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Ondřej Brody ist normalZeitschrift Umělec 2011/101.01.2011 Tomáš Pospiszyl | profil | en cs de |
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Wherever you are you are with brody&paetau
Ein gemeinschaftliches Künstlerteam, das globale Arroganz und regionalen Schleim rücksichtslos und an den Grenzen des Erträglichen karikiert. Bekannt wurden die beiden insbesondere durch ihre erniedrigenden Aktionen, in denen sie Funktionsweisen der zeitgenössischen Kunst aufs Korn nehmen. Kunstkritiker Adam Budak meint: „Dieses neo-dadaistische Konzeptkunst-Duo ist auf der Suche nach den schlimmsten Aspekten der institutionalisierten Kunst und dem eigentlichen Phänomen der KunTransRat FashionShowstproduktion an sich. Ihre Strategie ist offensichtlich und in ihrer wortwörtlichen und schnörkellosen Umsetzung geradezu peinlich – wobei gerade darin wohl ihre größte Stärke liegt. Ihre Themen und Angriffsziele sind ebenso elementar: Den Ursprung ihres gegenständlichen Vokabulars bilden Alltagsethik und Moralkodizes. In erster Linie richtet sich ihre Untersuchung auf die Psychologie des Verhaltens, das durch äußerliche Faktoren aus Leben und Politik beeinflusst oder provoziert werden kann. Schwankend zwischen Handlung und Misshandlung, fortgeschrittener Verarbeitung sowie einer kalten und unanfechtbaren Darstellung der Absurdität des Lebens sind ihre Werke in ihrem Wunsch nach Aufdeckung der Pathologien und versteckten Normalitäten zwischenmenschlicher Beziehungen wahrlich kritisch und aufrichtig. Ihre Aktionen sind stets gut strukturiert, mit einer beinahe perfekten, präzisen und ausgeklügelten Dramaturgie, kalt und emotional verstörend, gewagt und grausam sowie durchgehend eindringlich. Ihre Arbeit könnte lediglich eine etwas vorsichtigere Ausbalancierung gebrauchen; das erwünschte skandalöse Resultat würde dadurch noch expliziter auf den Niedergang bestimmter Werte und ihre plötzliche Zersetzung hinweisen.“ Ondřej Brody hat in seinen Kunstwerken schon allerhand versucht. Er hat sich bepinkelt, angezündet, hat die Hinterteile seiner Freunde detailliert gedreht. Zusammen mit anderen hat er seine Notdurft in einer Ausstellung der Nationalgalerie verrichtet. In weiteren Videos, die er allein oder mit anderen Künstlern gedreht hat, ist das unfreiwillige Lecken des Afters zu sehen, öffentliches Erbrechen, Sex zwischen Senioren, Erniedrigung gegen Bezahlung und sogar Sex zwischen einem Mann und einer hochschwangeren Frau, bei der ein Gynäkologe während des Aktes eine sonografische Untersuchung des Embryos durchführt. Es scheint so, als ob sich Ondřej Brody systematisch in die Position des nicht zu erschütternden enfant terrible der tschechischen und internationalen Kunstszene hineinarbeiten wollte. Oder tatsächlich pathologisch behindert ist und die Hilfe eines Experten in Anspruch nehmen sollte. Sogar Brodys gelegentlicher Mitarbeiter Michal Pěchouček charakterisierte in der Zeitschrift Fotograf dessen Videos als unerträglich. Ich glaube aber nicht, dass es wirklich so weit geht. Wenn wir über die Liste der angeführten Extrembeispiele hinausgehen, beeindruckt Brody auch durch seine Fähigkeit und das Bedürfnis, mit anderen zusammenzuarbeiten. Er ist keine asoziale oder gar pathologische Erscheinung, wie aus dem ersten Absatz hervor gehen könnte, sondern wirkt ausgezeichnet als