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Märchen über kleine Mädchen, eine blaue Jacke und seltsame Tiere
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 1
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Märchen über kleine Mädchen, eine blaue Jacke und seltsame Tiere

Zeitschrift Umělec 2008/1

01.01.2008

Alena Boika | landscape | en cs de es

„Wenn du dich schwach fühlst, gibt es ja nichts, was mit einer guten Portion Heu vergleichbar wäre“, sagte er König und kaute genüsslich weiter vor sich hin.
„Ich würde denken, dass es besser wäre, Euch mit kaltem Wasser zu übergießen“, schlug Alice vor. „Oder Euch an Salmiak riechen zu lassen.“
„Ich habe nicht gesagt, dass es nichts Besseres gebe. Ich habe gesagt, es gebe nichts Vergleichbares.“

Lewis Carroll,
„Alice hinter den Spiegeln“

Eines Tages entdeckte ich eine Reihe amüsanter Arbeiten an den Wänden der Galerie „Entrance“ in den Karlín Studios. Ich erkannte keine davon. Die Ausstellung nannte sich „Gestern, heute und morgen“ (2007), und bereits einen Tag darauf begann sich in meinem Kopf eine Geschichte aufzubauen, in der die Künstlerinnen selbst sowie die Figuren ihrer Arbeiten die Hauptrolle spielten.
Es lebten einst zwei Mädchen: Denisa Krausová und Lucie Ferlíková. Sie malten gern, dachten sich gern alle möglichen Geschichten aus; sie mochten Pflanzen und Tiere – bei Kindern bin ich mir nicht sicher. Auch gab es im Leben einer jeden von ihnen eine Blaujacke (eine Person in einer blauen Jacke; eine zeitgenössische Variante von Blaubart).
Zwei junge Frauen – zwei verschiedenartige Künstlerinnen. Doch es hat sich so ergeben, dass ihre Arbeiten oft gemeinsam ausgestellt werden; in einem gemeinsamen Raum ausgestellt, verstärken und ergänzen sie sich gegenseitig. Aus den Arbeiten beider können lange Geschichten herausgezogen werden, und sie können mit psychologischen Erfahrungen und surrealistischen Details angefüllt werden.
Beide Frauen wurden in kleinen, nicht weiter bemerkenswerten Städten in Mähren geboren. Und Denisa begann, daraus ein Märchen zu spinnen, immer ein optimistisches, und mit einem Happy End; Lucie dagegen betrieb Mystifizierung, führte die Situation ins Absurde, gab sich der Lust an der Gewalt hin oder reiste durch die Zeit.
Beide Künstlerinnen stellen sich fast immer selbst dar: eine Figur erfährt die Welt allein, auf kindliche Art und Weise, im Zusammenspiel mit einer „verbesserten Wirklichkeit“; die andere Figur leidet fast immer oder wird Opfer von Gewalt. Psychologie und Kunsttherapie sind wahrscheinlich die Begriffe, die man zur Analyse ihres Schaffens heranziehen kann, was die Arbeiten nicht schlechter macht, sondern sie in einen anderen Bereich versetzt. Daher möchte ich mich der Analyse Freudscher Erscheinungen, der Suche phallusförmiger Symbolik und anderer eindeutiger Stempel enthalten – und damit übrigens das Stimmrecht den Künstlerinnen selbst überlassen.

