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Maix Mayer – der schweigende Stern
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2005, 2
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Maix Mayer – der schweigende Stern

Zeitschrift Umělec 2005/2

01.02.2005

Martin Vančát | profil | en cs de

Unser Spaziergang durch die nächtliche Stadt wurde von einem Modellflugzeug gestört, das sich in dem beleuchteten Schaufenster eines Büros für Fluglinien befand. Aufgespießt auf einem Metallstab flog es zwischen Reklamefotos und Töpfen mit Zimmerpflanzen herum. Das Arrangement schien sich seit den 70ern kaum verändert zu haben: Irgendwann hatte jede Fluggesellschaft so ein Modell, welches beweisen sollte, dass ihre Maschinen sich wirklich in der Luft halten konnten. Und schon befanden wir uns in einer Umgebung, in welcher Maix Mayer sich gerne bewegt: Eine Situation, in der sich Bedeutung frei transformieren lässt.
Sein schöpferisches Interesse umkreist die Beziehung zwischen der Realität und ihrer Beschreibung.
Seine Inspirationen findet er meist in Architektur und Film.

Hippies? Puhdys.

Maix Mayer wurde in Leipzig in einer Zeit geboren, in der die Menschen in der DDR fest an eine bessere Zukunft glaubten und ihren Kindern exotische Namen gaben, wohl weil sie dachten, dass die nächste Generation auf Dienstreise ins All geschickt wird. Gerade zu dieser Zeit begann das Weltall-Programm und alle lebten dies ein bisschen. In den Westkinos geisterte die Komtesse aus dem Spessart und zwischen den Klappen wurde noch schnell ein Stück Autobahn zwischen Nürnberg und Stuttgart fertig gebaut. Ähnliche Schlager gab es eine ganze Reihe. Und dabei waren die Leute sich nicht sicher, ob ihnen das alles wirklich gefällt.
„Klein-Maix“ war ein aufgewecktes Kind. Alles um ihn herum nahm er auf, und später versuchte er die Flucht in das Spezialgebiet der Meeresbiologie. Angeblich vor allem deswegen, weil dies eine reale Chance für Reisen in die Welt bedeuten konnte. Oft sagen wir: „diese Zeit möchte ich erleben!“, aber nicht wirklich ernsthaft, es sei denn, wir bekommen die Möglichkeit, uns gute Bedingungen auszuhandeln. Vorsicht, dies ist die DDR im Jahre 1!

Als kleiner Junge besuchte er die Messe in Leipzig, bei der er die unglaublichen Prototypen von Gartenhäuschen sah, entworfen von irgendeinem VEB Kombinat. Zusammen mit Freunden begab er sich ins Kino und sah den Film Der schweigende Stern, den ersten von vier Sci-Fi Filmen ostdeutscher Produktion. Unter dem Titel First Spaceship on Venus wurde eine neu geschnittene und zensierte Version auch in den USA vertrieben.
Von diesen Filmen blieb ihm besonders die schauspielerische Leistung von Oldrich Lukes im Gedächtnis, welcher uns zu Hause in Tschechien in der TV Serie Wir vom Ende der Welt beglückt – als chinesischer Linguist, der auf der Venus mit den Sternen spricht.

