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Kunstmarkt versus Off-Space:   Zu aktuellen Formen der Kunstproduktion
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 2
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Kunstmarkt versus Off-Space: Zu aktuellen Formen der Kunstproduktion

Zeitschrift Umělec 2009/2

01.02.2009

Walter Seidl | art market | en cs de

Die Produktion von Kunst bildet in einer sich als westlich kapitalistisch gerierenden Welt unterschiedliche räumliche und inhaltliche Strukturen, die sich mancherorts überlappen, aber oftmals auch entgegengesetzte Wege gehen. Vermehrt kommt es dazu, dass sich jene Kunstproduktion, die sich primär an Markt und eigenem Marktwert orientiert, von jener, die eine kritische Position einfordert und in Nischen jenseits der dominierenden Kunstinstitutionen rückt, abkoppelt. Das ursprünglich von Kunst verfolgte Moment einer kritischen bzw. radikalen Sichtweise gesellschaftlicher Prozesse wird zunehmend von monetären Optionen aufgesogen und schließlich als schmückendes Beiwerk für finanzkräftige Kunstsuchende zur Verfügung gestellt. Das daraus resultierende Problem bezieht sich auf die Frage, inwieweit Kunst weiterhin im Stande ist, hegemoniale Strukturen zu hinterfragen und die Notwendigkeit einer ästhetischen und politischen Perspektive und Haltung zu transzendieren, die außerhalb jeglicher Massentauglichkeit operiert. Der Artikel versucht, die gegenwärtigen Entwicklungen am Kunstsektor zu untersuchen und die Möglichkeiten einer Ausdifferenzierung der jeweiligen
Verhältnismäßigkeiten mit Fokus auf die Länder Zentral- und Osteuropas zu überprüfen.
Die Entwicklungen am internationalen Kunstmarkt des letzten Jahrzehnts führten zu einem Hype, der das einst durch die Pop-Art postulierte Phänomen des KünstlerInnenstars als Marketingprodukt weiterführt und die kritische Distanz zwischen KünstlerIn und
Gesellschaft zu nivellieren versucht, da letzter(e) nahtlos in das kapitalistische System überführt wird. KünstlerInnennamen und deren Werke werden wie Statussymbole gehandelt, was in der oberen Schicht des KäuferInnentums hauptsächlich dazu führt, gewisse Namen zu sammeln, ohne dabei spezifische inhaltliche Vorlieben zu entwickeln. Diese Tendenz ist vor allem am amerikanischen Markt zu beobachten, der sich mehr und mehr auf der Oberfläche der Kunst bewegt und ein kritisches Potenzial meistgehend ausblendet. Neue KünstlerInnen werden von Galerien meist nur dann aufgenommen, wenn diese automatisch eine KäuferInnenschicht mitbringen und dadurch den Geschäftsfluss vorantreiben. Ausstellungen und Großevents sind ebenso von Leihgaben der Galerien abhängig und steigern deren Umsatz durch den automatischen Verweis auf die hinter der KünstlerInnenmarke stehende Institution. Ein jüngstes Beispiel stellt die Whitney Biennale von 2008 dar, bei der kaum ein(e) KünstlerIn ohne Galerie im Hintergrund vertreten war, wodurch eine neugierige InteressentInnenschaft an KäuferInnen bei Gefallen der einzelnen Werke diese sofort markttechnisch zuordnen konnte. Werden Ausstellungen dadurch zu einem Warenkatalog mit beigefügten Bezugsquellen?
