Zeitschrift Umělec 2011/1 >> TransRat FashionShow Übersicht aller Ausgaben
TransRat FashionShow
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2011, 1
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

TransRat FashionShow

Zeitschrift Umělec 2011/1

01.01.2011

Spunk Seipel | profil | en cs de

Wherever you are you are with brody&paetau
Ein gemeinschaftliches Künstlerteam, das globale Arroganz und regionalen Schleim rücksichtslos und an den Grenzen des Erträglichen karikiert. Bekannt wurden die beiden insbesondere durch ihre erniedrigenden Aktionen, in denen sie Funktionsweisen der zeitgenössischen Kunst aufs Korn nehmen. Kunstkritiker Adam Budak meint: „Dieses neo-dadaistische Konzeptkunst-Duo ist auf der Suche nach den schlimmsten Aspekten der institutionalisierten Kunst und dem eigentlichen Phänomen der KunTransRat FashionShowstproduktion an sich. Ihre Strategie ist offensichtlich und in ihrer wortwörtlichen und schnörkellosen Umsetzung geradezu peinlich – wobei gerade darin wohl ihre größte Stärke liegt. Ihre Themen und Angriffsziele sind ebenso elementar: Den Ursprung ihres gegenständlichen Vokabulars bilden Alltagsethik und Moralkodizes. In erster Linie richtet sich ihre Untersuchung auf die Psychologie des Verhaltens, das durch äußerliche Faktoren aus Leben und Politik beeinflusst oder provoziert werden kann. Schwankend zwischen Handlung und Misshandlung, fortgeschrittener Verarbeitung sowie einer kalten und unanfechtbaren Darstellung der Absurdität des Lebens sind ihre Werke in ihrem Wunsch nach Aufdeckung der Pathologien und versteckten Normalitäten zwischenmenschlicher Beziehungen wahrlich kritisch und aufrichtig. Ihre Aktionen sind stets gut strukturiert, mit einer beinahe perfekten, präzisen und ausgeklügelten Dramaturgie, kalt und emotional verstörend, gewagt und grausam sowie durchgehend eindringlich. Ihre Arbeit könnte lediglich eine etwas vorsichtigere Ausbalancierung gebrauchen; das erwünschte skandalöse Resultat würde dadurch noch expliziter auf den Niedergang bestimmter Werte und ihre plötzliche Zersetzung hinweisen.“



