Zeitschrift Umělec 2008/2 >> Q: gegenrichtung Übersicht aller Ausgaben
Q: gegenrichtung
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 2
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Q: gegenrichtung

Zeitschrift Umělec 2008/2

01.02.2008

Lenka Vítková | profil | en cs de es

Bei einem Kunstwerk zum Nullpunkt zu gelangen, danach strebe ich immerzu.
Weder plus noch minus. Weder zuviel noch zuwenig.

IKW



Dieser Text gab mir zu beißen, und Igor Korpaczewski lag unterdessen nicht auf der faulen Haut. Als ich Igor zum ersten Mal wegen der Reproduktionen traf, stellte KW gerade in Petr Vaňous› Ausstellung Resetting in der Prager Stadtbibliothek aus. Als der Text eigentlich hätte erscheinen sollen, war er gerade in der Galerie Meetfactory, wo Q: das monumentale Environment Wake-up! schuf. Während ich das hier zu Ende schreibe, bereitet Q an der «Benzinka»-Tankstelle bei Slaný die Installation Starstop vor. Bei alledem wird Korpaczewski noch immer als Künstler wahrgenommen, der sich relativ im Abseits hält und öffentliche Präsentationen mit der Sparsamkeit eines introvertierten Perfektionisten dosiert.
Die Idee, Korpaczewskis Installationen in einem Artikel zusammenzufassen, kam mir, als ich mit Igor die Ausstellung von Q: im Prostor 36 in Olomouc besprach, dessen Kuratorin ich bin. Bei langen Telefongesprächen vor der Ausstellung Sen Insomnie wurden mir förmlich alle früheren Installationen Igors wieder gewärtig. Als ob eine gründliche Inventur des zuvor Geschaffenen und gleichzeitig auch das ebenso gründliche Einfrieren aller nicht verwirklichten Projekte die Voraussetzung für die Entstehung der Ausstellung gewesen wären.

Sprache und schweigende Maschinen
Igor Korpaczewski ist KW und Q: und auch IKW, je nachdem. «Ich hatte schon bei der Ausstellung Konfrontationen oder etwa 1990 das Gefühl, dass ich am liebsten nur eine Zahl oder irgendein Zeichen hätte.» Er wählte KW, das Kürzel seiner Mutter für Korrekturen oder Übersetzungen. «Zu Beginn des Jahrtausends sagte ich mir, dass ich KW langsam abstreifen könnte, aber das Q (tschechisch «kve» gesprochen) wollte ich behalten.» Seit 2001 verwendet er Q: für Arbeiten im dreidimensionalen Raum, aus einem Bedürfnis heraus, sie von den Werken abzugrenzen, hauptsächlich von Gemälden, die er mit KW signiert hat.
Die Ausstellung Resetting, die Petr Vaňous zum Jahreswechsel zusammen mit dem Künstler Petr Malina in der Prager Stadtbibliothek ausrichtete, stellte verschiedene Positionen der Malerei nebeneinander und ließ so vor allem anklingen, wie das alles gemacht ist. Die Arbeiten, die unter dem Label KW oder Q: liefen, gingen durch die ganze Ausstellung und überstanden den genannten Kontext unberührt. Auf einigen Bildern ersetzten Autos die menschliche Gestalt. Autos leisten den Ansprüchen genüge, die der Maler an die Abbildung von Wesen stellt: Es besitzt Ausdruck, es schweigt, stellt eine Existenz am Rande des Lebendigen und Nichtlebendigen dar, hinter den dunklen undurchsichtigen Scheiben glimmt ein Innenleben. Ein Auto ohne Lenkrad ist eindeutig eine Metapher. Korpaczewskis Bilder schufen nicht zuletzt aufgrund der Spannung zwischen Werk und Titel einen eigenen Raum (KW A Spell of a Drug, 2007; KW: Enjoy your life experience, 2007, KW: I say: Danger!, 2006), die zu einer fast schon romanhaften Schwere des Themas beitrugen.
Mir scheint, dass Korpaczewski ein scharfsinniges System zur Sortierung von Eindrücken hat, mit dessen Hilfe er ein Motiv-Inventar erweitert, zu dessen Organisation er dann das poetische Prinzip einsetzt. Damit will ich nicht sagen, dass es in Worten ausgedrückt wird. Ich meine damit die Art, mit der er Objekte und Bilder in eine Installation setzt und so zwischen ihnen Bedeutungen entstehen lässt. In einer Romankomposition ist das die psychologische Zeichnung einer Figur, ein kompakt gebauter Charakter, dessen Konfrontation mit weiteren Charakteren oder Umständen die Handlung anstößt.