Etwas anders scheint die Situation weiterhin in Europa, das sich in den letzten zehn Jahren neu zu konfigurieren verstand und vorerst einmal jene Distinktion zwischen Ost und West aufzuheben versuchte, um als gemeinsames Ganzes neuen „Stoff“ künstlerischer Produktion zu bieten. Die Inkludierung jener Kunstproduktion, die einst in Räumen außerhalb der dominanten politischen Ideologie stattfand und stets in Opposition zu dieser geschaffen wurde, wird dadurch zu einem Allgemeingut, das am Markt zu zirkulieren beginnt und den Status des ursprünglich „Anderen“ auflöst. In ihrer letzten Publikation Re-Politicizing Art, Theory, Representation and New Media Technology analysiert Marina Gržinić die Verhältnismäßigkeiten jener Auflösung des einstigen Ost-Westparadigmas, indem durch das Hinzufügen neuer Staaten in die europäische Union keine Aufzählung der einzelnen Staaten mehr erfolgt, sondern diese in das gesamte westliche Gefüge als singuläre Entität überführt werden. Gržinić bezieht sich dabei auf Alain Badiou, der trotz des Aufzählens sämtlicher Elemente einer demokratischen Norm immer nur zu der Zahl eins gelangt, da schließlich alles der einzig gültigen Logik des Kapitals in einem westeuropäischen und nordamerikanischen Sinn untergeordnet wird1. Dies führt automatisch zu einem Wegfallen des „Anderen“ im Sinne von Jacques Lacan, da dieses die Negation der ursprünglichen Identität darstellt, gleichzeitig aber einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Genese liefert. Letzten Endes wird jene Andersheit nicht ausgelöscht, sondern befindet sich im Falle Osteuropas lediglich in unterschiedlichen Konstellationen wieder. Die Frage, die sich hier stellt, ist vor allem jene, wie Osteuropa weiterhin seine Position der Andersheit beibehalten kann, ohne diese innerhalb einer kapitalistischen Welt völlig aufzugeben. Gržinić bezieht sich hier auch auf Lacans These der Lamella, ein unkörperliches Wesen, das unzerstörbar ist, jedoch von jeglicher symbolischer Ordnung entleert wird.2
Welche Mechanismen zeigen sich also innerhalb des europäischen Terrains, das als Einheit unterschiedliche Politiken einer kapitalen Logik (der Vergangenheit) vereint und diese in einem aktuellen künstlerischen Repräsentationssystem positioniert? Als zentrales Beispiel der Integration oder Assimilierung osteuropäischer Kunst - je nachdem wie euphemistisch oder wohlwollend die Thematik angesehen werden kann - gilt zweifelsohne Österreich, das als Vermittlerland bzw. Spionagetreffpunkt während des Kalten Kriegs galt und stets in einem Spannungsfeld zwischen Ost und West lag. Die Idee einer vermehrten Zuwendung zur Kunstproduktion aus den östlichen Nachbarstaaten bestand in diesem Land seit den 1990er Jahren, als offizielle Institutionen wie KulturKontakt und die Zeitschrift springerin in Wien oder Off-Spaces wie Raum für Kunst bzw. dessen Nachfolgeinstitution < rotor > in Graz begannen, junge Kunst aus Ost- und Südosteuropa zu fördern bzw. auszustellen. Zu jener Zeit war es jener Pioniergeist, der sich nicht von den internationalen Kunsttrends beirren ließ und eine politische Notwendigkeit darin verspürte, jene radikalen und gesellschaftspolitisch wesentlichen künstlerischen Leistungen aufzuspüren und diese innerhalb eines westlich konnotierten Kunstsystems zu lokalisieren. Ohne auf markt-immanente Entwicklungen Rücksicht zu nehmen, war bzw. ist es diesen Institutionen ein Anliegen, Diskursformen außerhalb eines gängigen Kunstdenkens zu etablieren und sich nicht von dem Diktat des Marktes beeinflussen zu lassen. Wer heute den Kanon der wichtigsten KünstlerInnen aus dem ehemaligen Osteuropa – eine adäquate Bezeichnung für dessen Nachfolge wurde bisher ebenso wenig wie für das Konzept der Postmoderne gefunden – betrachtet, wird feststellen, dass die wesentlichen von ihnen seit den 1990er Jahren durch Stipendienaufenthalte, etwa von KulturKontakt, in Wien zu Gast waren. Die Unterschiedlichkeit, die sich in Europa hier auftut, ist jene der Repräsentanzzentren für Kunst. Während sich die USA immer