Denisa Krausová: Embrace your past
Sie wurde in Jihlava geboren, der ältesten Bergarbeiterstadt an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren, wo nichts Besonderes passiert, mit Ausnahme des Dokumentarfilmfestivals. Daher sucht und gestaltet sie dieses Nicht-Besondere ständig in ihren Arbeiten: markante und beunruhigende Arbeiten, in denen es immer etwas Unausgesprochenes gibt, die Erwartung eines Ereignisses, einer Auflösung. Die Quintessenz dieser Stadt, die Atmosphäre schicksalhafter und aufgeregter Erwartung – von Irgendetwas – wird am Besten in der Arbeit mit der Schnecke vor dem Hintergrund einer für jede kleine Industriestadt typischen Fabriklandschaft ausgedrückt. Assol ist auf dem Bild nicht zu sehen, doch sie hat die Wäsche aufgehängt und ist ans Meer gegangen, in der Hoffnung, die Purpursegel zur entdecken.
Eine der Arbeiten, die als Auflösung, als Schlüssel zum Verständnis des Schaffens von Denisa dienen kann, ist eine originelle weibliche Antwort auf die bekannte Arbeit von Neo Rauch. Bei ihm stehen in einer kleinen, grell beleuchteten Bar Männer an der Theke. Und um sie herum ist ein Wald, und ein Sturm nähert sich, und ein Weg läuft irgendwohin vorbei, in ein anderes Leben. Auf dem Bild von Denisa steht an genau solch einem in der Nacht leuchtenden Rechteck eine junge Frau und blickt auf einen Weg, den ein Pferd entlang jagt. Dies ist die Erwartung eines Wunders, und die Wirklichkeit, die sich ereignen kann, kann nur Enttäuschung bringen – denn sie wird kein Wunder sein.
Überhaupt findet sich eine solche indirekte Zitierweise in vielen Arbeiten von Denisa. Beispielsweise ist „Houpacka“ (Das Mädchen auf der Schaukel) ein direkter Verweis auf das Gemälde „Die Schaukel“ (1776) von Jean-Honoré Fragonard. Und wenn man „Vögel, Asphalt und Öl auf Leinwand“ betrachtet, ist es unmöglich, nicht an Rockwell Kents Illustrationen zu „Moby Dick“ zu denken. Sehr lustig ist die zeitgenössische Interpretation des Letzten Abendmahls, wo die Künstlerin die Geschehnisse beobachtet. Sie ist gerade auch die Hauptperson, die Schöpferin mit dem Skalpell in der Hand, die, über den Tisch gebeugt, ihr eigenes Urteil vollstrecken will. An amerikanische Pop-Art lässt das Waschen des Hauptarbeitswerkzeugs denken: ein riesiger Pinsel, und eine ausgefallene Kleinigkeit mit dem Namen „Tělovka“ (Fleischfarben) – ein Teig, der von seinem Sockel herunter kriecht. Die Anschaulichkeit und Plakativität vieler Arbeiten ist unter anderem ein Ergebnis der Ausbildung in der Grafikerschule mit dem Schwerpunkt „Kunst der Propaganda“.
Viele Arbeiten können als Märchen gelesen werden, in denen sich das Sujet und die Handlung nach dem Wunsch des Betrachters entwickeln. Aber das ist fast immer eine „märchenhafte Verbesserung der Situation“. Alles zu vermischen, den Betrachter in vollkommenes Befremden zu versetzen, um dann mit Hilfe einiger Details diesen Eindruck umzukehren, ist ein Lieblingsverfahren der Künstlerin. Zum Beispiel ist das, was wie das Reich der Toten mit allen daraus hervorgehenden Konsequenzen aussieht, tatsächlich nur ein fröhlicher Spaziergang, auf dem kleine Skelette der Künstlerin und ihrem Weggefährten eine Führung bieten.
Denisa war einst in Rumänien und hat dieses Land sehr lieb gewonnen. Ein wirklicher, großer Brand, den sie dort gesehen hat, hat ihrer Phantasie einen verblüffenden Stoß versetzt: Der Anblick war so grauenhaft, dass sie ihn nicht naturalistisch malen wollte. Sie wollte alles retten und verbessern – so malte sie ein grünes Feuer, in dem alles frühlingshaft feierlich und gespielt erscheint. Und sogar ein Stein in Form eines Schädels ringt sich eine Träne ab.
Gelegentlich erinnern ihre Arbeiten sehr an etwas, aus dem man den idealen Raum für ein spannendes Computerspiel schaffen könnte, mit der Hauptaufgabe, unter den Stammpersonen – Skelette, Pferde, Fliegen, Knochen, Blüten – die versteckte Figur der Künstlerin zu finden, den Demiurgen aller Ereignisse. Von der Komplexität der Komposition mit vielen Figuren und dem Charakter der Personen her kann man einige ihrer Arbeiten mit den Gemälden von Hieronymus Bosch vergleichen.
Einige Arbeiten können unter Vorbehalt der so genannten „naiven Kunst“ zugerechnet werden – mit allen ihren Details und Einzelheiten, eine eigenwillige Verbindung von Comic, Surrealismus und Naivismus – aber alle diese Definitionen bringen eher eine gewisse Begrenzung mit sich, als dass sie helfen, die Werke tiefer zu verstehen.
Hier ist beispielsweise etwas, das ich als „sehr tschechische Arbeit“ definieren würde Wenn man versucht, zu bestimmen, was genau an ihr tschechisch ist, wird es offensichtlich, dass die Liebe zu Zügen nicht nur Tschechen zueigen ist – sowohl ein schnurrbärtiger Mann, als auch ein fröhlicher Hund mit einem Küken auf der Schnauze, als auch alle diese kleinen Häuschen könnten beinahe von überall her stammen, jedem beliebigen geographischen Breitengrad und jeder beliebigen Kultur zugehören. Aber irgendwie kann man daraus gleichzeitig sowohl die Surrealisten als auch den allseits beliebten Held des tschechischen Zeichentrickfilms herauslesen – den Maulwurf mit der roten Nase. Überhaupt wirken einige Arbeiten in ihrer vorsätzlichen Idiotie wissentlich wie ein lebensfroher Spott über alles, was man vielleicht über sie aussagen möchte. Wie zum Beispiel die fröhliche und dumme Mickymaus, die auf hohem Ross sitzt, mit dem Anspruch, das Reiterbild irgendeines Generals aus der Geschichte darzustellen.
Eine weitere Richtung könnte bedingt „geometrisch-geographisch“ genannt werden: Aus der Dunkelheit erheben sich die gefallenen Zwillingstürme, blau erstrahlt Peru, und Terra Nostra zeugt von Sympathie für die braune Farbe, von einer sicheren Beherrschung graphischer Verfahren und von einer gewissen Skepsis gegenüber dem, was mit dieser unserer Erde vor sich geht.

