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Jana Koko Kochánková: Eine amerikanische Bildhauerin
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 2
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Jana Koko Kochánková: Eine amerikanische Bildhauerin

Zeitschrift Umělec 2009/2

01.02.2009

Katarína Uhlířová | neue gesichter | en cs de

Noch zögere ich, wie Jana Kochanková (*1979) am besten vorzustellen ist, möchte nur andeuten, ohne unterwürfig alles auszusprechen, was mich an ihren Arbeiten überrascht und erfreut. Also beginnen wir mit einer kurzen befreienden Einführung: Jana Kochanková, also known as Koko, eine amerikanische Bildhauerin, absolvierte ihr Studium 2006 an der Prager Akademie der bildenden Künste bei Vladimír Skrepl und Jiří Kovanda. Dieser Artikel soll in erster Linie die räumlichen Experimente Kochankovás beleuchten, ich vernachlässige daher ihre zarten Zeichnungen, die Glasmalerei mittels Silikon oder ihre farbenfrohe Mode. Die Bekleidung erwähne ich nur insoweit, wie sie in ihrer freien Verwendung und Zwanglosigkeit in Verbindung mit dem Körper über ein räumliches Potenzial verfügt.


Vorspiel Mickey Mouse
Verhüllt unter einer Mickey Mouse-Maske, der Körper
dagegen ganz frei, einfach aus Vergnügen und Neugier. Die Schwarz-Weiß-Fotografien in Rähmchen mit Kalenderblättern hinterlegt. Eine Statue im Typus des Kouros oder der Kore ohne den dekorativen Stoffbehang, dafür mit Handschuhen. Gerade wegen diesem Vorspiel ist Koko für mich ein für alle Mal eine amerikanische Künstlerin.1

NY zum Ersten
Die bekleidete, maskenlose Mickey Mouse (oder ist es eher Minnie?) fällt in das Metropolitan Museum ein. Koko interessiert sich für die verschiedensten Indianerkulturen. Deren Kunsthandwerksgegenstände sind hier sortiert, klassifiziert und unter der Fuchtel von Claude Lévi-Strauss - Schülern in Vitrinen gestopft. Dazwischen bewegt sich Koko tagelang, schreibt Tagebuch und zeichnet. Nur ein Intermezzo in Mexiko, dem Land der Schädel, Masken und Kakteen unterbricht ihre Konzentration, mit der sie die Formen der Keramikgegenstände buchstäblich ins Tagebuch tätowiert. Stunde um Stunde verbringt sie zwischen den Dinosaurierknochen im Metropolitan Museum. Geht bei freiem Eintritt ins Freilichtkino. Eines Tages wird sie nach New York zurückkehren.

AVU in Prag
Die Akademie der bildenden Künste ist ein Ort, um sich auszuprobieren. Alles sollte man hier ausprobieren, alles erfragen, allen begegnen. Sich nicht mit allem den Kopf zerbrechen, sondern um sich schauen. Damit stimme ich überein. Auf die Schnelle rekapituliere ich, was mein Gedächtnis noch hergibt: die Performance “ Zajic a Mrkev“ („Hase und Möhre“), 2004, gemeinsam mit Eva Koťátková, die kleine Statue „Dead Dogie“, 2004, die Performance „Mummy Twins“, 2004, gemeinsam mit Frederik Fiorny und auch die Fotoserie „Who I am?“. Auch Masken sind hier wieder im Spiel, auf der Grenze zwischen Verpuppung und Exhibitionismus. Besonderes Vergnügen hat mit die farbenfrohe Installation „Bunkr“ („Bunker“) aus dem Jahre 2007 bereitet, die nur wenige live erleben konnten und zuletzt ihre Abschlussarbeit vom Sommer 2007.

