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Kunstprojekt "Transkultura": Akt 1 Jesper Alvaer und Isabela GrosseovaZeitschrift Umělec 2007/101.01.2007 Tomáš Vaněk | en cs de |
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Kunstprojekt „Transkultura“:
Akt 1 Jesper Alvaer und Isabela Grosseova Pražák Palast / Atrium / Mährische Galerie in Brünn, Kurator: Petr Ingerle 13.10. – 3.12. 2006 Die Brünner Ausstellung des Projekts „Transkultura: Akt 1 Jesper Alvaer und Isabela Grosseova“ ist Teil eines polnischen Konzeptes gleichen Namens, veranstaltet von der Krakauer Galerie „Bunkier Sztuki“ (www.bunkier.com.pl). Es handelt sich hierbei um einen Zyklus von sechs Ausstellungen mit eingeladenen Künstlern, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen etwas zum Thema Emigration beitragen können. Die bislang involvierten Künstler sind Pavel Braila, Olaf Breuning, Adrian Paci, Shahram Entekhabi und Loulou Cherinet. Die Ausstellungsreihe begann Ende 2006 und wird bis Ende dieses Jahres weitergeführt. Begleitveranstaltungen werden es den Bewohnern vor Ort ermöglichen, sich an Workshops und Podiumsdiskussion mit Experten aus den Bereichen Kulturelle Antropologie, Soziologie und Europawissenschaften zu beteiligen. Das gesamte Projekt findet Ende des Jahres seinen Abschluss in einer internationalen Konferenz, die in Zusammenarbeit mit der „Faculty of European Culture of the Jagiellonian University“ in Krakau organisiert ist und dort stattfindet. Die Schirmherrschaft für „Transkultura“ haben Prof. Zygmunt Bauman, Prof. Władysław Bartoszewski und Ryszard Kapuściński übernommen, dabei wird der Schwerpunkt auf den Ort der Entstehung, also Polen, gelegt. Das Projekt hat zum Ziel, den Wahrnehmungskontext um den Begriff Transkultur aufzuzeigen, einschließlich seiner Umformung in den Ländern Ost und West-Europas. WEG AN DER PERIPHERIE Jesper Alvaer und Isabela Grosseova brachen in der ersten Hälfte des Jahres 2006 nach Nordafrika auf. Sie durchreisten Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Längerfristig beabsichtigen sie, alle Länder zu besuchen, die an das aktuell politisch-geografisch definierte Europa angrenzen. Besser gesagt: alle Staaten, welche Europas viel diskutierte Ränder bilden. Sie brachen auf als Landstreicher. Zygmunt Bauman beschreibt in seinem Buch „Globalization: The Human Consequences“1 den Landstreicher als „Alter Ego“ des Touristen. Er sagt, sowohl Touristen wie auch Landstreicher seien Konsumenten und suchten als postmoderne Konsumenten Erlebnisse, sammelten Erfahrungen. Ihre Beziehung zur Welt sei in erster Linie eine ästhetische: sie sehen die Welt als Rohstoff für Sensitivität - als Matrix möglicher Erlebnisse… Des Weiteren vergleicht er Tourist und Landstreicher mit Museumsbesuchern, welche mit ausgefeiltem Geschmack das intime Verhältnis zum Kunstwerk genießen. Dieser verallgemeinernden Definition Baumans und ihrem gewissen, kritischen Unterton möchte man eifrig zustimmen, bis man sich bewusst wird, dass sie einen selbst mit einschließt. Ob wir es wollen, oder nicht. LANDSCHAFT UND PERIPHERIE Jesper Alvaer und Isabela Grosseova durchreisten bestimmte afrikanische Landschaften. Genauer gesagt: die Ränder Nordafrikas, welche die Peripherie Südwesteuropas säumen. Wegen der fehlenden finanziellen Absicherung und des Reisvorhabens würde ich dafür plädieren, sie Landstreicher zu nennen. Das erfasst die Art ihrer Fortbewegung sowie das Prinzip des Herumstreifens und Entdeckens, das eigentlich charakteristisch ist für die Konzeption ihres Kunstprojektes. Das Konzept wurde schrittweise entwickelt und in Abhängigkeit davon, wen die beiden trafen und was ihnen widerfuhr. Die verfügbaren Ratschläge und Informationen für Reisende in die oben genannten Länder sprechen immer gegen das Landstreichertum. Angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage ist der Individualtourismus im Norden Algeriens in keinem Fall zu empfehlen. Erhöhte Aufmerksamkeit wird bei Reisen ins Rif-Gebirge empfohlen. Individualreisen per Autostopp durch Marokko werden nicht befürwortet. Tunesien: Seit Mitte des Jahres 2003 ist eine