Zeitschrift Umělec 2010/1 >> Mad Meg Übersicht aller Ausgaben
Mad Meg
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2010, 1
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Mad Meg

Zeitschrift Umělec 2010/1

01.01.2010

Noelle Papay | profil | en cs de


Mit Farbstift, Feder, Tinte und Papier in einem Korb machte sich Mad Meg auf den Weg – und wurde dabei in die Tiefen dieser Erde gezogen, begraben zwischen verfaulenden Menschenleibern, verfolgt von Kerbtiermännchen und abstoßenden Tieren. In ihren Zeichnungen erzählt sie uns von all den Dingen, die sie dort unten gesehen hat.
Harmonisch und grauenhaft – ihr Universum ist eine Reflexion unserer Zeit, unserer Gesellschaft. Ihre tableaux de digestion („Verdauungsbilder“) sind inspiriert von den Arbeiten der großen Meister der Kunstgeschichte – Rembrandt, Rubens, Jan van Eyck, Filippo Lippi, Pieter Brueghel, Hieronymus Bosch. Sie überfluten uns mit dem Fäulnisgestank der Hölle, wo Grazien zu Blutsaugern werden.

In Les trois garces vermischt die Künstlerin Da Vincis Letztes Abendmahl, Grünewalds Isenheimer Altar, Goyas Koloss, de Zurbaráns Schweißtuch der Veronika und Andrades Louvre mit einer Vielfalt bildhafter, fotografischer und religiöser Verweise, die uns gefangen nehmen und einen sehnsüchtigen Blick in unseren Augen, das Gefühl eines Déjà-vu oder einen bitteren Geschmack auf der Zunge zurücklassen.

Die Künstlerin grübelt über die verschiedenen Verweise und studiert sie sorgfältig auf der Suche nach dem subtilsten Detail. Mit dieser zähen und ausdauernden Technik verfasst sie seit 2001 ihre Ideen in Form von Skizzenbüchern, die sie carnets de digestion („Verdauungsskizzenbücher“) nennt. Alles in allem umfassen sie 450 Seiten, aufgeteilt auf insgesamt 12 Notizbücher und angefüllt mit Zeichnungen und Texten, in denen sie Reaktionen auf aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Fragen beschreibt und nachzeichnet. Dies alles ist für die spätere Abfassung ihrer tableaux de digestions konzipiert.
Le jardin des délices ist eine Art Synthese dieser Zeichenübungen: eine danteske Vision unserer Welt, genährt von den Lastern unserer verletzten Gesellschaft, in der die Schwächsten gefoltert und durch eine Kultur der Unterdrückung zerquetscht werden.
Darüber hinaus weitet Mad Meg ihre Kritik aus und mildert ihre Erbitterung, indem sie im Jahr 2004 mit einer Serie von sieben Cartoons mit dem Titel Les contes de faits („Geschichten aus dem Leben“) beginnt.
Unter dem Einfluss des internationalen Tagesgeschehens und der französischen Politik verfasst sie ihre Beschreibungen mit einer wilden, grimmigen Vision und viel Humor.

Weit entfernt vom Märchen mit glücklichem Ausgang, begegnet sie wieder ihren eigenen Kindheitsgeschichten, doch reguliert sie dabei deren Verlauf. Hier endet die Beziehung zum Wunderbaren und Erstaunlichen. Mad Meg lässt ihre Figuren leben und sterben – wie im wirklichen Leben. Der Faden ihrer Geschichten zieht sich durch Krieg, Armut, Grausamkeit, politischen Missbrauch, wohingegen Figuren, die in Märchen als Feinde des Menschen angesehen werden, den Platz liebenswerter Menschen einnehmen und damit jedes Hoffnungszeichen zerstören.

Mad Megs Eltern studierten Kunst. Ihre Tochter Margot, später mit Künstlernamen Mad Meg, verbrachte ihre Kindheit damit, die Gemälde von Hieronymus Bosch in den Kunstbüchern der Eltern zu bewundern und nachzuskizzieren. So erwuchs ihre Identität durch ein unaufhörliches Hingezogensein zur Illustration, die die Vorstellungskraft und Langeweile eines kleinen Mädchens ausfüllte. Ihr Rezept zum Glücklichsein ist einfach: Ein Stift und ein Blatt Papier lassen ihre Vorstellungskraft und Kreativität überbrodeln.

Margot verfolgte ihr ehrgeiziges Ziel, indem sie Kunstunterricht nahm. Nach einem kurzen Besuch der École des Beaux-Arts in Paris (wo sie die moderne und zeitgenössische Kunst entdeckte) begann sie, sich ganz dem Zeichnen zu widmen. Der Zoo, der botanische Garten und anatomische Museen wurden zu ihrem Spielplatz: Tiere, Pflanzen, Skelette und Körper standen Modell und errichteten ein mannigfaltiges Universum voller Kuriositäten. Vergleichbar mit einem Instinkt zeichnete sie jeden Tag, bis es zu einer natürlichen Geste, einer menschlichen Notwendigkeit wie Essen, Trinken und Schlafen wurde.

