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Briefe vom "Post-Ding"
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2009, 1
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Briefe vom "Post-Ding"

Zeitschrift Umělec 2009/1

01.01.2009

Elizabeth Grady | standpunkt | en cs de es

Zur Zeit grassiert das „Post-Ding“: Postsozialistisch, postmodern, postkolonial, postnational... Auf Englisch spricht man auch von Post-Cold War (nach dem Kalten Krieg) und Post-9-11 (nach dem 11. September 2001). Blogs verkörpern dezentralisierte Gemeinschaften von «Post-ern», die gemeinsam über alles befinden, vom hippen Trend bis zur nächsten Revolution, und erwecken dabei den trügerischen Anschein demokratischer Zugänglichkeit und kollektiver Praxis. Sogar Müll ist «post-consumer content» (Nach-Konsumenten-Inhalt) bei Bioprodukten, was die Idee von Nachhaltigkeit in Objekte der Begierde umwandelt. Aber was bleibt von uns übrig, wenn wir offline gehen? Wenn das «Post», das «Danach», eine Ersatzexistenz ist, wo Konsumkultur und die Virtualität verführerische Platzhalter sind für wirklich gelebte Erfahrung, wie können wir unsere alles andere als idealen kulturellen, sozialen, politischen und sogar materiellen Positionen bewältigen? Wie reagieren wir auf die Prekarität eines womöglich immer postdemokratischeren Moments? Unter dem Zwang, mit einer surrealen Existenz fertig zu werden, in der die Verlagerung von Heim, Arbeitsort und Bezugsgruppen etwas ganz Normales ist, hat eine New Yorker KünstlerInnengruppe einen Ausweg gefunden, um überraschende Arbeiten mit unvorhergesehenen Parametern zu schaffen. Die chaotischen, lustigen, schlauen Arbeiten von David Ellis, José Enrique Krapp und Phoebe Washburn haben eine marode, so spielerische wie prekäre Ästhetik gemeinsam. Bei ihrer Arbeit improvisieren sie und denken dabei über Überlebensstrategien in unsicheren Zeiten nach. Alle drei verwenden alltägliche Materialien, die an der Grenze von Müll und Brauchbarkeit stehen, und bauen sie ganz mechanisch zusammen, was so prosaisch ist, dass jede altmodische Idee vom Künstler als Genie zugunsten eines Bauarbeiterkünstlers oder eines Bastlerkünstlers aufgegeben werden muss. Was wirklich hervorsticht, ist allerdings ihr gemeinsames Interesse für das, was ich gerne als grundlegende Paradigmata des Zuschauer-Erlebens postulieren möchte: - Passiver Zuschauer, aktives Kunstwerk - Aktiver Zuschauer, aktives Kunstwerk - Aktiver Zuschauer, passives Kunstwerk (Da die Teilnahme eines Publikums für jedes Werk eines Künstlers zentral ist, lassen wir die vierte, stumpfe und gnädigerweise irrelevante Kategorie «passiver Zuschauer, passives Kunstwerk» beiseite.) Wenn sie nun ihre Tätigkeit eher auf ein Einbeziehen des Zuschauers ausrichten als auf ein vermarktbares Produkt, dann orientieren sie uns energisch darauf, dem Reich der Realität ins Auge zu blicken. David Ellis' Serie Trash Talk scheint zwar in die Kategorie «passiver Zuschauer, aktives Kunstwerk» zu fallen, nimmt aber Bezug auf die oft gemein-humorvollen Wortgefechte, die man außerhalb der afro-amerikanischen Community am ehesten noch unter ihrer simpelsten und antiquiertesten Form der «Yo Mama»-Witze kennt (Deine Mutter ist so fett, dass...). Der Titel der Ausstellung The Dozens von 2008 ist ein anderes Wort für solche gewaltlosen Straßenkämpfe. Auch der Titel der Serie ist ein Wortspiel, denn das Hauptwerk Heap (Der Haufen) ist eine riesige, überlebensgroße Müllhalde: alte Einkaufswagen, Farbkessel, Pappe und Plastiktüten, Müllbeutel, kaputte Schirme, Stapelplatte und was sonst noch Ellis auffiel, als er durch das Galerienviertel von Chelsea spazierte, um nach Kunstmaterial Ausschau zu halten. Bei seiner Aufräum- und Anhäufaktion stieß er auf Objekte, die eine bestimmte akustische oder emotionale Bedeutung haben könnten. Eine ungeheure Investition von Echtzeit, Fleiß und Knochenarbeit war vonnöten, und er entwickelte