Zeitschrift Umělec 2009/2 >> Rapidité! Subjektivierungsweisen der Beschleunigung im Proto-Postfordismus Gerald Raunig | Übersicht aller Ausgaben | ||||||||||||
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Rapidité! Subjektivierungsweisen der Beschleunigung im Proto-Postfordismus Gerald RaunigZeitschrift Umělec 2009/201.02.2009 Gerald Raunig | zeit | en cs de |
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Jacques Tati, so lautet die These dieses Textes, ist früher Protagonist einer vereinzelt um die Mitte des 20. Jahrhunderts erscheinenden Avantgarde des Proto-Postfordismus. In der Filmkritik werden Tatis Arbeiten häufig als zivilisationskritische Anklage gegen die Zumutungen der Moderne missverstanden. Vor allem Tatis erster größerer Film Jour de fête ist aufgrund seines idyllischen Rahmens (und erst recht durch seine lächerlichen Synchronisationen) derart falsch gedeutet worden. Berücksichtigt man jedoch die Abfolge von L’école des facteurs (1947) und Jour de fête (1949), in den fast alle Szenen der „Schule der Briefträger“ aufgenommen wurden, zeigt sich eines ganz klar: Tatis erster Langfilm kann ganz und gar nicht als eine Hymne auf die Vormoderne und die Rückkehr zum dörflichen Landleben durchgehen. Die kaum fünfzehn Minuten lange Sketch-Reihe L’école des facteurs ist mehr als eine Vorstudie, bei dem kleinen Film zeigt sich deutlicher die Spitze, auf die Tati hinaus will. Als pure Parodie auf die militärische Zucht der Briefträger und auf die Rasterung und Rationalisierung nicht nur ihres Arbeitstags, sondern jedes kleinen Bewegungsablaufes im fordistischen Rahmen der Arbeit glänzt die „Schule der Briefräger“ durch Mini-Attraktionen, die dieses Regime durchkreuzen. Diese für den frühen Tati typischen, extrem-körperlichen Kunststücke vor allem auf dem Fahrrad reihen sich in L’école des facteurs in schneller Abfolge aneinander; in Jour de fête dagegen erscheinen sie ein bisschen verdeckt von den vielen Details des Dorflebens und dem scheinbar beschaulichen Rahmen der Handlung. Während L’école des facteurs die Staats-Form, die institutionelle Rasterung des Post-Apparats verhöhnt, bearbeitet Jour de fête mit teilweise exakt denselben Sketches vor allem die Gemeinschafts-Form und entwickelt eine widerständige Haltung aus ihr heraus.
Der erste selbst geschriebene und inszenierte Langfilm Tatis beginnt und endet zwar an der Oberfläche ganz spießig-idyllisch, entfaltet seine Stärke jedoch als Burleske, die aus heutiger Perspektive weniger antimodern/anti-fordistisch als vielmehr proto- postfordistisch verstanden werden kann. Während eines Schützenfestes zeigen die Schausteller eine Wochenschau über die neuesten Modernisierungsmethoden des Postwesens in den Vereinigten Staaten. Sortiermaschine, Luftpost und Posthelikopter sorgen für die optimale Umsetzung des tayloristischen Mottos „Time is Money“. Durchmischt mit Bildern von waghalsigen Motorrad-Stunts erweisen sich die amerikanischen Postboten als Pioniere der Moderne. Der von Jacques Tati selbst gespielte Land-Postbote François sieht diese Bilder und ist vom neuen Zeitgeist beseelt. Von nun an lautet sein Motto „rapidité – Schnelligkeit!“, obsessiv will er seinen simplen Job modernisieren. Vollends prophetisch gerät Jour de fête in den Szenen, in denen François – getriggert durch die abstrakte Maschine des Wochenschau-Films – die Beschaulichkeit seiner dörflichen Gemeinschaft durchbricht und die Arbeitsteilung des postalischen Staatsapparats implodieren lässt. Schon am gleichen Abend der Befeuerung durch die Wochenschau lässt Tati seinen Protagonisten (also sich selbst), berauscht vom Fest, vom Alkohol und von der einsetzenden Wirkung der Bilder über die Möglichkeiten der modernen Post, sich in unglaublichen Tricks mit seinem Fahrrad zu einer Maschine verschmelzen. Am neuen Tag mutiert er zum „Monsieur Postman“, das Motto rapidité! wird dabei nicht einfach zu einer Metapher für die Modernisierung des ländlichen Postwesens. Verfolgt man die Aktionen des „Monsieur Postman“ etwas genauer, so lässt sich erkennen, dass er in wahnsinnigem Tempo die Jahrzehnte um ihn verlässt und jene vor ihm überspringt, auch die reine Variante der fordistischen Beschleunigung durch Industrialisierung und Arbeitsteilung. Seine Mutation entspricht nicht einfach nur einer nachholenden Einführung der städtischen Modernisierungsmechanismen, sie ist vielmehr