Zeitschrift Umělec 2011/1 >> Tillman Kaiser: abstrakte popkultur Übersicht aller Ausgaben
Tillman Kaiser: abstrakte popkultur
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2011, 1
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Tillman Kaiser: abstrakte popkultur

Zeitschrift Umělec 2011/1

01.01.2011

Milena Dimitrova | geometrie | en cs de

Dass der Mensch in Kategorien denkt, ist altbekannt. Doch werden diese aufgebrochen, beginnt das Zweifelhafte und Uneindeutige, interessant für ihn zu werden. Er fängt an nachzudenken, schaut genauer hin, und während das Auge zu sortieren versucht, wertet er neu. Deshalb müssen Kategorien hin und wieder diesen Einschnitt erfahren.
Die Arbeiten des Künstlers Tillman Kaiser sind von einer gewissen Uneindeutigkeit, Unzuordenbarkeit zu einer klaren kunsthistorischen Kategorie oder Strömung. Lokalisiert wird seine Malerei meist irgendwo in der Tradition von Kubismus und Expressionismus, Surrealismus und Dada. Auch Verweise auf den Retro-Futurismus und Anleihen aus Science-Fiction sind in seinen Arbeiten erkennbar. Immer aber wird er mit der Moderne und modernen Utopien in Verbindung gebracht. In einem Artikel über seine Arbeit wird die weite Palette an Assoziationen, die er uns bietet, und die Unzuordenbarkeit seiner Arbeit als ein Angebot weg von dem rationalistischen Moderne-Bild interpretiert, auf das heute vorrangig zurückgegriffen wird, hin zu einem, das das Okkulte, Esoterische, Abgründige, das Unbewusste, Irrationale und Gespenstische als wichtigen Teil der Moderne in den Vordergrund stellt.
Kaiser selbst verortet sich in der Dependance des Surrealismus, eine Strömung, die schon an sich im Widerspruch zu jeglichem Rationalismus steht. Verweise auf den Surrealismus und das Unterbewusste sind etwa seine Insektenbilder, Fliegen oder Larven, die er als Siebdruck auf die Leinwand bannt. Darüber hinaus erkennt man in seinen Arbeiten das Interesse an modernistischen, gescheiterten Utopien und ihrer Aufarbeitung.
Diese zwei Komponenten, Surrealismus und moderne Utopien, treffen sich auch über die Architektur in Kaisers Bildern: Zum einen nennt er die Architektur jenes Element in seiner Kunst, über das er die Aufarbeitung von Persönlichem und Unterbewusstem filtert und objektiviert. Zum anderen ist es die Architektur, die bei ihm die Rolle des utopischen Indikators einnimmt, nicht etwa Technologie, was durchaus die alternative Möglichkeit wäre. Denkt man an die Indikatoren für utopische Modelle der Science-Fiction, wäre Kaiser der Soft-Science-Fiction zuzuordnen, die sich über neue Modelle für Architektur und Gesellschaft, neue Lebensmodelle definiert, in Absetzung zur Hard-Science-Fiction, die viel technologielastiger, rationaler ist.
Für die architektonischen Elemente in seinen Arbeiten greift er zielsicher auf dystopisch anmutende Beispiele zurück. Es sind Architekturen von irgendwo auf der Welt, die als Fragmente oder in neuer Kombination mitunter als Art Kriegsmaschinen in seinen Bildern wieder auftauchen können. So auch sein Paravent Dicke Luft von 2004, bei dem er die Abbildung eines modernistischen Gebäudes einer asiatischen Großstadt als Modell entnahm. Ort und Entstehungszeit des Gebäudes sind ihm dabei nicht wichtig, Kaiser möchte zu keiner Interpretation durch Kontextualisierung verleiten. Auch ist so die Assoziation, der Bezug zum Utopischen (bzw. Dystopischen), das kein realer Ort, sondern ein Nicht-Ort ist, stärker.
Wenn menschliche Figuren in seinen Bildern auftauchen, dann nur als Embleme mit einer Funktion oder Position, als Soldaten, Polizisten, in einer Gruppe, die er Dienerschaft nennt, oder als Menschenmasse bei einem politischen Ereignis. Also meist als zu einem utopischen Lebensmodell im Gegensatz stehende Beispiele.
In seinen Ausstellungen installiert Kaiser die Malereien häufig kombiniert mit Tapeten, die wiederum Muster oder Szenarien aus gefundenen Büchern abbilden oder Postkarten entnommen sind. Sie scheinen Kulisse oder Bühnenbild zu sein. Das Design der 70er Jahre spielt eine Rolle – Kaisers Skulpturen lassen an futuristische Möbelstücke denken. Für seine Kataloge entlehnt er das Umschlagdesign eines Katalogs für Werkzeuge oder Lehrmaterialien aus den 50ern und 60ern – weitere Objekte, die er gefunden hat. Die ineinander geschichtete, ausstrahlende, metallene, immer wieder in den Bildern auftauchende Viereckform lässt massenproduziertes Geschirr aus den 50ern erahnen.
