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Der Mythos von der Welt der Kunst
Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2008, 1
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Der Mythos von der Welt der Kunst

Zeitschrift Umělec 2008/1

01.01.2008

Ivan Mečl | mythen | en cs de es

Seit Kunst ein Bereich, ein System, eine Firma geworden ist,
frage ich mich, wie wir da raus kommen.

In der Berliner Galerie Feinkost ging kürzlich eine Ausstellung mit dem scheinbar hochgestochenen Titel „Art World“ zu Ende. Es war aber nicht eine didaktische Ausstellung über große Meister und ihre Inspiration. Wenn man heute Art World sagt, dann hört man gleich Sektgläser klirren, riecht ausgesuchte Häppchen, sieht schöne Frauen in Gesellschaft selbstbewusster Männer strahlen, ein paar Partyphrasen erklingen, hin und wieder ein kleiner Scherz, aber vor allem das große Geld. Der Welt der Kunst, das ist heute neben den neuen Technologien die sich am schnellsten entwickelnde Branche und Ziel vieler Investitionen. Die Lage erinnert an das Internet-Fieber in den Neunzigern, das mit einem Crash endete. Und wie damals sind Banken, Großkonzerne, kleine Firmen und individuelle Investoren mit im Spiel. Wir sprechen hier aber nur von den wirklich reichen Ländern, und nicht von denen, wo man bloß Kunstmarkt spielt und die kaum von den wahren Aufschwüngen und Krisen kaum erreicht werden. In weniger entwickelten Regionen ist Kunst noch immer eine romantische Plattform.


Die Welt der Kunst, manchmal auch Welt der zeitgenössischen Kunst genannt, ist zu einem Fach geworden, das seine eigenen Regeln und Konstanten, seinen eigenen operativen und finanziellen Spielraum hat. So wie Medienimperien aufgebaut worden sind, werden jetzt Kunstimperien aufgebaut. Die Kunstwelt ist schon lange nicht mehr ein Kosmos versprengter Solitäre, die durch Gefühl, Geschmack oder angebliche Genialität miteinander verbunden sind. Sie hat ihre weltweiten Zentren, in denen ein Adept sich eine Zeitlang aufhalten sollte, sie hat Großereignisse, an denen man sich zeigen muss, sie hat ihre Ziele, die man erreichen, ihre Grundsätze, die man berücksichtigen sollte. Sie ist nicht nur für Künstler da. Sie hat ein ganzes Sortiment von Berufen und Funktionen hervorgebracht, von denen wir vor einigen Jahrzehnten noch nicht mal zu träumen gewagt hätten und deren Bezeichnungen und Berufsbilder den Laien in Depressionen stürzen können. Die Kunstwelt betritt man ein wie einen Zug, bloß Fahrkarten gibt es nicht für jeden. Die Fahrt scheint sich aber zu lohnen.
Zum Glück für viele, um die es in der Ausstellung „Art World” ging, fand sie in den Medien kaum Beachtung. Weil die Kunstwelt nicht nur Kunst produziert, waren hier auch nicht nur Kunstwerke zu sehen. Einige Objekte dienten als originelle Beweismittel für bedeutende Fehltritte des Imperiums. Dabei fand keine große Untersuchung statt, es wurden bloß anhand kleiner Beispiele Prozesse bloßgelegt, die dem gewöhnlichen Zuschauer verborgen bleiben.