in all ihrer maschinischen Subjektivierung und Prekarität eine Komponente des Vorscheins postfordistischer Produktionsweisen. François fährt immer schneller und virtuoser, er fährt die Figuren der amerikanischen Motorrad-Stunts mit dem Fahrrad nach, er fährt durch’s Feuer, bringt die Ordnung des Verkehrs durcheinander und rollt mehrmals im Spurt das gesamte Feld eines Radrennens auf. Sein Fahrrad fährt zuletzt von allein, reißt aus der fordistischen Zwangsgemeinschaft aus und wartet dann lässig an die Wand gelehnt am Wirtshaus auf seinen ihm nachlaufenden Teilhaber. Schließlich packt sich Monsieur Postman im Postamt sämtliche notwendigen Utensilien ein, um selbst Post zu werden. Er entflieht nicht nur dem dörflichen Gemeinschafts-zusammenhang und der rigiden Ordnung der Post, nein, seine rasende Flucht aus Gemeinschaft und Staatsapparat ist zugleich Erfindung: die Erfindung eines neuen Büros in der Bewegung. Die ständige Beschleunigung von Bewegung und Arbeit auf die Spitze treibend, hängt sich der Fahrradakrobat an einen offenen Lastwagen an, breitet auf dessen nach hinten geklappter Planke Briefe, Marken, Stempel aus und eröffnet sein mobiles Fahrrad-Postbüro. In Verschmelzung mit seinen Produktionsmitteln wird er Selbstunternehmer, wird er selbst Post – ähnlich übrigens der monomanischen Produktionsmaschine Tati, die gegen die extreme Funktionsteilung des Genres Film ankämpft. Gegen Ende landet der geschwindigkeitstrunkene François zwar mit seinem Fahrrad im Fluss und wird von der schwer gebeugten Alten, die mit ihrer Ziege als Allegorie des Landlebens durch den ganzen Film mäandert, in Sicherheit, nämlich zur Landarbeit gebracht, doch der idyllische Schluss ist trügerisch: In der letzten Einstellung läuft ein kleiner Junge in Postler-Uniform dem weiter ziehenden Schausteller-Wagen nach, das rapidité-Virus verbreitet sich in die Welt. 20 Jahre später beginnt sich die Seuche in ganz Europa auszubreiten. „Für das, was als Zukunft anbricht, wird der Begriff Postford-ismus erfunden – ein sprachliches Danach, das verstockt am Ausgang der Vergangenheit zu stehen scheint und nur ganz scheu an die Tür des Künftigen klopft, weil es sein altes Zuhause nicht mehr gibt.“ So beschreibt Hans-Christian Dany in seiner Kulturgeschichte der Amphetamine jene Schwelle vom Fordismus zum Postfordismus, die bei Tati mehrmals vorweggenommen scheint. Und wie das „sprachliche Danach“ zugleich verstockt und trotzdem etwas neugierig um die Ecke in seine Zukunft sieht, so vervielfachen sich die sprachlichen Bezeichnungen für die stattfindenden gesellschaftlichen Transformationen ab den späten 1960ern: postindustrielle Gesellschaft, Dienstleis-tungsgesellschaft, Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft, kognitiver Kapitalismus. Welche Perspektive sich auch immer für die Namensfindung in den Vordergrund drängt: Beschleunigung, Tempo, Geschwindigkeit der sie durchziehenden Ströme prägen die Qualität des „Künftigen“, dessen Tür wir schon längst durchschritten haben. Nicht umsonst heißt Danys Buch Speed. Die gesellschaftlichen Transformationen sind auch zentral für die Veränderung von Funktion und Gebrauch jener billigen Drogen, die im Slang ihrer BenutzerInnen mit diesem Begriff bezeichnet werden: „Speed“ impliziert im postfordistischen Kapitalismus allerdings nicht mehr wie das Jahrhundert davor die ambivalente Beschleunigung als Fitmacher für den Berufsalltag und als widerständiges Medium neuer Subkulturen. In einem erstaunlichen Prozess der Vereindeutigung findet es sich zusehends nur mehr auf der affirmativen Seite, nun aber verstärkt als Komponente der Sorge um sich selbst. Die kontrollierte Berauschung wird mehr und mehr Teil eines wohl geordneten Selbstverhältnisses, indem auch Rausch und Bewusstseinserweiterung gezielt zur Effektivierung eingesetzt werden. Im Cocktail neoliberal-gouvernementaler Subjektivierungsweisen wird die Drogenfamilie „Speed“ zu einer von vielen Komponenten in einer verallgemeinerten Weise der Selbstregierung. Im Zeitalter der Beschleunigung betrifft die Chiffre „Speed“ allerdings bei weitem nicht mehr nur diese eine Komponente als Drogengebrauch, sondern zunehmend alle Bereiche der Produktion und Reproduktion. Und es betrifft auch nicht nur die Beschleunigung der materiellen Arbeitsvorgänge, sondern auch und vor allem die Bereiche des Kognitiven, Kommunikativen, Affektiven. Dany