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Cyril Lepetit - Ein Flirt mit der Komplexität des Begehrens
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2006, 3
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Cyril Lepetit - Ein Flirt mit der Komplexität des Begehrens

Zeitschrift Umělec 2006/3

01.03.2006

Jan Suk | interview | en cs de

le petit – winzig, klein, bedeutgslos, nichtig

Nehmen wir mal an, Freiheit ist, wenn wir niemandem im Voraus sagen müssen, was wir vorhaben. In Halbfreiheit leben wir, wenn wir unsere Pläne ankündigen müssen. Sklaverei: Wenn andere vorhersehen, was wir tun werden. Nach dieser Definition ist Cyril Lepetit ein absolut freier Künstler. Denn in seiner Arbeit geht es um ihn, vor allem aber um uns alle. Unglaublich einfach – und enthüllend sinnlich.

Die Grenze zwischen Privatsphäre und sozialem Umfeld, zwischen Künstler und Publikum, zwischen Groß und Klein ist für Lepetit ein schmaler Grat. Er durchbricht diese Grenze meisterhaft, mühelos und trotzdem voller Respekt. Seine Arbeiten sind kristallklar, natürlich, autonom.

Das Motiv des Kennenlernens und Erforschens spielt in Lepetits Kunst eine große Rolle, oft als Tagebucheintrag, manchmal als Zeichnung (zum Beispiel in I had the upper hand knowing how to masturbate), manchmal als grafisch umgesetzter Text wie in Adventures of Obelix and Asterix, The Bonux free gift, der Beschreibung eines Kindheitserlebnisses: Sein älterer Freund führte ihm während ihrer Doktorspiele einen Hinkelstein in den Anus ein, ein Bonusgeschenk für den Kauf eines Waschpulvers. Bekenntnishaften Charakter hat sein Video While my hormones are working, I take care of the rest, in dem es um das Entdecken der Liebe geht.

Ein Schlüsselmoment in Lepetits Entwicklung ist der Übergang zu Interventionen. Der Künstler macht keine reinen Performances, in denen nur er agiert, sondern seine Installationen, Aktionen, Objekte und Videos be-ziehen die Umgebung und die Zuschauer mit ein. Seine Arbeit Bum Banger besteht aus einer Wippe, über deren Enden jeweils eine merkwürdige Öffnung installiert ist – je offensiver man wippt, desto starker penetriert man diesen “Anus” mit dem Kopf. Cousin chocolate kombiniert Video und Performance zu einer kunstvollen Manipulation des Publikums: Während das Video gezeigt wird, bekommt das Publikum vom Künstler Pralinen auf einem Silbertablett gereicht. Wenn die Schokolade aufgegessen ist, sieht man im Video Lepetits Besuch bei seiner Kusine, mit der zusammen er mit großer Sorgfalt Schamhaare in Pralinen einarbeitet - Haare, die die beiden sich gerade selbst ausgerissen haben.

Die scheinbar kleine Geste, "petit" aber authentisch, mit einem sehr sanften Spott, ist vielleicht die wichtigste Qualität von Lepetit. Er fordert die verknöcherten Strukturen der Kunstwelt immer wieder heraus, er bringt frischen Wind in zugeknöpfte und muffige Galerien und beweist, dass Kunst nicht immer eine Lösung haben muss.



Womit verdienst du momentan deinen Lebensunterhalt?
Ich stelle meine Arbeiten aus, ich arbeite in Teilzeit als Vorführer im Curzon Soho Cinema in London, und ich werde manchmal von Kunsthochschulen und Universitäten als Gastdozent eingeladen.