Auf diese Weise begann sie 2001 ihre eigene Lehrzeit mit den carnets de digestions, ähnlich wie Tagebucheintragungen. Während sich manche Menschen durch Schreiben artikulieren und gehenlassen, kommuniziert Mad Meg über ihre Zeichnungen, wie, um ihr Leben besser zu meistern. Eine Philosophie bestimmt ihr Handeln: „Positive Dinge werden gemacht, um erlebt zu werden, denn es ist interessanter, sie zu leben, als sie zu zeichnen.“ In dem Bewusstsein, dass es über glückliche Ereignisse selten Großes zu sagen gibt, meditiert sie über ihr Leben, ihre Alpträume, unschönen Erlebnisse sowie über den Rhythmus ihres Künstlerdaseins, in dem auf hyperaktive Perioden immer wieder Perioden der Leere folgen. Oder sie nimmt sich die Zeit zu „verdauen“, zu reifen.

Um ihre Arbeitsweise zu verstehen, gebe ich hier eine Geschichte wieder, die sie mir selbst erzählt hat: Im Jahr 2004 begann sie, ein Internetspiel namens _Eve online_ zu spielen. Von diesem Spiel dermaßen gefangen und aufgesogen, beschäftigte sie sich in den folgenden sechs Monaten mit nichts anderem mehr. Doch eines Tages wurde sie brutal geweckt. Sie begann sofort mit einer großen Zeichnung. Hier nahmen die série des patriarches („Patriarchen“) und die tableaux de digestion ihren Anfang. Sie bediente sich des Materials, das sie in ihren carnets de digestion gesammelt hatte. Mad Meg sagte, dass sie in dieser Nacht mit jemandem gesprochen habe, der ihr einen guten Rat gab.

Mad Megs Werke vermitteln eine überraschende Gefühlsregung: ein klares und eindeutiges Ergebnis, wenn auch außerordentlich dunkel, so doch gestützt von der technischen Expertise ihres Zeichnens, die es der Öffentlichkeit ermöglicht, sich der Illusion glückselig hinzugeben. Es ist ein bisschen wie mit dem Tod.

„Es nützt nichts, pessimistisch zu sein, denn das Schlimmste ist immer sicher.“

Aus dem Französischen von Brigitte Krüger und Johanna Kantimm (Comic).


Ausgewählte Zeichnungen aus Les carnets de digestion
Kugelschreiber auf Papier
11x15 cm
482 Seiten




Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus
Warum beugt ihr, die politischen Intellektuellen, euch zum Proletariat herab? Aus Mitleid womit? Ich verstehe, dass man euch hasst, wenn man Proletarier ist. Es gibt keinen Grund, euch zu hassen, weil ihr Bürger, Privilegierte mit zarten Händen seid, sondern weil ihr das einzig Wichtige nicht zu sagen wagt: Man kann auch Lust empfinden, wenn man die Ausdünstungen des Kapitals, die Urstoffe des…
Acts, Misdemeanors and the Thoughts of the Persian King Medimon Acts, Misdemeanors and the Thoughts of the Persian King Medimon
There is nothing that has not already been done in culture, squeezed or pulled inside out, blown to dust. Classical culture today is made by scum. Those working in the fine arts who make paintings are called artists. Otherwise in the backwaters and marshlands the rest of the artists are lost in search of new and ever surprising methods. They must be earthbound, casual, political, managerial,…
Meine Karriere in der Poesie oder:  Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen  zu machen und die Institution zu lieben Meine Karriere in der Poesie oder: Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen zu machen und die Institution zu lieben
Der Amerikanische Dichter wurde ins Weiße Haus eingeladet, um seine kontroverse, ausstehlerische Poesie vorzulesen. Geschniegelt und bereit, für sich selber zu handeln, gelangt er zu einer skandalösen Feststellung: dass sich keiner mehr wegen Poesie aufregt, und dass es viel besser ist, eigene Wände oder wenigstens kleinere Mauern zu bauen, statt gegen allgemeine Wänden zu stoßen.
The Top 10 Czech Artists from the 1990s The Top 10 Czech Artists from the 1990s
The editors of Umělec have decided to come up with a list of ten artists who, in our opinion, were of crucial importance for the Czech art scene in the 1990s. After long debate and the setting of criteria, we arrived at a list of names we consider significant for the local context, for the presentation of Czech art outside the country and especially for the future of art. Our criteria did not…
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
From series of rare photographs never released before year 2012. Signed and numbered Edition. Photography on 1cm high white...
Mehr Informationen ...
220 EUR
237 USD
Light by Martin Zet
Mehr Informationen ...
5,50 EUR
6 USD
Big Fountain, 2009, silkscreen print, 50 x 35 cm
Mehr Informationen ...
65 EUR
70 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS
NOVÁ PERLA
Kyjov 36-37, 407 47 Krásná Lípa
Čzech Republic


 

GALLERY
perla@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 6pm
and on appointment.

 

CAFÉ & BOOKSHOP
shop@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 10pm
and on appointment.

 

STUDO & PRINTING
studio@divus.cz, +420 222 264 830, +420 602 269 888
open from Monday to Friday between 10am to 6pm

 

DIVUS PUBLISHING
Ivan Mečl, ivan@divus.cz, +420 602 269 888

 

UMĚLEC MAGAZINE
Palo Fabuš, umelec@divus.cz

DIVUS LONDON
Arch 8, Resolution Way, Deptford
London SE8 4NT, United Kingdom

news@divus.org.uk, +44 (0) 7526 902 082

 

Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS BERLIN
Potsdamer Str. 161, 10783 Berlin, Deutschland
berlin@divus.cz, +49 (0)151 2908 8150

 

Open Wednesday to Sunday between 1 pm and 7 pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

 

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus We Are Rising National Gallery For You! Go to Kyjov by Krásná Lípa no.37.