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Vision einer tschechischen Kulturapokalypse in zwei Bildern
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 2
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Vision einer tschechischen Kulturapokalypse in zwei Bildern

Zeitschrift Umělec 2008/2

01.02.2008

Ivan Mečl | pessimismus.cz | en cs de es

Liebe Leser. Ich habe für Sie zwei neue literarische Werke ausgewählt, die vermeintliche Vorhersagen eines moralischen und künstlerischen Niedergangs der kleinen mitteleuropäischen postslawischen Region behandeln, die von Westen vom neokultischen Deutschland-Österreich und von Osten vom katholischen Slowakei-Polen eingeschlossen ist. Was sich auf den folgenden Seiten abspielt, lässt sich aber vielleicht in den Kulissen vieler ähnlich leidgeprüfter Gebiete inszenieren, welche nach einem völligen Identitätsverlust zur Nachahmung der Tänze ihrer mächtigen Nachbarn verurteilt sind, im vergeblichen Bemühen um einen eigenständigen Gestus. Dazu gehören zum Beispiel das versehentlich reich gewordene Slowenien, das zu Unrecht verarmte Moldawien und das schlicht unbegreifliche Belgien.
Über die kontinuierliche Geschichte Böhmens lernen nur seine Bewohner etwas. Für den Rest der Welt ist diese Kontinuität nicht nachweisbar. Existieren konnte das Land nur in den kurzen Zeitabschnitten des Niedergangs seiner Nachbarn mit langer Geschichte. Im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Jahrhundert wurden seine Elite und seine Intellektuellen ausgerottet oder rotteten sich gegenseitig aus. Später wurde von den Germanen die tschechische Sprache verboten und die Mehrheit des Schrifttums vernichtet. Die heutige Gestalt der Sprache ist linguistische Archäologie und ein Ausrauben des Wortschatzes der Brüder in einer erfolglosen panslawistischen Verschwörung der Völker. Das Ergebnis ist ein kompliziertes slawisches Esperanto, das die Tschechen beinahe zwanzig Jahre lang in der Schule lernen. Auch so bringen sie es nicht zustande, sich richtig auszudrücken, und kein Tscheche schreibt ohne Fehler. Weil viele Prinzipien und Grundsätze des Tschechischen sich nicht erklären lassen, können Ausländer diese Sprache nicht erlernen.
Tschechien ist um ein mehrfaches kleiner als England, Frankreich oder Deutschland, seine Geschichte ist um vieles kürzer, aber die Bücher der tschechischen Literaturgeschichte sind dennoch gleich umfangreich. Wir finden in ihnen folglich mehrheitlich Dummheiten und Überflüssiges, was ein urteilskräftiger Theoretiker aus Angst vor einer Blamage niemals in die Welt setzen dürfte. Die paar echten Genies gehen in so einer Flut leicht unter. Einige wichtige Persönlichkeiten werden in der tschechischen Kulturgeschichte nicht für wichtig erachtet. Die Bedeutung wird nämlich nach dem Volumen des publizierbaren Texts in tschechischer Sprache bemessen. Publizierbarkeit bedeutet in diesem Fall die Fähigkeit, tschechische Wörter irgendwie hintereinander in eine Reihe ohne nähere Zusammenhänge zu stellen.
Die zeitgenössischen Gebildeten wissen sehr wohl um diese Fehler, wollen aber den Zustand nicht korrigieren, aus Angst, man müsste dann die ganze Konstruktion des kulturellen Erbes demontieren. Die kühnsten Autoren versuchen zumindest mit Hilfe von Scherzen und Satiren auf die Tragikomik der Situation hinzuweisen.
Milan Kozelka, ein Schriftsteller, visueller und Aktions-künstler, sah das folgende Drama für seinen Erzählband Damals am Einmalzonas vor. Diese Erzählung wurde aber vom Verlag weggelassen, angeblich aus dem Grund, dass darin grossmehrheitlich reale Personen vorkommen, die sich über ihre Rollen folglich beschweren könnten. Momentan überarbeitet der Autor den Text für eine vorgesehene Aufführung als Theaterstück.




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