NY zum Zweiten
Koko kehrt zurück. Koko ist nicht länger nur ein Nickname, Koko ist zu einer Marke geworden und zwar nicht nur zu einer Modemarke. 2006 ist das Jahr ihres Studienaufenthalts an der Cooper Union School of Art in New York. Sie plant verschiedene Performances für die Stadt. Sie benimmt sich ein wenig wie ein 3D-DJ, indem sie verschiedene Aktionen vermixt: Fotografie, Happening, Videotrailer und Skulpturen in Bewegung (man könnte auch sagen: bewegliche Skulpturen). Und das alles inmitten der Stadt der Städte. Das gefällt mir. Herr Rasen, Frau Wolke und Frau Sonne spazieren durch New York, sie sitzen in Cafés, ruhen sich in Vorgärten aus. Stehen an einem der frequentiertesten Plätze, dem Astor Place herum. Haarig-verrückte Gestalten: der seltsam haptisch anmutende Herr Rasen und die blasse Sonne, die blauweiß glänzende Wolke. Die Farben verbinden sich mit jeder Berührung der in Lebensgröße ausgeführten Figuren. Diese Drei stellen für mich eine sehr weiche Variante von Skulpturen im öffentlichen Raum dar. Koko als Rasen, verhüllt in grasgrünem Stoff, der in Verbindung mit ihrem Körper mehr ist als ein Kostüm. Sie ist eine Statue, die in Luxusgeschäften shoppen geht. So beautiful. So sweet. Crazy and green. Auf Coney Island fällt Schnee. Ein Fotograf nimmt die zierliche, melancholisch verträumte Barfrau auf. Der Strand mit Skulpturen aus Schnee. Koko selbst ist wieder Skulptur geworden. Ich liebe diese Fotos vom Strand auf Coney Island. Einige von ihnen wurden unlängst ausgestellt und erzürnten in Prag die Puritaner im Atelier von Josef Sudek. Die Fotoserie „Mirek“ wurde damals fein justiert in feuerroten Rähmchen des Farbtyps Ferrari im Kontext der Gruppenausstellung „Příroda se nám vydařila“ („Die Natur ist uns aber gut gelungen“) präsentiert2. Zurück aber nach Coney Island. Es ist früh am Morgen. Alles ist in ein kühles Morgenlicht getaucht. Jana posiert als Wolke in geringelten Strümpfen und schwarzen Stiefeln. Obst am Strand. Zitronen und Melonen am Ufer. Jana als Mirek. Eine stille und sinnliche Gestalt. Der Körper als Skulptur scheint etwas zu flüstern. Das alles wird von einem anderen Superstar festgehalten. Mark Ther, gerade noch auf dem Festival in Brooklyn präsent, fotografiert und hat dabei sichtlich Spaß. Jana/Mirek sitzt als passives Objekt vor der Kamera, mit fragenden Augen (oder ist es eine Antwort?) Schneekugeln und Autoportraits mit weißem Fliegenpilz. Ein visuelles Dessert. Der Schnee als Schnee und auch als Metapher. Das Salzwasser. Rote Punkte aus billigem Ketchup für den Fliegenpilz aus Schnee. Jana erobert Amerika auf ihre Weise. Coney Island ist für sie nur ein anderer Raum.
Und ich muss es hier verraten, sie traf sich damals auch mit Louise Bourgeois. Jede auf ihre Weise frech, jung und temperamentvoll. Beide fasziniert von Spinnweben, zwei Spinnenfrauen. 3

Galerie „Jelení“ Prag-Smíchov
Beide Räumlichkeiten der Galerie sind mit einer Schnurrbart tragenden Jana erfüllt. Ist Koko mit Schnurrbart eher Mirek oder eher Jonathan Meese? Treten Sie ein! Ein Iglu ist nämlich sowohl ein Begriff als auch ein Raum. Ein vertrauter, nach innen gekehrter Raum. Ein plätschernder Brunnen macht das Weiß des Interieurs weicher und die Geräusche des Schnees aus Styropor erträglicher. Der zweite Raum ist ein Außenraum, was passiert da draußen? Der grüne Rasen ist eine Erinnerung an NY. Die Bäume wurden mit einem Filter aufgenommen, gefiltert wie eine Kindheitserinnerung. Das grüne ist der Rasen? Oder ist es das Fell eines Punk-Eisbärs? Jemand hat den Namen Jana in die Baumrinde geritzt. Jana Koko Kochanková modelliert den veränderten Innenraum der Galerie, sie modelliert ihre Erinnerungen und die Bewegungen der Besucher. Vergesst alles! Werdet zu neuen Eskimos, vergesst die politisch korrekten Bezeichnungen und werdet zu neuen Inuit. Damals lag ich gut eine Stunde dort und schrieb eine private Rezension, nur so für die Schublade.

