Zeitschrift Umělec 2005/3 >> Little Warsaw 2002-2004: Versetzte Denkmale und Strategien der Dekonstruktion | Übersicht aller Ausgaben | ||||||||||||
|
|||||||||||||
Little Warsaw 2002-2004: Versetzte Denkmale und Strategien der DekonstruktionZeitschrift Umělec 2005/301.03.2005 Maja a Reuben Fowkes | profil | en cs de es |
|||||||||||||
Anlässlich ihrer Ausstellung in der Galerija Balen im kroatischen Slavonski Brod im Januar 2005 haben Little Warsaw eine Zusammenfassung von Projekten aus den letzten zwei Jahren vorgestellt. Während ihres Vortrages stellte das Künstlerduo einige wiederkehrende Themen und gemeinsame Strategien ihrer künstlerischen Praxis vor. Sie bezogen sich dabei auf die Eigenschaften des öffentlichen Raumes, die Spannung zwischen Denkmälern und kollektiven Identitäten sowie der Rekontextualisierung bei der Rezeption von Kunstwerken. Ihre Hauptstrategie beschrieben sie als Beschäftigung mit der Idee des "Entfernens" sowohl von Objekten als auch von mit ihnen verbundenen etablierten Lesarten.
In ihrem maßgeblichen Werk Flag (2002) kann man rückblickend den Entwurf viele der späteren Interessen und Aktivitäten von Little Warsaw erkennen. Seine Wirkung ging vom räumlichen Verlegen der Flagge von der Straße in den Raum der Galerie aus. Es handelte sich erkennbar um die schwarze Flagge, die die Fassaden öffentlicher Gebäude zum Zeichen der Trauer schmückt und die nun in den Kontext des white cube verpflanzt wurde. Dieses geläufige Element öffentlicher Symbolik war im Kontext moderner Kunst als Einzelobjekt in der Ausstellung platziert und repräsentierte so den Wandel vom Allgemeinen zum Einzigartigen. Dazu kommt noch, dass die Flagge nicht aus Stoff hergestellt, sondern in Bronze gegossen war. Anstatt leicht, flatternd, vergänglich und kurzlebig zu sein, war sie also schwer, unbeweglich, dauerhaft und zeitlos. Das Installieren des Werkes geschah öffentlich, und damit dekonstruierte Little Warsaw den Weg des Kunstobjekts vom Atelier des Künstlers zum Ausstellungsraum. Besucher konnten dabei zusehen, wie die Künstler verschiedene Möglichkeiten ausprobierten, die 300 kg schwere Skulptur im Raum einzurichten. Die Unbestimmtheiten rund um die Realisierung einer Ausstellung wurden nicht versteckt. Indem sie einen Prozess und nicht nur eine fertige Tatsache präsentieren, unterstreichen Little Warsaw die Vielfalt der Möglichkeiten, die sich in Bezug auf die Zurschaustellung und die Interpretation eines Kunstwerks ergeben. Zweifellos stehen Flaggen, seien sie kommunistisch, faschistisch, national oder international, für bestimmte Ideologien. Ruft nun Little Warsaws schwarze Trauerflagge den Tod aller Fahnen, aller Ideologien aus? Zelebriert sie die Abwesenheit von Ideologie? Wofür steht sie? Kommentiert sie die Kunstwelt oder, weiter gefasst, gesellschaftliche Prozesse? The Monument to the Last Biennale (2003) wurde realisiert kurz bevor Little Warsaw ausgewählt wurden, Ungarn bei der Biennale der Biennalen – der Biennale von Venedig – zu repräsentieren. Als weiteres Paradox wurde das Werk als eine öffentliche Skulptur unabhängig von der Biennale und gleichzeitig als der Beitrag der Künstler für die Biennale installiert. Die Skulptur besteht aus einem Sockel, der von einem Friedhofssteinmetz stammt, auf dem ein nicht vorhandener Globus von Ketten umgeben ist. Obwohl sie sich "Denkmal" nennt, ist die Arbeit nicht für einen bestimmten Ort bestimmt, sondern bezieht sich eher auf die Zeit. Interessanterweise ist der Zeitbezug zur "letzten Biennale" rein relativ und deutet auf eine konstante Verschiebung seiner Bedeutung. Dennoch, eine mögliche aufgestülpte Deutung des Werkes wäre die von einer Kunstwelt in Ketten. So haben Little Warsaw mit dem Denkmal für die letzte Biennale sich selbst eine Falle gestellt und ihre Skulptur in die endlose Kette von Bedeutungsträgern eingereiht. Little Warsaws bekanntestes Projekt ist der Body of Nefertiti (2003), das verschiedene interessante Aspekte aufwirft. Dazu gehört unter anderem, dass das Werk selbst nur für einige Stunden existierte, vor einer Handvoll Augenzeugen, die es als einzige wirklich erlebten. Gleichzeitig