schöpferischer spiritus agens. Er arbeitete mit dem bereits erwähnten Michal Pěchouček zusammen, mit einer Reihe professioneller Pornoschauspieler, mit Marek Ther, Kindern, Bodybuildern, Marek Meduna, mit einem schön entwickelten Transsexuellen, mit Rafani, mit einem professionellen menschlichen Ungeheuer, mit Evžen Šimera, mit einer Amateurband und wer weiß, mit wem noch. Das Team mit der wahrscheinlich längsten Dauer bildet er mit dem Künstler Kristofer Pateau. Werke, die Ekel hervorrufen, sind allerdings nur ein Teil von Brodys Arbeit. Ich glaube, dass das Image des zynischen Libertins, der Kot zum Frühstück verspeist, sich an der Analöffnung eines gelähmten Pavians aufgeilt und in den Stiefeln Einlagen aus Kinderhaut mit Haaren trägt, nur eine sorgfältig aufgebaute Konstruktion ist. Die für den Betrachter unerträgliche Überschreitung unterschiedlichster Tabus ist also nur eine Seite seiner Arbeit. Sie dient ihm als Katalysator, der nach dem Abklingen des Schocks darüber, was wir sehen, im besten Fall den Betrachter in Bereiche führt, an die zu denken er sich immer gefürchtet hat. Mit seinen Einfällen ist es ihm gelungen, Betrachter und Mitarbeiter zu traumatisieren, ihnen aber gleichzeitig zu einer neuen Wahrnehmung des Umfangs künstlerischen Schaffens zu verhelfen. Ich selbst habe sein Video The Winner Takes It All aus dem Jahr 2003 am liebsten. Zu sehen ist Helena V., irgendwann zu Beginn der achtziger Jahre, wie sie im jungen Fernsehclub gefühlvoll ihren damaligen Hit Und Du fragst, was mit mir ist singt. Es handelte sich um ein von der Gruppe ABBA übernommenes Lied, in diesen Jahren der übliche Weg, sich Mutationen westlicher Popmusik anhören zu können. Für die Stars aus der Normalisierungsära war das eine Möglichkeit, an fremden Produkten zu verdienen und gleichzeitig nach Weltniveau auszusehen. In seiner Fernsehaufzeichnung ersetzte Brody die tschechische Gesangsspur durch das Originallied. Helena öffnet den Mund, aber man hört ABBA. Stellten sich das die Zuschauer ähnlich vor? Ich glaube, dies war einer der gelungensten künstlerischen Kommentare zur Normalisierungskultur bei minimal aufgewendetem mitteleuropäischem Eigenbeitrag. Dieses Video fiel aus einem unbekannten Grund in der tschechischen Szene durch, für die es mit seinem Kontext in erster Linie bestimmt war. Ich habe den Eindruck, dass es unter unseren Bedingungen eine ähnliche Initiationsrolle hätte einnehmen können wie der Film Intervista des Albaners Anri Sala, Ikone von Werken, die die totalitäre Geschichte Osteuropas untersuchen. Nicht zu vernachlässigen ist auch Brodys Beitrag zu dem bei uns immer noch zerbrechlichem Genre der institutionellen Kritik. Im Jahr 2005 beteiligte er sich am Umzug des Ateliers von Jiří David von der Akademie für Kunst, Architektur und Design in Prag (VŠUP) zur Akademie für Bildende Künste (AVU), aus der David zuvor herausgedrängt worden war. Im gleichen Jahr verschickte er an Pädagogen der AVU, an der er damals noch studierte, Normalisierungsdiplome, die ihre Arbeit bewerteten. In der tschechischen Kunstgemeinde fanden weitere kollektive Projekte mit seiner Beteiligung ein Echo: In Nimm das persönlich erklärten vier Künstler öffentlich, wen von ihren Kollegen sie nicht mochten. Brody weicht auch nicht politischer Kunst von globalem Charakter aus. Das Projekt Painting China Now aus dem Jahr 2007 enthüllte die politische