Zeitschrift Umělec 2009/2 >> Modern Toss: schräge Töne auf der Nervensäge | Übersicht aller Ausgaben | ||||||||||||
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Modern Toss: schräge Töne auf der NervensägeZeitschrift Umělec 2009/201.02.2009 Ivan Mečl | interview | en cs de |
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Jon Link und Mick Bunnage sind verant-
wortlich für die Texte, Cartoons und Anima- tionen des ultra-stylischen und aberwitzigen Kult-Comics und der TV-Serie Modern Toss. Sie haben zwei Rose d’Or nominierte Serien ihrer eigenen Modern Toss Cartoon-Sketch-Show (6 x 24 minütige Episoden) geschrieben, entworfen und realisiert, die 2006 und 2008 vom britischen Sender Channel 4 gesendet wurden. Eine Mischung von ausgesprochen kratzbürstigen, animierten Charakteren und bizarr-surrealer Live-Action. Die zweite Staffel wurde im März 2009 in den USA auf IFC gezeigt. Basierend auf den Cartoons, die sie regelmäßig für The Guardian zeichneten, schrieben und entwarfen sie 2008 für E4 den hochgelobten 13-minütigen Animationskurzfilm "Work Experience", bei dem sie wiederum auch Regie führten. In Großbritannien und den USA sind bereits fünf Bücher mit ihren Cartoons bei Macmillan erschienen. Wie kommt Ihr bloß auf dieses ganze seltsame Zeug? Die beiden Fragen, die uns am häufigsten gestellt werden, sind: woher habt Ihr eure Ideen und wie kann man davon leben, linkische Cartoons von dementen Idioten, die sich gegenseitig beschimpfen, zu zeichnen? Wir haben auf keine dieser Fragen eine Antwort, aber es hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, im England dieser Tage zu leben. Mit dem Schreiben und Zeichnen von Cartoons haben wir angefangen, als wir uns Mitte der 90er beim Loaded Magazin trafen. Wir gehörten beide zum ursprünglichen Team dort. Loaded war sofort ein durchschlagender Erfolg und hat die Welt der Männermagazine in Großbritannien über Nacht verändert. Das war wie in einer Rockband: alle waren den ganzen Tag lang betrunken, aßen aus dem Müll und schliefen wie Hunde unter dem Schreibtisch. Eine der ersten Sachen, die wir dort gemacht haben, war ein Cartoon-Strip über einen psychotischen Cockney-Gauner im 60’s-Style, genannt Villain. Da gab’s keinen Joke und keinen Plot und das hat viele Leser verstört. Danach haben wir uns hingesetzt, die Sache nochmal überdacht und sind dann mit dem wesentlich populäreren „Office Pest“ 1 rausgekommen – ein Langzeit-Cartoon-Strip, der sich der experimentellen Gewalt am Arbeitsplatz widmet. Das war ein Volltreffer in die Zielgruppe, psychotische Teenager. Im Rückblick war das wohl der Punkt, wo die Idee für Modern Toss entstand. Und wie ging die Geschichte mit Modern Toss weiter? Der erste Modern Toss Comic kam 2004 raus. Unsere Hauptinspiration bestand darin, dass wir keine Lust mehr hatten, für andere Leute zu arbeiten. Viele unserer Sachen drehen sich immer noch darum, neue Wege zu finden, den Leuten zu sagen: Verpißt Euch! Das ist eine sehr gesunde englische Art. Unsere Charaktere basieren meistens auf Leuten, die wir in Einkaufszentren beobachten, wie sie da rumhängen und sich streiten oder einfach nur die Sachen anglotzen. Engländer neigen zu unter- drückten, leise siedenden Gemütern, die sich lange Zeit, Jahre sogar, aufstauen, um sich dann plötzlich, wie ein entstopfter Abfluß, in einem Schwall brutalster verbaler Gewalt zu entladen. Oft trifft es jemanden an der Bushaltestelle, der versehentlich vor deine Füße stolpert. Diesen Moment fangen wir mit dem Zeichenstift ein und konservieren ihn für immer. Das ist unser Broterwerb. Ihr habt einen ziemlich rohen Stil, manchmal mischt ihr noch Collagen mit hinein; es ist alles recht unausgeformt, wie bei einem Steinzeitmaler. Wegen unserer limitierten Zeichenkünste müssen all unsere Charaktere auf Leuten mit wirklich dünnen Armen und großen Köpfen basieren. All diese Figuren müssen wir selbst zeichnen, da wir die Einzigen sind, die wissen, wie sie ungefähr aussehen