war das Werk im Jahr 2003 das Thema des Ungarischen Pavillons in Venedig. Ironischerweise konnten die Besucher der "Hauptveranstaltung" in Venedig nur sekundäre und partielle Repräsentationen des Werkes betrachten, in dem die berühmte antike Büste temporär mit einem zeitgenössischen, von den Künstlern modellierten Körper vereint wurde. Auf Little Warsaws Betreiben wurde die Nofretete-Büste von ihrem Sockel der westlichen Museologie, auf dem sie als ein Relikt stand, heruntergenommen, um sich mit dem vorgeschlagenen Körper zu vereinen – das dramatische Zusammentreffen fand einen Meter entfernt von dem sakralen Ort der Ausstellungsvitrine im Ägyptischen Museum in Berlin statt. Die vereinte Skulptur besänftigte zahlreiche Gegensätze der zwei Teile und kombinierte kraftvoll das Klassische und das Zeitgenössische, das Unbezahlbare und das Käufliche, das Bestimmte und das Ungewisse, das Sublime und das Gewöhnliche. Die Büste ist aus Marmor gehauen und der Körper aus Bronze gegossen, um keine stilistische Einheit vorzugaukeln. Stattdessen verlangt das Werk nach einer Antwort des Betrachters, der über die vielen von der Idee des Körpers der Nofretete aufgeworfenen Fragen nachsinnt. Die Situation erinnert an Jacques Derridas Bemerkung, nach der sich "sowohl der Betrachter als auch das Kunstwerk in einem Modus der Kontingenz befinden". Der Erfolg des Projektes Body of Nefertiti liegt in der Freilassung eines unter Siegel verschlossenen Kunstwerkes. Die etablierte und konventionelle Identität des Objektes wurde durcheinander gebracht, und die Büste wurde für neue zeitgenössische Deutungen befreit. Nofretete hat ihre eigene persönliche Geschichte zurückerobert und ist mit diesem unerwarteten Eintreffen eines neuen Ereignisses in ihrem Leben ihrem sakralen Schrein entflohen. Wichtig ist auch zu bedenken, dass Little Warsaws Aktion typischerweise nur eine zeitlich beschränkte Rekontextualisierung eines Kunstobjektes darstellt und keine permanenten Änderungen an dem physischen Objekt beinhaltet, wohl aber an ihrem Netzwerk von Spuren. Um sich noch einmal das Element des Entfernens zu verdeutlichen: Der Körper reiste von Budapest nach Berlin, und die Nofretete-Büste wurde von ihrem Sockel genommen, um mit dem Körper zusammenzutreffen. Der Körper wiederum reiste nach Venedig, wo er ausgestellt wurde, er schöpfte seine Bedeutung aber nur aus seinem Bezug zu dem abwesenden Kopf. Wie Derrida bemerkt: "Kein Element kann als ein Zeichen wirken ohne sich auf ein anderes Element zu beziehen, das selbst einfach nicht anwesend ist." In letzter Zeit interessieren sich Little Warsaw vor allem dafür, Denkmale zu retten, die im Laufe der Zeit unsichtbar geworden sind und ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben, indem sie sie in neue Kontexte stellen und sie mit neuen Bedeutungen versehen. Für Deserted Monument (2004) verpflanzten Little Warsaw eine überflüssig gewordene Gedenktafel aus Budapest in die Straßen von Den Haag und erforschten mit ihrer öffentlichen Skulptur Probleme der Unsichtbarkeit und der Nostalgie, die an vergessenen Denkmalen haften. Die Wahl des Objektes war von besonderer Bedeutung, da sich die Tafel in der Fassade eines Eckgebäudes verbarg und ein halbes Jahrhundert lang völlig unbemerkt geblieben war. Die Oberfläche war vollkommen unleserlich, und ihre ursprüngliche Bedeutung war infolge der ideologischen Veränderungen der 1940er Jahre ausgelöscht worden. Indem die Tafel aus ihrem architektonischen Rahmen herausgeschnitten wurde, entstand ein mit neuer Bedeutung ausgestatteter Raum. Durch die Tatsache seiner Abwesenheit wurde das Denkmal wieder sichtbar, und der entstandene Raum entwickelte sich zu einem Ort für Poster und spontane Aushänge. Obwohl das Relief der Gedenktafel "sorgfältig" zerstört worden war, waren die Konturen einer Oberfläche erhalten geblieben, und die Tafel war niemandem mehr persönlich gewidmet. Als die identifizierende Inschrift entfernt wurde, gingen die Verbindungen zu einem spezifischen historischen Ort verloren. Die Tafel war ihrer ideologischen Kraft beraubt worden und wurde vergessen. Little Warsaws Lesart nach wurde diese