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Landschaft mit LöchernZeitschrift Umělec 2005/201.02.2005 Christian Riebe | expo hannover | en cs de |
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1. Der Expo-Park Ost
Man könnte folgendes annehmen: Durch den allgemeinen ökonomischen Niedergang (den man nur begrüßen kann) und die fortschreitende Debilisierung der Gesellschaft entstehen inmitten der Ballungszentren Räume, die alle Merkmale einer äußersten Peripherie aufweisen. Es sind dies Orte, die nicht mit dem Charme leer stehender Industrieobjekte trösten, die keine Historie vermitteln, sondern eine Art von kalter Verwahrlosung: Sozusagen Krater im System der permanenten Landnahme. Das panisch beschleunigte Spiel um Geld und Grund und Boden hinterlässt, wenn es kurzfristig und mit hohem Einsatz verloren wird, eine geschichtslose Brache, die mit totgeborener Architektur besetzt ist, mit Gebäuden, die – kaum errichtet – schon Ruinen sind. Es sind Ruinen des Investitions- Krieges – über ihnen liegt die Agonie eines frischen Schlachtfelds. Wenn man annimmt, dass eben diese Agonie mehr und mehr zum Hauptmerkmal spätkapitalistischer Autophagie wird, kann man diesen Brachen exemplarische, zukunftsweisende Bedeutung zumessen. Der Expo-Park Ost ist ein solcher Krater, entstanden durch die Verbrennung ungeheurer Geldsummen und dem schwindenden Realitätssinn von Planern, die zu Recht rasch von Panik ergriffen wurden: Füchse laufen über den „Boulevard der EU" und Obdachlose entleeren ihre Blase an der verkümmerten Alleebepflanzung der „Rue de Montreal", wo doch „die Völker der Welt“ zu Gast sein sollten. An ihrer Stelle spuken hier nun die uneingelösten Versprechen einer kollabierten Euphorie, die Internationalität und Metropole halluzinierte und das genaue Gegenteil erzeugt hat: einen weißen Fleck, ein Loch, einen absurden Haufen Konkursmasse, den kein noch so brutaler Totalausverkauf in Geld zurückverwandeln kann. Man muss dieser Stadt dafür dankbar sein. Denn wo es insgesamt steil bergab geht, ist der unterste am weitesten voran. Tatsächlich kann man von hier aus weit in die Zukunft blicken, viel weiter als vom Brandenburger Tor. 2. Die Gebäude Die ehemaligen Pavillons der Weltausstellung durchlaufen ihren jeweiligen Niedergang in ganz unterschiedlichen Formen. Einige spiegeln ihre Erniedrigung in Mitleid erregender Offenheit: Noch immer recken sie schief eingesunkene Symbole nationalen Stolzes empor oder preisen ihre erloschenen Qualitäten auf verwitterten Tafeln, die kein Mensch mehr lesen wird. Dahinter ist alles mit Pappe vernagelt. Andere stehen fast unversehrt inmitten der sie umgebenden Wüste, harmlos und deplaziert wie ein Ikea- Möbelstück, das sich ins arktische Packeis verirrt hat. An wieder anderen wird insgeheim gewerkelt. Wechselnde Mieter mit schwer einzuschätzenden Absichten lassen nachts unvermutet Fensteröffnungen aufleuchten oder behängen ihr Quartier mit surreal pulsierenden Lichtdekorationen, die verwaist weiter baumeln wenn der Hausherr längst das Weite gesucht hat. Überhaupt wird viel geschraubt und geschleppt. Ganze Gebäudeteile werden transplantiert, manches bleibt auf halbem Wege liegen. Es gibt ein großes vietnamesisches Restaurant, das sich dort halten möchte, wo niemand ein Gasthaus vermuten würde. In seinem Inneren haben sich kleinere Pavillons versammelt als hätten sie dort Schutz gesucht. Wie ein rötlich fluoreszierendes Gewächshaus leuchtet es in die niedersächsische Nacht hinaus. Natürlich gibt es auch Beispiele für schieren Verfall - große, bis aufs Skelett gefledderte Kadaver wie den niederländischen Pavillon, der auf der Weltausstellung den Preis für die beste Architektur bekam. Heute ist er ein gigantisches, leer geräumtes Regal mit heruntergeklappten Wandverschalungen, das sein Restinventar in der Umgebung verstreut. Dann sind da Belegstücke für eine so genannte „gelungene Nachnutzung": Ein gepflegtes Riesenstudio für Banalmusik und eine Art gläsernes Parkhaus, das auf die Autoindustrie wartet. Hier ist alles beim Alten: Naive Brauchbarkeit, wie man sie überall anderswo auch finden oder übersehen könnte. Als einzige Ausnahme scheint der litauische Pavillon dem Ganzen gewachsen zu sein: ein kompaktes U-Boot aus gebogenem Stahlblech, offenbar auf Unsinkbarkeit hin konzipiert - als hätten seine Erbauer geahnt, welchem Schicksal sie ihr Gebäude aussetzen würden. Es ist eine souveräne, nicht besonders freundliche Architektur, der nur eines fehlt: Räder, Kufen oder Raupen. Die Expo-Nachlaßverwalter hätten den Standort gerne kahl und drohen permanent mit Abriss. 