Zeitschrift Umělec 2008/2 >> Die zweite kultur in den USA Übersicht aller Ausgaben
Die zweite kultur in den USA
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 2
6,50 EUR
7 USD
Die Printausgabe schicken an:
Abo bestellen

Die zweite kultur in den USA

Zeitschrift Umělec 2008/2

01.02.2008

Ivan Mečl | aktivismus | en cs de es

Kohouts Performances sind leicht verständlich und verfügen über genügend Humor. Dem Zuschauer sind sie dennoch wegen dem rohem Fleisch und Schmutz unangenehm. Oder vielleicht einfach aufgrund der unangenehmen Themen.
Seine erste Performance spielte sich zu Beginn der Achtziger in der sozialistischen1 Tschechoslowakei ab. Viele Dokumenta-
tionen dieser frühen Aktionen hat die StB2 beschlagnahmt, und so sind von ihnen lediglich die Autorenskizzen erhalten geblieben. Zum Beispiel von der Performance „Bud prase“ (Sei ein Schwein), wo er im Schweinestall nackt bei den Ferkeln lag und Schweinemilch trank. Die Geheimpolizei fand Fotografien und bezeichnete ihn, trotz der christlichen Metapher dieser Aktion, als deviante Person. Die sozialistische Polizei war schlichtweg ungebildet. Als Unterzeichner der Charta 773 und Gegner der sozialistischen Regierung verließ er nach zahlreichen Verhaftungen das Land und ging 1986 in die USA. Aber selbst während er im österreichischen Übergangslager auf das amerikanische Visum wartete, führte er seine Performances fort.
In den USA angekommen, stellte er mit der Zeit fest, dass es offenbar auf der ganzen Welt kein Regime mehr gibt, das man nicht ununterbrochen kritisieren sollte. Das Prinzip einer jeglichen Regierungsform besteht in einem mehr oder weniger großen Maß an Unterdrückung. Immer finden sich genügend Beispiele für Machtmissbrauch. Und oftmals ist es notwendig, sich auch hinter die zu stellen, die das eigene Land jenseits seiner Grenzen diskriminiert oder missbraucht.
In den Vereinigten Staaten legte Milan Kohout also los mit seiner Kritik am Machtmissbrauch, den kriminellen Finanzgeschäften, der Ignoranz gegenüber der Armut, den künstlich erzeugten Kriegskonflikten und dem offensichtlich unüberwindbaren Rassismus. Beliebte Ziele seiner Kritik sind medial angelegte Lügen und Werbekampagnen. Obwohl er dem Land vieles verdankt, ist er zu einem militanten Kritiker des arroganten amerikanischen Patriotismus geworden. Er verhält sich unsentimental und macht dabei keinen Unterschied zwischen Gestaltung und Aktivismus. Aus der Sicht der europäischen Kunstkritik sind viele seiner Aktionen lediglich politische Akte. Der osteuropäische Aktivismus der Achtziger Jahre hingegen wird als Kunst akzeptiert. Der damalige Underground und die so genannte „zweite Kultur“, zu der Milan Kohout zählt, sind der Beleg hierfür. Vielleicht ist das allein schon deshalb so, damit die Ergebnisse dieser vorwiegend anarchistischen Strömungen in den Vitrinen der Sammlungen staatlicher Institutionen, Banken und Konzerne liegen können.
In den Vereinigten Staaten wurde Kohout Mitglied der Gruppe „Mobius“, die 1985 für den Nobelpreis nominiert wurde. Nach der Samtenen Revolution kehrte er einige Male in die Tschechische Republik zurück, um neue Aktionen zu präsentieren. Ein Beispiel ist sein Angriff auf den Bau einer Mauer, der die weißen und dunkelhäutigen Bewohner einer Straße trennen sollte, worauf er mit dem Auftrennen der Tschechischen Flagge reagierte. In Kroatien wurde er von Nationalisten bedroht, nachdem er großflächige Werbetafeln derart veränderte, das Kriegshelden, die in Wirklichkeit Kriegsverbrecher waren, der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Eine der letzten Aktionen, mit denen er gleichermaßen die Aufmerksamkeit der Medien wie auch der Justiz auf sich zog, war der Verkauf von Galgenschlingen. Zu dieser Aktion führen wir hier einen Ausschnitt seiner Ausführungen an, welche Milan Kohout in unserer Prager Redaktion machte.

