Zeitschrift Umělec 2009/2 >> Gini Müller: Possen des Performativen. Theater, Aktivismus und queere Politiken (republicart 7) Wien: Turia + Kant 2008, 184 Seiten | Übersicht aller Ausgaben | ||||||||||||
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Gini Müller: Possen des Performativen. Theater, Aktivismus und queere Politiken (republicart 7) Wien: Turia + Kant 2008, 184 SeitenZeitschrift Umělec 2009/201.02.2009 Meri Disoski | rezession - buch | en cs de |
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Vor der Folie theatraler Eingriffs- und Interventionsformen befasst sich Gini Müller in ihren „Possen des Performativen“ mit unterschiedlichen Manifestationen von öffentlichem und kollektivem Aufbegehren und Protest. Das Fundament für Müllers Auseinandersetzung mit Formen von politischer Aktion setzt sich aus poststrukturalistischen, postdramatischen und feministischen Diskursen zusammen.
Auf den doppelten Bedeutungshorizont des im Buchtitel vorkommenden Begriffs „Posse“ weist die Autorin eingangs in ihrer Vorbemerkung hin: Auf einer ersten Bedeutungsebene stünde das lateinische Verb „posse“ – ganz im Sinne von Negri/Hardt – für die Macht des Handelns, des Agierens als „politische Subjektivität der Multitude, als Haufen, Meute. Im deutschen Begriff der „Posse“ würden einander hingegen Theater und Politik als Orte des Burlesken, des Humors und in der subjektivierten Form „Possenreißer“ begegnen. Das theatrum posse bedeute – so die Schlussfolgerung – schließlich „einen Narren zu erfinden, einen transversalen, kritischen ‚Bastard’ und einen nicht-gelehrigen Körper zu bespielen, sich anzueignen, zu vernetzen“. Im ersten Abschnitt skizziert Müller übersichtlich und kompakt Geschichte und Theorie des Performativen. Dabei spannt die Autorin einen Bogen, der von der 1957 gegründeten Bewegung der Situationisten und deren primären Methode zur Aneignung des öffentlichen Raumes, dem dérive, über Formen von Theater und Performance der 68er-Bewegung (mit obligatem Hinweis auf die „Uniferkelei“ im NIG der Uni Wien) bis hin zu der in den 90er “Jahren entstandenen Kommunikationsguerilla, deren „Praxen und Techniken […] unter anderem Subverting, Cross-Dressing, Happenings, Unsichtbares Theater, Tortenwerfen, Imageverschmutzung und die Erstellung von Fakehomepages“ reicht. Beginnend mit einem Hinweis auf Nietzsche, der die Diskussion um die Bedeutung performativer Prozesse in Gang gesetzt habe, reflektiert Müller den Begriff der Performativität: Während sich Austin, auf dessen Sprechakttheorie sich TheoretikerInnen des Performativen beziehen, v.a. für das Gelingen von Sprechakten interessiere, würden PoststrukturalistInnen wie Deleuze, Guattari, Derrida, Butler u.a. in ihren Dekonstruktionsverfahren vor allem jene Aspekte, die „zu einem Misslingen des Sprechaktes führen, um die immanente, subversive Möglichkeit zu eröffnen, den Kontext zu verschieben“ fokussieren. Den zweiten Abschnitt widmet Müller zwei sich diametral gegenüberstehenden performativen Praktiken, für die sie die Begriffe theatrum gouvernemental und theatrum posse prägt. Gemein ist diesen beiden Formen, dass sie sich desselben Terrains bedienen sowie dass sie sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene stattfinden können. Auf den von Foucault zur Bezeichnung des Zusammenhangs von „Herrschaftstechniken und den Praktiken des ‚Sich-selbst-Regierens’“ geprägten Neologismus der gouvernementalité rekurrierend, möchte Müller das theatrum gouvernemental als eine massiv in den öffentlichen Raum eingreifende gouvernementale Inszenierungsstrategie verstanden wissen. Der von 2000 bis 2006 regierenden FPÖVP-Koalition diagnostiziert die Autorin „autoritäre Mechanismen“ bei der Inszenierung ihres theatrum gouvernemental. Als Beispiel wird die mit dem Jahr 2005 einhergehende Inszenierung großer Jubiläen (60 Jahre Kriegsende, 50 Jahre Staatsvertrag, 50 Jahre österreichischer Rundfunk, 10 Jahre EU) genannt, wobei die virtuell nachgestellte Bombardierung Wiens durch die Alliierten einen mehr als fragwürdigen Höhepunkt dargestellt habe. „AkteurInnen der Multitude“ würden auf demselben Terrain des theatrum gouvernemental verschiedene Techniken und Methoden eines theatrum posse entwickeln, mittels derer sie ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt in theatralisierter Form Ausdruck verleihen könnten. Als wichtiges Beispiel für die lokale Ausprägung des theatrum posse kann das im EKH, dem Ernst Kirchweger Haus, Wiens einzigem besetzten Haus, gegründete Volxtheater hervorgehoben werden, das von „theaterinteressierte[n] politische[n] AktivistInnen“, die „sich Theater als politisches Ausdrucksmittel des Aktivismus“ aneignen wollten, gegründet worden war. Ihm lag ein kollektives, antihierarchisches Konzept zu Grunde, die politische Ausrichtung war klar