mehr nach privat finanzierten Galerien und Museumsstrukturen einteilen lässt, existieren in Europa nach wie vor unabhängige Non-Profit Institutionen und Off-Spaces, die Kunst der Kunst willen und weniger nach Markttauglichkeit präsentieren und nach wie vor die Möglichkeiten staatlicher Finanzierung besitzen. Auch das ursprünglich von Deutschland ausgehende Phänomen der Kunstvereine bietet eine eigenständige Plattform der künstlerischen Artikulation. In solchen Räumen ist es weiterhin möglich, gesellschaftspolitische Projekte durchzuführen, die eine kritische Auseinandersetzung mit hegemonialen Strukturen ermöglicht.
Die vermehrten Bemühungen, Kunst aus Ost- und Südosteuropa zu zeigen, führten dazu, dass von Österreich aus die Bedeutung einiger KünstlerInnen im internationalen Kunstgeschehen zunahm. Es waren vor allem jene Großausstellungen wie „In Search
of Balkania“ (Graz 2002) oder „Blut und Honig“ (Wien/Klosterneuburg 2003), die eine Zusammenschau der wichtigsten KünstlerInnen und Werke aus dieser Region versammelte und diese als wesentliche KuratorInnenNeuentdeckung präsentierte. Während Peter Weibel als Kurator von „In Search of Balkania“ im Rahmen des steirischen Herbst kontinuierlich mit diesen KünstlerInnen arbeitete, die durch die Trigon Ausstellungen mit Fokus Jugoslawien seit 1963 immer wieder in Graz zu sehen waren, versuchte Harald Szeemann mit „Blut & Honig“ sich ebenso als Entdecker jener KünstlerInnen zu positionieren, ohne jedoch deren bis zu diesem Zeitpunkt in
österreichischen Off-Spaces stattgefundene Präsenz zu würdigen bzw. zu kennen. Dieses Phänomen eines kunstpolitischen Machtverhältnisses, das 2003 auch von René Block mit „In den Schluchten des Balkan“ in Kassel fortgeführt wurde, verhalf vielen der in diesen drei Megaschauen vertretenen KünstlerInnen dazu, sich auch markttechnisch in europäischen und amerikanischen Kunstinstitutionen wieder zu finden. Sammlungspolitisch wurde diese Geste wenige Jahre später jedoch nur von der Erste Bank-Gruppe und Generali Foundation, der Tate Modern sowie dem Centre Pompidou fortgeführt, wodurch sich nach wie vor Distinktionen zwischen einer hochpreisigen, US-lastigen Galerienkunst und einem politisch ambitionierten künstlerischen Reflektionsvermögen und dessen kunsthistorischer Relevanz einstellen. In Osteuropa selbst besitzt die Moderna Galerija in Ljubljana als eine der wenigen Institutionen eine fundierte Sammlung mit Werken aus der Region. Das im Neubau befindliche Museum moderner Kunst in Warschau hat sich ebenso zum Ziel gesetzt, eine groß angelegte Sammlung mit Schwerpunkt auf die geopolitische Lage Zentral- und Osteuropas anzulegen.
Scheint es also, als ob die von Osteuropa ausgehende Kunst langsam innerhalb kapitalistisch operierender Strukturen Eingang findet? Die Zunahme der in Galerien vertretenen KünstlerInnen und durch Ausstellungen wie der documenta 12 rasant gestiegenen und etwa auf der Art Basel zu findenden Preise zeugen von dem Interesse des Marktes, immer wieder neue Grenzen bzw. „Frontiers“ aufzutun, um das Interesse der SammlerInnen stillen zu können. Dies führt wiederum dazu, dass die Zentren der kapitalistischen Welt bestimmen, was in den Kanon gesellschaftlicher Akzeptanz vorrücken darf. Einstige antihegemoniale Strukturen werden ökonomisch hegemonialisiert, wodurch es immer schwieriger wird, kritische künstlerische Ansätze zu finden, da die meisten von ihnen ohnedies bereits von KuratorInnen und Galerien in ein markttechnisches Eingliederungsverfahren eingebunden werden.




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