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At arm’s length
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 1
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At arm’s length

Zeitschrift Umělec 2009/1

01.01.2009

Milena Dimitrova | geschichte | en cs de es

Das MUMOK in Wien zeigte letztes Jahr anlässlich der Preisverleihung bei der Viennafair die Ausstellung „at arms length“ von Kamen Stoyanov. Die Ausstellung thematisiert Beziehungen zwischen dem postsozialistischen Osten und dem Westen anhand von kultureller Übersetzung, Fragen nach Identität und kulturellen Phänomenen. Zeitgenössische Kunst, die sich mit Osteuropa beschäftigt, ist anfällig dafür, aus einer rein westlichen Sicht rezipiert zu werden. Stoyanovs Beobachterposition versucht nicht, sich dem zu entziehen.
Phänomene des Postsozialismus, Kunst-markt, zunehmende Ökonomisierung ver-
schiedener Lebensbereiche, kulturelle Identität, die Stellung des Künstlers sind Themen, die in dieser Ausstellung ihre Ausdrucksmittel in verschiedenen Medien fanden. So waren in „at arms lenght“ die Zeichnungsserie „Brakeshoes“, das Video „move your hands“, die Installation „Tigersteps“ und die Videoarbeit „Persona“ zu sehen. „Persona“ war die wichtigste Arbeit dieser Ausstellung, die eine thematische Verknüpfung aller Werke unter dem Vorzeichen der kulturellen Übersetzung erlaubt.
Brüche und Risse in kulturellen und künstlerischen Identitäten sind hier von besonderem Interesse.
Momente des Zusammenstoßes dieser Identitäten finden sich zum Beispiel, wenn die Zeichnungsserie „Hemmschuh“ sich unter anderem mit der möglichen Verwechslung des Formats A3 und dem bulgarischen, kyrillisch geschriebenen Personalpronomen A3 (ich) beschäftigt.
Einen thematischen Schwerpunkt der Zeichnungen bildet das kyrillische Alphabet, das laut einem verbreiteten Standardwerk des Schweizer Philologen Frederick Bodmer über die Sprachen der Welt (von 1944)* als „Hemmschuh“ unnötig der interkulturellen Kommunikation im Wege steht. Allen voran hebt die Passage aus dem Buch die Unnahbarkeit Russlands hervor, um dann zu wünschenswerteren Beispielen überzuleiten:
„ (...) Auch die Serben und Bulgaren schleppen diesen kulturellen Hemmschuh mit sich herum, nicht aber die Polen und die Tschechoslowaken. Als ihre Vorväter sich zum römischen Glauben bekehrten, war das lateinische Alphabet das Geschenk Roms.“
Das Zitat dient der Zeichnungsserie als Ausgangspunkt, um dann kulturelle und Identitätskonflikte modernerer Art in ihren unterschiedlichen Kontexten und Ausformungen zu thematisieren und bildlich darzustellen.
So beschäftigt sich in weiterer Folge diese Arbeit mit der üblichen Vorstellung von einem Künstler als guten Zeichner, sowie mit der Vorliebe der Galeristen für das Medium Zeichnung, das sich leichter als andere, weniger gängige Medien verkaufen lässt.
Der Reiz der Zeichnungsserie ist die Logik der Ähnlichkeit und Transformation, die Bild zu Bild thematisch oder formal ineinander übergehen lässt. So wird aus dem „perfekten Kreis“ des Künstlers auf dem einen Blatt im nächsten ein Gebiss oder „Bremskiefer“ (wörtliche Übersetzung von Hemmschuh im Bulgarischen). Und der Stapel Zeichnungen lässt sich in seiner vermeintlich dilettantisch gezeichneten Art auch als Geldstapel oder als Goldbarren uminterpretieren.
Weitergesponnen wird dieses formale Prinzip sowie das Thema der Identität in der Videoinstallation „Persona“. Die Arbeit zeigt eine Übersetzerin bei der Simultanübersetzung von Bergmans gleichnamigem Film bei einer Vorstellung im Kino Odeon in Sofia.
Nicht zufällig ist Bergmans „Persona“ gewählt, der die Identität und die daraus erwachsenden Probleme zwischen zwei Frauen zum Thema hat. Im Film spricht die eine Frau im Namen der Anderen, und die Übersetzerin in Kamen Stoyanovs Arbeit nimmt eine ähnliche Rolle ein, in die sie sich auch durch ihre äußerliche Ähnlichkeit zu den Schauspielerinnen einschreibt. Es findet eine mehrschichtige Identitätsverschiebung statt, wie schon in der Zeichnungsserie.
Bei „Persona“ ließ sich Kamen Stoyanov von Walter Benjamins Text „Die Aufgabe des Übersetzers“ inspirieren, dessen Grundidee grob umrissen jene ist, dass Übersetzung immer ein Weiterleben und eine Transformation des Originals ist, das Original verständlicher macht, und dass Brüche, Ungenauigkeit, Risse im Prozess der Übersetzung, welche auf paradoxe Weise durch wörtliche Treue zum Original entstehen, die eigentliche, unsichtbare Bedeutung des Texts zutage fördern.
Wörtlichkeit in der Übersetzung erweist sich als Übersetzungsfehler und als Riss, der unerwartet dem Original Transparenz verleiht. In der sprachlichen Übersetzung genauso wie in der Übersetzung kultureller, ökonomischer und gesellschaftlicher Phänomene.
Ein Beispiel findet die Idee einer solchen allzu wörtlichen Übersetzung in der Installation „tiger steps“.
Eine fast lebensgroße Tigerpuppe erzählt vom Leben der sibirischen Tigerin Shakti, die vier Monate als Attraktion in dem hippen, jedoch kurzlebigen Cafe „tiger steps“ im Einkaufszentrum TZUM in Sofia verbrachte, umgeben mit allem Komfort, von Flachbildschirmen bis Klimaanlage. Beweisstücke für die wahrheitsgetreue Überlieferung (zurück in den Westen) sind Fotos und tigergemusterte Accessoires vom Ort des Geschehens.
Der genannten Logik der Übersetzung folgend zeigt sich im Ausdruck und den Erscheinungen der kapitalistischen Ökonomie, wenn sie in den ehemals sozialistischen Osten übersetzt wird, ihr Wesen. Ihre Übertragung, die oftmals buchstäblich und somit in einer reinen Form geschieht, lässt diese Ökonomie in ihrer radikalisierten, puren Ausprägung zum Vorschein kommen.
Diese Arbeit kritisiert nicht eine vermeintlich ungenaue Übersetzung und falsche Interpretation der Marktwirtschaft sondern findet in ihrer “Mutation“ und im „Missverständnis“ aufklärendes und Störpotenzial verborgen.
„Tiger steps“, mit der Puppe, die auf Tonband in überaffirmativer Art die Sichtweise ihrer Besitzer und die Werbefloskeln des Lokals wiederholt, ist gleichzeitig aber die unterhaltsamste Arbeit der Ausstellung. Die Installation ist vielsagend zwischen den Stockwerken in den Durchgangsräumen des Museums platziert, im „Transit“, dem Ort, an dem der Osten lokalisiert wird. Ein Platz, der die notwendig unbequeme Lage für jede „Selbstkolonialisierung“ schafft. Wenn die Ausstellung ein Statement macht, dann, dass übersetzt werden sollte, um aus dem kritischen Potenzial der Übersetzung zu schöpfen.


* Frederik Bodmer,The loom of language,
A guide to foreign languages for the home student, London, 1944 (Auf Deutsch: Die Sprachen der Welt. Geschichte, Grammatik, Wortschatz in vergleichender Darstellung)




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