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Schlechte NachrichtenZeitschrift Umělec 2006/301.03.2006 Galerie Kronika | rezension | en cs de |
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Die Kuratorinnen Magdalena Ujma und Joanna Zielińska haben die Geschichte der Helena von Troja dort wiederaufgegriffen, wo sie sie verlassen hat. Diese Ausstellung ist sorgfältig auf Bytom zugeschnitten, eine Industriestadt im polnischen Oberschlesien, die umgeben ist von den steilen Abraumhalden stillgelegter Kohleminen. Sie versuchte eine sublime Nuance aufzudecken, die in zeitgenössischen Vorstellungen von Schönheit schlummert und in den Bildwelten der Nachrichtenmedien sichtbar ist. Bereits letztes Jahr hatten die beiden Kuratorinnen, die sich gemeinsam Exgirls nennen, polnische Künster in einer Ausstellung mit dem Titel Schönheit vorgestellt. Aus den Ergebnissen folgerten sie, dass “sich Schönheit oft in den Bildern tragischer Ereignisse oder Unglücke manifestiert”, und sie sammelten für Bad News andere ästhetische Ansätze, indem sie sich international auf die Suche nach den eher zerstörerischen Grenzgebieten der Schönheit machten.
In dieser neuen Ausstellung tritt die Substanz vor dem Medium in den Hintergrund; die Schönheit des Körpers, jetzt eine Kitsch-Ikone für Seifenwerbung, wurde der Ästhetik der Informationen über das Weltgeschehen geopfert, wie sie durch konventionelle Nachrichtenmedien transportiert werden. Die Schönheit explodierter Autos, das Fluchtversteck des irakischen Ex-Präsidenten, Bilder terroristischer Geiselnahmen und eigentümliche schwarze Zeichnungen über den Ölmarkt – sie alle werden ausgeglichen durch gewalttätige Abstraktionen, in denen jeder klare Verweis auf ein Ereignis verwischt wird. Die Ausstellung ist meisterhaft in die einzelnen Räume der Galerie Kronika in Bytom, einem deutschen Sandsteingebäude am zentralen Platz der Stadt, integriert, und Exgirls haben eine stimmige Darstellung vom Verfall der Schönheit geschaffen, indem sie Künstler, die in ähnlichen Stilen arbeiten, visuell miteinander konfrontiert haben. Verdächtiges Terrain Antoine Prums halbstündiges Video Mondo Veneziano. High Noon in the Sinking City (2005), installiert in einem ehemaligen Schlafzimmer im Obergeschoss, fungiert als formaler Schlüssel zur Ausstellung. Der Film stellt das Durcheinander der kuratorischen Kultur dar, wie sie zur Zeit in Europa kultiviert wird. In dem Video gestikulieren hölzerne Schauspieler in einer bewusst theatralischen Venedig-Kulisse ohne Touristen und geben hochtrabende Phrasen über die Rolle der Kunst von sich. Die Passagen stammen vornehmlich aus der von Christoph Tanner und Ute Tischler 2004 herausgegebenen witzigen und umfassenden “Bibel” für zeitgenössische Kunst-Kuratoren Men in Black. Handbuch der kuratorischen Praxis. Die drögen (wenn auch Sinn machenden) Dialoge im Film werden immer wieder durch hochgradig stilisierte und erfrischend brutale Morde im Film-Noir-Stil unterbrochen. Es liegt schon eine seltsame Ironie darin, diesen Film zu importieren, welcher zuerst als luxemburgischer Beitrag zur Biennale in Venedig, der Hauptstadt zeitgenössischer Kunst, zu sehen war, und ihn als Verankerung für eine Ausstellung in Bytom zu verwenden, eine der deprimierendsten Städte in Europa. Tatsächlich haben einige polnische Kulturkritiker diese Ausstellung “Mondo Bytomiano” genannt. Auf den ersten Blick ist alles, was Bytom mit Venedig gemeinsam hat, die Tatsache, dass es versinkt. Während Venedig langsam in den Sumpf einer nordadriatischen Bucht gleitet, sackt Bytom über einem über Jahrhunderte entstandenen