Siehst du dich als französischen Künstler?
Oui und non. Es kommt auf die Situation an. Ja, die französische Kultur ist ein Teil von mir. Ich wurde in Frankreich geboren, meine Familie lebt dort, ebenso wie viele Freunde und Menschen, mit denen ich arbeite. Aber ich hatte immer den Wunsch, hinauszugehen und zu entdecken, was hinter dem Horizont liegt. Ich bin in Cherbourg in der Normandie aufgewachsen, Wir wohnten auf einem Hügel, von meinem Zimmer aus konnte ich das Meer sehen. Ich habe viele Erinnerungen an das Betrachten des Meeres, den Fährhafen, der ein Transatlantikhafen war (im frühen 20. Jahrhundert für die Emigration nach Amerika; der letzte Hafen, in den die Titanic einlief). Gewissermaßen begleiteten mich Phantasien des “Woanders”. Es klingt so banal, aber ich glaube, das kommt teilweise von der Anziehung des Horizontes: Etwas, was dem Gefühl der Leere nahe kommt, das die Bilder von Yves Klein in einem hervorrufen können.
A propos Titanic: Während meines Studiums, 1993, bat ich darum, nach Belfast gehen zu können – die Stadt, in der die Titanic gebaut wurde, was ich damals nicht wusste. Es war eine sehr wichtige Erfahrung für mich, auch menschlich, meine Gedanken in einer fremden Sprache auszudrücken, meine Arbeit einem anderen Publikum, anderen kriti-schen Augen zu präsentieren. Ich glaube, das half mir, die offensichtliche Tatsache zu entdecken, dass Kunst sich nicht auf den Kontext beschränkt, in dem man sich normalerweise entwickelt.
Was meine Beziehung zur französischen Kunstszene angeht: Abgesehen von den “Ferienkursen” von Pont-Aven in der Bretagne wuchs ich in der Meinung auf, dass alle Dinge in Paris passierten, in der “überschäumenden” Stadt, in die am Anfang des letzten Jahrhunderts viele Künstler gingen, um ihre Kunst zu entwickeln. Die Moderne ist eine Zeit, die ich immer mit einem bohèmehaften Lebensstil und sexueller Befreiung verbunden habe.
Nach meinem Studienabschluss lebte ich drei Jahre in Paris, 1996 bis 1999. Ich genoss diese Zeit sehr, besonders wegen des multikulturellen Aspektes des Pariser Stadtlebens, des Einflusses der afrikanischen, arabischen und asiatischen Viertel, in denen ich lebte (20ème und 11ème). Aber einige Aspekte von Paris fand ich recht traditionell und rigide. Die in den Galerien und Institutionen gezeigte Kunst war damals meistens sehr interessant, aber sie drehte sich mehr um die “dominante” internationale Kunstszene, und nur sehr wenige Galerien unterstützten junge Künstler. Zum Glück entstanden gerade neue von Künstlern geleitete Räume wie Glassbox, La Flèche d’or und La Chambre. 