„Milan Kohout spendiert euch jetzt ein paar Galgenschlingen“

Ich versuche die Dinge so einfach wie möglich zu machen, sie ins tägliche Leben zu übertragen und dabei ethisch aufzuladen. Einer meiner beliebtesten Performancekünstler ist Diogenes von Sinope. Vor über zweitausendvierhundert Jahren trug er Säcke voller Knochen auf die Strasse, verteilte sie dort auf dem Boden und fragte die Menschen, ob sie zwischen den Knochen der Armen und Reichen unterscheiden könnten. Das ist ganz klar eine Performance mit ethischem Inhalt.
Die Betonung der Ethik ergab sich bei mir aus meiner aktiven Teilnahme am tschechischen Underground, der so genannten „zweiten Kultur“. Ivan Martin Jirous hat diesen Begriff in seinem Essay zur „dritten nationalen Wiedergeburt” der Tschechen geprägt. Er definiert da die Grundprinzipien. Lieber keine Kunst machen, als künstlerische Kompromisse einzugehen. Nicht bemüht sein, Teil irgendeiner Kunstgeschichte zu werden. Immer authentisch sein. Tatsächlich kam es daraufhin zur Aufspaltung in eine offizielle und in eine sogenannte zweite Kultur. Dem entsprach auf politischer Ebene die Charta 77.
Die Performance mit den Galgenschlingen entstand aus Anlass des virtuellen Festivals „Tremor“. Gerade zu der Zeit, im November letzten Jahres, kam es in den Vereinigten Staaten zum Einbruch bei den Hypotheken. Die Banken hatten über Jahre hinweg am zynischen Schneeballsystem verdient. Sie hatten Hypothekendarlehen an Leute vergeben, die es sich eigentlich nicht leisten konnten. Bei den Geldinstituten wusste man sehr genau, dass viele nicht imstande sein würden, sie jemals zurückzuzahlen. Und man wusste auch, dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem die verschuldeten Menschen Konkurs anmelden und ihre Häuser verlieren werden, die Hypotheken längst an der Börse verkauft worden sind.4 So versuchten sie den Eindruck zu erwecken, der Wert der Häuser würde immer weiter steigen. Die Preise können aber nicht bis in den Himmel wachsen, und daher musste das gesamte Hypotheken-Spiel eines Tages zusammenbrechen. Als die Blase platzte, begannen Millionen Bedauernswerter ihre Häuser zu verlieren. Zuerst wurde ihnen mitgeteilt, es gäbe die Möglichkeit, ihr Darlehen nach zwei Jahren zu refinanzieren. Der neue Wert ihrer Immobilie würde berücksichtigt und die Zinsen blieben daher gleich. Dazu ist es aber nicht gekommen. Auch die Zinsen haben sich nach zwei Jahren schon verdreifacht. Viele der Betroffenen begingen daraufhin Selbstmord.

Milan Kohout


1 Der ursprüngliche und authentische Sozialismus. Heutzutage fälschlicherweise Kommunismus genannt, damit die linken Parteien ihre Bezeichnungen behalten können. Unter dem wahren Kommunismus stellte sich Marx und später Lenin etwas ganz anderes vor.
2 Staatssicherheit der sozialistischen Tschechoslowakei.
3 Die einzige Gruppierung von Kritikern und Widerständlern, die noch nach dem gewaltsamen Ende der Reformen von 68 im Inland unter eigenen Namen auftraten.
4 Ideal für solche Art Geschäft sind die verschiedenen Investmentfonds. Da verlieren wieder nur die Kleinanleger ihr Geld. Sie glauben nämlich, dass ihnen das Anlagenportfolio die Rente sichert. Die Zusammensetzung dieser Portfolios regeln aber wieder die Anbieter von Hypotheken, da die Besitzer der Investmentfonds wiederum die Banken sind.