Sittenpolizei aktiv, die stichprobenweise gemischte Gruppen junger Menschen, Paare nicht ausgenommen, auf geschlossene Ehe und der muslimischen Gesellschaft entsprechendes Verhalten prüft. In gleicher Weise werden Einheimische in Gegenwart von Ausländern untersucht, besonders in den Nachtstunden in Nähe von Vergnügungslokalen. Die Einreise nach Libyen mit dem Ziel einer Individualreise ist grundsätzlich nicht möglich. Die Besucher dieses Landes können aus zwei Variationen von Gruppenreisen wählen. Des Weiteren ist es notwendig, auf die Gegend Mittelägyptens hinzuweisen, besonders die Gouvernements Minya, Sohag, Asyut, und Qina, in denen die reale Gefahr eines terroristischen Übergriffs seitens radikaler Gruppen droht.2 SAMMELN IN BEWEGUNG Beide Künstler hielten sich in diesen Gegenden auf, trafen Menschen, fotografierten und machten Videoaufnahmen. Das gesammelte Material wurde aber wider Erwarten nicht zum Mittelpunkt ihres Projektes. Bedeutsamer wurde das konkrete Zusammentreffen mit Menschen, ob zufällig oder auf verschiedenste Empfehlungen hin. Die Suche nach Etwas, das aus der formalen Situation eine klar definierbare Beziehung macht. Sie wollten mit dem lokalen Kontext verbunden sein, wollten versuchen, sich den Örtlichkeiten entsprechend zu verhalten und zu agieren. Sie boten ihre Dienste, Tausch, Handel und ihre Zusammenarbeit an. Die Situationisten3 hatten diese Strategie schon im Sinn, als sie das erste Mal den (so oft missbrauchten) Slogan „Global denken, lokal handeln“ verwendeten. Unsere tatsächlichen Interessen betreffen auch globale Gegebenheiten, wie zum Beispiel die Umweltproblematik. Aber im Ausüben der Macht kann man nicht global agieren, ohne dabei repressiv zu sein. Lösungen nach dem Top-Down-Prinzip reproduzieren nur bestehende Hierarchien und Entfremdungen. Allein lokale Aktionen verbunden mit der Bedingung einer „empirischen Freiheit“ können zu einer Veränderung im „gelebten Leben“ führen, unbeeinflusst vom Druck der Fremdbestimmung. Beim Durchschweifen jener Gegenden sammelten sie von ägyptischen Handwerkern, die entlang des Weges im Libyschen Benghazi den Vorrübergehenden ihre Dienste anboten, flüchtig angefertigte Zunft-Embleme, die die jeweiligen Fähigkeiten darstellten. Verbundener Hammer und Meißel standen für Abrissarbeiten; eine eingetrocknete Farbrolle, mit dem Griff in einer Blechdose steckend, für Malerarbeiten usw. Eine andere konkrete Aktion war die Einladung und Durchführung von Besuchsreisen je eines Marokkaners, Algeriers, Tunesiers, Libyers und Ägypters nach Brünn und die Überwindung aller damit verbundenen formalen Schwierigkeiten. GORILLA AUF REISEN Wie bereits erwähnt, definierte sich der Grundgedanke des gesamten Projektes von Jesper Alvaer und Isabela Grosseova fließend und prozesshaft. Am 6. April 2006 hatten beide den Zoologischen Garten Ben-Aknoun in Algier besucht. Dort trafen sie einen Mann, der sich als Gorilla verkleidet mit Touristen fotografieren ließ, um ihnen die Polaroidfotos als Souvenirs zu verkaufen. Nach ihrer Rückkehr in die Tschechische Republik beschlossen sie, genau diesen Mann nach Brünn einzuladen. Sie hatten nur ein Foto mit Gorillakostüm, sein Gesicht war darauf nicht zu sehen. Da sie keine weiteren Angaben über ihn hatten, begannen sie im Nachhinein mit der Suche nach einer Möglichkeit, ihm die Einladung mit dem Angebot der Übernahme aller Reisekosten zukommen zu lassen. Schließlich gelang es, den Mann über den Tierarzt des Zoos zu kontaktieren. Er nahm die Einladung an und kam mitsamt seiner Verkleidung nach Brünn. EINLADUNGEN, VISA, FLUGTICKETS UND UNTERKÜNFTE Das Projekt „Transkultura: Akt 1“ wurde demnach erst in Brünn wirklich realisiert. Es bestand aus zwei Teilen: Der Ausstellung für die Mährische Galerie Brünn (Prazakuv palac) und dem eigentlichen Besuch der eingeladenen Menschen aus den oben genannten Ländern. Eine wichtige Aufgabe im gesamten Projekt übernahm die Mährische Galerie, indem sie die ausgewählten Gäste offiziell einlud und so Mitverantwortung übernahm. Was diese Geste bedeutet, wird uns bewusst, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie der Norden