1999, nachdem mein Fakir and his bed in der Ausstellung Homage a l’objet d’hard gezeigt worden waren, lud mich ein taiwanesischer Kurator zu einem einmonatigen Taiwanaufenthalt und einer Ausstellung ein. Als ich nach Asien ging, organisierte ich mir auch einen Augenthalt in Japan, wo ich einige Kontakte hatte. Ich bekam einige Gelder und Reisekostenunterstützung und ging dorthin. Ich wohnte und recherchierte dort mehrere Monate lang und stellte in mehreren Städten aus, darunter auf dem Festival NIPAF (Tokyo, Nagoya, Nagano). Nach meiner Rückkehr entschloss ich mich, nach London zu ziehen.
In den letzten sieben Jahren habe ich außerhalb von Frankreich gelebt. Dabei habe ich mich anderen Kulturen geöffnet, aber auch wieder in Richtung Frankreich geblickt und französische Literatur und Philosophie detaillierter entdeckt, dazu Geschichte, Kino, Musik und viele andere Gebiete. Wenn man im Ausland lebt, sieht man die Kultur, aus der man kommt, viel deutlicher. Ich glaube, es gibt eine Art Prozess, der einem hilft, die Komplexität zurück ins Leben zu bringen.
Das führt mich dazu, von meinen Recherchen zu sprechen. Ich vergleiche meine Praxis mit der Situation, im Ausland zu sein, mit dem Lernen einer Fremdsprache. Sie entspringt einem Bedürfnis nach Erfahrung, einer Sehnsucht danach, jemand anders zu sein. Das eigene Denken, die eigenen grammatischen Strukturen und etablierten Konzepte auf den Kopf zu stellen, die Möglichkeit, sich frei zu fühlen, verändert zu werden. In diesem Sinne teile ich, glaube ich, einige allgemeine Gedanken mit der Künstlerin Helen Chadwick: “Du kannst Dich verwandeln entsprechend dem, was Du erforscht.”
Ich weiß also nicht mehr genau, wo ich hingehöre. Ich halte verschiedene Orte für wichtig für meine Identität, selbst wenn ich mich an manchen nur sehr kurz aufgehalten habe: Es kommt nur darauf an, was sie mir in Bezug auf meine persönliche Verfasstheit gebracht haben.
Aber wie gesagt halte ich Kontakt zur französischen Kunstszene. Ich arbeite noch immer mit Kuratoren und Kritikern in Frankreich zusammen (Pierre Giquel, Sylvie Froux, Arnaud Labelle-Rojoux, Gilles Forest, Pascal Pique). Ich hatte vor kurzem eine wichtige Einzelausstellung in einem Zentrum für zeitgenössische Kunst (Wharf), und FRAC hat mein Buch unterstützt. Frankreich ist also immer noch ein sehr interessanter Ort, an dem ich meine Kunst entwickeln und mit dem ich sie konfrontieren kann.
Schließlich mag ich gewissermaßen auch meinen “republikanisch-liberalen” Lebenslauf, auf dem die Namen der Schulen keinen religiösen Bezug haben. Meine Familie stammt aus dem gleichen kleinen Städtchen wie der Autor Jules Barbey D’Aurevilly. Meine Grundschule war nach dem ersten sozialistischen Premierminister Leon Blum benannt, ich ging zum Collège Denis Diderot, ich fiel am Lycée Jean-François Millet durch das Abitur.