Lucie Ferlíková
Auch sie ist in einer Kleinstadt – Kyjov – geboren, in der jedoch im Gegensatz zur Heimatstadt von Denisa sehr viel Merk-würdiges geschieht. Lucie sagt, dass die Bewohner sich dort schnell einmal ordentlich eins auf die Nase geben und einander sogar ohne besonderen Grund dafür erschlagen können. Die Kenntnisse, über die Wikipedia verfügt, sind äußerst dürftig: Es wird berichtet, dass in der Stadt 12.000 Einwohner leben, einmal alle vier Jahre ein Folklorefestival stattfindet und dass dort der berühmte Pornostar Silvia Saint geboren wurde, über die die Enzyklopädie bedeutend mehr zu berichten weiß. Sie hat lange genug auf ihre Purpursegel gewartet und ist zu fernen Ufern aufgebrochen. Man kann nicht sagen, dass Lucie ihre Stadt, in der sie einen Teil ihrer Zeit verbringt (sie pendelt aufgrund ihrer Lehrtätigkeit zwischen Prag, Pilsen und Kyjov hin und her) besonders liebt. Aber sie gibt zu, dass „all diese merkwürdigen Dinge“, die in der Stadt passieren, zweifellos Einfluss auf ihre Entwicklung als Künstlerin gehabt haben.
In ihrem Lebenslauf gibt sie als Nationali-tät „Tschechisch – EU“ an und begreift sich als Resultat der Vermischung von verschiedenem Blut und verschiedener Nationalitäten. Ihr Vater ist Slowake mit ungarischen Wurzeln, die Mutter aus Südmähren, zur Hälfte Handwerker, zur Hälfte Landadel. Wurzeln hat sie in Österreich-Ungarn und Schweden. Sie sagt, sie fühle sich in Ungarn als Ungarin und werde sich immer wieder bewusst, dass tschechische Alltagswerte ihr fremd blieben.
Lucie selbst kann man sich als Kunstwerk vorstellen – die Gestalt, die sie darstellt, kann man auch in der Mehrzahl ihrer Arbeiten entdecken. Es überrascht nicht, dass zu ihren Ausbildungen auch „Design von Schuhen und Modeaccessoires“ zählt. Eine zarte Blondine, die an mittelalterliche Malerei erinnert, Opfer oder großartiges Ergebnis eigener psychologischer Konstruktionen und spiritueller Suchen.
„Amalgam“ ist ein Wort, das als Schlüs-sel zum Verständnis ihrer Arbeiten dienen kann. Das Wort „Amalgam“ bedeutet die Verbindung von Quecksilber mit einem oder mehreren Metallen (zum Beispiel Na-trium, Kalium, Kupfer, Silber, Gold), die in der Zahnmedizin und Elektrochemie verwendet wird. Selten kann es in der Natur als Mineral angetroffen werden. Im „Taschenfremdwörterbuch“ von 1971 kann man auch folgende übertragene Bedeutung finden: Gedankengemisch. Genau dieses Gemisch, das Verschmelzen von allem zu einem ist das, was die Künstlerin anstrebt. Sie ist begeistert von Van Dejk, spricht von der Liebe zu Wendepunkten – von der Gotik zur Renaissance, von der Renaissance zum Barock, sie schwärmt für den Manierismus und beweist ihre Vorlieben, indem sie in ihrer Diplomarbeit den Heiligen Sebastian mit der Venus kreuzt.
Während sie von ihrem Werk spricht, zeigt Lucie zwei Hauptrichtungen auf: vor allem ist dies der Solipsismus (Solipsismus ist eine subjektive Sicht auf die Welt, die darauf begründet ist, dass die einzige Realität diejenige ist, sie als Resultat eigener Erlebnisse begriffen werden kann. Alles andere sind Illusionen eines Anderen). Ein spannendes Spiel mit Symbolik, Mythologie, Träumen und psychologischen Erfahrungen verfolgt das zentrale Ziel: den Betrachter mitzureißen und glauben zu lassen, dass seine Wirklichkeit die einzig mögliche ist.
Die zweite grundlegende Richtung ist die Kunsttherapie, deren Grundlage Zeichnungen bilden, die unterbewusst entstehen, beispielsweise während eines Telefongesprächs. Ausbrechende Vulkane, ein Mann und eine Frau mit vielen Armen, aber ohne Kopf, die entweder miteinander kämpfen oder versuchen, einander zu umarmen. Käfige, Frauen, die in ihnen gefangen sind, ein Wolf, der einer Frau, deren Hände an ein Brett genagelt sind, den Hals durchbeißt; Skelette, Sex, immer mit Elementen grausamer Gewalt. Eine solche Form des mechanischen Zeichnens ist eine der bevorzugten Methoden, die Lucie in ihrer Malerei oft verwendet.
Jetzt, da die wichtigsten Helden, genauer gesagt, Heldinnen des Märchens vorgestellt worden sind, ist es an der Zeit, den Raum festzulegen. Die Handlung spielt sich vor dem Hintergrund zweier seiner bedingten Spielarten ab: des flachen und des dreidimensionalen. Nehmen wir an, dass man die Collage als eine Art dreidimensionalen Raum ansehen kann und das Landschaftsbild als zweidimensionalen.