Neue Helden
Balthasar Burkhards ausgestellte Serie von Schwarzweißfotografien „Fabrica Harald Szeeman“ sagt die Zukunft der Kunstgeschichtsschreibung voraus. Es ist ein gelungenes posthumes Dokument aus der Wohnung dieses bedeutenden Kurators, dessen Ausstellungsprojekte in der Geschichte einen wichtigeren Platz einnehmen als die in ihnen verwendeten Künstler. Die Geschichte der zeitgenössischen Kunst, die in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts beginnt, wird nicht mehr von Künstlern handeln, sondern von Kuratoren. Ob es uns gefällt oder nicht, es wird die Orientierung in einem Gebiet erleichtern, wo die Zahl der Orientierungspunkte in den letzten zwanzig Jahren um das Hundertfache gewachsen ist. Bereits jetzt bestehen die als grundlegend geltenden theoretischen Texte zum größten Teil aus kulturpolitischen Meinungen des Autors; aus Verweisen auf weitere wichtige kuratorische Leistungen und Zitaten aus dem dazugehörigen Begleitmaterial. Die Hauptpersonen dieser Texte sind nicht mehr Künstler, sondern das Umfeld und die darin entstehenden Denkrichtungen. Die Initiatoren jener Denkrichtungen sind Kuratoren und Theoretiker.
Das Los, Kulisse und Nebendarsteller zu sein, frustriert die heutigen Künstler nicht länger. Sie warten geduldig in der Reihe mit ihren sich gegenseitig stark ähnelnden Werken, und der Kurator wählt daraus dann die passendste und qualitativ hochstehendste Ware aus. Dann haucht er ihr Leben ein, steht wie ein Schutzengel über ihr, im Falle eines Katalogs mit seinem Text, im Begleitmaterial mit seinem Namen. Die Künstler glauben an ihre Kuratoren, weil sie aufgehört haben, an sich selbst zu glauben. Die Verantwortung, ihr Werk dem Zuschauer zu vermitteln, haben sie an den Kurator abgegeben. Die Resignation der Künstler ermöglichte einen Evolutionssprung: aus der Verbindung von Konzeptkünstler, Theoretiker und Stratege in einer Person entstand der Kurator. Er löst den Künstler von seiner herausragenden Position in der Kunsthierarchie ab, es entsteht ein Kult um ihn. An der Stelle von Büchern, die bis ins Detail die Biographien von Malewitsch oder Beuys sezieren, werden in einigen Jahren entsprechende Werke über Szeeman und seine Nachfolger herauskommen. Das ist nur eine logische Entwicklung, und sich dagegen zu wehren, macht keinen Sinn. Ganz frisch sind noch die komischen Zerwürfnisse und die ironischen Performances zu diesem Thema. Der Kurator hat zwar den Kampf um den ersten Platz schon errungen, aber er ist besonnen genug, um selber nicht so laut darüber zu sprechen.
Falls ein Kurator einen Künstler nicht zur Kenntnis nimmt, kann sich der Künstler selbst helfen, indem er den Namen des Kurators verwendet. Das bestätigt das Werk von Charles Gute – abstrakte Kompositionen, als deren Vorlagen Korrekturen von Gesprächen Hans Ulrich Obrists dienten. Ohne den ursprünglichen Text blieb nur eine Karte der Streichungen und Änderungen übrig. Das ästhetische Resultat ist akzeptabel, auch wenn es ohne den Bezug zum berühmten Kurator wohl schwerlich seinen prominenten Platz in der Galerie gefunden hätte. Gute benützt in seinem Werk des Öfteren den Namen Obrists und einiger anderer berühmter Kuratoren. Bleibt zu hoffen, dass er damit wenigstens selbst einen Platz in einer Monografie über den Kurator finden wird und nicht in einigen Jahren dem Vergessen anheim fällt.