eine ungewöhnlich enge Beziehung zu Materialien, die man in Kunstgalerien als Abfall zu bezeichnen pflegt. Diese Konfrontation mit der Müllrealität, die ein Resultat der Konsumsucht des Kunstmarkts ist, bietet ihm ein einzigartiges Instrument zur Erkundung der Strukturen und Mechanismen seiner Welt, und er dringt tief in ihren Unterleib ein, schaut nicht nur auf ihr schönes Gesicht. So wird sein Kunstschaffen zu einer Entdeckungsreise, einer Odyssee, zu etwas Authentischem, das die Leerstelle des virtuellen Lebens füllt, wenn man «virtuell» im alten Sinn versteht: als etwas, dass zwar eigentlich, aber nicht wirklich existiert. Es markiert auch eine Abkehr von seiner parallelen Tätigkeit als Graffiti-Künstler. Während Graffiti-Kunst in die Stadtlandschaft bringt und das urbane Gewebe aktiviert, bringt Ellis mit Heap die Straße in die Galerie und bezeichnet sie als Kunst. Das alles befasst sich aber noch nicht mit der Rolle von Heap in The Dozens, die eines vulgären Akteurs, der in den makellosen Ausstellungsraum der Roebling Hall Galerie in New York eindringt. Wie ein verrücktes, obdachloses Wunderkind, das sich Zutritt in eine schicke Kunstgalerie verschafft hat, wuchert die Arbeit in einem Riesendurcheinander (das dankenswerterweise aber nicht stinkt) durch den Raum. Wer hineinkommt, wird von einer Kakophonie rüder Rippenstöße und unverschämter Crashes bedrängt, wenn einzelne Teile des Haufens zu Leben erwachen, staccato-artig losboxen und sich gegenseitig niederlärmen wollen. Im Haufen verstecken sich mechanische Teile von automatischen Pianos, die mit Hilfe des Komponisten Roberto Lange so präpariert wurden, dass sie eine abstrakt-perkussive Komposition mit einem ziemlich funky Beat erzeugen. Das scheint uns sagen zu wollen: «Das hier ist cooler Shit.» In ihrer extremen Schmutzigkeit haut uns die Skulptur mit ihrer meisterhaften technischen Komplexität um, sowie auch mit ihrer visuellen und auditiven Schlagkraft, und schafft so ein Instrument, um neu über unsere Umwelt und kreative Möglichkeiten des Überlebens und des intellektuellen Engagements in einer unumkehrbar zerstörten Welt nachzudenken. José Enrique Krapp baut Überlebensmaschinen, aber man würde sie nie mit Le Corbusiers Wohnmaschinen verwechseln. In ihrer fast absurden Verschrobenheit bewegen sie sich irgendwo zwischen einer Spielburg auf einem Kinderspielplatz und der Waldhütte eines zurückgezogen lebenden psychopatischen Überlebenskünstlers. Er stellt sie sich als spielerische Versuche vor, sich für alle möglichen Unglücksfälle zu wappnen, die die Welt ihm bereiten könnte, und zwar im vollen Bewusstsein darüber, dass ein Unglücksfall sich eben genau dadurch definiert, dass er einen tragischerweise immer unvorbereitet erwischt. Gefahrlosigkeit ist eine Illusion und Sicherheit unmöglich, aber unterdessen könnten wir doch einfach Spaß haben? Seine Entscheidungen, was er in die fahrbaren Objekte einbaut, entspringen Nützlichkeitsdenken und momentaner Laune, so reflektieren sie eine sehr persönliche Auffassung von Nützlichkeit. Taschenlampen und Sauerstoffflaschen sind an den Seiten angeschnallt, aber auch Gummibälle und Halter für Spielkarten. Es gibt sorgfältig eingebaute Extrafächer für Zigaretten und Whiskyflaschen, und ein hölzerner Sitzwürfel gibt nach Anheben des Deckels sein Geheimnis preis: es ist ein Kühlfach für Bier. Wir sind hier aktiv und das Kunstwerk passiv, und doch enstehen Gelegenheiten für Gemeinschaft. Wir können gemeinsam mit dem Künstler etwas trinken oder rauchen, oder mit dieser entschieden uncorbusier'schen Wohnmaschine auf einen Bummel gehen. Im Falle eines Unglücks können wir sogar unsere letzte Beichte mit dem Mikrofon und dem Kassettenrekorder aufnehmen, den es hier gibt, wenn nicht nach uns eine nächste Person kommt und versehentlich unsere Stimme für immer löscht und überspielt, so wie etwa in Mobile confessional: Tell me everything... von 