Gibt es bei dir ein Schlüsselwerk?
Bei mir geht es zentral um das Prinzip der Freiheit, die nie endende Bemühung, mich selbst neu zu erfinden… deshalb sind alle Arbeiten Schlüsselwerke… weil es an irgendeinem Punkt zu einem Ende kommen wird.

Woraus ziehst du hauptsächlich deine Inspiration?
Ich erfinde Werkzeuge oder Aktionen für Kontexte, die ich aus der Realität geborgt habe, ich schaffe Situationen, die ich “herbeifantasiert” nenne. In ihnen geht es um das Wesen und die Vielschichtigkeit des Begehrens - mit anderen Worten um Sexualität. Ich mag das Wort Sexualität wegen seines direkten Bezuges zum Körper, dem Objekt des Begehrens. Aber zentral für mein Denken ist die Essenz des Begehrens und des menschlichen Verhaltens. Meine Arbeiten zielen darauf ab, die Verantwortung des Individuums, genauso wie die des Künstlers, für die Konstruktion der eigenen Mechanismen des Begehrens herauszustellen. Ich benutze oft längere Performances und Filme, bei denen das Publikum bzw. die Öffentlichkeit einbezogen wird, um ihr Begehren genauso wie mein eigenes hervorzuheben. Das Prozesshafte spielt deshalb eine zentrale Rolle in meiner Arbeit. Einfach aus Fairness oder auch aus dem Wunsch heraus, anderen Individuen nah zu sein, bringe ich mich selbst in diese Situationen ein.
Meine Arbeit speist sich aus der Verschiedenheit der kulturellen Universen, denen ich begegne und aus den vielfältigen Reaktionen des Publikums, das dazu eingeladen ist, bei meinen Aktionen und Installationen zu agieren und zu reagieren. Zum Beispiel wurde der Hairy Exhibitionist in Bezug auf die asiatische Kultur entwickelt, aber als ich dann in Frankreich, Kanada oder Großbritannien war, entwickelte ich neue Arbeiten (Exotisme, Cousin Chocolate und Fontaine Chantante), die von der moralischen oder sozialen Wahrnehmung von Haar, Männlichkeit und fremden Körpern im Kontext dieser Kulturen/Länder inspiriert waren.
Meine Reflexionen und Recherchen waren immer geprägt von einer persönlichen Sicht auf die Existenz im Verhältnis zu den Menschen, mit denen ich gelebt oder geforscht habe und von dem Kontext, in dem ich mich entwickelte. Ich habe versucht, das in meinem Buch Respectful Infidelity sichtbar zu machen und auch in meinem Film While my hormones are working I take care of the rest.
“Ich bin ein bedeutungsfreies Fragment, wenn ich mich nicht auf andere Fragmente beziehe” (Georges Bataille, Les larmes d’Éros) ist auch ein Zitat, auf das ich mich schon oft im Kontext meiner partizipativen Kunst bezogen habe. Die Aktionen des Publikums nähren meine Vorstellung und Reflexion. Es ist wichtig für mich, wie meine Arbeit von den Betrachtern, den Kritikern und anderen Gesprächspartnern kommentiert wird.
Ich mag den Gedanken, an der Kunstgeschichte und am internationalen oder globalen Diskurs der Kunstwelt teilzuhaben, wenn es so etwas gibt. Ist das Einbildung, ein Glauben oder eine Notwendigkeit? Oder einfach wegen des “Ich bin ein bedeutungsfreies Fragment, wenn ich mich nicht auf andere Fragmente beziehe”. Das ist auch, was ich erreichen will mit dem International Exhibitionist Programm, das ich in London initiiert habe (Curzon Soho cinema, www.international-exhibitionist.org).
Mein eigenes Leben, meine eigene künstlerische Praxis und “momentane Affären” beeinflussen meine Arbeit. Die Idee der Unschuld und Naivität ist auch wichtig für mein Werk. Viele meiner Arbeiten, die das Publikum einbeziehen, erfordern eine gewisse Naivität der Beteiligten und spielen auch mit dieser. Am Anfang der Aktionen ist sich das Publikum meiner Absichten nicht bewusst, und ich benutze meine unterstellte Unschuld und ihre unterstellte Naivität für meine Ziele, mein “Begehren”. In meinen künftigen Arbeiten würde ich gerne ausloten, ob man sagen kann, dass das angeblich befreite Bild des Körpers oft als eine Illusion sexueller Freiheit benutzt wird. Die Neudefinition moralischer Werte, die Kategorisierung sexuellen Verhaltens, die Isolierung derer, die als pervers angesehen werden und die Verweigerung des Rechtes auf Andersartigkeit werden zu einem politischen Thema, zu einem Teil der politischen Agenda: als Suche nach Normalität oder deren Neudefinierung. Es gibt einen Wunsch nach Rückkehr zur Naivität. Geheuchelte Unschuld und freiwillige Unwissenheit.