Es wimmelt auf der Müllhalde
der Geschichte

Einen Ausgleich zur Kunst boten auf der Ausstellung „Art World“ Objekte ohne künstlerischen Wert. Sie erlangten ihn vielleicht durch das Ausgestelltwerden, aber das ist jetzt nicht unsere Sorge. Es ging um Beweise für Verzerrung und Vertuschung und um Belege, die auf mögliche Betrügereien hinwiesen.
Wir sind es noch immer nicht ganz gewohnt, dass staatliche und im Besitz von großen Stiftungen befindliche Museen Kunst auch verkaufen. Für manche kann das sogar neu sein. Die meisten dieser Institutionen rühmen sich nur mit dem Auflisten ihrer Ankäufe. Schon 1999 stellte der Konzeptkünstler Michael Asher in der Ausstellung „The Museum as a Muse“ eine erschöpfende Liste der Werke vor, die die Abteilung für Malerei und Skulptur des amerikanischen MoMa zwischen 1929 und 1998 entäußert hatte. Das Material hatte ein Praktikant vorbereitet, und Angestellte des Museums hatten es kontrolliert. Als dieses Quasi-Kunstwerk ausgestellt wurde, reagierte der leitende Kurator der genannten Abteilung mit einer aufgeregten Erklärung, in der er versuchte, die Glaubwürdigkeit der Aufzählung verkaufter Kunst und die Kriterien der Katalogisierung in Zweifel zu ziehen. Selbst hatte er aber nichts Glaubwürdigeres anzubieten. Heute ist dieser Vorfall schon fast vergessen, aber für die Ausstellung „Art World” wurde die ursprüngliche, schon ziemlich abgegriffene Liste wieder aufgestöbert.
Sammler werden oft als Dealer bezeichnet, die ihre guten Kontakte zu Depositarien der großen Sammlungen zur Schau stellen. Verzeichnisse verkaufter oder bereits weggeworfener Kunst sollten Bestandteil der Jahresberichte aller Institutionen werden, deren Ankäufe mit öffentlichen oder kollektiven Mitteln unterstützt werden. Das würde dem korrumpierenden Ausverkauf von Werken unter Preis an private Sammler ein Ende setzen, würde das ungestrafte Entsorgen großer Ankaufsfehler verhindern, und Fachkommissionen müssten geradeheraus erklären, wen sie da eigentlich auf die Müllhalde der Geschichte befördern.
Von manchen verstorbenen Künstlern gibt es bei Auktionen und im Angebot von Galerien so viele Werke, als seien sie noch am Leben und stießen ununterbrochen in Untergrunddruckereien, -gießereien und –pressen immer schlimmere Imitationen ihrer ursprünglichen Ideen aus. Zu den Risiken einer solchen Fließbandproduktion gehört auch, dass sie die Hohlheit des Originals entlarvt: Statuetten von Dalì, Siebdrucke von Warhol oder Holz- und Metallfundstücke von Beuys. Zum Kauf von so etwas kann einen heute nur noch eine Besessenheit verleiten, die der Jagd nach Reliquien gleicht. Die Heiligen haben ja heutzutage zusammengezählt auch schon zehnmal mehr Knochen und Zähne als ein Normalsterblicher. In der Welt der Kunst wehren sich strategisch denkende Verwalter des materiellen und geistigen Nachlasses gegen einen derartigen Wertverlust mit dem Ausstellen von Zertifikaten. Im Bestreben, den Preis von Werken hochzuhalten, die sie selbst besitzen, verkaufen oder an denen sie sonst ein Interesse haben, verweigern sie aber oft Werken das Zertifikat, die offensichtlich echt sind. Wenn sie zum Beispiel darauf kommen, dass ein Künstler wirklich viel mehr gemacht hat, als sie vermutet hatten oder dass er serielle Produktion für eine originelle Methode hielt.
Die Stickbilder von Alighiero Boetti fertigten beispielsweise zuerst afghanische Dorffrauen nach seinen Vorlagen an. Diese Produktion wurde dann in den Achtzigern aufgrund der dortigen politischen Situation nach Europa verlagert, damit es nicht zu Lieferschwierigkeiten an die Galerien und somit zu Einnahmeausfällen kam. Nach seinem Tod verwirrte diese Strategie die Sammler, und es dauerte nicht lange, bis eine selbst ernannte Stiftung beschloss, Zertifikate auszustellen. In der Ausstellung hängen zwei Stickbilder mit gerahmten Begleitschreiben des Leiters des Archivo Boetti, dass er die Werke nicht als echt anerkennen kann. Boettis eigenhändig signierte und den Unterlagen gemäß echte Werke erhielten also kein Zertifikat. Ihr Preis stiege dann nämlich mit einem Schlag auf 25.000 Euro an. Ohne Zertifikat sind sie nach Aussage der Stiftung und solidarischer Dealer wertlos. Wodurch sie sich aber von Werken mit Zertifikat unterscheiden, weiß keiner. Vielleicht sind die nicht signiert.