sollen. Die meisten können nur im Profil gezeichnet werden, daher benutzen wir einen ganz speziellen Zeichenstift. Einer unserer Charaktere, ein psychotischer Kritzelhaufen, genannt Alan, ist da besonders schwer, denn er muss sich überschlagen, um an einer Ecke abzubiegen. Darüber musst Du dir mit menschlichen Darstellern keine Sorgen machen. Er ist außerdem einer der wenigen im Sortiment, der zwei Augen hat. Wer ist Homeclubber? Homeclubber ist ein Typ, der in einem Zimmer sitzt, sich den Lauf der Welt im Internet ansieht und einem anderen Typen darüber Vorträge hält, den das alles überhaupt nicht interessiert. Wir kennen einige solcher Leute. Das läuft seit 5 Jahren in der Samstagsausgabe des Guardian, kein Ende in Sicht. Was hat Euch zu Mr. Tourette inspiriert? Frustration bei der Arbeit; anders als die meisten Leute besitzt Mr. Tourette eine kompromisslose Einstellung zu seiner Arbeit. Er schreckt nicht davor zurück, seinen Kunden zu raten, sich ins Knie zu ficken, falls ihnen was nicht gefällt. Mr. Tourette ist ein ziemlich mißverstandener französischer Schildermaler, dessen Ver- suche, Unternehmen ein neues Marken- design zu verleihen, häufig in Obszönität und peinlicher Beschämung für alle Be- teiligten enden. Bevor der erste Modern Toss Comic rauskam, haben wir 2003 einige Mr. Tourette Cartoons auf unsere Website gestellt und jeden Monat ein paar hinzugefügt – „Peter’s Bollocks“ war der erste. Wir haben den ersten Stapel Comics mit einem Einkaufswagen in Londons Institute of Contemporary Arts gekarrt und der Typ da im Shop hat die ganze Ladung gekauft. Er räumte all die subventionierten Kunstmagazine aus dem Weg und plazierte unseren Comic in die beste Auslage. Die waren schnell ausverkauft und wir legten eine zweite Ausgabe nach. Das lief noch besser. Im selben Jahr packte der Verlag Macmillan die Ausgaben 1 und 2 zusammen in ein Hardcover-Cartoon-Buch und das wurde dann ein Bestseller im Weihnachtsgeschäft. Seitdem haben wir drei weitere gemacht. Danach rief Banksy an und bat uns, einige Drucke für ihn zu entwerfen. Wir haben ihm eine ganze Palette an Jokes angeboten. Einer der beliebtesten stammte aus der Work-Edition; da ist ein Mann am Telefon und sagt: „ich kann heut‘ nicht rein kommen, also verpiß Dich“. Wie die meisten Sachen von uns, traf es irgendwo einen Nerv im Haiku-Stil. Darüber hinaus bat er Mr. Tourette ein Schild für die Fensterfront seines Ausstellungsraumes anzufertigen. Da gab es eine Schlange um den ganzen Block, nur um zu sehen, wie das Westminster Council, zwei Stunden nach der Eröffnung, die Worte „STINKING ART PISS“ wieder entfernte. Ihr habt mir über Probleme mit dem Vertrieb berichtet. Was war los? Lag es am Inhalt? Am Anfang war es schwer einen Vertrieb zu finden. In der Hauptsache, weil es anders aussieht als der Rest, und die Läden daher nicht wussten, wo sie es hinstellen sollen. Außerdem enthält es eine Menge saftiger Ausdrücke, was einige Läden und Vertriebe abgeschreckt hat. Jetzt haben wir jedoch keine Probleme mehr damit, da jeder Brite begonnen hat Vollzeit zu fluchen. Jeder liebt es, in jedem Alter vom Kind bis zum Rentner. Wir denken darüber nach, eine Braille-Version für die über 90-Jährigen rauszubringen.Alle fragen uns immer nach unserem Lieblingsschimpfwort, aber eigentlich haben wir keins. Wir mögen sie alle. Im Grunde stehen wir mehr auf die Kombination von Schimpfwörtern als auf den Einzelgebrauch. Ein Schimpfwort einem normalen Alltagsgegenstand hinzuzufügen, und dann noch ein Verb dranzuhängen bringt ganz überraschende Resultate, wie zum Beispiel Shouting Fuck Trumpet. Gar nicht schlecht. Damit kann man arbeiten. Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen? Seid Ihr glücklich damit? Ist das neu für Euch? Der erste TV-Auftrag kam ein bisschen überraschend. Ein Typ von Channel 4 (in Großbritannien) rief uns einfach an und meinte „Wollt Ihr eine TV-Version davon machen?