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Punks not deadZeitschrift Umělec 2008/201.02.2008 Tony Ozuna | geschichte | en cs de es |
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Punk. No One is Innocent—Kunst—Stil—Revolte
Kunsthalle Wien 16. Mai—7. September 2008 In Osteuropa, vielmehr noch, in jedem nicht-englischsprachigen Land muss “Punks not Dead” von Punks mit Stolz ohne Apostroph nach dem “k” geschrieben werden, wie es sein sollte: ohne die grammatikalische Korrektur bekommt der Slogan auf ihren Lederjacken, T-Shirts und Graffiti an den Wänden eine dadaistische Anziehungskraft. Die Ausstellung Punk. No One is Innocent—Kunst—Stil—Revolte in der Kunsthalle Wien muss dies im Sinn gehabt haben, denn sie ist eine Hommage an den ursprünglichen Geist, die ursprünglichen Ideale des Punkrock. Kurator Thomas Mießgang zeigt in seiner Ausstellung die Kunst von Punkmusikern und anderen erfolgreichen Künstlern, von drei führenden Punkszenen hervorgebracht: London (Mitte der 70er Jahre), New York (Mitte bis Ende der 70er Jahre) und Berlin (Anfang bis Mitte der 80er Jahre). Dem Punk– in seiner reinsten Form – ging es um Schock und um Härte, aber mit einem besonderen Stil: aufgemotzt mit sexy Netzstrümpfen, Sicherheitsnadeln in die zerfetzte Kleidung (nicht in die Haut) gesteckt, das wasserstoffweiße Haar extravagant aufgetürmt, um es dann in einer ungestümen Aufruhr niederzumachen. Punk drehte sich auch um Unprofessionalität – selbstgemachte Künstler galoppieren auf der Bühne umher, verstimmt, aus dem Takt, zu schnell, völlig von Sinnen – dies galt auch für diejenigen, die im Publikum tanzten und grölten, sogar für die Teilzeitpunks, die (nur am Wochenende) gegen ihre Karriere oder gegen den Mangel an Karrierechancen rebellierten. Im Punk ging es zum größten Teil um Musik, doch die Ausstellung spielt dies zugunsten der Assoziation von Punk und Negation herunter – Punk als „Pforte der Wahrnehmung, durch die man ein Reich verschlüsselter Botschaften betritt: Signal zu Geräusch.“ Und so bleiben – die Musik lediglich im Hintergrund, im schlimmsten Fall durch Kopfhörer in unzumutbar niedriger Lautstärke wiedergegeben – nur die visuellen Darstellungen von Künstlern wie Vito Acconci, Martin Kippenberger, Robert Mapplethorpe, David Wojnarovicz und über 20 anderen sowie von Künstlergruppen und -Kollektiven als Konfrontation (oder auch nicht) für das Publikum. Doch am härtesten treffen den Betrachter in dieser Ausstellung die weniger bekannten Künstler, vor allem Frauen, denn sie kommen mit ihrer bildenden Kunst der Haltung, der Kraft und der Rage der Musik am nächsten. Lynda Benglis steht nackt da, trägt eine New Wave-Sonnenbrille und hält einen riesigen (erigierten) Dildo, der aus ihrer Vagina herausragt: dieses Bild benutzte sie 1974 als ganzseitige Werbeanzeige in Artforum und verursachte damit nicht nur ein Zerwürfnis um „Vulgarität“ in der Redaktion, sondern beleidigte auch die feministische Bewegung Amerikas – das alles mit einer provokativen Tat. Von Genesis P-Orridge sehen wir Tampax Romana (1976), eine kleine Nachbildung der Venus von Milo mit benutzten Tampons; Szenen seiner Auftritte mit Cosey Fanni Tutti sind sensationeller: sie als lebendes Nacktmodell neben der Projektion ihrer Photodokumentation tatsächlicher Arbeit für Pornozeitschriften. P-Orridge und Cosey Fanni