Über Tote nur Gutes, und das Ringen um Ähnlichkeit
Vorbehalte gegenüber der Unabhängigkeit der Medien und der Wahrhaftigkeit von Informationen sind so angebracht wie Zweifel an der Unparteilichkeit in der Welt von Finanz- und Machtpressionen. Solche Diskussionen kommen nur selten auf, weil es ja „gar nicht darauf ankommt.“ Und auch wenn es hier wieder um die Festigung der politischen Positionen der Global Player in der Kultur geht, um das Abstecken der Einflusssphären privater und öffentlicher Institutionen und auch um Geld, so ist doch niemand an Leib und Leben bedroht. Wenn Sie Kultur nicht extatisch und transzendental erleben wie etwa gewisse Film- und Buchhelden, so bietet Ihnen ihr Funktionieren ein sehr unerfreuliches Spektakel.
Mit dieser Unerfreulichkeit ist es eine einfache Sache. Kultur wurde so lange für das Instrument zur Kultivierung des Menschen gehalten, bis sie sich in das Bestattungsunternehmen für alles verwandelte, was sie absorbierte. Kultur, die in Kunst- und anderen Hallen betrieben wird, begleitet eine Wolke von Abdankungsreden. Ihren Inhalt kennen nur deren Autoren; er ist nicht für Sterbliche bestimmt. Wer liest die Bulletins des Bestattungswesens und der Kremationsfreundeskreise? Die Toten (Künstler) bestimmt nicht. Es sind die Autoren der Grabesreden selbst (die Kuratoren und Kunsttheoretiker), die Besitzer und Verwalter der Friedhöfe (Galeristen und Angestellte in Kulturinstitutionen) und manche Direktoren von Bestattungsunternehmen (Beamte in Ministerien und Kulturstiftungen). Auch gewisse Freunde und Hinterbliebene der Verstorbenen, die dem Ganzen seine Legitimität verschaffen, ohne zu ahnen, dass der Tod nur für die Zwecke der Bestattungsindustrie stattfand. In normale Medien gelangen Todesnachrichten meist nur dann, wenn ein Knöchelchen besonders teuer verkauft worden ist, oder wenn die Bestattungsinstitute eine große Urnen- und Grabsteinschau veranstalten und in Anwesenheit von ein paar schon ganz schön lange Verstorbenen eine Party in gehobener Stimmung feiern.
Dank ihrer Randständigkeit können Kunstmedien also eine ganze Reihe unschöner Spielchen spielen, die anderswo völlig unzulässig wären. Schon lange braucht man zum Beispiel den Redakteur oder den Herausgeber nicht mehr zur Seite zu nehmen, um ihm ein bezahltes Inserat im Tausch für den damit verbundenen Artikel im redaktionellen Teil zu versprechen. Der Zusammenhang mancher größerer Inseratkampagnen mit der späteren redaktionellen Aufbereitung ist oft mehr als offensichtlich. Mit dem Angebot einer solchen Zusammenarbeit erhält die Redaktion oft auch gleich schon fertige Rezensionen, um die sich der Inserent gerne schon gekümmert hat. Deshalb brauchen einige Kulturmedien auch keine festen Redakteure. Die Mitarbeiterliste im Impressum ist dann einfach eine Aufzählung aller Bekannten in der Branche.
Dank einiger internationaler Werbekampagnen scheint es, dass außer Retrospektiven für die Massen und Ausstellungen in reichen Mainstream-Galerien und –Institutionen keine Kunst mehr der Rede wert ist. In der Ausstellung „Art World” machte Matthieu Laurette auf dieses Phänomen aufmerksam. Er legte einfach die Sommernummern zweier Zeitschriften nebeneinander – das englische „Frieze“ und das amerikanische „Artforum“. Auf beiden Titelblättern ist das gleiche Motiv aus dem PR-Bildmaterial einer der teuersten Retrospektiven benutzt worden.