Wenn er selbst von seinen Bildern erzählt, spricht er von Sprache, Roman, Lyrik, von Einsen und Nullen, aus denen er die Botschaft kodiert. Die Gemälde bestehen aus Farbflecken, er ist viel eher Konstrukteur als Kolorist. Wenn er über Malerei auf diese Art nachdenkt, dann ist der Übergang ins Dreidimensionale logisch. Bilder und Objekte und Texte verbinden sich in Bildinstallationen. Q: überwindet damit das Verständnis vom «Bild als qualitatives Ding, dessen Essenz darin besteht, dass alles sich in ihm abspielt und dass rundherum nichts weiteres passieren darf…» In Bildinstallationen sind diese Verbindungen nicht deskriptiv, sondern bilden eine komplexe Struktur – und zerfallen gleichzeitig ununterbrochen.
Das Ausgangsmaterial oder die Quelle wird vom Inhalt verschluckt oder überschrieben. Bei den Arbeiten Korpaczewskis bleibt für mich immer die Grenze der Lesbarkeit sichtbar, das Moment, wenn nach unterschiedlich langem Zögern die Pinselstriche oder die Elemente einer Installation ein Bild oder eine Bedeutung komponieren. Die Art der Ausführung oder des Zusammenstellens bei Malerei oder Installationen ist für den Inhalt wichtig. Dank ihr wird uns ständig bewusst, woraus das, was wir vor Augen haben, gemacht ist. Diese unablässige Verwandlung von Material in ein Bild und des Bildes in Material verleiht Korpaczewskis Bildern eine Dynamik, die ihren Sinngehalt paradoxerweise wie im Erstarren verstärkt. Der Roman geht nicht weiter, und alle Möglichkeiten des Sujets bleiben so erhalten, sie werden weder durch Auswahl ausgeschieden, noch durch Erzählung konsumiert.
Über das Bild Disappearing: «Ich hatte ein psychophysisches Gefühl, als ob Atome auseinanderträten, das war hier an dieser Stelle, ich machte Trommeln, dann knallte ich ein Porträt drauf. Dann machte ich die Variation, dass ich einen Spiegel hatte und mich selbst mit Trommeln im Hintergrund machte – aber das war so wenig fest, ich wollte es materieller, ausgeprägter haben… Diese letzte Version ist à la Cézanne… statt Lasur habe ich die Trommeln mit Schichten übermalt, ich wollte damit ausprobieren, was die Farbe verlangt…
Ich weiß, was ich will, und ich will nicht wissen, wie man das macht. Ich muss es in 2D laden, damit ich es in 3D laden kann. Etwas, was mit dem realen Raum nichts gemeinsam hat. Als ob ich die Nullen und Einsen so lange mischte, bis daraus etwas entsteht.»
Ich habe mich dafür entschieden, im Text aus einem Gespräch zu zitieren, bei dem mir Igor seine Motive und Absichten erklärte, die den Inhalt einzelner Arbeiten betrifft, ebenso adäquat scheint mir aber, mich nur mit dem zu beschäftigen, was sichtbar ist, oder – für mich – sichtbar werden kann.

Stella Maris
Das Projekt Stella Maris (1998) wurde 1999 in der Galerie JNJ in Prag ausgestellt, in der Galerie U černého pavouka in Ostrava und in der Galerie Titanic im Olomoucer Musiktheater. Die Bilder auf Leinwand und auf Plastikboxen sowie kleine Objekte aus Polystyrol wurden von kleinen Texten begleitet (hier im Heft). Die Dinge waren auf einer Reihe und funktionierten wie beim Lesen von rechts nach links. Korpaczewski ging es um eine Geschichte, die «sich in Gegenständen materialisiert, umgewandelte Fotos aus Filmen, movie stills». «Zu Beginn war das Foto eines schwarzen Schiffs, um das herum kleine Dampfer sind, die alle wegfahren.» Bilder zeigen den Kapitän, seine Frau, unter Verwendung von Folie und Polystyrol entstandene Objekte, Durchsichten auf die Organismen der Maschine, ins U-Boot. «Das Schiff symbolisiert das Leben. Je mehr es sich anschließen wollte, desto einsamer war es.» Die Geschichte des Schiffkapitäns, der vor der Rettung ans andere Ende des Meeresgrunds floh, ist auf ein paar Fragmente, Bilder, Objekte aufgespannt – Medizinbälle aus der Remise von Martin Horák, Handschuhe aus einem Theaterstück, Gegenstände aus der Kindheit. Das Messer, dass auf rotem Stoff unter eine blaue Folie genäht ist, verweist auf die psychologische Spannung in Andrzej Wajdas Film Das Messer im Wasser.