Die Gegenstände in den Bildern sind nicht das, was sie vorgeben zu sein. Fragmentiert und neu zusammengesetzt, bekommen sie eine neue inhaltliche Aufladung. So auch die Aufschrift „turtox“ auf einem waschmittelboxartigen Gebilde in der Arbeit Das Psycholyselabor von 2005. Gibt man bei Google „turtox“ ein, bekommt man den Eindruck, dass dies einmal ein Verlag für Materialien zur Biologie war, wahrscheinlich Kaisers Quelle für seine Insektenbilder und Mikroskopaufnahmen, die sich immer wiederkehrend als Bausteine durch sein gesamtes Werk ziehen. Aber eigentlich weiß niemand mehr, was dieses „turtox“ war und wann es existiert hat, wenn es existiert hat. Ist das die dunkle Seite der Popart – sich die Konsumkultur als archäologisches Fundstück vorzustellen? So wie die Waschmaschine, Titel einer seiner Skulpturen, die bekanntlich als eine Errungenschaft der Nachkriegszeit gilt und Symbol für Fortschritt und Prosperität war.
Dies alles scheint eine kommentarlose Bestandsaufnahme von Formen zu sein, die ihre Bedeutung, ihr Ausmaß der Bedeutung, ihre Gültigkeit oder Funktion bereits verloren haben und sich als Siebdruck auf Papier oder Leinwand mit Eitempera-Malerei zu dekorativen, ästhetisch ansprechenden Formen vereinen. Das formale Spiel, die Präzision in Farb- und Formkomposition, das ästhetische Ergebnis ist am Ende das, was greifbar bleibt.
Auf der Rückseite seines Katalogs von 2005 ist aber doch eine Art Statement zu finden, wenn dort „March down Babylon“ in Spiegelschrift zu lesen ist. Eine Botschaft Kaisers (der Jazz aus den 60ern hört) an all jene, die nicht bereit sind, Utopien als gescheitert zu akzeptieren? Eine Botschaft auch an all jene, die den in der afroamerikanischen Musik verankerten Begriff „Babylon-System“ nicht erkennen, die unaufdringliche Aufforderung, etwa Dub oder Reggae zu hören, der politischen Alternativ-Bildung wegen? Jedenfalls ein weiteres Versatzstück, eine weitere intertextuelle Bezugnahme auf die Popkultur.
Die neueren Arbeiten ab 2006 schlagen eine dekorativere Linie ein, aus der fast alles Gegenständliche verbannt ist, bis auf die mikroskopischen Bilder, Insekten und einige andere der gefundenen Muster. Neben neuen entdeckt man bereits bekannte, wie das rechteckige Metallgeschirr. Nun ist die Dreiecksform ein Ausgangspunkt seiner Bilder. Sie ist das Element, das modulartig den Aufbau des Bildes bestimmt. Das Dreieck ist jenes kleinste Element, aus dem sich der Bildaufbau entwickelt, aus dem heraus er organisch wächst. Vor allem auch in den Skulpturen kommt dieses System zum Tragen. Es lenkt sich der Raum heißt eine Arbeit von 2006.
Ein weiteres häufiges Merkmal ist die Teilung in der Mittel- und Querachse, die Vier- oder Zweiteilung des Bildes durch Ansetzen des Dreieckmusters an diesen Achsen etwa. Der Eindruck von Symmetrie ist meist irreführend, in kleinen Brüchen weichen die zwei respektive vier Teile der Bilder voneinander ab. Auch wenn sie abstrakt und dekorativ sind, haben sie eine Hänge- und Leserichtung. Stilisierte Gesichter oder Figuren lassen sich herauslesen. So wird der Bezug zu Anthropomorphem, Kreatürlichem hergestellt. Kaisers Universum scheint anthropozentrisch zu sein, auch wenn hier keine Menschen oder Architektur mehr zu sehen sind. Doch trotz der sanften, hellen Farbpalette bleibt der Eindruck erhalten, dass es um die irrationalen und verborgenen Kräfte geht. Jene Kräfte des Surrealismus und der dunklen Seite der Moderne. Dieses Gefühl vermitteln seine neuen Bilder viel subtiler als die dystopisch anmutenden älteren Werke.
Als Leser von H.C. Lovecraft, der Science-Fiction, Horror und soziale Utopie mischte (also Genregrenzen dehnte und, von Poe und Albträumen inspiriert, in die unheimliche und irrationale Sparte der Moderne passt), scheint Kaiser Themen und Ängste widerzuspiegeln, die den Schriftsteller tief bewegten: die moderne Weltsicht, die den Menschen aus dem Zentrum der Schöpfung reißt und zu einem Staubkorn im All reduziert.






Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

Magda Tóthová Magda Tóthová
Mit Anleihen aus Märchen, Fabeln und Science-Fiction drehen sich die Arbeiten von Magda Tóthová um moderne Utopien, Gesellschaftsentwürfe und deren Scheitern. Persönliche und gesellschaftliche Fragen, Privates und Politisches werden behandelt. Die Personifizierung ist das zentrale Stilmittel für die in den Arbeiten stets mitschwingende Gesellschaftskritik und das Verhandeln von Begriffen, auf…
Ein Interview mit Mike Hollands Ein Interview mit Mike Hollands
„Man muss die Hand von jemandem dreimal schütteln und der Person dabei fest in die Augen sehen. So schafft man es, sich den Namen von jemandem mit Sicherheit zu merken. Ich hab’ mir auf diese Art die Namen von 5.000 Leuten im Horse Hospital gemerkt”, erzählte mir Jim Hollands. Hollands ist ein experimenteller Filmemacher, Musiker und Kurator. In seiner Kindheit litt er unter harten sozialen…
Meine Karriere in der Poesie oder:  Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen  zu machen und die Institution zu lieben Meine Karriere in der Poesie oder: Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen zu machen und die Institution zu lieben
Der Amerikanische Dichter wurde ins Weiße Haus eingeladet, um seine kontroverse, ausstehlerische Poesie vorzulesen. Geschniegelt und bereit, für sich selber zu handeln, gelangt er zu einer skandalösen Feststellung: dass sich keiner mehr wegen Poesie aufregt, und dass es viel besser ist, eigene Wände oder wenigstens kleinere Mauern zu bauen, statt gegen allgemeine Wänden zu stoßen.
Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus
Warum beugt ihr, die politischen Intellektuellen, euch zum Proletariat herab? Aus Mitleid womit? Ich verstehe, dass man euch hasst, wenn man Proletarier ist. Es gibt keinen Grund, euch zu hassen, weil ihr Bürger, Privilegierte mit zarten Händen seid, sondern weil ihr das einzig Wichtige nicht zu sagen wagt: Man kann auch Lust empfinden, wenn man die Ausdünstungen des Kapitals, die Urstoffe des…
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
2006, 34 x 35.5cm, Pen & Ink Drawing
Mehr Informationen ...
446,40 EUR
460 USD
Pavlán first attracted attention to his work at the First Comics Festival in Jelení (GRRR!!!...ŽBUCH!) where he presented his...
Mehr Informationen ...
4,02 EUR
4 USD
From series of rare photographs never released before year 2012. Signed and numbered Edition. Photography on 1cm high white...
Mehr Informationen ...
220 EUR
227 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS BERLIN
in ZWITSCHERMASCHINE
Potsdamer Str. 161
10783 Berlin, Germany
berlin@divus.cz

 

Geöffnet Mittwoch - Samstag, 14:00 - 20:00

 

Ivan Mečl
ivan@divus.cz, +49 (0) 1512 9088 150

DIVUS LONDON
Enclave 5, 50 Resolution Way
London SE8 4AL, United Kingdom
news@divus.org.uk, +44 (0)7583 392144
Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS PRAHA
Bubenská 1, 170 00 Praha 7, Czech Republic
divus@divus.cz, +420 245 006 420

Open daily except Sundays from 11am to 10pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus Potsdamer Str. 161 | Neu Divus in Zwitschermaschine, galerie und buchhandlug in Berlin! | Mit U2 nach Bülowstraße