3. Die Kunst, von hier aus So ein Ort legt geographische Metaphern nah: Eine Landschaft mit Löchern, die sich ihre Funktionsfähigkeit umso euphorischer einredet, je mehr sie zum einsturzgefährdeten Terrain wird. Könnte es sein (und das ist mehr Hoffnung als Vermutung), dass auch die "Kunstlandschaft" mit ihrem unentwegt vielsprachig plappernden Selbstgespräch, ihrer emsigen Expansion in sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, kurz: mit ihrer tatsächlich ungebrochenen Zukunftshoffnung, längst an untergründiger Auszehrung krankt? Wollte sie nicht am allgemeinen Fortschritt teilnehmen, wollte sie nicht "spartenübergreifend" überall behilflich sein - notfalls auch ungerufen? Sie hat dafür einen charakteristischen "Diskurs" erzeugt, mit dem sie nun ungefragt eine Gesellschaft schulmeistert, die genau daran am allerwenigsten interessiert ist. Mit trotziger Vehemenz klopft der Gegenwartskünstler an jede erdenkliche Tür und verlangt Beteiligung, Gespräch und Lernbereitschaft. Er ist eine Art Zeuge Jehovas geworden und lebt vom Mitleid seiner Opfer. Gerade dieser Sprechzwang in der Kunst hat den Vermittler zum heimlichen Hauptakteur gemästet: Bevorzugt befördert er das Material, dass sich umstandslos in Sprache wandeln lässt. Unter seiner Regie ist die Kunst zu einer monotonen, pädagogischen Pflichtübung geworden und der Künstler zum Hilfslehrer oder Clown degradiert. Man wartet bisher vergeblich auf eine Kunst, die die Aussage verweigert, auf Kunstwerke also, die uns eine sprachabweisende, sprachabsorbierende Oberfläche entgegenhalten. Man könnte den oben beschriebenen Orten, die aus der städtebaulichen Dressur heraus gefallen sind, wiederum eine exemplarische Funktion zumuten. Und behaupten oder hoffen: Von hier aus ist vielleicht eine undressierte Kunstproduktion vorstellbar. Denn hier ist alles wie es nun einmal ist – ganz ohne Sprechen: Ein fester Boden voller Reste. Hier hat das System sein vorerst letztes Spiel gemacht und verloren. Hier liegen seine Abwehrkräfte darnieder, hier schläft die staatliche Vernunft. Und dieser Schlaf könnte die Ungeheuer gebären, auf die wir ungeduldig warten. 4. Monster Nun zu den Ungeheuern, deren Zeit und deren Ort damit gekommen wäre: Sofort und im Voraus verwandeln sie den pseudo-geographischen Verdacht in eine begehbare Landschaft. Verlassen wir auf solchen Wegen die banalen Regionen der kapitalistischen Idiotie, von der aus ohnehin alles, was der Rede wert wäre, geradewegs zur Hölle fährt. Wenden wir uns lieber gleich diesen Höllen zu, dort werden wir finden, was uns fehlt. Denken wir uns eine Ansammlung trichterförmiger Öffnungen, in die u.a. die Längen- und Breitengrade der Sprache hineingestürzt sind wie in ein annullierendes Mahlwerk, dessen Getriebe nun beginnt, sich anders herum in Bewegung zu setzen – um etwas hervorzubringen. Denken wir uns eine brütende Falle, die aus dem Granulat ihrer Beute neue Formen erzeugen will. Und denken wir uns dort unten hinein den "Künstler", der unter solchen Bedingungen kaum mehr sein kann als ein hysterischer Geburtshelfer. Was für eine obskure Polonaise steigt dort herauf? Und wie spiegeln sich ihre Elemente in den gewöhnlichen Mechanismen der identifizierenden Sprache, die damit überfordert ist, etwas ganz anderes als ihre eigene Brut benennen zu müssen? Zeigt sie die Installation einer Art von Zirkus an, oder erkennt sie eine Gondel wie aus geteerten Schubladen voller Flüche und altmodischer Kosenamen - eine Kohorte glimmender Spiralen, die um irgendetwas kreisen? Riecht das nach Chlor und Asphalt oder wie ein brennender Bienenstock? Ist es ein Biedermeiertischchen, eine Blase, eine Vase, ein großer Klumpen Fischfleisch?
01.02.2005
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04.02.2020 10:17
Letošní 50. ročník Art Basel přilákal celkem 93 000 návštěvníků a sběratelů z 80 zemí světa. 290 prémiových galerií představilo umělecká díla od počátku 20. století až po současnost. Hlavní sektor přehlídky, tradičně v prvním patře výstavního prostoru, představil 232 předních galerií z celého světa nabízející umění nejvyšší kvality. Veletrh ukázal vzestupný trend prodeje prostřednictvím galerií jak soukromým sbírkám, tak i institucím. Kromě hlavního veletrhu stály za návštěvu i ty přidružené: Volta, Liste a Photo Basel, k tomu doprovodné programy a výstavy v místních institucích, které kvalitou daleko přesahují hranice města tj. Kunsthalle Basel, Kunstmuseum, Tinguely muzeum nebo Fondation Beyeler.
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