Sie hatten eine Ausstellung am Institute of Contemporary Art. Was haben Sie dort gezeigt?
Ich wurde zu der Ausstellung London in Six Easy Steps: Six Curators, Six Perspectives eingeladen, von Guy Brett, der den vierten Teil dieser Ausstellungsserie namens Anywhere in the World: David Medalla’s London kuratiert hat.
Ich wurde gebeten, für diese Ausstellung eine lebensgroße Puppe zu machen: eine Darstellung meiner selbst. Sie hatte die Form einer auf der Seite liegenden Mumie, eine Art männliche Olympiafigur. Das besondere dieser Figur aus Verbandmaterial war, dass sie eine Erektion hatte und dass sie auf dem Rand einer Acrylglasbox ruhte. Diese enthielt einen Abguss meiner Hand mit hochgestrecktem kleinen Finger und zwei Miniaturen meiner selbst, die mit Performances zusammenhingen, die ich in den letzten fünf Jahren entwickelt habe: The Fakir and his Bed und Hairy Exhibitionist.
Kern meiner Teilnahme an dieser Ausstellung war die Performance Respectful Infidelity: the Ceiling of Art, die ich am Abend des 9. September, einem Freitag, durchführte. Die Arbeit habe ich in den letzten drei Jahren entwickelt, und ich hatte das Gefühl, dass die Einladung des ICA ein passender Kontext war, um die Performance aufzuführen, in der ich auf dem Rücken liegend ein Deckengemälde male. Mich interessierte auch die Möglichkeit, Spuren dieser speziellen Aktion auf den Wänden des ICA zu hinterlassen.
Auf der Einladungskarte zu meiner Performance war ich mit meinem Double vor der St Paul’s Cathedral stehend abgebildet. Mein Zwilling und ich sind körperlich identisch auf dem Bild, aber unterschiedlich gekleidet. Einer von uns war sehr ordentlich und klassisch angezogen, mit schwarzer Hose und weißem Hemd, aber mit einer dunkelblauen Jackett darüber: A la Joseph Beuys oder kugelsicher. Der andere trug einen pakistanischen Salwar Kameez. Zusammen hielten wir eine weiße Leinwand - die Leinwand, die für das Deckengemälde im ICA verwendet werden sollte.
Am Tag der Performance saß der erste von uns mit seiner City-mäßigen Hose, dem weißen Hemd und der dunkelblauen Beuys-Jacke mit dem Publikum im Ausstellungsraum und las Texte aus dem Buch Respectful Infidelity. Am Ende der Lesung kam der zweite von uns, übernahm und bewegte sich im Publikum, dem er auf einer Platte drapiertes Obst anbot (Trauben, Feigen, Erdbeeren).
Die Ausstellungsräume von Anywhere in the world: David Medalla’s London waren voller farbenfroher Skulpturen, an den Wänden große Drucke. Die Beleuchtung war sehr dunkel, und das Publikum saß und stand inmitten der Arbeiten, die rund um ein Rechteck aus kostbaren Stoffen in der Mitte des Raumes ausgestellt waren. Ein Spot und eine Blumengirlande betonten die geometrische Form, die von einem Stück roter Seide bedeckt war. Dieses Objekt hätte ein luxuriöses Bett oder ein Kampfring sein können (eine Arena für den Ringkampf zwischen den Geistern von Marcel Duchamp und Joseph Beuys, der am Ende stattfand – David Medalla als M.D. und Adam Nankervis als J.B.). Nachdem ich dem Publikum das Obst angeboten und meine Ölmalereiutensilien sorgfältig auf dem Bett ausgebreitet hatte, stellte ich mich in meinem Salwar Kameez-Outfit hin und sah mir die Leute um mich herum an. Trotz des großen Publikums war die Atmosphäre ruhig und wurde mit der Zeit sogar noch stiller. Mit einer weißen, jungfräuliche Leinwand in der Hand sah ich dem Publikum in die Augen, einem nach dem anderen. Schließlich merkte ich, dass ein Augenkontakt mit einer Frau zustande kam, und ich lud sie ein, mit auf das Seidenrechteck in der Raummitte zu kommen. Während ich ihr Gelegenheit gab, sich mit den Absichten, die ich im Kopf hatte, anzufreunden, bat ich sie, sich hinzustellen, und ich platzierte die Leinwand in Höhe ihrer Schamgegend. Dann, nach genau dem gleichen Procedere, suchte ich Augenkontakt zu einem Mann und lud ihn ein, zu uns zu kommen und sich an genau den gleichen Platz zu stellen wie die Frau. Während sie einander nah gegenüber standen, schenkte ich ihnen Wein ein, und wir stießen alle an (auch an das Publikum wurde Wein ausgeschenkt). Ich überließ sie dann sich selbst, damit sie miteinander reden konnten, und legte mich auf den Boden.
Auf dem Rücken liegend sah ich die Bögen vor mir, die ihre Körper über mir formten. Ich fing an, etwas Farbe auf die von meiner Partnerin gehaltene Leinwand aufzubringen. Sie reagierte auf den Kontakt des Pinsels mit der Leinwand und suchte meinen Blick, um herauszufinden, was ich mit uns allen vorhatte. Blicke und Lächeln wurden mit jeder Berührung der Farbe ausgetauscht. Die Leinwand war eine sensible Schicht zwischen mir und der anderen Person: Ich musste Verantwortung für meine Gesten, meine Taten übernehmen. Blicke und Gedanken strömten durch den langsamen Prozess des Malens. Normalität und Fantasie näherten sich mehr als je zuvor an. Ich spürte, dass der Gedanke an eine möglicherweise verfängliche oder obszöne Situation bei den Teilnehmern und den Zeugen der Szene völlig verschwunden war. Ich wandte mich von der Frau ab und konzentrierte mich auf den Mann. Ich wechselte zwischen den beiden ab, bis ich die “Deckengemälde” vollendet hatte.

