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Wonder Bread & Spanglische KunstZeitschrift Umělec 2007/201.02.2007 Luis Camnitzer | kulturmix | en cs de es |
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In ihrer noch jungen Existenz haben die USA viele kulturelle Denkmodelle und Mythen, die ihre nationale Identität stärken, sowohl übernommen als auch selbst entwickelt. Diese Konstrukte, die nicht immer das Ergebnis einer bewussten Strategie sind, überlagern die Vielfalt der unterschiedlichen Identitäten in der Bevölkerung und helfen diese zu reduzieren; eine Vielfalt, die normalerweise dazu führen würde, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu untergraben. Manche von diesen Vorstellungen sind berühmt-berüchtigt und nicht mehr in den besten Jahren, etwa der „amerikanische Traum“ und der „Schmelztiegel“. Andere haben ihren Platz in der Wirtschaftswissenschaft wie die „Durchsickerungstheorie“. Manchmal bringt auch ein kleiner militärischer Einsatz diese Konstrukte voran – so wie die Invasion Grenadas, die von 63% der befragten Bevölkerung unterstützt wurde.
„Wonder Bread“ ist eines dieser Denkmodelle, das auf kultureller Ebene existiert. Es ist ein Produkt, das als Brot verkauft und konsumiert wird. Zusatzstoffe und Werbung stellen den Nährwert dar, ohne irgendeine der inneren Eigenschaften des Produktes zu beeinflussen. Im Laufe der Jahre hat der Zusammenfluss von wirtschaftlicher Dynamik und kulturell konditionierter Geschmacksnerven zur Etablierung von „Wonder Bread“ als Maßstab für andere Produkte geführt. Jeder Versuch anderer Produkte, echtem Brot zu ähneln, wird nicht so sehr als das Schließen einer Lücke angesehen, sondern vielmehr als Akt der Verfeinerung und Perfektionierung. Die Produkte werden zu Variationen dessen, was man „Gourmet Wonder Bread“ nennen könnte. Gemessen an der Tatsache, dass sogar Kulturen, die über Jahrtausende hinweg echtes Brot perfektioniert haben, langsam die gleiche Auswahl an Brotsorten übernehmen, wird etwas, das normalerweise nicht mehr als ein Beispiel anthropologischer Kuriosität wäre, auch zu einem Muster für interkulturelle Beziehungen. Als Beispiel dafür, wie Werte sich ändern, steht „Wonder Bread“ auch für den Druck, den das hegemoniale Zentrum auf die Peripherie ausübt. Die wachsende Verbreitung von „Wonder Bread“ außerhalb der USA hängt direkt mit der Zweckdienlichkeit und Wirtschaftlichkeit dieses Brotes zusammen, und indirekt mit der angeborenen Aura und dem besonderen Status von Dingen, die aus der hegemonialen Kultur importiert werden. Während der direkte Druck eine bewusste Entscheidung darüber, warum man seine Geschmacksnerven opfern sollte, noch möglich macht, ist es der indirekte Druck, der den Geschmack erst zerrüttet und dann austauscht, womit er gleichsam neue Maßstäbe setzt. „Wonder Bread“ ist zu einem Symbol der Moderne geworden. Diese wird traditionell mit Fortschritt in Verbindung gebracht, weshalb sie als notwendiges Werkzeug zur Dekolonisation und Unabhängigkeit angesehen wird. Es steckt eine gewisse Ironie darin, dass in diesem Prozess der Modernisierung Werte so untergraben werden, dass es zu einer neuen Kolonisation kommt. Man sollte zu diesem Thema jedoch weiter ausholen, da der gleiche Prozess, wenngleich komplexer, auch in der Kunst zu finden ist. Der Druck, Werte in der Kunst zu ändern, basiert auf der noch immer tief verwurzelten Annahme, dass historische Kunstprozesse linear sind und sich auf der Suche nach Qualität progressiv fortentwickeln. Daraus folgt, dass die Kunst, die die Medien mit den neuesten Nachrichten füllt und so weite Verbreitung erreicht, ipso facto die neuen Maßstäbe