Collage
Die Collage ist beiden Künstlerinnen nahe, doch während Denisa dieses Verfahren selten in der Bildkunst verwendet, wendet sich Lucie in der vielgestaltigen Eklektik ihrer Denkweise relativ oft der Technik der Collage zu. Die Thematik ist verwandt mit der, die in der Malerei aufzuspüren ist: Träume, Reisen durch verschiedene Leben. Lucie verwendet ein breites Spektrum von Figuren und Klischees aus der Popkultur und der Werbeindustrie, daher spielt sich die Handlung in ihren Arbeiten in der Regel vor dem Hintergrund blaugrüner Wasserspiegel oder üppiger Vegetation ab. Zum Beispiel ist „Mädchentraum“ eine ironische Interpretation der gleichnamigen Arbeit der legendären Toyen, in der die Träume auf Auto, Haus und süßes Leben hinauslaufen. Ein amüsanter Unterschied zur Malerei besteht darin, dass die weiblichen Gestalten im Gegensatz zur Malerei eine entgegen gesetzte Ladung aufweisen: sie sind aggressiv und entschlossen; sie überfallen, anstatt sich gehorsam der männlichen Gewalt zu ergeben. Als umfassende Persönlichkeit reicht Lucie einfaches Papier nicht aus. Sie möchte mit dem realen Raum arbeiten, ihn brechen und umgestalten, wie beim Origami.