„Kokoland“, Karlin Studios Prag
Ich nahm damals an, es würde eine reine Skulpturen-Ausstellung werden.4 Sie wurde für mich jedoch zu etwas anderem. Mehrmals beging ich die Ausstellung im Eingangsbereich, während undnach ihrer Fertigstellung. Die Skulpturen veränderten sich stetig, jedes Mal legte Koko an Ausdruck zu: ...Teppiche auf dem Boden, eine Lampe, Poster an der Wand, ein Püppchen, Kerzen, geblümte Tischdecken und Toilettenpapier. Einige Konstruktionen, mit Plüschtieren und Schuhen gespickt, die in Gips ertrinken. Eine Gipslawine bedeckt die weichen Plüschkörper. An einigen Stellen schaut eine Schuhspitze, ein Plüschohr oder Hörner heraus. Die Gruppierung, die Dichte, die Spannung und auch die Temperatur des Gipses veränderten sich stetig. Die Erdanziehung griff in die Formgebung mit ein. Diese Umgebung hat mich vollkommen für sich eingenommen, ich fühlte mich wohl zwischen all den Skulpturen mit dem Beigeschmack von Speiseeis. Die Finissage von „Kokoland“ wurde zu einem endlosen Abendessen, mit Tee und gutem Wein. Man schwieg, aß, sprach, zwischen den Skulpturen liegend oder sitzend, auch ein kleiner Hund war dabei.
Gehören Sie auch zu denen, die mit Recht den Medien misstrauen? Dann verfolgen Sie doch lieber die Neuigkeiten auf www.kokoland.org. Willkommen im Traumland der amerikanischen Bildhauerin Koko! Kein Eintritt ist zu zahlen, kein Visum ist von Nöten, bewegen Sie sich einfach frei durch das Netz von Verweisen. Dieser Raum wird für Sie regelmäßig von Koko auf Bildschirmformat gebracht. Es gibt ein paar Bugs, aber die sind mit Absicht dort. Seien Sie herzlich Willkommen in Kokoland!5
Zum Abschluss noch ein herzzerreißender Ansturm von Adjektiven. Koko ist wild, zärtlich, impulsiv, überraschend, intensiv, konzentriert. Verträumt, widerspenstig, ungreifbar, textil, mit Ketchup auf Schnee, sowohl spirituell wie auch sportlich, theatralisch, urban, aus den Barrandov Studios, aus Coney Island, von der Vergnügungsinsel, sie ist die Leiterin der Sommerzeltlager in Kokorin, eine unglaubliche Aufstrichmacherin, ausgeglichen durch Capoeira und Yoga. Visuell entgleist. Lebt in Kokoland. Koko ist Jana Kochanková, einige erinnert sie an Josephine Baker, aber sie könnte auch durchaus die Schwester von Luise Bourgeois sein. Koko ist auch Mirek, sieht aber zumeist wie Jonathan Meese aus.
Koko ist meine amerikanische Lieblingskünstlerin, die Gestalterin von Schnee und Schlagsahne.

1 Das Attribut „amerikanisch“ ist sehr speziell und wurde zunächst als Titel ihrer Einzelausstellung „Koko, eine amerikanische Bildhauerin“ in der Brünner Galerie „Potraviny“ im Jahre 2007 verwendet. Ich empfehle hierzu den kurzen Beitrag von Matyáš Chochola. Ich stimme mit seiner Definition, Koko ist amerikanisch, absolut überein. www.galeriepotraviny.cz
2 Während der Gruppenausstellung „Příroda se nám vydařila“ („Die Natur ist uns aber gut gelungen“) im Atelier von Josef Sudek wurde eine gleichnamige Fotoserie von Ondřej Brody, die Arbeit „Wiener Wurst“ von Mark Ther und eben „Mirek“ von Jana Kochanková gezeigt. www.sudek-atelier.cz
3 Über das Dasein von Jana als Spinnenfrau kann am besten Lenka Vitková berichten. Sie konnte sie unmittelbar während ihrer Aktionen für die Olmützer Galerie „Exterieur“ und beim Projekt „Cargo“ in Bukarest beobachten. www.cargo.org
4 Der Begleittext mit einem Gespräch führte damals Sláva Sobotovičová, es handelt sich meiner Meinung nach um eine gute Einführung in die Problematik der Arbeit vor Ort. Auch hierin ist Koko absolut lebendig und sie selbst. Sie versprüht zunächst Energie, um sie dann abzumildern. www.entrancegallery.com
5 „Koko is an artist from Prague. Welcome to her website and enjoy it as well.“



www.kokoland.org





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