setzt. Die Erwünschtheit dieser Maßstäbe wird internalisiert, und folglich erscheint es als spontan, instinktiv, indigen und authentisch, sich an diesen Maßstäben zu orientieren, auch wenn diese Orientierung eigentlich das Ergebnis eines künstlich geschaffenen Bedürfnisses ist. Geschmack geht wie ein erworbener Instinkt vor. Als Instinkt umgeht er rationales Denken, und als etwas Erworbenes wird er wie jede andere Handelsware unter anderem von Werten kontrolliert, die mit Klassenstatus und Eigentumswünschen zu tun haben. In einer kolonial abhängigen Situation gehen die Kontrollen von den kulturellen und wirtschaftlichen Zentren aus und formen diese künstlich geschaffenen Bedürfnisse. Wie in jedem Prozess der Kolonisation schafft der kulturelle Druck, der vom hegemonialen Zentrum ausgeht, Probleme für diejenigen, die in der Peripherie leben. Ein Vertrauen auf Importe, das weit über das hinausgeht, was das normale Ergebnis internationalen Kontaktes wäre, hat den Prozess einer langsamen und organischen Entwicklung von kulturellen Identitäten unterbrochen.1 Man schätzt, dass in Brasilien amerikanische Unternehmen und ihre Partner etwa den Gegenwert von einem Drittel des Bildungshaushalts der Regierung allein für Werbung ausgeben.2 Nach Angaben der UNESCO kommen zwischen 50% und 70% dessen, was im Westen als Kultur gesehen wird, aus Radio, Film und Fernsehen. In Lateinamerika kontrollieren die USA 75% der Fernsehprogramme, 65% der Werbung, 55% der Kinos, 60% der Schallplatten und Kassetten, 65% der Nachrichten und 35% des Verlagswesens.3 Eine der Konsequenzen ist, dass die frühere Tendenz, Kunst für die eigene Gemeinschaft zu machen, einem neuen Schwerpunkt gewichen ist: Kunst für den internationalen Markt zu schaffen. Dieser Prozess erforderte die Annahme eines neuen und fremdartigen Konzeptes von Qualität. Qualität wird nicht mehr dadurch bestimmt, wie sehr die Kunst enthüllt und erfolgreich mit den eigenen Leuten kommuniziert, sondern durch die Wirkung, die ihre Produkte im Kontext einer externen, oft unbekannten, Öffentlichkeit erzielen. Auf diese Weise werden die heroischen Ausmaße und die Ästhetik der in wohlhabenden Gesellschaften entwickelten, spektakulären Überproduktion zu einem Standard, an dem der Armutskünstler gemessen wird. Handwerksformen, die an nicht industrielle oder veraltete, industrielle Traditionen gebunden sind, helfen dabei, diesen Künstler aufgrund seiner Unabhängigkeit vom Mainstream in eine Schublade zu sperren. Seit der Renaissance hat die westliche Kunst eine immer stärker und schneller werdende Dynamik entwickelt, „koloniale Techniken“ oder „niedere Kunstformen“ in den Medien der Kunstgeschichte zu etablieren. Das Erstellen von Drucken, zum Beispiel, ist eine Kolonie der Malerei geworden. Anstatt originelle Bildmotive beizusteuern, dienen Drucke in erster Linie dazu, in der Malerei entwickelte Bilder zu übersetzen und aufzupolieren. Die Aufteilung in „Super-Spektakel“-Kunst und „bescheiden gefertigte Kunst“ scheint eine politische Verfeinerung dieser Dynamik zu sein, da sie dabei hilft, den reichen hegemonialen Zentren ihren Platz zu sichern, indem sie die Definition von Kunst langsam auf jene Produkte reduziert, die von diesen Zentren erzeugt worden sind. Diese enge Definition eliminiert jede Möglichkeit des qualitativen Vergleichs zwischen der Kunst des Zentrums und der Kunst der Peripherie. Alles, was eine bestimmte Investmenthöhe nicht übersteigt, wird nicht als ernstzunehmende Kunst gesehen. Die Definition ignoriert zudem ethische und politische Dimensionen, die aufgrund des Dekolonisationskampfes häufig im Zentrum der Kunst der Peripherie stehen. Aus