“ und wir sagten „Geht klar“. Wir dachten immer schon, dass Modern Toss eine gute TV-Show abgeben würde, bloß, da all unsere Jokes nur 2 Sekunden dauern, konnten wir uns nicht ausmalen, eine ganze halbe Stunde zu füllen, ohne 3500 Jokes pro Sendung zu schreiben. Glücklicherweise zeigten uns ein paar Leute vom Fernsehen mit einigen Tricks aus dem Metier, wie ein Joke 15 Minuten hält. Das kam uns ganz gelegen. Wir haben außerdem bald fest-gestellt, dass wir selbst für unsere Grundlage der Animation ewig bräuchten, um sie fertig zu stellen. So kam uns der Gedanke: Warum bezahlen wir nicht ein paar „wirkliche Leute“ dafür, rumzualbern, während wir mit der Kamera draufhalten. Das ging viel einfacher und schneller. Dann mussten wir also Leute finden, die auch so aussahen, als kämen sie aus der Welt von Toss. Wir hatten großes Glück einen Haufen ausgemachter Vollidioten aufzutun, die fantastisch aussahen und sich nicht darum kümmerten, was wir von ihnen verlangten. „Lettuce Man“ war die Super Gra- nate. Er war der Star-Querulant in unserem Kundenservice-Sketch „My neighbour’s an Arsehole“. Er besitzt die natürliche Gabe, Dinge mit seinem Gesicht auszudrücken, ohne jemals einen einzigen Muskel zu bewegen. Das ist auch eine seiner grundlegenden Begabungen in unserem Buch. Experimentelle Comedy mit einem schmalen Budget ist immer riskant, aber nur eine einzige Sache lief so schief, dass wir sie nicht gebrauchen konnten: Wir verwendeten einmal einen ganzen Tag darauf, einen Mann zu filmen, der versucht, mit einer imaginären, animierten Zunge ein Auto zu reparieren. Er hieß Tongue Mechanic. So etwas hat eine Chance verdient, oder nicht? Wenn der „Swing News“ Musikclip irgendwelche Rückschlüsse zulässt, scheint Ihr talentierte Musiker zu sein. Ja, wir beide pfeifen hochqualifizierten Musikern ein paar Töne vor und die verwandeln es in klassische Musik oder Jazz, je nach unserer Stimmung. Ist Modern Toss ein Vollzeitjob oder nur ein Hobby? Wir beide machen Modern Toss in Vollzeit, und haben es so gemacht, seit wir das angefangen haben. Es ist kein Hobby, es ist eher eine Körperfunktion. Um uns am Laufen zu halten, machen wir regelmäßige Cartoons für britische Zeitungen und bringen jedes Jahr Bücher raus, die Compilationen aus den Comics sind. Unser typischer Tag läuft ungefähr so ab: Aufstehen. 38 Telefonanrufe machen, Biskuits essen, ein Bild von einem Delphin, der ein Pferd fickt zeichnen, eine Punchline drauflegen, Mittagessen, einen weiteren Telefonanruf machen, zum Zeitungshändler 'ne Zeitung holen gehen, ein Bild von einem alten Mann nehmen, einen Cartoonkopf draufsetzen... Wie seid Ihr auf die Idee für euer letztes Projekt „BUY MORE SHIT…“ gekommen? Ihr habt erzählt, es basiert auf einer Posterkampagne der sich im Kriegszustand befindenden Regierung, „KEEP CALM AND CARRY ON“, richtig? Ja, das stimmt. Es ist ein Sortiment von Plastik- tüten mit motivierenden Botschaften, die helfen sollen, die kränkelnde britische Wirtschaft anzuheizen. Das erste Design „BUY MORE SHIT OR WE’RE ALL FUCKED“ ist bereits eine britische Taschen-Sensation. Wir hauen sie zu einem Pfund raus, um zu zei-gen, dass wir mitanpacken und unser Quäntlein beitragen. Wir wollten eine thematische Edition zur Rezession machen und das ist unser Ansatz: „buy more shit or we’re all fucked“. Die Tüte war eigentlich eine Gratisgabe für die „Freunde von Modern Toss“ (Leute, die den Comic vorbestellen), aber das war so populär, dass wir angefangen haben, sie auf unserer Website zu verkaufen, eine für einen Pfund. Inzwischen gibt es auch eine Baumwollversion. Aber wir machen auch eine ganze Latte von Postkarten und Drucken, erhältlich über Banksys Druckgesellschaft Pictures On Walls. Schaut mal auf die Website. Die Work-Edition ist sehr beliebt bei Leuten, die einen Job haben oder bei denen, die sich nach den Zeiten sehnen, als sie noch einen hatten. 1 http://www.moderntoss.com/2008/11/office-pest-appeal_06.html
01.02.2009
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