Oh ihr undankbaren Leser, die ihr sicherlich rein zufällig in Besitz dieses Blatt Papiers gekommen seid – einer Mischung aus Aufrichtigkeit und Wochenendkopfschmerz der Redaktion. Ihr wisst bestimmt nicht, dass Leitartikel als solche von den alten Ägyptern erfunden wurden. So nannte man nämlich auch die Texte, in denen sich die Zimmerleute, die lange und schwierige Inschriften voller Prahlerei und Oberflächlichkeit anzufertigen hatten, über ihre Auftraggeber ausließen. Anfangs waren diese bissigen Kommentare auf der Grabsteininnenseite oder im Sarkophag angebracht, wo sie Tausende von Jahre im Verborgenen schlummerten. Seit der Erfindung des Papyrus jedoch, und später des Papiers, und seitdem man Seiten wenden kann, sind solche Leitartikel den ungebetenen Lesern zugänglich. Ein Beispiel findet man in einer der ältesten Schriftrollen der Bibliothek von Alexandria – nämlich Thovts Abhandlung Über die Geschichte der dritten Unterwelt und der verwandten Höhen – in der der Schreiber hinzufügte: „Thovt diktierte dies in betrunkenem Zustand. Ich war dabei.“ Für diesen “Leitartikel” wurde der Schreiber zwischen zwei sich langsam drehenden Mühlsteinen zermalmt – bei lebendigem Leib. Sollten diese vom Nil angetrieben worden sein, war das wohl ein wirklich langsamer Tod.
Heute besteht die Gefahr eines langsamen Todes nicht mehr, allenfalls die Gefahr eines Kreislaufzusammenbruchs wegen eines ungesunden Lebensstils, und deshalb werden wir zunehmend verwegen in den Leitartikeln. Wir empfehlen allen Lesern unserer zusammengestellten Texte, sie zu lesen, auch wenn sie nicht mehr wie das ägyptische Original versteckte Provokationen sind, die nur einen einzigen Held hervorbringen, noch dazu einen, der wusste, dass er die Früchte seiner Verwegenheit nie selbst sehen würde. Und da ich nun viel Platz und Energie damit verschwendet habe, eure Aufmerksamkeit auf eine wenig beachtete Rubrik zu lenken – die euch wohl nur dank ein paar hässlicher Bilder aufgefallen ist – sage ich euch jetzt: Kauft mehr Ausgaben dieses wunderbaren Magazins, damit ihr erfahrt, was seine Schöpfer wirklich denken. Wir können nicht viel daran tun, dass die Autoren mancher dieser Artikel immer wieder dasselbe erzählen werden. An dieser Stelle, wie in jedem guten Magazin, erfahrt ihr, wie die Dinge wirklich stehen – wer also tatsächlich in betrunkenem Zustand geschrieben hat und wer das ganze nur erfunden hat.
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