hegemonialer und formalistischer Sicht wird so ein großer Teil der „Peripheriekunst“ als Low-Budget Arbeit wahrgenommen werden.4 Man könnte argumentieren, dass das erfolgreiche Vordringen der hegemonialen Qualitätskonzepte nur deswegen vonstatten gehen konnte, weil die Werte, die sie ersetzen, schwach oder veraltet waren. Während viele, traditionelle Werte wohl in der Tat veraltet sind (in Lateinamerika entstammen diese oftmals vorherigen Perioden der Kolonisation und haben somit auch ausgedient), vernachlässigt dieses Argument eine einfache Tatsache. New Yorker Werte, oder die Werte des internationalen Kunstmarktes, entstehen aus einer Infrastruktur, die sich diese Werte leisten kann. Oder anders gesagt, durch ihre Entstehung geht man davon aus, dass sich die Infrastruktur diese Werte leisten kann. Diese Annahme ist ein Denken, das häufiger beim Versuch, kulturelle Einheit zu schaffen, benutzt wird. Die Folge der mythischen Realität dieses Denkmusters ist, dass es auch eine „Peripherie“ innerhalb des „Zentrums“ gibt, manchmal auch als „Dritte Welt“ innerhalb der „Ersten Welt“ bezeichnet. Diese umfasst interne Kolonien und abhängige Kulturen, und – wichtig für diesen Artikel – Einwanderer aus der geographischen Peripherie. Die Annahme dieser Werte seitens einer Region, wo eine solche Infrastruktur nicht existiert (wo ein Markt fehlt, der bestimmt wird von örtlichen Marktbedürfnissen; vom Erwerb der produzierten Arbeiten; von der Möglichkeit, sich durch Jobs im Kunstmilieu oder Jobs im Allgemeinen über Wasser zu halten), schafft Probleme und Absurditäten, die nicht einfach ignoriert werden können. Der Professionalismus im Kunstmetier – zunehmend an Ausgaben gemessen – degradiert die Künstler in der Peripherie zu „Sonntagsmalern“. Die Teilnahme an internationalen Treffen wird zur Unmöglichkeit aufgrund von Geldmangel; es fehlen die Mittel nicht nur für den Transport von Werken, sondern oft sogar für die Vorbereitung von Projektionen oder für den Briefwechsel. Wegen dieses Mangels an Infrastruktur werden Kunstschulen zumeist aus Gründen des internationalen Ansehens geschaffen – schließlich gilt ein Land ohne solche Institutionen nicht als „kultiviert“ – und die Studenten werden ja als zukünftige Empfänger von ausländischen Stipendien ausgebildet. Wenn sie Erfolg haben, wandern sie aus und arbeiten in den hegemonialen Zentren. Die Peripherie investiert in Ausbildung, und das hegemoniale Zentrum erntet die Früchte. Jene Künstler, die nicht auswandern, sind dem Einfluss von Sekundärinformation ausgesetzt, die oftmals die Schaffung von lokaler Primärinformation verhindert oder verdeckt und dadurch Kultur hinauszögert, anstatt sie zu erzeugen. Die Kunst der Peripherie, die aus dieser Dynamik entsteht, ist eher ein post-kulturelles Phänomen. Sie ist in erster Linie das Produkt einer angenommenen oder aufgezwungenen Kultur und trägt nicht zu einer lebendigen Kultur bei. Folglich entwickelt die Peripherie etwas, was man als Eklektizismus der Verzweiflung bezeichnen könnte – eine Mischung, in der Elemente durch Inbesitznahme verschmelzen. Unterwürfige und fragmentarische Nachahmung vermischt sich mit Re-Kontextualisierung sowie mit einem defensiven, synkretistischen Gebrauch von Ressourcen. Das Ergebnis ist eine Ästhetik, die dem Postmodernismus5 weit vorausgeht, aber die visuell gesehen oft mit ihm übereinstimmt. Der Postmodernismus wird jedoch als post-industrielle Ästhetik betrachtet; eine Ästhetik, die auf die sofort zur Verfügung stehende und allgegenwärtige Information, die von der Supertechnologie verbreitet wird, antwortet und in der Lage ist, die Möglichkeit unterschiedlicher Stile