Tutti, Mitbegründer der britischen Gruppe Throbbing Gristle, bildeten diese 1976 aus einem Auftritt für die Eröffnungsparty von Prostitution COUM Transmissions im ICA in London heraus; das Motto der Gruppe war „die Zukunft der Musik gehört Nicht-Musikern“ Ann Magnuson ist so eine New Yorker Nicht-Musikerin, eine Performancekünstlerin, die dieses Motto besonders tief beherzigte: ihr Made for TV-Video ist ein fünfzehnminütiger Anschlag auf das amerikanische Junk-TV der Ära, das Sekundenbruchteile aus einer Zaprunde durch die Glotze verwendet, aus einer Zeit, als das Kabelfernsehen noch in den Anfängen war. So bewirkt das Durcheinander von evangelikalen Aufrufen, Horror, Porno und Kriegsszenen, Nachrichtenübertragungen, Sitcoms und Serien, in das Bilder von Magnuson in diversen Perücken und Rollen eingestreut sind ein „In-den-Kopf-Schießen“ von Erinnerungen. Leider sind ihre späteren Gemeinschaftsproduktionen mit Kramer für die Gruppe Bongwater nicht miteinbezogen – jedoch verständlicherweise, da es sich bei dieser Musik um massiv-stählernen Rock handelt. Die New Yorker Punksängerin Lydia Lunch ist der Star des Films Fingered von Richard Kern, der in einem Projektionsraum in einer isolierten Ecke gezeigt wird – Eintritt nur für über 18-Jährige. Lunch spielt eine Punkrocker-Schlampe mit einem Macho-Hippie-Drecksack als Partner, mit dem sie durch die leeren Straßen und Hügel von Los Angeles fährt; sie verachtet ihn, aber er vögelt sie im Film oft und hart. Als sie beide versuchen, ein jüngeres Mädchen zu vergewaltigen, das sie beim Trampen aufgelesen haben, entwickelt sich eine Szene, die aufgrund ihrer rohen Darstellung sexualisierter Gewalt zu einem Meilenstein des Punk wurde. Die Einstürzenden Neubauten sind mit ihrem intensiven Lärm, der aus Schrottplatzmetall entsteht, das teutonische Kompliment an Throbbing Gristle; das Berlin Super 80-Kollektiv liefert die passend harte Multimedia-Kunst zur eher auf Techno-Punk ausgerichteten Szene Berlins. In diesem Milieu tritt endart als ein weiteres Multimediakollektiv auf, das zugibt, dass es in ihrer Arbeit weniger um die Schaffung einer neuen Kunst (neuer Bilder oder Ikonographien) als um die Schaffung einer neuen Haltung zur Kunst ging. In einer Sammlung von nostalgischen Essays über die Punkszene von Los Angeles und ihre Kunst in den frühen 80ern (die übrigens der Berliner Szene mit Bands wie Savage Republic, X, Black Flag and Fear und Künstlern wie Richard Pettibone vorausging) schreibt Kristine McKenna: “Es ist ein Trost, sich zu entsinnen, dass es irgendwo, zu irgendeinem gegebenen Zeitpunkt einen Haufen Menschen gibt, die in Richtung der Gesellschaft die Fäuste schütteln und ‚fuck you’ schreien. Daten, Orte und Schuldtragende mögen wechseln, doch das Gefühl brennt weiter, leuchtend und unveränderlich.“ Machen wir uns nichts vor. Punk in seiner ursprünglichen Form ist gestorben, da er ausverkauft wurde – in London, New York, Los Angeles, Berlin und darüber hinaus. Doch Punk. No One is Innocent—Kunst—Stil—Revolte beabsichtigt weder, ihn wiederzubeleben, noch ihm ein würdiges Begräbnis zukommen zu lassen; stattdessen will die Ausstellung das ursprüngliche white riot-Gefühl am Brennen erhalten, „leuchtend und unveränderlich“, in all seinem Lärm und all seinen glorreichen Aufführungen.
01.02.2008
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