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Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 2
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Keine Krieger ohne Freunde

Zeitschrift Umělec 2005/2

01.02.2005

Travis Jeppesen | kommentar | en cs de

Warum lesen wir Kunstmagazine? Entschuldigen Sie, aber diese Frage muss jetzt einmal gestellt werden. Und die Antwort scheint sich mit der Zeit entsprechend der eigenen Position, dem eigenen Status und der Beziehungen zum Rest der sogenannten Kunstwelt (falls solch eine Welt überhaupt existiert) zu verändern. Ist unser Lesen eine Suche nach einer Projektion unseres Selbst auf den Hochglanzseiten? Ein Versuch, mit den neuesten Trends in Kontakt zu bleiben, so dass wir uns nicht von ihnen abgehängt fühlen? Und wenn wir schließlich die hinteren Seiten erreichen, haben wir sie dann nur durchgeblättert oder tatsächlich gelesen? Interessiert es irgend jemanden, was der Rezensent zu sagen hat? Gibt es überhaupt noch so etwas wie einen unabhängigen Kritiker, der mit keiner Kunstinstitution verbandelt ist?

Das sind die Fragen, die ich mir unausweichlich stellen musste, nachdem ich kürzlich eine Ausgabe des be Magazin gelesen hatte. Ein dünnes Heft, das unter der Ägide des Berliner Künstlerhauses Bethanien veröffentlicht wird. Ausgabe Nummer elf ist dem Thema “Kritik” gewidmet und eröffnet mit Hanno Rauterbergs mitreißendem Essay über die gegenwärtige Krise der Kunstkritik.
Ausgehend von seiner provokanten These, dass sich nichts änderte, falls die Kunstkritik plötzlich vollends verstummen würde, führt Rauterberg weiter aus, dass die zentrale Aufgabe der Kritik, nämlich ein Urteil zu fällen, längst der Vergangenheit angehört. Die Verkündigung des „Todes der Kritik“ ist zwar nichts Neues, wie er zugibt; die Krise der Kritik hat jedoch zu ihrer Selbstabschaffung geführt – zugunsten des “falsch verstandenen Wunsches” nach Objektivität. Kritik als eine ernstzunehmende intellektuelle Disziplin kann es sich nicht leisten, nur objektiv zu sein, argumentiert Rauterberg, denn sobald sie das Ich aufgebe, ist sie keine Kritik mehr. Nach Leibniz ist alle Wahrnehmung durch die Perspektive des Wahrnehmenden bestimmt. Die Kunstkritik wird von einer neuen Art des Schreibens ersetzt, die kaum mehr ist als Propaganda für Ausstellungen und individuelle Karrieren.

Rauterbergs Essay weist auf mehrere wichtige Aspekte hin. Warum gibt es heutzutage so viele Künstler und so wenige Kritiker? Früher einmal konnte eine Rezension die Karriere eines Künstlers begründen oder beenden. Diese Zeiten sind vorbei. Kritiker haben diese Macht nicht mehr. Betrachtet man die Geschichte des 20. Jahrhunderts, taucht der Kritiker als ein Agent der Moderne auf. Man sollte sich daran erinnern, dass es ein Dichter und Künstler war – Charles Baudelaire – der die moderne Disziplin der Kunstkritik begründet hat. Baudelaire machte die Kritik selbst zur Kunst, indem er seine Grundsätze ständig hinterfragte und neu bewertete.
In Amerika gibt es als berühmte Vertreter der Kunstkritik beispielsweise Clement Greenberg - Star der abstrakten Expressionisten - sowie seine Nachfolger, oder den aus Australien stammenden Robert Hughes. Baudelaire, Greenberg, Hughes: Drei Aushängeschilder in der Geschichte der Kunstkritik. Gibt es irgendeine andere lebende Person, außer dem zähen alten Hughes, mit einer vergleichbaren Autorität?

Schuld sind an diesem Verlust nicht nur die konservative Haltung der Verlage, sondern auch die transdisziplinären Praktiken im Kunstsektor. Unter dem wohl illusorischen Deckmantel der Freiheit ist die Definition des „Kunstexperten“ völlig zerfasert und umfasst heute ein viel größeres Spektrum beruflicher Aktivitäten. Ein Kritiker ist heutzutage Kurator, Museumsdirektor, Herausgeber, vielleicht sogar bildender Künstler in einer Person. Wie soll ein solcher Kritiker eine schlechte Ausstellung in einer Galerie verreißen, solange er selber darauf hofft, in derselben Galerie eine Ausstellung zu kuratieren?

Was Rauterberg vorschlägt, ist die Wiedereinführung eines enger definierten professionellen Sektors, entsprechend dem Modell, das sich im Laufe der Moderne herausgebildet hat. Eine andere Möglichkeit aber wäre es, den “Tod der Kritik” schlichtweg zu leugnen und unseren Beitrag für die Weiterentwicklung einer “verlorenen” Disziplin mit einem Neuanfang zu leisten. Vielleicht beginnen wir damit, auch Stimmen außerhalb des offiziellen Diskurses der Fachwelt zuzulassen und sie in die Kunstsprache zu integrieren: Eine Sprache, die sich seit ihres Aufkommens in der Zeit des Konzeptualismus längst zu einer völlig verfälschten und spezialisierten Pseudosprache degeneriert hat, und die - dank ihrer wortreichen Hirnverbranntheiten - all jene, die vermessen genug wären, die etablierten hierarchischen Systeme der Kunstwelt herauszufordern, kategorisch auszuschließen vermag.

Anstatt uns auf abgenutzte Begriffskonstruktionen zu reduzieren, sollten wir neue Kunst-Sprachen entwickeln, die sich über tradierte Grenzen der Kunstkritik wie die didaktische Sprache hinwegsetzen. Sprache ist weder ein System von Zielen, noch Selbstzweck, sondern ein wildes Biest, das freigelassen werden will. Wir müssen es loslassen und ihm erlauben, ungehindert umherzustreifen und dabei einigen Schaden anzurichten. Möglicherweise verschlingt es dann unsere heiligsten Prinzipien bis zur Auslöschung der Sache, die wir ursprünglich kommunizieren wollten.
Die nächste Zukunft erfordert eine neue Kunstkritik, die es schafft, zu ihren poetischen Wurzeln zurückzukehren ohne dabei ihre Signifikanz zu verlieren. Vielleicht findet diese diese wilde und neue Paarung von roher Sprache und roher Philosophie jenseits des geschriebenen Wortes statt; vielleicht wird sie digital aktiviert, vielleicht einem wilden unleserlichen Graffito von Cy Twombly ähneln...

Das primäre Ziel sollte nicht sein, zu beurteilen oder zu fördern (wobei weder das eine noch das andere ausgeschlossen ist), sondern uns grundlegend zu irritieren und so eine aktivere Verbindung mit dem Kunstobjekt kraft dessen mysteriöser Antinatur anzufeuern und uns damit der Wahrheit, die immer synonym mit der Verwirrung ist, näher zu bringen.






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