aufzuheben. Der Gebrauch von Eklektizismus in der Peripherie ist zumindest teilweise ein Versuch der Identitätsfindung. Hegemonialer Postmodernismus andererseits verleibt alle Identitäten einem gestaltlosen Gemisch ein. Die häufige Missinterpretation des post-kulturellen Eklektizismus der Peripherie als ein aufpoliertes Produkt des Postmodernismus ist eine schwache und selbstdienliche Vereinfachung eines viel dramatischeren Prozesses. Der Kampf ums kulturelle Überleben wird hier mithilfe einer unehrlichen Konstruktion der Geschichte einfach ignoriert. Wenn sie nicht gerade auf den isolationistischen Gebrauch von Tradition zurückgreift, produziert die Peripherie hybride Kunst, deren Produkte an einem Ort verwurzelt sind, sich aber nach einem anderen orientieren. Manfred Schneckenburger, der Organisator der letzten Documenta Ausstellung, fasste die Folgen dieser Situation in recht unfreundlicher, aber triftiger Art und Weise zusammen. Bei seiner Rechtfertigung der Tatsache, dass lediglich ein einziger lateinamerikanischer Künstler (Alfredo Jaar aus Chile) in etwas, das für sich in Anspruch nahm, einen Überblick über die beste Kunst auf dem Markt der letzten fünf Jahre zu geben, Berücksichtigung fand, erklärte er: „es ist nicht möglich, die Situation von Ländern zu zeigen, in denen die Kunst ständig zwischen einer großartigen, aber verlorenen Tradition und dem Wunsch nach dem Kontakt mit der modernen Welt gefangen ist.“6 Vor dem Hintergrund dieses Drucks hat der Künstler der Peripherie verschiedene Möglichkeiten. Er kann die kolonisierenden Werte ignorieren und sich auf das heimische Publikum konzentrieren; er kann trotz seines Handicaps für den internationalen Markt produzieren; oder er kann ins kulturelle Zentrum einwandern. Im ersten Fall hat der Künstler die Tendenz, selbst wenn er für das lokale Publikum arbeitet, sich in seinen Werken mit der Kolonisierung auseinanderzusetzen. Eine direkte Verbindung zur Vergangenheit wird durch die Existenz eines Filters, der die von der imperialen Kultur geförderten Werte berücksichtigt, gekappt, unterbrochen, oder umgeleitet. Wie Albert Memmi in seinem „Portrait der Kolonisierten“ bemerkt hat, führt der Verlust der Geschichte dazu, dass „die Kolonisierten von den objektiven Bedingungen zeitgenössischer Nationalität ferngehalten werden“. Gramsci reflektiert dieselbe Situation, als er mit Bezug auf die Herstellung von Kultur feststellte: „Erinnern nimmt den Platz des Denkens ein.“ Identität wird unter diesen Bedingungen leicht mit einer künstlichen Folklore verwechselt. Fossile Erinnerungen, gebleicht und vertrocknet, ergreifen Besitz von der Realität. Ein großer Teil der indigenen Kunst, von Sabogal in Peru bis ins mexikanische Rivera, weist dieses inhaltliche Problem auf. Die gegenwärtige Generation von Künstlern steuert jedoch eine formellere und kultiviertere Herangehensweise bei: Cesar Paternosto und Alejandro Puente aus Argentinien sowie Esther Vainstein (Peru) verbinden Tradition aus der Zeit vor Kolumbus mit modernem Konstruktivismus und Minimalismus.7 Im zweiten Fall, in dem sich der einheimische Künstler am internationalen Markt orientiert, hat sich die Tendenz gebildet, notdürftige Arbeiten zu produzieren, die einerseits darauf abzielen, vom Aussehen her dem internationalen Standard gerecht zu werden, andererseits aber von den materiellen Zwängen, die örtlich vorherrschen, betroffen sind. Ausgezeichnet durch ihre Fertigkeiten, doch konfrontiert mit Material- und Ressourcenknappheit, versuchen Künstler, mit den „heroischen“ Ausmaßen und der industriellen Ausrüstung der Kunst aus den kulturellen Zentren zu konkurrieren. Mit affektiertem Gehabe