Korpaczewski sagt, dass für ihn wichtig war, dass er einige Objekte nicht schuf, sondern vorfand. Als eine Art Prolog zu Stella Maris kann man Frutti di Mare auffassen, Kunststoffstücke (der Boden eines Eimers o.ä.), die vom Meer in Italien abgeschliffen wurden, und aus denen Gesichter auftauchen, mit Marker gezeichnet oder mit farbgefüllten Spritzen injiziert. In der Galerie JNJ hingen sie mit Draht eingefasst wie Edelsteinstücke in eine Kette. «Das ist etwas, was irgendwo in der Tiefe war, dann taucht es auf und hat in sich noch so eine Oberfläche.» Auf ähnliche Weise kommen auch Themen in Korpaczewskis Schaffen. «Wenn ich erkläre, wie ich das mache, sage ich, wo es seinen Ursprung hat, wohin mich die Umstände geführt haben. So haben mich zum Beispiel die Frage einer Kollegin, wozu Gott sei, wenn er Auschwitz zulassen konnte, zu Young Gods (Gemäldezyklus, 1996) geführt – zur diskret humorvollen Vorstellung, Gott könnte ein Actionheld sein. Young Gods kommen aus der entgegengesetzten Seite, nicht vom Himmel, heute können sie aus dem Abfluss steigen. Oder ein empathischer Gott-Superheld, der zwar eine Träne kullern lässt, aber handelt.»
Stella Maris war das erste Projekt, bei dem Korpaczewski den Galerieraum zur Präsentation einer Geschichte benützte, wobei er von einer ganzen Reihe von Techniken profitierte, die er schon zuvor angewandt hatte – z.B. Materialkontraste: «Plastic meets classics» hieß 1995 KW´s Ausstellung im Radost FX, an der in Haushaltsfolie verpackte und in Polystyrol-Presslinge gerahmte Bilder gezeigt wurden. Der Titel bezieht sich auf ein Prinzip, das durchgängig in KW›s Schaffen zu finden ist, das Vermischen von Hohem und Niedrigen nicht deshalb, weil es irgendwie pikant wäre, sondern weil es eine Notwendigkeit ist. Es ist eine Bewegung der Grenze entlang, auf der existentielle Bedeutungen in der Postpostmoderne sich umdrehen und verloren gehen, eien Bewegung entlang einer Grenze, die für den Autoren aber den einzig legitimen Weg darstellt.
Korpaczewski setzt klassische Vorgehensweisen und große Themen so ein, als ob er ihrer Entwertung mit einer präventiven «Vorentwertung» vorbeugen wollte, die auch aufmerksam machen auf die Gefahr ihres Missbrauchs, ihre Relativität, den Verlust ihrer Unschuld bei ihrer Verwendung. «Ich habe ein Vampirmädchen gemacht, die hier Blut hat, und es ist nicht klar, ob das Blut nach innen oder rausfließt, ob sie blutet oder jemandes Blut saugt, das hieß Rein oder raus.» Eine Bilder- und Zeichnungsserie zum Thema Levitation an einer Ausstellung in der Galerie des Cafés Velryba hieß Extase oder Trick (Über Kunst) – «da ging es um Kunst, darum, dass jemand dramatische Dinge haben und sich dabei eigentlich alles ausdenken kann, und man das nicht so leicht erkennen kann.»
Um eine Abbildung als Medium für seine Mitteilungen benützen zu können, muss er sie mit Gegensätzen anfüllen. Er schwimmt gegen den Strom. Auf dem letzten Bild von Stella Maris, Perla, taucht der Kapitän auf der anderen Seite mit einer Perle im Mund auf. Worte braucht es da nicht mehr.

Transparent
In der Installation Stella Maris im Olomoucer Musiktheater war auf der Rückseite verglaster Vitrinen im Foyer ein Leuchtbogen gespannt, aus mit schwarzer Folie überzogener Schlangehhaut. Adams Rache. Eine Silhouette in einer geschlossenen Figur aus den 30er Jahren war durch eine blaue, halbtransparente Folie zu sehen, die mit einem schwarzen Passepartout zu einem Achteck gerahmt wurde, das leicht an einen Sarg erinnerte, und ließ eine dunkle Gestalt erahnen.
Ein Frauenporträt auf einem durchsichtigen Plastikdeckel, das teilweise mit Spray von unten und teilweise mit Akryl von oben geschaffen war, fotografierte Robert Portel in Rollen von Textilien und Kunststoffgeweben in einer größeren Plastikkiste, damit der «Effekt einer Bomboniere» ensteht.