Auf der Treppe eines billigen Hotels steht eine Transsexuelle und posiert in ihrem Bikini. Die aufgeblasenen Brüste lassen das kleine Oberteil viel zu knapp erscheinen. Auf einer anderen Fotografie holt eine Kollegin ihren Schwanz unter dem Bikini hervor und masturbiert. Ihre operierten Lippen sind geöffnet, was lasziv wirken soll, uns aber nur das Elend des Straßenstrichs näherbringt. Es sind Bilder, die uns die Brüchigkeit von Träumen und die geschundenen Körper dieser Frauen sehr nahebringen.
Fünf Modelle ließ der Künstler Kristofer Paetau in Rio de Janeiro in seiner von ihm entworfenen Bikinikollektion fotografieren. Er macht keinen Hehl daraus, dass er ein Spiel treibt aus Fälschung und Label, aus dem Irrsinn, den die Luxusindustrie treibt, aus den irrealen Träumen der Transvestiten. Schon im Titel dieser Arbeit sagt der Künstler, worum es geht: Transratfashion. Mode aus Ratten für Transvestiten. Für Menschen vom Rand der Gesellschaft. Mode aus den widerlichsten Tieren. Es ist eine fünfteilige Kollektion, bestehend aus zwei zierlichen Schuhen, an deren Spitzen Rattenköpfe mit Glasaugen befestigt sind, einer winzigen Handtasche aus zwei Ratten, einem etwas albernen, aus einer Ratte genähten Handtüchlein samt Kopf, Pfoten und Schwanz, umrandet von einer Spitzenbordüre sowie, als wichtigstes Element, einem zweiteiligen Bikini. Dessen Oberteil zieren zwischen den Brüsten zwei sich scheinbar ineinander verschränkende Ratten. Wenn das für Rio typische, knappe Höschen getragen wird, sieht es so aus, als ob eine Ratte aus dem After kriecht, während eine andere Ratte vorn den Bauch hochklettern will. Dies alles ist mit dem goldenen Emblem von Chanel versehen, einer der teuersten und berühmtesten Modemarken weltweit.
Paetau präsentiert die Modekollektion in einer gläsernen Vitrine so, als ob sie in einem noblen Kaufhaus oder einem der Flagship Stores von Chanel stehen würde. Für einen kurzen Augenblick könnte man denken, die Bademoden und Accessoires sind wirklich aus dem Hause Chanel.
Aber auch wenn Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld keine Hemmungen im Umgang mit Pelzen hat, Ratten bleiben außen vor. Sind sie doch Symbol des Ekels und der Armut. Ratten kommen in reichen Gegenden nicht vor, allenfalls Punks wollen sich mit diesen Tieren näher befassen. Man kennt Geschichten, in denen Ratten Menschen im Schlaf die Nase abgefressen haben. Solch einen Pelz will eine verwöhnte Frau nicht am Körper tragen, schon gar nicht, wenn man noch Gliedmaßen und Köpfe der Tiere vor Augen hat. Die Modeindustrie nutzt andere Mittel, um den kleinen Schockeffekt zu provozieren, den sie für die Medien und Werbung braucht.
Da Chanel den absoluten Luxus verkörpert, werden viele Produkte dieser Firma gefälscht. Doch anders als Paetau, der seiner eigenen Kreativität freien Lauf ließ, kopieren die Fälscher mehr oder minder schlecht die Originale des Pariser Haute Couture-Hauses. Kristofer Paetau, der aus Finnland stammt und zeitweise in Rio gelebt hat, schaffte etwas Neues und überschritt damit Grenzen, wie so oft in seiner Kunst.
Schon früher nutzte er den Schockeffekt toter Tiere. So auch in Zusammenarbeit mit Ondřej Brody, mit dem er zahlreiche Projekte realisierte. Im Jahr 2007 ließen sie tote Hunde zu Bettvorlegern verarbeiten. Der Schock, einen toten Hund in dieser „Form“ zu sehen, brach in Tabu und saß tief. Schließlich tut man süßen kleinen Hunden so etwas nicht an!
Aber auch die Wahl des „gefaketen Labels“ ist interessant. Eine Ratte ist genau das Gegenteil vom Image einer Firma wie Chanel. Der Kontrast zwischen Rattenmode für Transvestiten und dem Modehaus könnte kaum größer sein. Doch mit Chanel verbindet man immer den Mythos um die Gründerin der Modefirma. Coco Chanel, 1883 als uneheliches Kind geboren und zeitweise im Waisenhaus aufgewachsen, schlief sich als „kleine Nummer“ billiger Revuen hoch, bis sie ihr eigenes Modeimperium aufgebaut hatte und behaupten konnte, die Frau vom Korsett befreit zu haben. Natürlich hatten dies andere vor ihr bereits getan. Und in der Firma lässt man sich ungern auf ihre Rolle als Nazikollaborateurin angesprechen. Heute leitet Karl Lagerfeld das Modehaus, der aus sich selbst eine Kunstfigur gemacht hat und dessen zynischer Humor dem vieler Transsexueller ähnelt.
So hat Paetau eben genau die Marke gewählt, deren Mythos am ehesten die Träume und Wünsche von Transvestiten bedient.
Aber Transratfashion ist nicht einfach eine Modekollektion für Transsexuelle oder ihre Karikatur. Obwohl – das vielleicht auch. Es ist der Schock, der Widerwille, der sich beim Anblick der Fotografien auf verschiedenen Ebenen einstellt und viele Kunstwerke von Kristofer Paetau auszeichnet. Unsere routinierten Gedankenbilder und Klischees werden aufgebrochen. Wir sind mit Menschen vom Rand der Gesellschaft konfrontiert. Da sind geschundene Körper, die vom Wunsch nach Perfektion entstellt worden sind. Wir sind irritiert vom Bruch der Geschlechtergrenzen. Transratfashion stellt uns vor Fragen danach, welche Grenzen Luxus haben darf, ob alles, was möglich ist, erlaubt ist und welche Stellung Tiere haben, die wir als eklig empfinden. Die schwarz-weißen Fotografien zeigen die Brüchigkeit der Träume der Modelle, gerade weil sie diese aufwendig gefaketen Luxusprodukte vor diesem billigen Hotel tragen. Sie stellen auch viele unserer eigenen Werte in Frage.