vertuschen sie die Materialarmut. Unter solchen Bedingungen läuft die künstlerische Arbeit jedoch Gefahr, halbherzig zu werden. Im dritten Fall, in dem der Künstler ins kulturelle Zentrum auswandert, gibt es theoretisch die größten Chancen, im Mainstream erfolgreich zu sein. Bis Mitte der Fünfziger Jahre stellte Europa das kulturelle Zentrum, was sich seitdem allerdings langsam in Richtung USA verlagerte. Es wird geschätzt, dass allein zwischen 1945 und 1965 mindestens 17.000 Forschungskräfte und hoch qualifizierte Techniker aus Lateinamerika in die Vereinigten Staaten übersiedelten. Im Jahre 1986 gingen 25% der in den Naturwissenschaften verliehenen Doktortitel an Nicht-US-Bürger, und nach einem Bericht des Nationalen Forschungsrates vom Januar 1988 betrug der prozentuale Anteil in den Ingenieurswissenschaften sogar 60%. Wiederum 60% der hier genannten kehren nicht in ihr Heimatland zurück. Von den 500.000 Menschen, die Puerto Rico in den Jahren 1980 bis 1985 verlassen haben, waren 14% gut ausgebildete Arbeitskräfte. Leider gibt es keine konkreten Zahlen, die diese Art von „Braindrain“ in der Kunst dokumentieren. Enorme Mengen von Geld, das in die Ausbildung hoch qualifizierten Personals in Lateinamerika investiert wurde, erreichten so die USA praktisch als Spende. Die Auswanderung hatte vor allem wirtschaftliche Gründe.8 Politisches Exil war der andere Hauptgrund für Umsiedlung. Einen großen Teil dieser politischen Migranten, die als Intellektuelle vor rechten Diktaturen flohen, zog es allerdings nach Europa und Australien, wo ihre oppositionellen Ideologien freundlicher aufgenommen wurden als in den USA. Für die Migranten selbst jedoch ist die Erfahrung, die sie zusammenschweißt, die der Entwurzelung – eine nur allzu bekannte Erfahrung unter Künstlern der zweiten Generation, die eine nicht auf Assimilation ausgerichtete Erziehung genossen haben. Während die Entwurzelung vielleicht nur einen geringen, direkten Effekt auf das Wirken von Naturwissenschaftlern hat, beeinflusst sie die Arbeit von Intellektuellen in der kommunikativen Kunst erheblich. Künstler stehen bewusst oder unbewusst vor Fragen und Wahlmöglichkeiten: wie viel ihrer Hintergründe müssen sie opfern zum Wohle der Anpassung an den neuen Kontext und für die Akzeptanz in der hegemonialen Kultur? Wie viel Veränderung wird eh durch Osmose erreicht, und wie viel ihrer Hintergründe sollte daher geschützt werden? Manche Künstler sind bemüht, mit dem Ziel, ganz und gar eins mit der neuen Umgebung zu werden, ihre Wurzeln auszuradieren. Das ist ein Unterfangen, das mit dem Versuch vergleichbar ist, eine neue Sprache genauso wie ein Muttersprachler zu sprechen. Es ist zwar kein Ding der Unmöglichkeit, doch es ist eindeutig schwieriger als für die Eingeborenen, mit denen man zu verschmelzen versucht. Andere Künstler, die von der neuen Umgebung schockiert sind, werden sich schutzsuchend und mit doppelter Anstrengung in ihre Ursprungskultur zurückziehen. Sie werden das Elend derer teilen, die zu Hause geblieben sind und dort ein örtliches Publikum ansprechen. Ihre Probleme werden jedoch noch größer sein: In ihrem Fall gibt es überhaupt kein Publikum, das sie ansprechen können; und Feedback existiert nicht oder ist bestenfalls sporadisch. Das Publikum wird zur Abstraktion, eingefroren in eine Vergangenheit, die von Nostalgie und illusorischer Mystifizierung benebelt ist. Der Künstler wird zweifach entfremdet, gefangen in einer Fiktion, die real wirkt.9 Beide Haltungen führen also zu einem Anschein von Realität, der über den Konflikt, in dem sie gefangen sind, hinwegtäuscht. Während sie ästhetisch existenzfähige Produkte hervorbringen, werden