beschreibt das detailliert an einer weiteren proto-postfordistischen Avantgarde, die 20 Jahre nach Tati in die neue Zeit aufbricht: Andy Warhols Factory. In dieser „Fabrik“ werden – ähnlich wie in den politischen Kontexten der fabbrica diffusa, die Anfang der 1970er in den operaistischen Begriffsschmieden Italiens konzeptuell gefasst wird – Zeit und Raum ihrer Subjekte diffus. Als „Pioniere der neuen Arbeit“ entbehren sie sowohl des ständigen, kollektiven Arbeitsplatzes als auch der geregelten fordistischen Zeit. Und sie stellen keine Dinge mehr her, sondern Atmosphären: „... die Mehrheit der Anwesenden beschäftigt sich mit Tätigkeiten, die nicht unmittelbar als Arbeit erkennbar sind und meist wie das Gegenteil aussehen, so dass manche es für eine Party halten.“ Nicht mehr auf der Trennung von Arbeit und Freizeit, Leistung und Muße, Fabrik und Zuhause, Nüchternheit und Drogenkonsum basiert dieser neue Modus der Indienstnahme, sondern gerade auf dem Verschwimmen der früher säuberlich getrennten Bereiche. Speed gelangt aus der mehr oder weniger absichtsvollen Randständigkeit ins Zentrum postfordistischer Produktion und breitet sich „in dieser abhängigen und auf Abhängigkeit gebauten Gesellschaft“ weit über die marginalen Drogengebrauchenden hinaus aus, als Abhängigkeit von allen Sorten der Beschleunigung; vor allem als Ab-hängigkeit vom An-hängen an beschleunigte Kommunikations- und Informationstechnologien. Und in diesem abhängigen Anhängen fließen auch die Komponenten der Apparate, die wir herkömmlich als Maschinen bezeichnet haben, und unsere eigenen maschinischen Subjektivierungen ineinander. Wie wir die Funktionsweisen der technischen Apparate, die wir bedienen und die uns bedienen, übernehmen, so übernehmen die Apparate unsere Skills, unsere Technik, unser Wissen. Es scheint, als wären wir einfach in unserem ständigen Maschine-Werden einen Schritt weiter gegangen, vom fordistisch-industriellen Austausch mit den Fertigungsanlagen zum postfordistisch-informationellen Austausch mit den Computern. Und wie schon die Vorstellung des 19. Jahrhunderts, dass die Maschinen so etwas wie die Verlängerung unserer Arme darstellten, eine reduktive war, so ist es noch mehr die simple Idee, der Computer wäre eine Prothese unseres Hirns. Statt einer einseitigen Erweiterung des menschlichen Körpers, einer bloßen Verbesserung des Menschen durch die Maschine, handelt es sich immer schon um ein Fließen, um maschinische Ströme, die gleichermaßen durch Dinge, Menschen und Sozialitäten gehen. Wenn diese Ströme nun tendenziell ins Unendliche beschleunigt werden, und zwar noch dazu aufgrund eines maschinischen Begehrens, das uns antreibt, dann entstehen daraus schwer-wiegende Folgen für die Lebens- und Arbeitsverhältnisse: Einige der schlimmeren Auswüchse sind die Auslagerung der materiellen Drecksarbeit an die globalen Peripherien, neuerliche und ineinander verwobene Formen sexistischer und rassistischer Ausbeutung oder neue Pathologien der Full-Speed-Subjekte. Doch das maschinische Begehren hat als Wunschproduktion auch eine revolutionäre Seite. Jacques Tati schlägt eine offensive Strategie der beschleunigten Singularisierung vor. Wenn man so will, verkörpert Monsieur Postman eine mögliche Form des Widerstands: Gegen die neuen Subjektivierungen, gegen neue Formen atomisierender Individualisierung nützt keine simple Abwendung von den Maschinen, kein Maschinensturm, kein Holzschuh in die Maschine; aber genauso wenig helfen die gängigen Muster des Umgangs mit Sozialität: Die rigide Rasterung durch Staatsapparate wird ebenso obsolet wie die Rückkehr zur Gemeinschaft, wie überhaupt die Dichotomie von Individuum und Gemeinschaft nicht relevant ist in diesem Dispositiv. Vor diesem Hintergrund verlieren die Sehnsüchte nach dem den sozialen Raum parzellierenden Staat und der sich schließenden Gemeinschaft jede Bedeutung. Wir müssen uns vielmehr fragen: Was sind die Maschinen, in denen Singularitäten sich verketten können, statt in die identitären Gefäße der Gemeinschaft zurückzukehren und von den Staatsapparaten gerastert zu werden? Welcher Art ist das neue Band, das sich nicht als homogenisierender Zusammenhalt verstehen lässt? Wo entsteht dieses unbändige Band, das sich als Verkehr und Verkettung aktualisiert, verbunden durch das Fehlen eines Bands?
01.02.2009
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