese aufgewühlte Nation noch versuchen, diese Strukturen der Ignoranz aufrecht zu erhalten? Durch Manipulation von Form, Ton und Bewegung kreiere ich Arbeiten, die eine persönliche Reaktion hervorrufen. Intime Reaktionen haben das Potential ehrliche Antworten hervorzurufen und sie können vielleicht die vorhersehbaren, vom Staat kontrollierten Reaktionen ersetzen.”

Im Schatten des Krähennestes
Ein früherer Militärstützpunkt in der Nähe von Betlehem, im besetzten Westjordanland, wird Oush Grab genannt, übersetzt Krähennest. Heute ist es Schauplatz eines Projektes des Architekturbüros von Sandi Hilal , Alessandro Petti und Eyal Weizman in London und Betlehem. Das Projekt Dekolonisierende Architektur versucht “einen Vorgang zu artikulieren”.
Tatsächlich sind alle involvierten Projekte spekulativ, haben aber in ihrer Präsentation mit ausgefallenen und bisweilen komischen Ideen, die Teilnehmer dazu herausgefordert, sich miteinander auseinander zu setzen. Die teilnehmenden Gruppen untersuchen, was mit Orten passiert, aus denen sich die Besatzungsmächte zurückgezogen haben und ein Machtvakuum in den verlassenen Stützpunkten und Städten entstehen ließen.
“Welche Bahn der Konflikt in Palästina auch einschlagen mag, die Möglichkeit einer weiteren oder totalen Evakuierung israelischer Kolonien und Militärstützpunkte muss in Betracht gezogen werden” erklärt die Gruppe auf ihrer Website decolonizing.ps. “Gebiete in Palästina, die von direkter israelischer Präsenz befreit wurden oder bald werden, sind ein ausschlaggebender Versuchsraum, um die vielen vorstellbaren Wege der Wiederverwendung oder Wiederbesiedelung israelischer Architektur zu untersuchen, nachdem sie von der Kraft der militärischen/politischen Macht abgestoßen wurden.”
Von all den von Dekolonisierende Architektur untersuchten Projekten im Berliner Bethanien ist der Fall von Oush Grab der Faszinierenste. Die Israelische Armee hat sich aus dem kleinen Stützpunkt kurz nach der Unterzeichnung des Osloers Friedensabkommens zurückgezogen. 2008 hat jedoch eine Gruppe von Siedlern versucht, an dieser Stelle einen Außenposten aufzubauen und ist regelmäßig zu Pikniks, Ausflügen und Torahstunden zurückgekehrt, stets von der israelischen Flagge begleitet und beschützt. Dabei haben sie sich mit palästinensischen und internationalen Aktivisten abgewechselt, die ihrerseits ebenso diesen Ort zeitweise besetzt hielten. Die jeweils neuesten Graffitis zeigen an, welche Fraktion es als letzte geschafft hat, den Hügel zu besteigen.
Anfangs schlug die Architekturfirma ein Programm für eine “kreative Destruktion” des Militärstützpunkts vor. Um die Landschaft zu verändern, sollten Löcher in den Beton der Militäranlage gebohrt werden und Gebäude teilweise begraben werden. Die Beteiligung durch unmittelbare Anwohner der Anlage und NGOs wie Palestinian Wildlife Society, Women’s Shelter and Alternative Tourism Group wurde mit Amüsement aufgenommen. “Anfangs haben wir befürchtet, wir würden lächerlich gemacht. Waren unsere Pläne zu weit her geholt und zu ausgefallen in diesem Umfeld permanenter Unmöglichkeit? Das Lächeln, mit dem man uns entgegenkam, könnte jedoch ein erstes Anzeichen einer Dekolonisierung sein.”

SCHLUSSFOLGERUNG
Als ich vor Jahren Israel besuchte, traf ich einen Mann, mit dem mein Vater gearbeitet hat; ein Held des Sechs-Tage-Krieges und ortsansässiger Wissenschaftler. An einem Kriegsdenkmal wies er stoisch auf seine Freunde hin, er führte uns Festungen der Kreuzritter und paläolithische Lagerfeuer vor, und erzählte, wie die Israelis eine Atombombe herstellten. Er brachte uns zu einem Flüchtlingslager in der Nähe von Jericho. Als wir auf all den Staub und Schutt der vom Sechs-Tage-Krieg verdrängten Leben blickten, bemerkte er: “Weißt du was? Wir haben alle diese Leute zu Flüchtlingen gemacht, sie werden Kinder bekommen, die aufwachsen werden und immer noch nach Hause zurückkehren wollen.”
Es ist immer interessant, was die Menschen, die den Konfliktherden am nächsten sind, zu sagen haben. Im Rahmen des Genres dieser Publikation gibt es eine Vielzahl von Äußerungen zum Krieg und dem Wunsch nach Frieden, ungeachtet einer sich schnell verändernden Gerechtigkeit. Hinsichtlich der Streitfragen des Nahost-Konflikts stellt die Präsentation der Bemühungen Yael Bartanas und des Projekts Dekolonisierende Architektur zwei Versuche dar, wie durch eine „Visuelle Kultur“ eine gesellschaftliche Veränderung zum Guten erreicht werden kann. Es macht es schwierig, wenn das Hindernis zu diesem Vorhaben jene Menschen sind, mit denen ich früher gespielt habe, im Hinterhof, im Schönsten aller Gärten.




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