sie von mangelnder Authentizität verfolgt. Einige Künstler jedoch könnten versuchen, einen Mittelweg zwischen den Kulturen des Zentrums und der Peripherie zu finden und sich so mit der Realität auseinanderzusetzen, ohne die Flucht zu ergreifen. Weder die Gegenwart noch die Vergangenheit bestreitend, werden sie sich bemühen, eine Synthese von Erfahrungen zu erstellen. Sie werden etwas produzieren, was man vielleicht als „spanglische“ Kunst bezeichnen könnte.10 Wenn man diesen Begriff in Verbindung mit Sprache benutzt, hat er zumeist negative Konnotationen, da er das Nicht-Vorhandensein eines funktionellen Werkzeugs sowie den Ersatz eines solchen durch eine nicht funktionierende Hybridform zweier Sprachen impliziert. Es ist der Zusammenfluss von einer Sprache, an die man sich nur halb erinnern kann, mit einer Sprache, die man sich unvollständig angeeignet hat, wobei man gezwungen ist, mit ihr zurechtzukommen. Die negative Interpretation verschleiert den Ursprung und das Bedürfnis, das der Begriff befriedigt. Im Kontext der Kunst verwandt, verweist „spanglisch“ auf das Verschmelzen einer schwächer werdenden Erinnerung mit einer neuen Realität, von der der Künstler noch durch seine Andersartigkeit getrennt ist. „Spanglische“ Kunst ist wohl die authentischste Alternative für den entwurzelten lateinamerikanischen Künstler. Es ist ein natürlicher und unaffektierter Ausdruck, der auf faire Weise die Tatsache widerspiegelt, dass jemand von einem Ort kam und an einen anderen Ort ging; er dient zudem als Brücke über den Abgrund, den die Reise hinterlässt. Diese Art der Kunst ist eine individualistische Lösung, die die Entladung der Spannung, die durch das Aufeinandertreffen der zwei Kulturen erzeugt wird, ermöglicht; und sie erlaubt die Zusammenführung beider Erfahrungen in eine Ikonografie. Von der Unmittelbarkeit der individuellen Erfahrung inspiriert, wird diese Kunst sich tendenziell von Kunst, die entweder ein Programm enthält oder politisches Bewusstsein erkennen lässt, unterscheiden. Die kulturelle Bedeutung liegt eher in der Erfahrung eines geteilten Schicksals als in der Aktivität einer gemeinsamen ästhetischen Suche; und Qualität hängt von der individuellen Anstrengung ab, nicht von der Unterstützung durch die Gruppe oder von gemeinsamen Interessen. Es ist nicht einfach, paradigmatische Beispiele für „spanglische“ Kunst zu finden. Da „spanglisch“ keine bewusst angenommene, mit Programmatik voll gepumpte Bühne darstellt, ist diese Art der Kunst in den meisten Fällen nur eine Komponente, die mit anderen Elementen vermischt ist. Als ich das Wort zum ersten Mal mit Bezug auf Kunst benutzte, hatte ich dabei die Arbeit von Ana Mendieta im Hinterkopf. In den USA künstlerisch erzogen und daran interessiert, in den Mainstream vorzudringen, ist Mendieta durch Erinnerungen und Nostalgie an einer erfolgreichen Assimilation gehindert worden. Es war eine Sache, über die sie sich zuerst ärgerte, die sie aber gegen Ende ihres Lebens hinnahm. Als weiteres Beispiel ist die Arbeit von Juan Sanchez und Alfredo Jaar. Sanchez ist wohl das klarste Beispiel für anspruchvolle New Yorker/Puerto Ricanische Ausdruckskunst. Er versucht, an ihre Wurzeln zu kommen, entdeckt dabei aber, dass diese unter Nachbarschaftserfahrungen und Interpretationen eingegraben sind. Die Unabhängigkeit Puerto Ricos wird zur Lösung von Diskriminierung und Demütigung; ein Mittel eher zur Abkehr als zum Bleiben. Unter diesen Künstlern ist Jaar visuell derjenige, der am besten in den Mainstream passt. Er teilt die Fehlerlosigkeit und Unbeflecktheit der hegemonialen Kunst. Das ist teilweise das Ergebnis seiner eigenen Erziehung