Wieso sind transparente oder halbtransparente Stoffe für Korpaczewski so wichtig? Sie ermöglichen es ihm, den Blick zu stoppen, zu verlangsamen, sie konstruieren Distanz. Statt Glas verdecken PP-Stegplatten ein Gemälde und schützen es so, sie entfernen es von einer Aufzeichnung der Realität und nähern es dem Charakter der Abbildung an, für die man die Techniken der Glas- oder Hinterglasmalerei benützte.
Polystyrolrahmen, Schutzfolie, Glas, Passepartouts, Deckel von Plastikboxen schaffen aus einem Bild einen Schatz, der eine besondere Pflege verlangt, gleichzeitig verleihen die verwendeten Materialien dem traditionelle Bild einen zeitgenössischen Rahmen. Die einzelnen Farbflecke des Gemalten sind in den Schatz eingelegte Edelsteine, ganz so wie Augen, diese wertvollen Lebenszeichen, in das Massiv eines Gesichts gesetzt werden. Glänzende, transparente oder sonstwie optisch effektvolle Materialien geben den steckengebliebenen Pinselstrichen ihre Bewegung zurück.
Dunkelheit oder eher Halbdunkel spielt eine ähnliche Rolle wie die halbtransparenten Materiale. Sie verlangsamt die Wahrnehmung der Installation und stellt paradoxerweise die Bedeutung des Raums in den Vordergrund, wie etwa die Tiefe, die Ausdehnung. Ausgesuchte Beleuchtung einiger Teile der Installation ermöglicht Korpaczewski dann die Organisation der Wahrnehmungszeit der Installation. Eine optische Blende, aus nicht ganz transparentem Material oder aus Dunkelheit gebildet, verhindert, dass (zu) vieles ausgesprochen wird.

Peace on Earth
Die Installation Peace on Earth entstand 2002 für die At Home Gallery in Šamorín, die im Raum einer ehemaligen Synagoge stattfand. «Dort gab es eine wunderbare bemalte Decke, ein toller Ort, Licht, alles so malerisch schäbig. Und darin kleine Sockel, die auf diesen Zusammenstoß der modernen Kunst lauerten, sowas braucht man einfach. Also das Erste, was mir einfiel, war: ich mauere die Fenster zu. In der Gegenrichtung.» Der Untertitel tableau vivant – lebendiges Bild – trifft die eigentümliche Verschränkung der zweiten und dritten Dimension, die virtuelle Realität aus Karton und Plastik, die man nur vom Durchgang unter der Empore aus sehen konnte, durch ein kleines Loch in einer künstlich geschaffenen Wand, zu der eiserne Treppen mit Geländern wie in einem deutschen U-Boot führten. Alle Fenster waren zugestopft, außer den äußersten, an denen Rohre waren, durch die zerstreutes Licht einfiel. Auf dem mit Sand bedeckten Boden lag ein fünf Meter langes Schiff aus armiertem Karton, das nach Anleitung eines Bastelbogens für ein Kriegsschiff erbaut worden war, und darüber schwebten Medusen aus ganz dünnem Polyethylen.
«Während des ersten Golfkriegs veranstaltete ich einen Workshop in der Galerie Mladych, und da waren ein paar Leute aus Westberlin. Sie waren total gegen Bush senior und alle Amerikaner, und ich sagte, das ist doch super, was hätten wir 1968 dafür gegeben, wenn hier mal einer den Russen und Bulgaren und Polen und Ungarn Einhalt geboten hätte. Und dann verflüchtigte sich die nachrevolutionäre Begeisterung, und man bemerkte, wie die Amerikaner selbst darüber recht ratlos waren… und dann ging es seinen logischen Weg – es wurde ein Kōan daraus. Menschen werden immer jemanden angreifen und sich verteidigen. Und wann wird das aufhören? Erst, wenn es keine Menschen mehr gibt.»
Das Fenster unter der Empore war mit einer Schicht grüner Folie abgedeckt, im Grau wirkte das Schiff wie ein Riesending in einer Tiefe von zwei Kilometern. Mithilfe von Ventilatoren in einer Ecke des Raums entstand ein Luftzug, und die an Nylonfäden hängenden Medusen bewegten sich immer ganz leicht – das war das Leben des Bildes, tableau vivant. Die Atmosphäre wurde durch einen mehrminütigen Loop mit einer vierspurigen Klaviereinspielung auf der Empore verstärkt, die traurige und stellenweise verzerrte Musik kam scheinbar aus dieser großen Tiefe herauf. «Die Mutter des Galeristen glaubte, ich hätte Wasser eingefüllt, ein Kunstkritiker, es sei ein Video.» Das Bild war nach dem Prinzip des Dioramas gebaut, aber immer noch ein Bild, natürlich anders als mit Malerei erschaffen, und bezeugt, wie weit entfernt Korpaczewski in seinen 3D-Arbeiten vom üblichen Verständnis von Installation ist, wenn er an seine räumlichen Werke Ansprüche stellt wie an eine virtuelle Realität, und es ihm dabei aber trotzdem darauf ankommt, diese Illusion mit einfachen technischen Mitteln entstehen zu lassen.