Subfiktion
Mehrere Jahre später entsteht Mayer´s Zyklus Subfiktion. Die Arbeit Subfiktion 1 (2000), welcher später drei weitere Werke folgen sollten, besitzt offensichtlich konzeptionelle Züge. Mayer macht die Bekanntschaft mit einer Architektin/Szenografin, die bei der Entstehung des Filmes der Schweigende Stern mitgewirkt hatte. Sie erklärt ihm bestimmte Details der Dreharbeiten, am meisten aber interessiert Mayer die Figur des chinesischen Linguisten. Der chinesische Schauspieler Tang Hua-Ta, der die Rolle damals spielte, konnte kein Wort Deutsch, seine Repliken wurden später synchronisiert – doch im Film spricht er ununterbrochen. Mayer beschäftigt diese Frage mehr als alles andere; er reist nach Hong Kong, wo er sich bemüht, jemanden zu finden, der die Kunst des Lippenlesens beherrscht. Das ist nicht leicht, aber er hat Erfolg und so erfährt er, dass der Hauptdarsteller seiner japanischen Schauspielkollegin ein Liebesbekenntnis nach dem anderen macht. Diesen Rechercheprozess beschreibt die Arbeit Subfiction 2 (2000), für die Mayer originelle Filmplakate entwerfen lässt. Noch in der Zeit seines Hong-Kong Aufenthalts mietet er mehrere Plakatmaler der alten Schule und gibt ihnen dieselbe Aufgabe: „Male einen chinesischen Wissenschaftler, der in einem Raumschiff durch das All fliegt.“
Das Sujet von Mayers Arbeit ist der Drehprozess eines 40 Jahre alten Filmes, er greift wie ein besessener Privatdetektiv post mortem in das Geschehen ein, ohne dass es ihm gelingt, die Tatzeit und den Tatort in die Gegenwart zu übertragen. Die Mühe wird belohnt: Es gelingt ihm, die Belanglosigkeit des Wertes von Information und Erinnerung zu relativieren.
Subfiktion folgt mit einem dritten und vierten Teil (2001). Im dritten Werk schickt Mayer den chinesischen Linguisten in einem seiner Lieblingsobjekte auf den Weg ins Weltall: In jenem Gartenhäuschen, dem er vor langer Zeit zum ersten Mal auf der Leipziger Messe begegnete. Wir sind uns einig: das Thema der beiden letzten Werke ist der Raum – auch deswegen entschied sich Mayer für die Verwendung von 3D Animationen.
Ist 3 eine fröhlich-gelbe kosmische Fahrt mit der Grundterminologie der Chemie als Botschaft, so findet 4 seine Inspiration in der explodierenden Villa aus der Schlussszene von Antonionis Meisterwerk Zabryski Point:
Das Gartenhäuschen zerbirst in einer pathetisch existentiellen Atmosphäre in winzige Teile, ähnlich dem Jüngsten Gericht. Für die musikalische Untermalung sorgt nicht Pink Floyd, sondern Albert Einstein höchstpersönlich auf seiner Geige mit der Komposition „Relativitätstheorie.“
In dieser Arbeit gelingt es Mayer, die technischen Prinzipien des Aufbaus einer Szene aus Antonionis Film zu enthüllen und sie gleichzeitig als elegante Paraphrase in seinem eigenen Werk wiederzugeben. Er nutzt dabei die Möglichkeiten der 3D Animation, welche die 17 Kameras von Antonioni ersetzt. Der Zuschauer wird durch die Explosion des neuen Bildes verstrahlt, welches sich nur schwer in irgendwelche Zeit-Raum-Rahmen eingliedern lässt. Beim genauen Verfolgen des verlangsamten Verfalls in seine einzelnen Teile überschreiten wir die Grenze zwischen konkreten und abstrakten Bildern, ohne dass es uns bewusst wird.

Besessen von Beton
Maix Mayer interessiert die Architektur, welche mit ihm in Ostdeutschland wuchs. Er hat eine neutrale Beziehung zu dieser aufgebaut und deswegen kann er oft darauf zurückgreifen. In seinen Filmen mit Namen wie Transarchitektur, oder Psycho in Dresden (1997) fokussiert er architektonische Details der Stadt und versucht die Leere auszudrücken, welche die Architektur so wunderbar produziert. Es ist außerordentlich, wie einfach es ihm gelingt zu zeigen, was Architektur in Wirklichkeit für die Stadtbewohner bedeutet und wie unbemerkt diese von ihr beherrscht werden. Tragendes Prinzip der Filme ist der Wechsel von konkreten Plätzen und abstrakten Rastern; es zeigt sich, dass diese Form sehr passend für diese Art der Erzählung ist: Abnorm und nicht beschreibend.
In dem Projekt Hanoi (2004) stellte er zehn großformatige Drucke vor, welche ein aktuelles Porträt des Stadtteils Halle-Neustadt zeigen, aufgebaut nach dem zweiten Weltkrieg. Wir können sie als „Bilder der Macht“ lesen, der kommunistischen Architektur, welche so unerschrocken mit der Urbanistik experimentierte. Menschen fehlen auf diesen Bildern, da sie die Vollkommenheit der Architektur stören würden. Bestandteil der Ausstellung Hanoi war auch das Modell Kugelhaus, ein bizarres kugelförmiges Bauwerk, zusammengefügt aus 20 Sechsecken und 12 Fünfecken, stehend auf 5 Stützen – im ehemaligen Ostdeutschland benötigte so eine Art Bauwerk keine Bauerlaubnis. Die Installation Hanoi ergänzte der Künstler mit zwei Stühlen, von welchen aus der Betrachter durch das Galeriefenster auf die Strasse sehen konnte. Die Stühle hatte Mayer mit Kopfhörern versehen, Besucher konnten imaginäre Gespräche hören, die sich auf der Strasse abspielen.