Noch weiter mit ihrem Engagement im Geschäft mit Kunst geht die italienische „Flash Art“. Sein künftiges Schicksal entlarvte Giancarlo Politi in einem humoristischen Inserat, das er 1972 abdruckte und in dem er schreibt: „Heutzutage reden die Leute Dollars und ich koste schlappe $1000... Mein Name ist Giancarlo Politi, Redakteur bei Flash Art und Heute Kunst. Ich liebe Frauen, Geld, Erfolg... Kunst auch. Hiermit stehe ich Ihnen zu Diensten. Sämtliche Leistungen im Wert von $1000: Schreiben von Texten, Beratung, Meinungsbildung, Debatten, Konferenzen, Bekanntschaften. Das Angebot richtet sich an Künstler, Galerien, Museen, Universitäten, öffentliche und private Einrichtungen. Sonderkonditionen für extrem gut aussehende weibliche Künstlerinnen auf Anfrage möglich. Einzige Bedingung: Vorrauszahlung in bar. Höchste Geschwindigkeit und Professionalität garantiert.“
Neben dieser Seite aus der Zeitschrift hängen an der Wand ein Titelblatt von „Flash Art“, eine Seite des nie veröffentlichten Katalogs der Sammlung des Flash Art Museums in Trevi und ein Verkaufskatalog von Sotheby’s. Auf allen das gleiche Werk. Mit der Veröffentlichung in dieser Reihenfolge kann man den Preis des zu versteigernden Werks gebührend nach oben drücken. Um die Titelblätter der Zeitschriften gab es schon immer Streit. War der Sponsor der Ausstellung gleichzeitig auch Leihgeber eines Werks, wollte er es selbstverständlich an sichtbarer Stelle sehen. Einen großen Vorteil hat der Besitzer eines Kunstwerks, der über Entscheidungsmacht in einem Medium verfügt, das wichtigen Einfluss auf dem Kunstmarkt besitzt. Wer Besitzer ist, wer verkauft und welche Gründe es für die Platzierung eines Werks auf der Titelseite einer angesehenen Zeitschrift gibt, das sind Fragen, die der Kurator stellt, wenn er den exemplarischen Fall einer sich oft wiederholenden Geschichte ausstellt. Absurdes Moment dieses Spiels ist der nicht existierende Katalog eines Museums, dessen Betrieb man weder beweisen noch widerlegen kann. Das Internet und diverse Portfolios, die nur einzelne Seiten vorgeblicher Publikationen enthalten, sind heute schon gängige Mittel zur Realitätsretusche. Keine Ausnahmen bilden hierbei die ganzen Internetzeitschriften, die wie Druckerzeugnisse auftreten, und virtuelle Institutionen, die sich als real ausgeben.
Im letzten Jahrzehnt gelang es, die Interessen des Kunstmarktes mit den Bedürfnissen der bedeutendsten Kulturmedien zu vereinigen. Die neu entstandene Situation harrt bisher der analytischen Aufarbeitung. Grundlage für die Kodifizierung der Kunstentwicklung der letzten Dekaden ist heute der finanzielle Wert. Wenn wir nicht lügen wollen, dass dem nicht so sei, oder klagen, dass das Geschäft die Realität verzerre, sollten wir uns an die Kunstgeschichtsschreibung entlang des kommerziellen Erfolgs machen. Das ist aufrichtig, einfach und endlich mal wahrheitsgetreu. Ganz im Gegenteil dazu wäre jede andere angewandte Theorie verzerrend.