Ähnlich wie in Šamorín hatte Korpaczewski schon früher auf einen Ausstellungsraum reagiert, 2001 in der Galerie Malá Špálovka mit der Ausstellung KW Gott hat seine Augen überall . «Das war auch eine Reaktion auf eine Reihe ironischer, konzeptueller Ausstellungen. Ich wollte eine naive Ausstellung machen. Ich habe dort schließlich so eine spacy Kapelle gemacht. Bilder von Vögeln an den Wänden, die uns beobachten – solche soliden Porträts – die Vögel sehen uns halt einfach.» Korpaczewski reinigte den Ausstellungsraum auf seine Art und ermöglichte es ihm, etwas anderes zu werden. Als ob der Raum ein weiteres Wesen wäre, mit dem der Künstler zusammenarbeitet.

Amazonen
Die Ausstellung Q: Diana im Jahr 2005 bezog auch den Zweck und die Geschichte des Raums in die Installation mit ein. Das Café hieß ursprünglich Globe und hatte einen amerikanischen Wirt. «In Ouky douky bezog ich das Café in die Installation mit ein –Cafédekorationen in übertriebenen falschen Rahmen, so wie bei Jagdporträts…» Das Porträt eines Mädchens mit geschlossenen Augen, das ins Bild eintaucht, und eine Komposition «für über das Kaminfeuer», das aus zwei Bildern bestand: auf einem ließ sich eine puritanische junge Frau mit Waffe verewigen, und auf dem anderen eine Frau mit einem Pfeilbogen in der futuristischen Kampfkleidung einer Superheldin aus einem Computergame. Dazwischen hing ein blaues Kissen – ein Kissen, das ursprünglich nicht etwa für einen ruhenden Kopf gedacht war, sondern für Duellpistolen.
Mir scheint, dass Korpaczewskis Frauenporträts immer etwas Subversives haben – ob das nun ihr eigener Traum vom Rebellieren ist oder die Rebellion des Autors gegen die Gattung Frauenporträt.
Ein ähnliches Thema der weiblichen Rebellion und ein ähnlich wortwörtliches Raumverständnis wandte Q: 2006 in einer Installation in einem Anwaltsbüro in der Jachymova-Straße an, in dem Dušan Brozman Ausstellungen kuratierte. «Wir kamen mit Pavla von den Bergen zurück, dort röhrten die Hirsche, und ich hatte so keine Lust auf diesen Betrieb, wie Ämter, Schulen und so, und dann habe ich eine verrückt gewordene Sekretärin gemacht.» Die Installation zeigt im Uhrzeigersinn eine Sekretärin, die Papier auf den Boden verstreut (Zeichnung auf Glas und auf den Boden geklebte Folien, die Papier darstellen), es dann in die Luft wirft (eine helle, aus einer PP-Stegplatte ausgeschnittene Silhouette, fast an der Decke auf eine Holzabdeckung aufgeklebt), dann geht sie, zieht auf dem Boden ein Sakko hinter sich her, die Pumps bleiben liegen, nur die Sportsocken hängen mit einem Faden an ihr (Zeichnung auf der Tür). Zum Schluss dreht sie sich auf einer Lightbox in einem Porträt-Medaillon um, mit einem verächtlich ruhigen Blick, und das muss Mánes sein.
Solitaire
Warum muss ich ständig an den tschechischen Maler Josef Mánes denken? Was ist in Korpaczewskis Werk, das mich zwingt, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückzukehren? Warum schleicht sich mir hier das kleine Bild von Moštěk, einer Gestalt «von großer Beseeltheit und zarter Eleganz» ein, das Bildnis einer Gestalt, die sich in grauen Kleidern vor einem grauen Hintergrund verliert, denn «er war nicht aufdringlich, er wollte sich mit seiner Persönlichkeit niemandem aufdrängen»? Korpaczewski berührt ständig das, was klassisch oder eher klassisch geworden. Man könnte beinahe das Wort kultig verwenden. Er benützt Ikonen, ikonische Abbildungen und stellt sie an Orte, wo er eine Disproportion spürt. Auch das Motiv des Autos in seinen Arbeiten gemahnt an die Werte, die ein «klassischer» Road Movie aus Amerika vertritt, es steht wiederholt für die romantische Vision eines befreiten und einsamen Wesens auf Reisen.