Repression in China, aber auch die Skrupellosigkeit der chinesischen kommunistisch-kapitalistischen Verhältnisse, wo der Kunde König ist. Und schließlich kritisiert er das Kunstsystem an sich, das ähnlich drastische, auf menschlicher Not aufbauende, aber in ihrem Wesen zynische Projekte nicht nur unterstützt, sondern geradezu verlangt. Das ist ein weiterer typischer Effekt von Brodys Arbeit: Oft führt er etwas durch, was man normalerweise nicht tut, aber von Künstlern – meist in einer etwas gemäßigteren Form – eigentlich erwartet. Im Jahr 2009 urinierten Ondřej Brody und Marek Meduna gemeinsam auf das Grab des Kritikers Jindřich Chalupecký, nahmen diesen Akt auf Video auf und stellten ihn auf der Ausstellung Historische Arbeit in der Špálova Galerie in Prag aus. Als Mitglied der Jindřich-Chalupecký-Gesellschaft bin ich dann oft gefragt worden, was ich darüber denke. Wenn ich sagen würde, dass Brody und Meduna für mich Ferkel seien, hielte man mich wohl für prüde. Ehrlich gesagt, habe ich das in diesem Moment nicht einmal gedacht. Die erste Reaktion war Schock, dann habe ich mich vor mir selbst geschämt: Bis zu diesem Augenblick hatte ich nämlich nicht gewusst, wo sich das Grab des Kritikers eigentlich befindet. Michal Pěchouček, den Brody schon einige Male mit seinen Aktionen aus der Fassung gebracht hatte, ging dann dorthin und säuberte das Grab. Er pflegt es bis heute. Ich habe nichts gemacht. Ich habe nur vergeblich auf einem Treffen im Kunstzentrum DOX versucht, Chalupeckýs Ehre und die künstlerische Freiheit von Brody und Meduna zu schützen. Jiří Ševčík, der ebenfalls anwesend war, behauptete in seiner Verteidigung der Künstler, dass es lediglich um ein „Bild des Pinkelns“ als metaphorisches Symbol ging. Ich weiß nicht. Auf dem Video sah alles ziemlich wahrheitsgetreu aus. Und Meduna hat sich wohl ein bisschen geschämt. Ich gestehe, dass mich die Vorstellung von warmem Urin auf kaltem Marmor in ihrer eigentlichen Art erregt, aber gleichzeitig möchte ich auch nicht, dass sich jemand auf dem Grab meiner Familie oder von irgendjemand anders entleert. Chalupecký sah Duchamps Pissoir als Werk von transzendentaler Kraft, das durch die Banalität und das absichtliche Märtyrertum seines Schöpfers hindurch den Weg zur Spiritualität der Moderne suchte. Vergleichbare, sagen wir es gerade heraus, irregeführte Erörterungen rissen Brody und Meduna zurück auf die Erde, zum allerprimitivsten Materialismus. Ich glaube, dass ähnliche Gesten ihren Wert haben. Aus dem Englischen von Thomas Körner.
01.01.2011
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04.02.2020 10:17
Letošní 50. ročník Art Basel přilákal celkem 93 000 návštěvníků a sběratelů z 80 zemí světa. 290 prémiových galerií představilo umělecká díla od počátku 20. století až po současnost. Hlavní sektor přehlídky, tradičně v prvním patře výstavního prostoru, představil 232 předních galerií z celého světa nabízející umění nejvyšší kvality. Veletrh ukázal vzestupný trend prodeje prostřednictvím galerií jak soukromým sbírkám, tak i institucím. Kromě hlavního veletrhu stály za návštěvu i ty přidružené: Volta, Liste a Photo Basel, k tomu doprovodné programy a výstavy v místních institucích, které kvalitou daleko přesahují hranice města tj. Kunsthalle Basel, Kunstmuseum, Tinguely muzeum nebo Fondation Beyeler.
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