Afrikas im Zusammenhang mit der Islamischen Welt und deren Position im Kampf der „westlichen Demokratien“ gegen dem Terrorismus wahrgenommen wird. Am Projekt beteiligt waren auch Freiwillige, die bereit waren, sich um die geladenen Gäste nach ihrer Ankunft in Brünn zu kümmern. Sie boten ihnen Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung und Kontakt zur Umgebung, so dass sie für eine Zeit am alltäglichen Leben vor Ort teilnehmen konnten. Einige Organisationen unterstützten das Projekt finanziell. Das Brünner Hotel Avion bot für die gesamte Dauer der Ausstellung Platz für zwei Gäste. Weitere Ausgaben wurden durch Stipendien gedeckt, einen nicht geringen Betrag übernahmen die Künstler aus eigener Tasche. AUSSTELLUNG ALS ZUSATZPRODUKT Die eigentliche Ausstellung war museal konzipiert. Ausgestellt wurden hier Leihgaben von Institutionen und Privatsammlungen aus der Tschechischen Republik. Sie alle standen im Zusammenhang mit den durchreisten nordafrikanischen Ländern und für ihre Archivierung gab es einen persönlichen, historischen oder politischen Hintergrund. Die Installation wurde durch die erwähnten Zunft-Embleme der ägyptischen Handwerker ergänzt. Die Ausstellung an sich war eher wie ein Nebenprodukt und bot ergänzende Informationen zum wesentlichen und wichtigeren Teil des gesamten Projektes. DER GAST ALS KUNSTFORM Ein Algerier, ein Ägypter, ein Libyer und ein Marokkaner in Brünn. Dass es Jesper Alvaer und Isabela Grosseova letztendlich gelang, die Einladungen einiger dieser Leute zu realisieren, machte aus dem Projekt eine einzigartige Aktion. (In Libyen war niemand bereit, ihre Einladung zu akzeptieren, und gleichzeitig war es ihnen unmöglich, ihre Bekannten dort telefonisch zu erreichen. In Ägypten weigerte sich der tschechische Konsul trotz einiger erläuternder Briefe und Telefonate der tschechischen Kultus- und Außenministerien, dem eingeladenen Zollbeamten ein Visum auszustellen). Dieser Umstand lässt sich zwar schwer Mittels einer Ausstellung präsentieren, aber gerade das macht den Reiz der Aktion aus. Es verweist auf fehlende Definitionen in der Beziehung zwischen Gegenwartskunst und Gegenwartsleben. Die ähnlich einem Laborversuch aus der globalen Komposition gesammelten lokalen Proben und ihre Anordnung, Einbettung und Verschiebung in andere Strukturen bewirken durch Überblendung und unerwartetes Sichtbarmachen eine Benennung von Lücken. Anders formuliert: Der Gast, den man mittels der Einladung in gegebene Regeln eingliedert, kann als eine spezifische Probe betrachtet werden. Die gesamte Komposition wandelt sich so für einige Zeit, bildet unvermittelt neue Lücken und macht Leerräume sichtbar. Leerräume4 sind vor allem bedeutungsleer. Sie sind nicht sinnlos, nur weil sie leer sind: Als leer (unsichtbar, um genau zu sein) erscheinen sie uns, weil sie keine Bedeutung transportieren, und wir auch nicht glauben, dass sie dazu in der Lage sind. An solchen gegen Bedeutung resistenten Orten entstehen keine Konflikte aus Unterschieden: Es fehlt jemand für eine Auseinandersetzung. Die Art und Weise, in der sich Leerräume zu etwas Andersartigem stellen ist dermaßen radikal, dass keine anderen Raumtypen mit ihnen konkurrieren können, die zur Abschreckung und Unterdrückung der Einwirkungen durch Ausländer konzipiert sind. AKT 2, AKT 3,… Wie schon erwähnt: das Projekt „Transkultura Akt 1“ ist der erste Akt der geplanten Pilgerfahrt durch die Peripherie entlang der Grenzen der Europäischen Union. Jesper Alvaer und Isabela Grosseova bereiten sich darauf vor, einen weiteren Abschnitt des Weges zu bereisen und zu bearbeiten, der Länder umfasst wie die Türkei, Albanien, Kroatien, Serbien, Russland, Weißrussland und die Ukraine. Wir wünschen ihnen gute Reise und freuen uns auf ihre Rückkehr. 1 Erschien in tschechischer Sprache, 2000 bei Mlada fronta, 112 Seiten. 2 http://atlas.zajezdy.cz 3 Hakim Bey, Temporary Autonomous Zone, In Tschechischer Sprache erschienen bei Transit, 2004 4 Zygmunt Bauman, Leerräume, Essay Ausschnitt, in der Zeitschrift Labyrint Nr. 11-12, S.17, 2002
01.01.2007
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