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Texte zur Kunst
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2006, 3
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Texte zur Kunst

Zeitschrift Umělec 2006/3

01.03.2006

Tony Ozuna | text und kunst | en cs de

Ich empfinde immer eine gewisse Enttäuschung, als wäre ich betrogen worden, wenn Kunstwerke keinen Titel haben. Das liegt daran, dass – zumindest in meinen Augen – ein Bezugspunkt eliminiert wurde.
So wie zum Beispiel kürzlich in der Retrospektive des Fotografen Miroslav Tichy im Kunsthaus Brno, in der fast alle Arbeiten ohne Titel waren. Verständlicherweise, wie man in diesem Fall sagen muss, denn wie könnte ein achtzigjähriger Mann Werken Namen geben, die aus zahllosen auf seinem dreckigen Fußboden gelagerten Stapeln lange vernachlässigter und korrodierter Fotografien bestehen, die größtenteils vor über 30 Jahren gemacht wurden.
Andererseits hätte ich gerade bei dieser Ausstellung gerne die Geschichten oder (wenigstens) die Vornamen gewusst, um all die unscharfen Gesichter und BHs und Unterleiber miteinander in Zusammenhang zu bringen. Natürlich kann es sein, dass Tichys jüngst “entdecktes” Gesamtwerk genau wegen dieses Informationsdefizits so erfolgreich ist. Ohne Titel haben die in Kyjov auf Film gebannten Bilder noch mehr an mythischer Ausstrahlung gewonnen – größtenteils Beine und Körper von Töchtern und Ehefrauen, unsterblich gemacht in verschwommener Unschärfe.
Es gibt also auch gute Gründe, weshalb Künstler Titel ganz weglassen, beeinflussen diese doch offenbar unsere Interpretation der Werke. Und zwar so sehr, dass ich sogar bei Arbeiten, die (besonders bei Gruppenausstellungen) der absolute Blickfang sind, trotzdem stets zu Orientierungszwecken auf den Titel und den Namen des Künstlers schiele. Wenn dagegen – das andere Extrem – eine Arbeit banal ist, lernen Kunststudenten an ihren Hochschulen ganz sicher, dass sie diese (oder ihren eigenen Hals) retten können, indem sie sich einen humorvollen Titel ausdenken.
Worte auf einem Gemälde oder auf einer Skulptur sind noch einmal etwas anderes. Verglichen mit Titeln und Untertiteln führen die Worte in diesem Fall zu einem klareren Dialog zwischen Künstler und Betrachter. Man denke an John Baldessari mit seinen gewitzten und provokativen Statements auf eher uninteressanten Gemälden. Meistens wenn Künstler sich für den Gebrauch von Text entscheiden, kann man eine Tendenz zur Simplifizierung des Mediums erkennen, um die Wörter stärker hervorzuheben.
Eine schwache Wortwahl lässt den armen Betrachter allerdings ganz unabhängig vom Bild denken, was der französische Maler Henri Michaux in seinen unter dem Titel Tent Posts erschienenen poetischen Betrachtungen so formulierte: “Kommunizieren? Du möchtest also auch kommunizieren? Aber was? Dein Versatzmaterial? – immer wieder der gleiche Fehler. All diese Versatzstücke, eins aufs andere getürmt? Du kennst dein Inneres noch nicht genug, armer Idiot, um etwas zu kommunizieren zu haben.”
Leider verdient ein großer Teil textgestützter Konzeptkunst diesen Tadel von Michaux.
Obwohl Jiři Kovanda als Führer der zeitgenössischen tschechischen (textbasierten) Konzeptkunst gilt, ist er ein Minimalist – verglichen mit jemandem wie Jiři Kolar, der einfach zu viel zu kommunizieren hatte – geradezu stumm. Kolar war im Herzen ein Poet, der seine eigenen Worte einer intellektuellen Mutprobe unterzog, einem rein philosophischen Prinzip. Leider bis zu dem Punkt, an dem er, Ende der 60er Jahre Autor wirkungsvoller Verse, sich entschloss, seine Worte zu winden und zu zersetzen, mit dem Ergebnis, dass nur poetische Metaphorik übrig blieb.

„Nimm die Bilder von der Wand
roll die Teppiche ein
stell die Möbel in der Mitte des Zimmers zusammen
decke sie mit Papierbahnen ab
wie vor einer Renovierung
steh in der Ecke mit deinem Gesicht zur Wand
und bleib dort so lange du kannst.”