und seines Geschmacks; doch für ihn wird es auch zu einem Mittel der Manipulation, mit dem er sicherstellt, dass seine Botschaften auch in den Mainstream rübergebracht und dort verstanden werden. Der Begriff der „spanglischen“ Kunst ist also eher ein Werkzeug zum Verständnis als eine fest umrissene Form der Klassifizierung. Er eröffnet uns einen hilfreichen Blickwinkel, von dem aus man die Kunst, die allzu simpel unter dem ethnischen Label „hispanisch“ zusammengefasst wird, neu betrachten kann.11 Die Bezeichnung bringt die auf diese Weise Klassifizierten jedoch in ein Dilemma, sogar wenn sie mit Kunst nichts weiter zu tun haben. In meinem eigenen College habe ich die Wahl, ob ich unverdienterweise als Teil des „geschützten Segments der Bevölkerung“ (in der Sprache des College) aufgefasst werden will, womit ich dann irgendwelche Quoten erfülle, oder ob ich meine eigene Kultur und meinen Hintergrund von mir weise, um für andere Schutzbedürftige eine Position freizumachen.12 In der jüngeren Vergangenheit ist auch die Bezeichnung „hispanische Künstler“ verwendet worden, um Künstler, die irgendeinen Bezug zu Lateinamerika haben, zu klassifizieren und sauber zu verpacken. Es ist eine Art der Klassifizierung seitens der Kultur des Mainstream, die somit eine Distanz zwischen diesen Künstlern und sich selbst schafft.13 Bestenfalls spiegelt diese aufgesetzte Distanz die schwache Übereinstimmung der Künstler mit den Vorgaben des Mainstream wider, ihre Deviation von den vorherrschenden Normen. Bestenfalls sage ich, weil Distanz zwar wirtschaftlichen Ruin für den Künstler nach sich ziehen kann, aber eventuell auch bedeutet, dass wenigstens etwas Platz für die Entwicklung einer authentischen und kraftvollen Identität gelassen wird. Schlimmstenfalls ist die künstlich vorgeschriebene Distanz förderlich für vernichtende Herablassungen im Stile von „schau mal, die können ja auch gute Kunst machen.“ Wirtschaftlich betrachtet kann dies eine Chance zum Überleben sein; es kann allerdings auch zu einer schnellen Assimilation mit dem Mainstream führen, in der die noch nicht gänzlich erlangte Freiheit verloren geht. In beiden Fällen bringt das Label kein verbindendes Element hervor, das über die Vorstellungen von vager Nationalität und vager Geografie hinausgeht; der Künstler bleibt abgetrennt; für sich allein; abgelenkt bei dem Versuch, die Bildung einer größeren kulturellen Gemeinschaft näher zu erforschen. In der Zwischenzeit wird der Zuschauer, von den Werten des Mainstream beeinflusst, diese Kunst mit Interesse beobachten. Soweit die Werte der Betrachter vom Künstler geteilt werden, wird die Präsentation dann als etwas verstanden, das zu irgendeiner Art von Kunst gehört; doch gleichzeitig wird die Distanz, die dem Künstler zugeschrieben wird, die Möglichkeit suggerieren, etwas „Exotisches“ zu finden; etwas kulturell Unbekanntes, das das Zuschreiben von Distanz erklärt und rechtfertigt. Wenn es nach den Standards des Mainstream irgendetwas faszinierend Exotisches gibt, wird es als Beitrag für das Mainstream Publikum begrüßt und übernommen werden. Wenn Künstler jedoch in der Kunst des Mainstream etwas Interessantes gefunden haben und es dann für den Gebrauch in ihrer persönlichen Kunst nehmen, laufen die Resultate Gefahr, als Derivate verunglimpft zu werden. Es ist interessant, zu sehen, wie die Arbeit von Wifredo Lam gleichzeitig beiden Arten von Druck ausgesetzt war. Er wird akzeptiert als jemand, der sowohl mysteriöse Rituale in die westliche Kunst einschleust als auch ein Derivat von Picasso ist. Wie der kubanische Kritiker Gerardo Mosquera meint, das Ergebnis dieser Verschwommenheit ist, dass sein „Dschungel“ die Garderobe im Museum of Modern Art schmückt. Wenn Künstler demnach aus der Peripherie kommen, sind ihrem Erfolg gewisse Grenzen gesetzt. Sie können nach den Maßstäben der Mainstream Kunst nur mäßig erfolgreich sein. Mäßige Akzeptanz bedeutet, dass ein Künstler zwar als kompetent angesehen wird; doch als jemand, der ein wenig Individualität in der Arbeit entwickelt hat, ohne dabei die Parameter, in denen internationale Kunst operiert, ernsthaft zu revolutionieren oder durcheinander zu wirbeln. Diese Wahrnehmung erlaubt das widerstandslose Heranziehen der Arbeit solcher Künstler, wenn die „hispanische“ Quote mal wieder erfüllt werden muss. Wenn dabei auch noch ethnische Kriterien befriedigt werden, umso besser. In etwas verdrehter Art und Weise werden „hispanische“ Künstler also als Menschen wahrgenommen, die eine Art künstlerisches „Gourmet Wonder Bread“ herstellen – eine fade Kategorie, die den Betrachter von der Aufgabe befreit, sich mit dem individuellen Drama des Künstlers auseinandersetzen zu müssen; dem Drama, dem Druck zweier aufeinander prallender Maßstäbe durch das Aufstellen eines dritten standzuhalten. Aus Sicht des Künstlers bewahrt und reflektiert „spanglische“ Kunst dieses Drama. Dem entwurzelten Künstler fehlt die Möglichkeit eines kraftvollen Dialogs mit einem ähnlich entwurzelten Publikum. Wenn es existiert, ist es zu klein oder zu weit entfernt, als dass es effektives Feedback gewährleisten könnte. Es ist also das „Gourmet Wonder Bread“-artige Lesen von Kunstwerken, das den größten Teil dieses Drucks erzeugt. Der Künstler, der als „andersartig“ klassifiziert wird, wird durch diesen Druck dazu gebracht, jeglichen Versuch einzustellen, eine authentische, integrative Ikonografie zu finden und sich stattdessen opportunistischer Fadheit oder auch einer von zweien sich gegenüber stehenden Kunstformen hinzugeben. Künstler versuchen völlig exotische Arbeit zu produzieren, d.h. sie passen sich den im Mainstream vorherrschenden Stereotypen über die ursprüngliche Kultur der Künstler an. Oder sie bemühen sich, alles auszuradieren, was auf Unterschiede hindeuten könnte, indem sie ihre Arbeit als Hommage an den Kanon der hegemonialen Kultur tarnen. Das Feedback des Mainstream Publikums dient also unbeabsichtigt dazu, die kulturelle Synthese komplizierter und langsamer zu machen sowie die Spannungen, die den entwurzelten Künstler heimsuchen und zuweilen quälen, zu verschärfen. Der Genuss von Kunst als „Gourmet Wonder Bread“ ist daher ein Mittel, das die Assimilation in die hegemoniale Kultur bewerkstelligt. Es ist nicht nur, dass der Künstler bei der Suche nach einer neuen, integrativen Authentizität vom Wege abgebracht wird; es ist auch, dass die Entstehung eines Publikums, das zu seinem Werk passt, verhindert wird. Der Künstler wird veranlasst, das falsche Publikum anzusprechen, während das anvisierte Publikum sich nicht zu einem echten Dialogpartner entwickeln kann. Es gehört zu jeder hegemonialen Kultur, Phänomene wie „spanglische“ Kunst zum Ausdruck einer vorübergehenden Generation reduzieren zu wollen. Es ist jedoch weniger klar, ob unter den Bedingungen, die zur Emigration ins Zentrum führen, diese Vereinfachung den Interessen der „spanglischen“ Künstler und ihrem realen und potentiellen Publikum dient. „Wonder Bread und Spanglische Kunst“ ist eine erweiterte Version des Essays „Lateinamerikanische Kunst in den USA: Latino oder Amerikanisch?“, das Luis Camnitzer für die in der Lehman College Art Gallery organisierte Ausstellung Convergences/Convergencias (11. Feb. – 31. März 1988) geschrieben hatte.
01.02.2007
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