2007. Man könnte die Absurdität und Sinnlosigkeit von Krapps Arbeiten für negativ oder nihilistisch halten, aber produktiver ist es, sie als gute Gelegenheit zum erwachsenen Spielen zu denken. Weil die Werke nämlich im Kunstbereich funktionieren, dürfen auch große Kinder mit der Ausrede, die Absicht des Künstlers weiterzuführen, mal rumspielen. Die Werke sind also nicht nur Resulat kreativer Anstrengung, sondern laden selbst dazu ein, schaffen die Bedingung für ein vertrauensvolles persönliches Mitmachen, so wie es nur bei einer gewissen Nähe möglich ist. Phoebe Washburns Arbeiten gehen von wundersamen, aus früher mal alltäglichen Dingen überraschend gestalteten Environments bis hin zu ganzen, funktionstüchtigen Produktions-, Verbrauchs- und Entsorgungssystemen. Sie nehmen uns mit auf eine wilde Tour durch eine irgendwie zwar vertraute, aber doch völlig unberührte Landschaft. Wie David Ellis verbringt auch Washburn viel Zeit damit, Material für ihre Installationen zu sammeln. Das können auch Fundgegenstände wie Verpackungskarton sein oder Gekauftes wie etwa Farbproben oder Bauholz. Wie bei Krapp hat ihre Arbeit einen Zug von kindlichem Einfallsreichtum, wo das Schaffen im Grunde nur der Befriedigung dient, die es mit sich bringt, und ein Environment herstellt, das man in Besitz nehmen kann, wie Nothing's Cutie von 2004. Und doch ist ihr Werk so kraftvoll, dass man die transformierten Materialen erst kaum wiedererkennt und überwältigt ist von der physischen und emotionalen Schockwirkung ihrer Installationen. In ihrer neuesten Arbeit, Tickle the Shitstem von 2008 (Zach Feuer Gallery, New York), führt sie das weiter und schafft eine Art Fabriksystem, das vor allem Müll produziert, wie der Titel schon anklingen lässt. Das ist ein Meisterstück von falscher Produktivität, Pseudofleiß, wie eine Fabrik in einem Zeichentrickfilm. Wir schauen dabei zu, wie sie Farbe aus alten T-Shirts auswäscht und ein übles Getränk aus dem Abwasser herstellt, wir werden eingeladen, echte, massenproduzierte und bunt gefärbte Soft Drinks zu trinken, damit die Flaschen dann als Behälter für Washburns seltsamen Absud dienen können. Wir werden Teil ihres Systems und betrachten sein Funktionieren, das Ganze ist eher eine Augenweide und ein Ort, um Gedanken schweifen zu lassen, als die Produktionsstätte irgend eines nützlichen Artikels. Hier sind Zuschauer wie auch Kunstwerk aktiv, aber die Zielrichtung dieser Aktivität bleibt ziemlich fraglich. Wir sind mit der Geschichte der Opposition von sozialistischen und demokratischen Systemen belastet und sind an einem Punkt angelangt, wo klar wird, dass die Hoffnungen von beiden Systemen enttäuscht worden sind, und ein Versuch, sie zu vereinen, voller intellektueller und echter Minen steckt. Kunst ist ähnlich belastet mit dem Anspruch, politische und soziale Bedeutung zu haben. Ob sie zynisch Produkte für den Markt herstellt, eine bestimmte Politik, ein Regime, einen Sachverhalt oder eine soziale Realität stützt oder kritisiert, ständig beruft man sich auf sie, um bestimmte Positionen einzunehmen oder abzulehnen. Der besondere Beitrag der Gruppe von jungen und schon etwas etablierteren KünstlerInnen, bestehend aus David Ellis, José Enrique Krapp und Phoebe Washburn, eröffnet eine Alternative. Vielleicht liegt es daran, dass ihr Werk die altmodisch modernistische Auffassung vertritt, dass Ästhetik in ihre eigene, separate Sphäre gehört, geschützt von Gebrauchswert, sogar (oder gerade) im ideologischen Bereich, dass sie einen Raum schafft für Spiel und Fantasie, wo es weder um Marktkräfte geht noch darum, Produkte vom Fließband zu produzieren: Die Belebung und Rehabilitierung der ästhetischen Erfahrung als die von echter Freiheit und Authentizität wird zum Ziel der Kunst, statt bloß ihr Nebenprodukt, und so wird sie zu einer scharfen Waffe im Kampf um eine ehrliche Existenz.




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