Das Vertrauen in die Mitteilungskraft des gemalten Bildes manifestiert sich in Interventionen in den öffentlichen Raum. «… ich möchte mir aus der Zeit noch eine Freundin machen,» steht in einem Text zu Stella Maris. KW und Q: gelingt das, indem sie den Verlauf von normalerweise unerwünschten Prozessen wie Verschwinden, Zerfall, Auswaschen direkt ins Konzept einbindet, oder mit ihnen wenigstens rechnet.
1997 fand ein Wettbewerb zum Projekt Kunst im öffentlichen Raum 97 statt, es enstanden Entwürfe, und dann stellte sich heraus, dass die Stadt Prag keine Krone dafür locker macht. Korpaczewski entwarf für das Haus der tschechoslowakischen Legionen und das Ärztehaus das Gemälde einer jungen Frau, die frontal zur Prager Nord-Süd-Magistrale ihren Blick zum Himmel erhebt. «Etwa zwei Wochen, bevor ich damit hätte beginnen sollen, ließen sich die Legionäre von einer Firma, die das Haus für sie renovierte, überreden, dort eine ganz tolle Billboard-Reklame hinzuhängen. Ich hatte aber Plan B schon mit dem Hausbesitzer abgesprochen. Nach einem Jahr hatte ich keine Lust mehr, die junge Frau zu machen… Der Titel Timeman fiel mir erst am fünften Tag auf dem Turm ein. Er folgt der Zeit und verfolgt sie, weil die Zeit davonrennt. Die amerikanischen Superhelden haben meist einen Namen, der auf ihre Fähigkeit zurückgeht, oder womit sie zu tun haben, darum der Herr der Zeit…» Timeman wird langsam zum Schatten auf der Fassade des Hauses in Žižkov, in dem Korpaczewski wohnt und arbeitet.
Als Arbeit im öffentlichen Raum kann man auch Face (1997) ansehen, das temporär im Messepalast ausgestellt wurde. «Mir fiel ein, dass wenn es in einem Raum drin ist, und das Gemälde von Gefühlen handelt, dass das eigentlich ein kleines physikalisches Modell ist, wie die Dinge im Leben funktionieren, dass der Mensch Fehler macht, umkehrt, Fehler wiedergutmacht oder sie nicht mal bemerkt… Und dass ich das dort während der Vernissage machen könnte. Man hatte dort fünf große Platten für mich zur Verfügung gestellt, mein Original auf einer Kapa-Sandwichplatte, und während der Eröffnung schmierte ich ohne Erlaubnis auf drei weitere Platten, ich machte noch fünf Tage lang in der Ausstellung damit weiter, ich ließ dann Plastik, Farben, Staffelei, Pinsel davor liegen. Die vom Messepalast waren nicht so erfreut, das seien teure Importplatten, und dann übermalten sie es, sie sagten, dass sie es für weitere Ausstellungen bräuchten.»
Vom Fenster des Treppenhauses im Žižkover Rathaus aus sieht man eine Szene, die Korpaczewski Aus den Geheimnissen der Unterwelt II nennt. Eine Schnapsdestillerie in einem Maschinenorganismus unter dem Žižkover Hang, ein detailreiches Spektakel voller Action an einem Ort, der paradoxerweise vor den Einwohnern Žižkovs gut verborgen ist.
Am Mariannenplatz gab es im Sozialismus eine Bäckerei namens Punsch-Schnitte. In den heruntergekommenen und baufälligen Räumlichkeiten fand eine Ausstellung von Studierenden der Professoren Skrepl und Sopka statt. KW kratzte hier ein Bild in eine abblätternde Wand: ein junger Mann versinkt unter dem Fenster in den Boden. Das Grafitti einer freundlichen Außerirdischen und dem Angebot «Hi Juan, want a lift home?» malte er an die Wand eines Hauses in Lissabon, an dem ein Freund von ihm oft vorbeikam.

Hold on I›m coming… Wake up!
2006 verdunkelte Korpaczewski die Galerie AM180 für die Ausstellung Q: Hold on I›m coming. «Der Raum war klein, mit dem Boden sehr schön, gut zu erfassen. Die größte Aufgabe bestand darin, alles Mögliche auszusortieren, was ich mir ausgedacht hatte, damit dort nicht zuviel ist.» Ein Auto und ein Fantom aus zerknülltem Papier in einem Blaumann hat der im eingesperrten Raum auf die Wand gemalt, als ob es diesen Ort nicht gäbe und er um einen halben Meter nach unten verschoben wäre, unter die Galerie, und auch etwa dreimal größer als die eigentlich ziemlich kleine Galerie. Das Auto hat den Motor draußen, keine Reifen. Eine Halogenlampe auf dem Boden der Galerie beleuchtete eine bewegliche Silhouette auf einem Apparat aus einer Discokugel, die auf die gegenüberliegende Wand den Schatten eines eifrigen, hin und her eilenden Arbeiters projiziert. Die rhythmische Bewegung des Lichts taktete die vergehende Zeit im dunklen Raum. «Jemand möchte etwas erreichen und sagt sich vielleicht sogar jahrelang, jetzt noch einen Moment, jetzt nur noch einen Moment… Hold on I›m coming. Ich habe selbstironisch auf mein eigenes Tun geschaut.» Der Galerieraum wurde somit zur Metapher des Ateliers und der Innenwelt des Autoren, der Hauptfigur.