Sieht man auf dem Bild Garage,
Wald oder Haus,
wissen alle,
wird ein Landschaftsbild daraus.


Das klassische Landschaftsbild ist nicht ganz das, was beiden Künstlerinnen zueigen ist. Aber Denisa erschafft ganze Welten, indem sie in einem Genre arbeitet, das ich als „Landschaftsbilder mit Sujet“ bezeichnen würde – sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer Elemente des Spiels und handelnde Personen enthalten, die in der Landschaft versteckt sind. Die Mehrzahl ihrer Arbeiten kann man dieser Strömung zurechnen. Eines Tages entschied Denisa gar, dass es nun reiche, dass es Zeit sei, ein gewöhnliches klassisches Landschaftsbild zu malen. Und sie malte: wir Betrachter können nun das Spiel „Finde die 10 Unterschiede“ spielen.
Lucie beschäftigen Landschaftsbilder an sich überhaupt nicht, sie sind nur interessant als Teil der neuen Welten, die sie erbaut. Im Unterschied zu den verschachtelten Arbeiten von Denisa, die Rebussen ähneln, sind die Landschaftsbilder von Lucie äußerst einfach, absichtlich minimalistisch und erinnern an die Werke von Kindern. Doch man muss immer die Auflösung suchen, die nur gefunden werden kann, wenn man die miteinander verbundenen Bilder in der richtigen Reihenfolge aufstellt und eine entdeckt, die sich ganz und gar unterscheidet. Sie ist der Schlüssel.