Labyrinth von Bergwerksstollen zusammen. So gesehen ist die Stärke von Janek Simons Trick-Installation Lekkie trzęsienie ziemi (Ein kleines Erdbeben, 2004) ihre Anspielung auf gegenwärtige Befürchtungen, dass das Gebäude der Galerie Kronika, das gerade erst renoviert wurde, in eine Erdspalte fallen könnte, die sich durch die Bodenverwerfungen gebildet hat. Simons Installation besteht aus einem Glas Milch, das durch einen unsichtbaren Mechanismus immer wieder wie während eines Erdbebens wackelt. Findet man, dass solch instabile Strukturen ein seltsamer Ort für eine ehrgeizige internationale Ausstellung sind, dann muss man erst einmal den besonderen kulturellen Kontext Polens verstehen. Das Land hat knapp 40 Millionen Einwohner und ist in Wojedwodschaften gegliedert. Obwohl kaum vergleichbar mit dem antiken Griechenland oder dem Renaissance-Italien, sind die einzelnen Regionen weit genug voneinander entfernt, dass sich einzigartige kulturelle Milieus herausbilden können. So ist Bytom, als Satellitenstadt von Katowice, fruchtbares Land für jeden innerhalb des kulturellen Netzwerkes von Polen. Die Galerie Kronika wird, wie fast alle führenden Galerien Polens, von städtischer Seite unterstützt. Dieses Ideal wurde leider von der Lokalpolitik untergraben und ist durch das Wechselspiel entrüsteter Aktivisten-Künstler, Galeriebesitzer, Kuratoren und dogmatischer Regierungsbeamter von totaler Zerstörung bedroht. Obwohl Polens Regierungspolitik einen Umschwung in ein intolerantes Extrem erlebt hat, welches radikale oder persönliche künstlerische Visionen auszugrenzen versucht, gibt es immer noch kein bedeutsames alternatives oder privates Netzwerk von Galerien im Land, das solch einen reichen künstlerischen Diskurs fördern könnte. Abstraktionsstufen Im Raum neben Mondo Veneziano befindet sich die Installation Black September (2002) von Christoph Draeger, auf den Exgirls durch die Empfehlung der Prager Galerie Alberto di Stefano aufmerksam wurden. Ein Katastrophenszenario par excellence bietet sich in dem zum Hotelzimmer der Olympischen Spiele in München 1972 umgestalteten Kronika-Schlafzimmer: überall verspritztes Blut. Die am Boden verstreuten Schallplatten, Bettlaken, Bücher etc. sowie der laufende Fernseher, der deutliche Hinweise auf die Zeit gibt, sagen uns, dass es hier um die Geiselnahme des israelischen Olympia-Teams 1972 durch Palästinenser geht. Auf 70er-Jahre-Fernsehern wird ein Video gezeigt, das die Geiseln und ihre Geiselnehmer nicht nur durch ihre eigene missliche Lage gebannt zeigt, sondern auch durch die Live-Medienberichterstattung über die aktuellen Entwicklungen – ihre eigenen “schlechten Nachrichten”. Da drei Jahrzehnte nach dem Vorfall nur wenige Betrachter die Situation tatsächlich wiedererkennen, wird so die Ästhetik dieses Ereignisses enthüllt: So hat die Situation etwas Vertrautes, ist aber gleichzeitig abgekoppelt von lebendiger Erinnerung. Draegers Version der Geschichte über die Geiselnehmer und Geiseln ist genauso fiktiv wie die gezeigten Medienbilder; doch gerade auch von Bytom aus gesehen sind beide gleich sicher – sie sind weit weg und stellen keine Bedrohung für den polnischen Status Quo dar. John Mikel Eubas 5-Minuten-Video Gowar (2005) arbeitet mit noch weiter abstrahierten Bildwelten. Während Ujma und Zielińska die Arbeiten von Draeger und Prum in die bestehende Architektur der Galerie, die einst ein deutsches Stadthaus war, integriert haben, wurde für Gowar eine eigene Konstruktion gebaut. Um das kurze Video zu sehen, müssen die Zuschauer um die glatten Rigipswände herum durch einen engen Durchgang gehen, was