An das Motiv der symbolischen Verwünschung in einem Raum voller dunkler Schatten knüpfte Korpaczweski in viel größerem Maßstab zwei Jahre darauf an, im Projekt Wake up! (2008).
Ein liegender Titan unter der Überschrift «Wake up!», durch die das Licht des ansonsten verdunkelten Fensters hereinfiel, ein Flugzeug und die Aussicht auf eine Stadt, die aus der Tiefe auf die Wand leuchtete, das alles führte in Q:›s Ausstellug in der neu eröffneten Meet Factory ein. Der gewaltige Raum aus drei Hallen wird für ausstellende Künstler immer eine komplizierte Herausforderung sein. Korpaczewski arbeitete einen Monat lang vor Ort und verstärkte als erstes die Intensität des Raums durch die Abtrennung aus Plastikwänden und gedämpfter Beleuchtung. Obwohl er das Projekt Wake up! unter dem Kürzel Q: veranstaltete, scheint mir, dass er eine Art Retrospektive daraus gemacht hat, in der er alle Arbeitsweisen verband – Installation, autonome Gemälde, oder Gemäldeserien, das Einbeziehen von Texten, und mit Prinzipien arbeitete, die er bei Realisationen im öffentlichen Raum angewandt hatte. Einige der Motive, wie etwa der liegende Gott im ersten Raum, in dem außer dem Auto des Autors auch er selbst als einfach Silhouette wartet, die auf einer Wand auf einem Reifen sitzt, eröffneten einen Reminiszenzraum für Korpaczewskis ältere Arbeiten.
Korpaczewski hat zu jeder seiner Arbeiten eine genaue Legende, die der Zuschauer aber nicht immer vollständig dechiffrieren kann. Oft geht es auch überhaupt nicht. Es ist vielleicht spannender, das zu beobachten, was sich im Zwischenraum des Nicht-ganz-Verstandenen entdecken lässt, was er alles von einer Installation zur nächsten überträgt. Damit meine ich nicht nur die Zwischenräume zwischen den einzelnen Segmenten einer Ausstellung, sondern auch die zeitlichen Verzögerungen zwischen den einzelnen Präsentationen Korpaczewskis.
Für mich persönlich waren zwei großflächige Wandmalereien die Dominante der ganzen Installation in der Meet Factory – ein betender Rennfahrer und ihm gegenüber eine weinende Frau unter einem Obstbaum. Das erinnerte mich an die Vertreibung aus dem Paradies, für das er die Malweise und die Buntheit von Taschenbuch-Umschlägen benützt, wo das Gute über das klar definierte Böse siegt. Obwohl die Träne, die der jungen Frau über die Wange rinnt, aus blauem Polystyrol geschnitzt ist, glauben wir, dass in der Welt, deren Widerhall das Bild ist, diese Träne echt ist. Die Idee von Bedrohung oder gar Lebensgefahr wurde auch evoziert, in Bildern einer Atomexplosion und Erinnerungsgegenstände von Autounfällen, wie z.B. ein Zeitungsartikel von einem großen Formel-1-Unfall. Als ob sie für eine Welt stünden, in der es keinen ungefährlichen Platz gibt, in der man aber trotz allem aufwachen muss. Die Aufforderung Wake up! kann man als Aufruf des Autors an sich selbst begreifen, und an die in der Installation verzauberten Gestalten, die hier fast schon biblische Charaktere verkörpern, in diversen Beziehungen zur Wachheit-Realität: Tiefschlaf, Trauer, Glaube, Erwartung, Risiko… (Oder eine Kombination: «Der Rennfahrer Jim Sachs betet am Start der 500 Meilen von Indianapolis, er zieht sich die Schutzkleidung an, Helm, Handschuhe, er schützt sich mit allen Mitteln, und kurz darauf stirbt er im Wrack seines Autos…»)
Die Bilder waren wie eine Offenbarung, auch weil sie dazu bestimmt waren, nach dem Ende der Ausstellung zu verschwinden. Umso selbstverständlicher fügten sie sich in eine gewissen offene Zeitstruktur ein, die ein wiederkehrendes Thema in Korpaczewskis Arbeiten sind.