Last Train to Transzentendal

Eine ähnliche Beziehung wie zur Architektur hat Mayer auch zum Bahnverkehr. Das Projekt aus dem vorherigen Jahr: Zug um Zug wurde in einem Lokomotiv-Depot des Leipziger Hauptbahnhofes vorgestellt. Die Zuschauer verfolgten Mayers Dokumentation auf einer Leinwand, die auf einer drehbaren Rampe platziert war, auf welcher normalerweise Lokomotiven ausgewechselt werden. Im Hintergrund spielte sich das normale Bahnhofsleben ab. Der Film erzählt von der Faszination Eisenbahn und ihrer Besessenheit, die in Deutschland tiefe Wurzeln hat. Die Spielzeuggeschäfte in der DDR waren voll davon. Ich denke, tschechische Kinder habe sich gewundert, warum sich die Ostdeutschen so gerne Modelle von Bahnstrecken und Städten bauen. Mayer hat das Gespräch mit Menschen aufgenommen, welche fahrende Lokomotiven fotografieren oder ihre freie Zeit mit dem Bau von neuen Bahngleisen für Modellzüge verbringen. Er beobachtete, welchen Charakter die Flucht vor der Realität mit Hilfe von Hobbys hat.
In letzter Zeit begann Mayer die Zusammenarbeit mit DJ Robin Rimbeaud als Scanner. In dem Mix Transrapid geht es um freie DJ-VJ Performances, während der Mayer die Bilder macht, und Scanner den Techno. Es beginnt mit einer außerordentlich monotonen Sequenz eines Waggons, die sich mit ungefähr zehn weiteren Filmen abwechselt, in denen Züge in Erscheinung treten. Diese Einheit des Ortes ist grundsätzlich, wirkungsvoll und für seine Arbeit bereits typisch. Vollkommen unbemerkt befinden wir uns mitten in der Begebenheit und sehen, wie sie immer schneller wird, um in der Schlussszene in einem riesigen Zugunglück zu enden, bei dem Züge aus aller Welt beteiligt sind.

Reise ins All

Der Name des bisher letzten Filmes von Mayer ist Raumgleiter. Hier schöpft er aus anderen Quellen als in seinen bisherigen Arbeiten. Er wendet sich jedoch erneut den Urstoffen zu, die für sein Schaffen charakteristisch sind.
Mayer bekam die Möglichkeit, im bis jetzt nicht eröffneten Haus des Leipziger Museum für Moderne und Gegenwärtige Kunst zu filmen. Er machte sehr präzise Aufnahmen, die Kamera bewegt sich im Raum und schafft die Illusion eines dreidimensionalen Raumes. Wir fühlen, wie bedeutend der Einfluss auf die Architektur durch die modernistische Welle der geometrischen Abstraktion ist. Es scheint, als sähen uns Mondrian und Malevic aus jeder Perspektive an, trotzdem hat sie bisher noch keiner in diesem Gebäude entdeckt. Der Raum wirkt in einer Richtung irreal (unkonkret) und neutral, etwas das man aus verschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen kann, es verkehrt herum drehen und dann mit Lichtgeschwindigkeit daraus flüchten. In der anderen Richtung erscheint der Raum als Index der eigenen ästhetischen Determinierung. Eine glanzvolle Szene spielt sich im Lager des Maschinenraums ab. Hier kommt es zur vollkommenen Harmonie der metaphorischen Verbindung Harmonie – Sammlung der modernen Kunst – Raumschiff. Unterdessen ergreift uns oben Schönheit und Funktionsfähigkeit, unten fließt Öl und die Maschinen bleiben nicht stehen.

Und dann...

Maix Mayer entfaltet die Fähigkeit, sich einzig mit der Hilfe der so konkretisierenden Medien wie Film oder 3D Animation abstraktiv auszudrücken. Sein Umgang mit Information ist frei (aber verantwortungsbewusst), sie ist für ihn wie eine zufällig gefundene Chiffre, welche man lösen oder noch weiter chiffrieren kann. Er zwingt uns nicht irgendeine konkrete Bedeutung auf, er sucht eher die Basis des Kollektivs.
Er arbeitet gerne mit ausdrucksvollen Objekten, welche er wiederholt, transformiert, und immer wieder in ihren möglichen Bedeutungsflächen ändert. Als ob er andeuten will, dass es ihm um Modell-Situationen geht, welche wir durch das, was uns gerade einfällt, ergänzen dürfen. Die Geschichte ist für ihn sekundär, bedeutend ist die Form, welche die Poetik des Bildes begründet und gleichzeitig die Bedeutungswelten, an welchen wir auch im großen Maße Anteil nehmen.




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