das Gefühl der Isolation noch erhöht. Obwohl von einer Dramatik, die an Bertolucci denken lässt, fehlt den Szenen von Kidnappern und Gefangenen jeglicher Kontext. In radikaler Ästhetisierung wird die Tat bewusst unter Ausschluss jeglichen Kontextes dargestellt. Einfache Nachrichtenfotos von Saddam Husseins schäbigem Versteck sind das Thema von Sean Snyders The Site (2004-2005). Die aus den Nachrichten bekannten Bilder sprechen für sich, aber indem er die Fotos mit Reporterbeschreibungen aus erster Hand unterlegt, zeigt Snyder die Realität als kubistisches Mosaik, in dem “westliche” Konsumgegenstände wie ein Marsriegel tendenziell hervorgehoben werden. Die Zeitungsleser sind so nicht mehr Zeugen irgendeiner wahrheitsgemäßen Erzählung von “bad news”, sondern sie orientieren sich, wie bei den Beschreibungen von Schönheit, am Vertrauten. So wird in Snyders Präsentation die Wahrheit der Ästhetik untergeordnet. Lediglich zwei polnische Arbeiten verankern die Ausstellung lokal. Pozytywy (Positive, 2004), Zbignew Liberras bekannte Parodien berühmter Kriegsfotografien (darunter eine, die Che Guevara zeigt, wie er von der Bahre aufsteht, um sich von einem der bolivianischen Offiziere, dieihn gerade getötet haben, Feuer geben zu lassen), führt Snyders Infragestellung der Grenzen von Wahrheit und Repräsentation weiter, indem er die Bilder mit Humor ins Gegenteil verkehrt. Wilhelm Sasnals Film Samochody i ludzie (Autos und Menschen, 2001) ist ein einfaches Video, das zeigt, wie Spielzeugautos in die Luft gesprengt werden. Die ernsthafte Auseinandersetzung der portugiesischen Künstlerin Carla Cruz mit dem Weltölmarkt in hunderten von Tuschzeichnungen in Blood 4 Oil (2005) ist eine erfrischende künstlerische Alternative zum spielerischen polnischen Zynismus. Krieg in Bytom Bei allen gezeigten Kunstwerken gibt es einen deutlichen Abstand zwischen der Form, innerhalb derer Informationen vermittelt werden, und dem Inhalt, dem Informationsgehalt. Da die Arbeiten künstlich sind, bleibt der Betrachter in dieser Ausstellung der Realität der dokumentierten Ereignisse gegenüber distanziert. Man könnte behaupten, dass in diesem Kontext die Hauptinstallation der tschechischen Künstler Milan Mikuláštík, Dan Vlček und Richard Bakeš mit dem Titel Ihr seid alle schwul (2006) unpassend sei. Das meinte auch der Leiter der Galerie Kronika, Sebastian Cihocki, als die Künstler, die sich zusammen Guma Guar nennen, ihre Arbeit enthüllten. Sie zeigt Papst Benedikt XVI., der den abgetrennten Kopf von Elton John in der Hand hält, mit dem dazugekritzelten Kommentar “ihr seid alle schwul”. Sie hängten es im Treppenhaus an der Wand direkt vor dem Eingang zur Ausstellung auf. In einer Szene, die aus Plums Venedig-Film hätte stammen können, drohten die tschechischen Künstler damit, alle ihre Arbeiten zu entfernen und wieder mit nach Hause zu nehmen, sollte dieses Werk nicht gezeigt werden. Obwohl Ujma und Zielińska durch die kalkulierte Intervention von Guma Guar überrascht worden waren, akzeptierten sie die Arbeit. Ihre Sorge galt nicht so sehr dem Inhalt, sondern dem Verlust der tschechischen Künstler als Teilnehmer und damit auch einer großzügigen Förderung der Visegrad-Stiftung. Dennoch nahm Cihocki, der vielleicht Men in Black gelesen hat, aber offensichtlich einen Rechtsstreit befürchtete, auf den er nicht vorbereitet war, das Plakat ab und radierte den missliebigen Schriftzug aus, sobald die Eröffnungsveranstaltung zu Ende war. Guma Guar hatten die Installation aus dem benachbarten Tschechien mit einer nur vagen Vorstellung der gesetzlichen und politischen Situation mitgebracht. Für