Ich reagiere
Korpaczewski begann sein Studium an der Prager Kunstakademie im Fach Grafik bei Čepelák, aber er malte dort ständig, dann kam er zu Václav Pospíšil. Altersmäßig gehört er zur Generation der «Tvrdohlaví», der Hartnäckigen, mit denen er allerdings außer dem Jahrzehnt, in dem sie alle geboren sind, nichts gemeinsam hat. Er bewegt sich unter Menschen, die ungefähr zwei Generationen jünger als er sind, aber das heißt nicht, dass er in seinem Schaffen zu diesem Umfeld gehören würde. Die Verbindung zwischen ihm und dem Kontext der zeitgenössischen tschechischen Kunst entsteht eher dadurch, dass Korpaczewski auf diesen Kontext auf seine Weise reagiert und ihn ergänzt. «Wenn es zuviel von einem Pol gibt, dann verspüre ich die Notwendigkeit des Gegenpols.»
Als «Mensch, der Format klassisch baut» spürt er jedoch hauptsächlich das Bedürfnis nach Synthese, und wenn er auf Situationen reagiert oder sie ergänzt, überträgt er die Verantwortung für seine Kunst auf eine Art überpersönliche Ebene. In diesem Zusammenhang kann man auch die Verwendung der Kürzel verstehen. Der Künstler schickt einfach den Helden KW oder Q: in den Kampf… Indem er seine Sachen dem öffentlichen Raum oder dem Galeriebetrieb aussetzt, führt er uns eigentlich klassische Werte vor Augen, sowohl in den Themen wie auch in der Verwendung der Kürzel – auch wenn er Ironie und wohl noch öfter Selbstironie benützt, ist es nicht seine Absicht, zu ironisieren und alles in Zweifel zu ziehen, eher im Gegenteil. Ob als KW oder als Q:, schlussendlich überzeugt er uns, dass man an Kunst den Anspruch auf verbindliche Botschaften stellen darf. Auch wenn seine Arbeiten nicht eindeutig verstehbar, nicht mal für ein eindeutiges Verständnis geschaffen sein müssen, bieten sie doch jener verbindlichen Botschaft und großen Themen einen Raum.
So wirkt Musik. Igor Korpaczewski widmet sich ihr kontinuierlich (z.B. das Ensemble Ich-Forma, oder das frühere Soloprojekt Clean Dirt). So wie es schwierig ist, auf Papier den Eindruck eines vom Eingriff Q:›s betroffenen dreidimensionalen Raums zu vermitteln, wäre es auch anstrengend, die Atmosphäre Korpaczewskis musikalischer Darbietungen einzufangen. Aber eines steht fest, Musik bildet in bedeutendem Maße das Umfeld, in dem Korpaczewskis in der Sprache der bildenenden Kunst geschaffenes Werk auftaucht.






Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus
Nick Land war ein britischer Philosoph, den es nicht mehr gibt, ohne dass er gestorben ist. Sein beinahe neurotischer Eifer für das Herummäkeln an Narben der Realität, hat manch einen hoffnungsvollen Akademiker zu einer obskuren Weise des Schaffens verleitet, die den Leser mit Originalität belästigt. Texte, die er zurückgelassen hat, empören, langweilen und treiben noch immer zuverlässig die Wissenschaftler dazu, sie als „bloße“ Literatur einzustufen und damit zu kastrieren.
The Top 10 Czech Artists from the 1990s The Top 10 Czech Artists from the 1990s
The editors of Umělec have decided to come up with a list of ten artists who, in our opinion, were of crucial importance for the Czech art scene in the 1990s. After long debate and the setting of criteria, we arrived at a list of names we consider significant for the local context, for the presentation of Czech art outside the country and especially for the future of art. Our criteria did not…
Ein Interview mit Mike Hollands Ein Interview mit Mike Hollands
„Man muss die Hand von jemandem dreimal schütteln und der Person dabei fest in die Augen sehen. So schafft man es, sich den Namen von jemandem mit Sicherheit zu merken. Ich hab’ mir auf diese Art die Namen von 5.000 Leuten im Horse Hospital gemerkt”, erzählte mir Jim Hollands. Hollands ist ein experimenteller Filmemacher, Musiker und Kurator. In seiner Kindheit litt er unter harten sozialen…
MIKROB MIKROB
There’s 130 kilos of fat, muscles, brain & raw power on the Serbian contemporary art scene, all molded together into a 175-cm tall, 44-year-old body. It’s owner is known by a countless number of different names, including Bamboo, Mexican, Groom, Big Pain in the Ass, but most of all he’s known as MICROBE!… Hero of the losers, fighter for the rights of the dispossessed, folk artist, entertainer…