antirassistisch, antisexistisch und antinationalistisch (vgl. 100). Müller referiert, wie die AkteurInnen des Volxtheaters mit dem Regierungswechsel im Februar 2000 ihren Agitationsraum vom klassischen Theaterraum auf die Straße verlagerten und als „Teil der Protestwelle gegen die ÖVP/FPÖ Regierung“ mit theatralischen Aktionsformen bei Demonstrationen gegen die Regierung experimentierten. Der zunächst „nur“ auf Österreich begrenzte Aktionsraum des Volxtheaters wurde im Jahr 2001 durch die Gründung der VolxTheaterKarawane, an welcher die Autorin beteiligt war, ausgeweitet: Ihre erste internationale Tour führte die Karawane von Österreich über Slowenien nach Italien – die Ereignisse rund um den G8-Gipfel in Genua, die in der umstrittenen Verhaftung von 25 Karawanen-AktivistInnen gipfelten, werden weitgehend ausgespart. Weitere Formen des theatrum posse global verortet Müller in unterschiedlichen glo-balisierungskritischen Bewegungen, wie sie etwa die Strategien der Sans Papiers, aktivistischen Formen im migrationspolitischen Bereich oder Kanak Attack darstellen. Der dritte Abschnitt umreißt Überlegungen zur „Verqueerung“ des heteronormativen Geschlechtertheaters und stellt queere Aktionsformen und Praktiken, kurz: queer politics, vor, die beispielsweise in Gruppierungen wie Riot Grrrls, Pink Block oder Transgender Warriors Ausdruck finden. Mit ihren Possen des Performativen legt Müller ein übersichtliches, lektürefreundliches Buch vor, in dem theaterwissenschaftliche und philosophische Theorieansätze gekonnt verwoben werden. Bei der Darstellung der vielen unterschiedlichen Praktiken, die sie unter „Possen des Performativen“ zusammenfasst, profitiert die Autorin von ihrer umfassenden theaterpolitischen Erfahrung, die sie u.a. auch im Volxtheater und in der Volxtheaterkarawane gemacht hat; der daraus resultierende „Praxisbezug“ kommt Müllers Studie mehr als nur zu Gute. ad Posse: „Im Begriff der Posse begegnen einander Theater und Politik als Spielräume des Realen, des Möglichen, des Komischen und des Performativen. Der kreative, anarchistische, theatrale Konflikt und Antagonismus liegt im Verb, das die Menschen performatives Vermögen schöpfen lässt: posse verweist so gesehen grundlegend auf performative theatral-politische Handlungsmacht. Die performative Subversion des theatrum posse entspricht einer ‚verqueerten’ Möglichkeit, Repräsentationen und Machtbeziehungen zu kritisieren, ihre Kontexte zu verschieben und durch das eigene queere Tun Anspruch zu erheben, zu fordern.“ (Possen des Performativen, S.141) ad Volxtheaterkarawane: „Die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten durch Medien-Projekte, Diskussionen und VolxTheater meinte nicht zuletzt, dass das Bildermachen und Darstellen der Vorgänge eingebunden ist in ein Handeln, in politische Projekte mit konkreten Forderungen und Zielen. Viele Versuche schlugen fehl oder bestätigten Vorurteile gut gemeinter Aufklärung bzw. additiver Bildproduktion. Trotzdem, mit dem Wert der Erfahrung und der Experimente, des Austauschs und der Auseinandersetzung wurden Organisationsformen praktisch ausprobiert, der Qualitätsgrad steigerte sich mitunter und romantische Theorie und praktisches Chaos wurden so zum Teil fassbarer. Und nicht nur hier stellten sich am Ende des Projekts die notwendigen Sinnfragen: Was bedeutet das eigene Tun? Wie kann Vernetzung, Zusammenarbeit und politische Organisierung verbessert werden? Wie kann StellvertreterInn-enpolitik, patriarchales Machtgehabe und die Wiederholung hierarchischer Strukturen verhindert werden? Wie effektiv ist das Agieren als politische Gruppe, die Forderungen jenseits von Kapital, Staat und Patriarchat erhebt und als Wirkung im System meist nur Juckreiz erzeugt? Gibt es Möglichkeiten zur Veränderung, ohne permanent gegen die Wand zu rennen und regelmäßig von der Staatsgewalt eine auf den Kopf zu bekommen? Und wie kann die »Posse« ihre Handlungsmacht entfalten?“ (Possen des Performativen, S.110) ad Queer: „Am Anfang meines Konzepts des theatrum posse steht - wie auch am Anfang der Queer-Theorie - das Interesse am Anderen, die Anerkennung in der Verschiedenartigkeit. Die Andere ist MitspielerIn, ZuschauerIn, Verbündete. Judith Butler und andere haben in Theorie und Praxis gezeigt, dass die Dekonstruktion von Identität nicht die Abschaffung von Politik bedeuten muss. Es geht dabei nicht, wie vielfach unterstellt wird, um den postmodernen Rückzug ins Private und die Reduktion der performativen Subversion auf Crossdressing und auf Parties. Die Politik als Sphäre des Handelns und der Machtausübung muss immer neu konstruiert und erprobt werden, und in diesem Kontext sind die Stadt, die Bühnen und andere Orte wichtige öffentliche Konflikträume.“ (Possen des Performativen, S. 141)
01.02.2009
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