Gesicht zur Wand (Tváří ke zdi), aus Kolars Gedichtsammlung Gebrauchsanweisungen (Návod k upotřebení)

Sehr wenige Künstler produzieren derart visuell wirkungsmächtige Texte wie diesen; allerdings hat der Slowake Boris Ondreicka vor kurzem die Messlatte mit einem auf Englisch verfassten Text erhöht, den er für die von Vit Havranek kuratierte Ausstellung I act 2 auf die Wand der Prager Galerie Futura schrieb. Ondreickas Beitrag befindet sich im ersten Raum der Ausstellung mit dem Titel Scheissliche Ostblocker und ist das beste zeitgenössische Prosa-Gedicht/Kunstwerk, das ich seit langem gesehen habe.
Ein weiteres herausragendes Werk der Ausstellung kam von Pavel Braila aus Moldawien. In seinem vierminütigen Video Recalling Events liegt Braila auf einer großen schwarzen Tafel, auf die er mit weißer Kreide schreibt. Er schreibt Daten und Wörter auf, Referenzen an ein Leben, das sein eigenes sein könnte oder auch nicht. Manche Texte sind unlesbar, aber das ist egal, denn wenn er etwas geschrieben hat, wischt er es sofort wieder weg, mit den Händen, Armen, Beinen, dem Gesicht, ja mit seinem ganzen Körper, der sich in einer Art Kreisbewegung windet und verdreht.
Künstler mit nicht nur verdrehten Körpern, sondern auch verdrehtem Verstand schließlich machen den besten Gebrauch von Bildern und Worten. Raymond Pettibon erkannte früh diese Dichotomie, als er seine kontrastreichen Zeichnungen eigenen, nicht in direktem Zusammenhang mit diesen stehenden Texten gegenüberstellte. Häufiger noch verwendete er Zitate von Autoren wie Henry James und William Blake, oder auch von berühmten Massenmördern wie Charles Manson – das alles auf Flyern für Punk-Konzerte mit Black Flag, den Circle Jerks und anderen Vertretern der Hardcore-Punk-Szene der 70er/80er Jahre in Los Angeles.
In der so gar nicht trendigen Punkbewegung jener Zeit ging es um die rohen Kräfte von Klang und Schrei, und Pettibons aktuelle und noch nicht abgeschlossene Werkserie mit einem gedrungenen cartoonartigen Jungen mit Vulcanusmund, der “Va-voom” ruft, fängt nicht nur diese zwei Elemente der verflossenen Ära ein. Alle Feinde dieser Welt werden mit einer mächtigen Eruption – einem Schrei – herausgefordert, um die ganze Menschheit gegen all den Unsinn des heutigen Lebens stark zu machen.
Der kleine Va-voom ist eine Art unfertiger Poet unserer Tage, und dies völlig zu Recht, denn jenseits dieses Punktes, den Pettibon so gut auslotet, gibt es nur Außenseiter. Einer der besten naiven (beziehungsweise Außenseiter-) Künstler, die in letzter Zeit in der tschechischen Szene entdeckt wurden, ist Zdenek Kosek, der bei der erschöpfenden Art Brut-Ausstellung dabei war, die von Terezie Zemankova und Barbora Šafářova kuratiert wurde und in diesem Sommer in Prag im Haus zur Steinernen Glocke, der Galerie Stepanska und dem französischen Kulturinstitut stattfand.
Kosek ist der wahnsinnige Zwilling und die Antithese von Jiři Kolar, er ist ein Philo­sophenprinz und ein Amok gelaufener Kartograph, der in Notizheften sowie auf seinen eigenen Landkarten und Diagrammen schreibt und herumkritzelt. Inspiriert von seiner eigenen Fantasiewelt, in der die Sexualität brodelt, schafft er daneben Kollagen und kleine Zeichnungen, die er anschließend veredelt; seine Füllfederhalterreisen auf Frauenkörpern aus Hardcore-Pornomagazinen verzieren und besudeln zugleich. Kosek hegt und pflegt seine Konzepte und Texte so sehr wie jeder andere Künstler-Autor auch, aber seine eigenwilligen Graffiti auf Papier liegen leider jenseits unseres Begriffsvermögens – lauter Stimmen, keine Worte.










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