Dieses Jahr lieben wir
Blumen und Tiere

Wie allseits bekannt, müssen in Märchen verschiedenartige Tiere vorkommen, vorwiegend gute. Und es gibt sie, denn beide Künstlerinnen verwenden in ihren Arbeiten Darstellungen von Tieren: vorwiegend gilt ihre Sympathie dem Löwen, dem Kaninchen und allen möglichen Vögeln.
In den Arbeiten von Denisa treten Tiere in der Regel in der Rolle von Rettern auf: so rast ein weißer Löwe über den jüdischen Friedhof, der ein junges Mädchen vor grauenerregenden Geistern rettet, und ein bunter Hahn rettet sie auf schnellen Schwingen vor einer Meute böser Hunde.
In den Arbeiten von Lucie ist der Löwe nicht einfach ein Löwe. Er ist vor allem ein tschechisches Symbol, das auf dem Wappen dargestellt ist und außerdem Einzug ins Logo des bekannten Supermarkts Delvita gefunden hat. So erwürgt eben dieser „Delvita-Löwe“ in Lucies Diplomarbeit (2005) eine junge Frau, und auch er dient ihr – ein sich ständig wiederholendes Sujet von Lucies Arbeiten. Man kann natürlich annehmen, dass es um die Probleme des Konsumismus geht, doch es ist offensichtlich, dass die Künstlerin die Bilder aus der Reklame und den gesellschaftlichen Medien nur gebraucht. Wenn man ihre Liebe zu Vermischungen und Mystifikationen aller Art kennt, ist es nicht schwer zu erraten, dass die drei Adlerweibchen (ein rotes, ein weißes und ein gelbes) auch ein Spiel mit dem tschechischen Wappen darstellen, und zwar des allerersten aus dem 11.-12. Jh. Indem sie es erst mit Herz, dann mit einem Hasen und unvermeidlich auch mit einer Ananas kreuzt, erschafft Lucie ihr eigenes, neues Wappen, macht bisherige Werte wertlos und errichtet einen eigenen, neuen, mystischen Staat.
Der Hase, genauer gesagt, das Kaninchen ist einer der Helden der „Tierwelt“ von Lucie. Er nimmt seinen Anfang in „Alice im Wunderland“ und in der Mythologie. So ist einer uralten Buschmann-Legende zufolge der Hase der Bote des Mondes, der den Menschen die Kenntnis über das periodische Sterben und Wiederauferstehen auf die Erde bringen sollte. Die Verbindung des Hasen mit dem Leben, dem Tod und der Unsterblichkeit kann auch in der ägyptischen und altgriechischen Mythologie entdeckt werden, in der Kultur der nordamerikanischen Indianer und der Jakuten. Wenn man vom oben Gesagten ausgeht, wird deutlich, warum Lucie ihn in ihren Arbeiten so umfassend als Symbol für Fruchtbarkeit verwendet und diese Bedeutung noch mit Farbsymbolik verstärkt: weiß, gelb, rot.

Die blaue Jacke
Vor dem Hintergrund des Landschafts-bildes mit guten und seltsamen Kaninchen und Löwen muss einfach irgendein düsterer Held auftauchen, der in jedes Märchen gehört. Durch eine zufällige Übereinstimmung trägt diese Person, die einen engen Freund symbolisiert, auf vielen Bildern beider Künstlerinnen eine blaue Jacke. Was mich dazu brachte, eine logische Frage zu stellen: ist das ein und derselbe Mensch, irgendein universelles Böses, das sie leiden lässt? Nein, nein, nein, sagte jede der beiden.
Da bleibt einem nichts anderes übrig, als das zu glauben. Auch daran, beispielsweise, dass die Arbeit von Denisa, wo der Mensch in der blauen Jacke schon keine Jacke mehr anhat, und übrigens auch sonst nichts, und alles finster aussieht und an ein Schlachtfeld erinnert – dass diese Arbeit von der Liebe handelt. Die junge Frau ist einfach müde und hat sich ein wenig zum Ausruhen hingelegt, und er beschützt sie. Rundherum Frieden und Ruhe – durchgängig Positives. Aus derselben Serie stammt die Arbeit mit nackten Reitern und einem Spaziergang mit einem von blutiger Soße triefenden Hamburger – der Gipfel der Romantik.
Im Falle Lucies lässt ihr die Blaujacke praktisch keine Chance. Das Opfer verliert fast immer zumindest den Kopf, was bei ihren Ananas Pierrots mit ausgiebigen, malerischen Blutströmen einhergeht. Aber wie schon gänzlich klar geworden ist, ist dies ein „wonniger Schmerz“, der mit Freude aufgenommen wird und Erlösung vom Leiden mit sich bringt. Daher bleibt uns nur, unser Märchen, so wie es sich gehört, mit einem Happy End abzuschließen.

* Das Wort „pandan“ hat mehrere Bedeu-tungen; im vorliegenden Kontext sind mindestens zwei passend: Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen; sowie Paar, gleichwertiges, passendes Ding.






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