Tafel gewissermaßen "ein Denkmal für alle Denkmale". Es ist wichtig herauszustellen, dass das Entfernen der Tafel zeitlich begrenzt war und sie nicht endgültig zerstört wurde; es wurde auch nichts von ihr weggenommen oder ihr hinzugefügt. Die Aktion von Little Warsaw ist kein Teil der Geschichte von Gewalttätigkeiten gegen dieses spezielle Denkmal oder gegen Denkmale im allgemeinen, vielmehr lenkt sie die Aufmerksamkeit auf dieses Thema. Aus ihrem architektonischen Zusammenhang gerissen erscheint die Tafel wie ein Grabstein und lädt sich mit Konnotationen, wie dem Tod der Ideologie, dem Tod der Erinnerung, dem "Tod des Autors", auf. Von besonderer Relevanz ist hier das Konzept vom "Tod des Autors", da die Gedenktafel zusammen mit einer Holzbank installiert wurde, einer Arbeit des Künstlers Pavel Althamer. Dieses Kunstwerk beziehungsweise funktionale Objekt in Kombination mit der Tafel zog wiederum eine Fülle abhängiger Bedeutungen mit sich und verkomplizierte die Urheberschaft der Installation beziehungsweise der Gesamtsituation. The Deserted Monument bietet dem Betrachter, der sich darauf einlässt, eine breite Palette von Interpretationsschlüsseln durch die Vorstellung des Sichtbaren/Unsichtbaren, des Anwesenden/Abwesenden, des spezifischen/allgemeinen Ortes, des architektonischen Elements/unabhängigen Objekts, der Erinnerung/des Vergessens. Ein weiteres zeitlich begrenztes Entfernen fand als Teil des Projektes Monument contra Cathedral (2004) statt. Für eine Installation im Amsterdamer Stedelijk Museum lieh sich Little Warsaw eine Bronzestatue eines heldenhaften ungarischen Arbeiters von 1965, die sonst auf dem zentralen Platz der Stadt Hódmezövársárhely steht. Das Denkmal war auf seinem angestammten Platz praktisch unsichtbar und unbemerkt; die von der Existenz einer solchen öffentlichen Skulptur aufgeworfenen Fragen waren im öffentlichen und künstlerischen Diskurs lange ignoriert worden. Indem sie es zeitweise entfernten, schufen die Künstler einen Mangel und provozierten ein Verlangen nach dem fehlenden Objekt. Nicht zum ersten Mal wurden die Aktionen von Little Warsaw zum Thema einer Debatte in den Medien und in professionellen Kreisen, und das Ergebnis war eine Wiederbelebung der vergessenen Skulptur. An seinem neuen Ort im Stedelijk Museum stand die Skulptur einem völlig neuen Publikum zur Verfügung und wurde "doppelt sichtbar". Ursprünglich sollte, die Skulptur zusammen mit einem Modell der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, die als Symbol eines Verbrechens gegen die Kultur fungiert, ausgestellt werden. Die Kathedrale, eine der Juwelen der Moskauer religiösen Architektur des neunzehnten Jahrhunderts, wurde von Stalin zerstört, um für den Sowjetpalast Platz zu schaffen, der nie gebaut wurde; ihre Fundamente wurden später für ein Schwimmbad genutzt. In den 90er Jahren wurde die Kirche wieder aufgebaut, als ob nie etwas geschehen wäre – ein weiterer Gewaltakt gegen die Geschichte und ein Versuch, mit der kommunistischen Vergangenheit reinen Tisch zu machen. Diese Gegenüberstellung zunächst zusammenhangsloser Objekte hätte dem Werk neue Lesarten und Assoziationen erschlossen, darunter das Thema des Leugnens der Vergangenheit und der Gewalt gegen Denkmale. Die Streitigkeiten, die durch das Entfernen der Statue in Ungarn ausgelöst wurden, hätten dadurch zudem etwas entschärft werden können. András Galik and Balint Havas gehören zu den international wichtigsten zeitgenössischen Künstlern Ungarns, und das verdanken sie ihrer beharrlichen Erkundung der Spannungen, die in den Beziehungen zwischen Denkmalen und kollektiven Identitäten bestehen. Ihre Strategie, tatsächliche Denkmale wieder zu verwenden, indem sie in ihre öffentliche Rezeption eingreifen, ist ästhetisch effektvoll und regt zum Nachdenken an. Um noch einmal zu rekapitulieren, kehren wir nach Monument Contra Cathedral, Deserted Monument und Monument to the Last Biennale noch einmal zu Flag zurück: Für wen ist diese Flagge? Um was trauert sie? Warum ist sie so schwer?
01.03.2005
Empfohlene Artikel
|
Kommentar
Der Artikel ist bisher nicht kommentiert wordenNeuen Kommentar einfügen