Was hast du seither ausgestellt, und an welchen neuen Werken arbeitest du gerade?
Ich komme gerne viele Male zur selben Arbeit zurück, um mich ihr aus verschiedenen Blickwinkeln anzunähern, sie zu entwickeln, mit neuen Möglichkeiten zu experimentieren und mich auf diese Art zu neuen Horizonten zu bewegen. The Ceiling of Art ist eine dieser Arbeiten, die ich als Serie entwickelt habe: Eine Serie verschiedener Gemälde, zu verschiedener Zeit, in verschiedenen Beziehungen zu den Modellen, den Menschen, den Frauen und Männern, die ich einbeziehe, mit verschiedenen Annäherungsweisen und Arbeitsprozessen. Ich interessiere mich mehr und mehr für die Dimension, die diese Serie annimmt, wenn man sich die entstandenen Bilder oder die in diesen Kontexten und Prozessen aufgenommenen Videos ansieht. Ich habe das erste Bild im ehemaligen Kloster St. Ambrogio im jüdischen Ghetto von Rom gemacht. Es folgten mehrere andere in Belfast, Saint Sauveur Le Viconte (Frankreich), Helsinki, Huesca (Spanien), Québec, Liverpool, ICA, London und im Januar 2006 in New York in der Leroy Neiman Gallery der Columbia University, für die Ausstellung Daily Noise. In New York teilte ich den Raum der Galerie mit einer großen weißen Projektionsleinwand. Ein Teil des Raumes war im Schatten und der andere Teil mit einem hellen Spot erleuchtet. Barfuß und mit offenem Haar, in meinen Salwar Kameez gekleidet, lud ich eine junge mongolische Frau und einen südamerikanischen Mann ein, mit in den hellen Teil der Galerie hinter die “Schattenwand” zu kommen. Ich bot ihnen zwei kleine rote Äpfel aus dem Garten meiner Eltern in der Normandie an, dann legte ich mich hin und malte. Unsere Schatten erschienen auf dem weißen Schleier, der die Räume trennte.
Während unsere Handlungen wie Schattenfiguren auf die Leinwand projiziert/transkribiert wurden, ertönte ein Klangstück, das ich das “Meerjungfraulied” nenne. Das Stück besteht aus Frauen und einigen Männern, die sich zu den folgenden Themen äußern: Was bedeutet es, Menschen zu verführen, und wie macht man das? Zu unterhalten… anzuziehen in Richtung Tod, in Richtung Genuss und unbekannte Territorien… Was bedeutet es, seine Welt, seine Werte, sein Leben, seinen Körper jemandem zu öffnen?
Der Prozess und die Zeit, die benötigt wird, um das Bild zu machen, ist für mich ebenso wichtig wie das Resultat auf der Leinwand. Es ist eine sehr wichtige Zeit, in der ich dem Publikum genug Raum geben will, um seine Gedanken auf das Werk zu projizieren. Ich arbeite deshalb momentan an einer Reihe von Videos zu jedem der Ceiling Bilder. Ich suche nach einer Möglichkeit, meine Videos und die Bilder in einem gegenseitigen Bezug zu zeigen. Eine meiner Ideen dazu ist, ein Fantasiegerüst zu bauen. Ein Gerüst stand im Mittelpunkt meiner Ceiling of Art Performance in Helsinki. Mit Hilfe eines Gerüstes malte ich mehrere Frauen im Verlauf eines ganzen Nachmittages, am Boden angefangen bis herauf zur Decke. Sieben Ebenen, sieben verschiedene Zeiten, sieben Beziehungen, sieben verschiedene Individuen, sieben verschiedene Gemälde.
Ich habe auch an einer DVD gearbeitet, auf der eine Reihe von Filmen zusammengestellt ist, an denen ich zwischen 1996 und 2003 gearbeitet habe. Ich entwickele sie als Netzwerk, wie eine Website. Wiederum ist mir, wie das Buch, die DVD wichtig, um die Evolution meiner Gedanken und Wünsche sichtbar zu machen, aber auch um dem Betrachter Raum zu lassen, einen eigenen Weg zum Erschließen des Werks zu finden. Demnächst ist ein Screening der DVD in London geplant.
Ich habe außerdem vor, ein neues Buch mit Zeichnungen anzufangen. Und schließlich editiere ich immer noch die Videos vom ICA Projekt und meiner Naďve Ausstellung, die letztes Frühjahr in Cardiff stattfand.

Was sind deine Zukunftspläne?
In diesen Aktionen und Filmen arbeite ich ja auch mit den Vorstellungen des Publikums, aber nicht so sehr oder auf eine andere Art als in meinen ersten, älteren Installationen. Indem ich das Bild des Publikums verändere, rücke ich etwas ins Zentrum der Installation, das ich in meinen kommenden Projekten noch weiter entwickeln möchte.

Hast du schon einmal überlegt, einen Spielfilm zu machen? Und worüber?
Ja, das habe ich. Und ich denke immer öfter daran, besonders durch die Umorientierung meines Werkes von all den kleinen Videoarbeiten hin zu dem neuen Projekt, das ich in Norwegen vorbereite. Gehe ich aus dieser Ausstellung mit einem Spielfilm heraus?
Momentan arbeite ich also an der Entwicklung von verschiedenen möglichen Projekten. Ein Arbeitsaufenthalt wäre perfekt, damit sie entstehen können. Das könnte Prag sein, sicherlich wäre das inspirierend.

Wie würdest du einem normalen Menschen in einem Satz erklären, was du tust?
Es geht darum, mit dem Wesen und der Komplexität des Begehrens zu flirten. Um etwas ohne Lösungen.








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