Aus dem Englischen von Thomas Körner.





Kommentar

Hanka | 14.05.2014 13:41
Tak tohle je hodně ubohý, když si chtěj hrát na drsný umělce tak ať si to vyráběj ze svejch ufetovanejch a ne z myšek.
Gaby | 29.04.2014 09:21
das widerlichste Tier ist der Mensch

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

MIKROB MIKROB
There’s 130 kilos of fat, muscles, brain & raw power on the Serbian contemporary art scene, all molded together into a 175-cm tall, 44-year-old body. It’s owner is known by a countless number of different names, including Bamboo, Mexican, Groom, Big Pain in the Ass, but most of all he’s known as MICROBE!… Hero of the losers, fighter for the rights of the dispossessed, folk artist, entertainer…
Im Rausch des medialen Déjà-vu. Anmerkungen zur Bildnerischen Strategie von Oliver Pietsch Im Rausch des medialen Déjà-vu. Anmerkungen zur Bildnerischen Strategie von Oliver Pietsch
Goff & Rosenthal, Berlin, 18.11. – 30.12.2006 Was eine Droge ist und was nicht, wird gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt, ebenso das Verhältnis zu ihr. Mit welcher Droge eine Gesellschaft umgehen kann und mit welcher nicht und wie von ihr filmisch erzählt werden kann, ob als individuelles oder kollektives Erleben oder nur als Verbrechen, demonstriert der in Berlin lebende Videokünstler…
Meine Karriere in der Poesie oder:  Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen  zu machen und die Institution zu lieben Meine Karriere in der Poesie oder: Wie ich gelernt habe, mir keine Sorgen zu machen und die Institution zu lieben
Der Amerikanische Dichter wurde ins Weiße Haus eingeladet, um seine kontroverse, ausstehlerische Poesie vorzulesen. Geschniegelt und bereit, für sich selber zu handeln, gelangt er zu einer skandalösen Feststellung: dass sich keiner mehr wegen Poesie aufregt, und dass es viel besser ist, eigene Wände oder wenigstens kleinere Mauern zu bauen, statt gegen allgemeine Wänden zu stoßen.
Afrikanische Vampire im Zeitalter der Globalisierung Afrikanische Vampire im Zeitalter der Globalisierung
"In Kamerun wimmelt es von Gerüchten über Zombie-Arbeiter, die sich auf unsichtbaren Plantagen in obskurer Nachtschicht-Ökonomie plagen."
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
DIVUS is publishing the HUMAN TRILOGY, thus completing the publication of original dramatic texts by S.d.Ch. on high-quality...
Mehr Informationen ...
13 EUR
15 USD
Mask, 2005, etching, 39,5 x 27 cm
Mehr Informationen ...
160 EUR
179 USD
2003, 28 x 21.2 cm, Pen & Ink Drawing
Mehr Informationen ...
222 EUR
248 USD
Limited edition of 10. Size 100 x 70 cm. Black print on durable white foil.
Mehr Informationen ...
75 EUR
84 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS
NOVÁ PERLA
Kyjov 36-37, 407 47 Krásná Lípa
Čzech Republic


 

GALLERY
perla@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 6pm
and on appointment.

 

CAFÉ & BOOKSHOP
shop@divus.cz, +420 222 264 830, +420 606 606 425
open from Wednesday to Sunday between 10am to 10pm
and on appointment.

 

STUDO & PRINTING
studio@divus.cz, +420 222 264 830, +420 602 269 888
open from Monday to Friday between 10am to 6pm

 

DIVUS PUBLISHING
Ivan Mečl, ivan@divus.cz, +420 602 269 888

 

UMĚLEC MAGAZINE
Palo Fabuš, umelec@divus.cz

DIVUS LONDON
Arch 8, Resolution Way, Deptford
London SE8 4NT, United Kingdom

news@divus.org.uk, +44 (0) 7526 902 082

 

Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS BERLIN
Potsdamer Str. 161, 10783 Berlin, Deutschland
berlin@divus.cz, +49 (0)151 2908 8150

 

Open Wednesday to Sunday between 1 pm and 7 pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

 

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus We Are Rising National Gallery For You! Go to Kyjov by Krásná Lípa no.37.