ihre Überraschungs-Installation hatten sie sich jedoch gut über Cihockis Galerie informiert und die kuratorischen Ziele von Exgirls gelesen. Laut Website der Kuratorinnen wurde Exgirls “zur intensiven Förderung geschlechts- und gesellschafts-engagierter Kunst” gegründet. Und die Pressemitteilung von Cihockis Galerie Kronika spricht von der Entwicklung von Projekten “die sich mit dem spezifischen Charakter sowie mit aktuellen gesellschaftlichen und kulturellen Fragen/Problemen der Region” beschäftigen. Künstlerisch gesehen ist die hochauflösende Computercollage mit roten Blutklecksen und seltsamen Proportionen sicherlich weit entfernt von Cranachs Judith und Holofernes. Konzeptionell dagegen passt sie ohne Zweifel zu den “Schlechten Nachrichten”. Tatsächlich waren Cihockis Befürchtungen wegen der Last-Minute-Installation angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklungen in Polen durchaus legitim. Denn tatsächlich wurde bei der Polizei von Bytom eine anonyme Anzeige gegen die Arbeit von Guma Guar erstattet, und es läuft eine Untersuchung, ob das Werk Polens vorherrschende Religion beleidigt. In Polen existiert immer noch unangefochten ein zweideutiges Gesetz gegen Verunglimpfungen dieser Art, und mehrere Ausstellungen mussten schon deswegen schließen. Eine Künstlerin, Dorota Nieznalska, steht seit Jahren vor Gericht. Die Thematisierung der Unterdrückung von Homosexuellen durch den Katholizismus ist der impulsive Versuch der jungen Guma Guar, mit den Bestimmungen zur Redefreiheit eines Nachbarlandes zu spielen. Die rechtliche Verantwortung haben sie allerdings direkt auf den Schultern der Galerie abgeladen, deren Vertreter sie kaum kannten. Außerhalb der exklusiven Kunstwelt von Künstlern, Kuratoren und Galeriebesitzern gibt es effektive Wege, sich für gesellschaftliche Fragen einzusetzen. Aktivistengruppen, die gesetzliche Strukturen verändern möchten, arbeiten eng mit Anwälten zusammen und gehen strategisch vorsichtig vor, wenn sie Aktionen bürgerlichen Ungehorsams planen. Guma Guar bezeichnen sich mal als Aktivisten, mal als Künstler. Sollte diese Aktion, die Kuratoren in letzter Minute mit einem politisch brisanten Kunstwerk zu überraschen – von Ujma als Verrat bezeichnet – tatsächlich ein Versuch gewesen sein, polnische Gesetze und die öffentliche Meinung zu verändern, so ist dieser wohl gescheitert. Als PR-Gag war der anhaltende Medienzirkus um Bad News für alle Beteiligten wunderbar. Cihocki hat sich inzwischen des Themas angenommen und seine eigene Ausstellung als Palimpsest über die Arbeit von Exgirls erstellt, mit dem Titel Kunst im Dienste der Linken. Sie wird in Warschau zu sehen sein. Im Gegensatz zur Ausstellung Bad News, bei der die Kuratorinnen Beiträge von weit her einholten, um das Thema zu illustrieren, hat Cihocki seine “schnelle Reaktionsausstellung” auf Künstler beschränkt, die er selbst kennt. Die bedachten Bemühungen von Ujma und Zielińska, einen internationalen Dialog mit ihrer eigenen vorherigen Ausstellung und mit der polnischen Öffentlichkeit fortzusetzen, wurden im folgenden von Cihockis Ausstellung in den Schatten gestellt, aber auch von den eigenen Versuchen der Kuratorinnen, die Reaktionen der Medien auf die Exgirls-Ausstellung zu manipulieren. Währenddessen halten sich Guma Guar für besonders tugendhaft und brüsten sich mit der tendenziösen Diskussion im Internet über die Frage, warum der Photoshop-generierte Kopf von Elton John – gewiss nicht Helenas “Gesicht, das tausend Schiffe in See stechen ließ” – eigentlich lächelt.
01.03.2006
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