Kommentar

Der Artikel ist bisher nicht kommentiert worden

Neuen Kommentar einfügen

Empfohlene Artikel

No Future For Censorship No Future For Censorship
Author dreaming of a future without censorship we have never got rid of. It seems, that people don‘t care while it grows stronger again.
Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus Nick Land, Ein Experiment im Inhumanismus
Nick Land war ein britischer Philosoph, den es nicht mehr gibt, ohne dass er gestorben ist. Sein beinahe neurotischer Eifer für das Herummäkeln an Narben der Realität, hat manch einen hoffnungsvollen Akademiker zu einer obskuren Weise des Schaffens verleitet, die den Leser mit Originalität belästigt. Texte, die er zurückgelassen hat, empören, langweilen und treiben noch immer zuverlässig die Wissenschaftler dazu, sie als „bloße“ Literatur einzustufen und damit zu kastrieren.
Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus Terminator vs Avatar: Anmerkungen zum Akzelerationismus
Warum beugt ihr, die politischen Intellektuellen, euch zum Proletariat herab? Aus Mitleid womit? Ich verstehe, dass man euch hasst, wenn man Proletarier ist. Es gibt keinen Grund, euch zu hassen, weil ihr Bürger, Privilegierte mit zarten Händen seid, sondern weil ihr das einzig Wichtige nicht zu sagen wagt: Man kann auch Lust empfinden, wenn man die Ausdünstungen des Kapitals, die Urstoffe des…
Ein Interview mit Mike Hollands Ein Interview mit Mike Hollands
„Man muss die Hand von jemandem dreimal schütteln und der Person dabei fest in die Augen sehen. So schafft man es, sich den Namen von jemandem mit Sicherheit zu merken. Ich hab’ mir auf diese Art die Namen von 5.000 Leuten im Horse Hospital gemerkt”, erzählte mir Jim Hollands. Hollands ist ein experimenteller Filmemacher, Musiker und Kurator. In seiner Kindheit litt er unter harten sozialen…
04.02.2020 10:17
Wohin weiter?
offside - vielseitig
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur  (Die Generation der 1970 Geborenen)
S.d.Ch, Einzelgängertum und Randkultur (Die Generation der 1970 Geborenen)
Josef Jindrák
Wer ist S.d.Ch? Eine Person mit vielen Interessen, aktiv in diversen Gebieten: In der Literatur, auf der Bühne, in der Musik und mit seinen Comics und Kollagen auch in der bildenden Kunst. In erster Linie aber Dichter und Dramatiker. Sein Charakter und seine Entschlossenheit machen ihn zum Einzelgänger. Sein Werk überschneidet sich nicht mit aktuellen Trends. Immer stellt er seine persönliche…
Weiterlesen …
offside - hanfverse
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Die THC-Revue – Verschmähte Vergangenheit
Ivan Mečl
Wir sind der fünfte Erdteil! Pítr Dragota und Viki Shock, Genialitätsfragmente (Fragmenty geniality), Mai/Juni 1997 Viki kam eigentlich vorbei, um mir Zeichnungen und Collagen zu zeigen. Nur so zur Ergänzung ließ er mich die im Samizdat (Selbstverlag) entstandene THC-Revue von Ende der Neunzigerjahre durchblättern. Als die mich begeisterte, erschrak er und sagte, dieses Schaffen sei ein…
Weiterlesen …
prize
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
To hen kai pán (Jindřich Chalupecký Prize Laureate 1998 Jiří Černický)
Weiterlesen …
mütter
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Wer hat Angst vorm Muttersein?
Zuzana Štefková
Die Vermehrung von Definitionen des Begriffes „Mutter“ stellt zugleich einen Ort wachsender Unterdrückung wie auch der potenziellen Befreiung dar.1 Carol Stabile Man schrieb das Jahr 2003, im dichten Gesträuch des Waldes bei Kladno (Mittelböhmen) stand am Wegesrand eine Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Passanten konnten ein Aufblitzen ihres sich wölbenden Bauchs erblicken,…
Weiterlesen …
Bücher und Medien, die Sie interessieren könnten Zum e-shop
Feast, sketch - drawing, 29,5 x 20,5 cm
Mehr Informationen ...
340 EUR
350 USD

Studio

Divus and its services

Studio Divus designs and develops your ideas for projects, presentations or entire PR packages using all sorts of visual means and media. We offer our clients complete solutions as well as all the individual steps along the way. In our work we bring together the most up-to-date and classic technologies, enabling us to produce a wide range of products. But we do more than just prints and digital projects, ad materials, posters, catalogues, books, the production of screen and space presentations in interiors or exteriors, digital work and image publication on the internet; we also produce digital films—including the editing, sound and 3-D effects—and we use this technology for web pages and for company presentations. We specialize in ...
 

Zitat des Tages Der Herausgeber haftet nicht für psychische und physische Zustände, die nach Lesen des Zitats auftreten können.

Die Begierde hält niemals ihre Versprechen.
KONTAKTE UND INFORMATIONEN FÜR DIE BESUCHER Kontakte Redaktion

DIVUS BERLIN
in ZWITSCHERMASCHINE
Potsdamer Str. 161
10783 Berlin, Germany
berlin@divus.cz

 

Geöffnet Mittwoch - Samstag, 14:00 - 20:00

 

Ivan Mečl
ivan@divus.cz, +49 (0) 1512 9088 150

DIVUS LONDON
Enclave 5, 50 Resolution Way
London SE8 4AL, United Kingdom
news@divus.org.uk, +44 (0)7583 392144
Open Wednesday to Saturday 12 – 6 pm.

 

DIVUS PRAHA
Bubenská 1, 170 00 Praha 7, Czech Republic
divus@divus.cz, +420 245 006 420

Open daily except Sundays from 11am to 10pm

 

DIVUS WIEN
wien@divus.cz

DIVUS MEXICO CITY
mexico@divus.cz

DIVUS BARCELONA
barcelona@divus.cz
DIVUS MOSCOW & MINSK
alena@divus.cz

DIVUS NEWSPAPER IN DIE E-MAIL
Divus Potsdamer Str. 161 | Neu Divus in Zwitschermaschine, galerie und buchhandlug in Berlin! | Mit U2 nach Bülowstraße