Das Unmögliche versuchen
Die Preise, für welche zeitgenössische Kunst gehandelt wird, hängen meist davon ab, welche Preise vergleichbare Werke des jeweiligen Künstlers auf Auktionen erzielen. In „Art World” listen lange Spalten die Namen von Mitbietern auf, die Josh Baer, Herausgeber des Blattes „The Baer Faxt“ und gleichzeitig Kunstdealer, an Auktionen erkannt hat. Aus seiner voreingenommenen Sicht plaudert er aus, was nicht einmal ein freier Journalist sagen kann. Diesmal „enthüllt“ er das weit verbreitete, aber in der Öffentlichkeit wenig bekannte Unwesen der künstlich hoch gehaltenen Preise. Wichtige Dealer bieten persönlich, durch vorgeschobene Mittler oder gar völlig anonym per Telefon bei Auktionen mit. Sie kaufen nicht selber, manchmal gehören ihnen nicht mal Werke des Künstlers, und zuweilen geht es auch um Objekte sehr zweifelhafter Qualität. Oft vertreten sie aber den zu versteigernden Künstler oder haben schon eine große Anzahl seiner Werke verkauft.
Kunsthändler haben großes Interesse an einer verzerrten Realität, und man kann ihnen das schwerlich vorwerfen. Das Geschäft ist eine Kombination von Strategie und Mathematik. Der ideale Händler verfolgt eine Strategie des sicheren, garantierten Gewinns bei einem gleichzeitigen, gefahrlosen Maß an kreativem Risiko. Das ist schon im Handel mit traditionellen Gütern eine anspruchsvolle Sache, und die gnadenlose Mathematik weist oft Verluste aus. Fast unmöglich ist es im Falle des Kunsthandels bei lebenden oder kürzlich verstorbenen Künstlern. Will der Händler mit Kunst wie mit einer Ware umgehen, muss er versuchen, die Welt der Kunst zu regulieren und zu beeinflussen. Der Kunsthändler ist dem Sammler gegenüber verantwortlich für die Pflege des Künstlers am Markt. Für ihn ist es nötig, dass der Künstler berühmt stirbt oder dass der Sammler einen Preisrückgang nicht mehr erlebt. Er muss sich deshalb darum kümmern, dass die Werke seiner Künstler ihren Preis behalten oder steigern. Er muss auch um jeden Preis verhindern, dass die Unfähigkeit des Künstlers, weiterhin Kunst zu schaffen, ans Tageslicht kommt. Er muss ganz bewusst schlechte Werke als gute ausgeben. Dazu verfügt er glücklicherweise über ausreichende Mittel. Vor allem über Geld. Er kann Kuratoren bezahlen, die mit ihren Namen die Schirmherrschaft über Ausstellungen übernehmen, und Theoretiker, die Fachtexte schreiben. Er kann Ausstellungen oder die Teilnahme eines Künstlers an einer Ausstellung in einer wichtigen Institution finanziell unterstützen, die sich sonst aus wirtschaftlichen Gründen eine solche Veranstaltung nicht leisten könnte. Es gibt doch eine ganze Reihe von Ausstellern, die alles veranstalten, wofür sie kein Geld aus dem eigenen Budget ausgeben müssen.
Dieses Moment erfasst Ben Gavins Arbeit „Courtesy of...“ ganz gut. Die magischen Worte auf Bildlegenden, die Besitzer mit Zufriedenheit erfüllen und Redakteuren und Kuratorenassistenten Albträume darüber einjagen, wessen Erwähnung sie jetzt wohl wieder vergessen haben. Gavins Werk besteht aus einer langen Liste von Kunstdealern, die auf Bildlegenden von Ausstellungen in nicht kommerziellen Institutionen genannt sind, damit klar ist, wohin man einkaufen gehen und somit Profit schaffen soll.
Die Zahl der Sammler wächst nicht gleich schnell wie die Zahl der Künstler und die Menge an Kunst. Den Preis aufrechterhalten bedeutet demnach auch, nur eine erträgliche Anzahl und ein übersichtliches Angebot im Bewusstsein wach zu halten. Das gelingt nicht immer, denn verschiedene Stipendienprogramme ermöglichen das Wuchern von allem Möglichen, wenn es nur seine Bedürfnisse schriftlich formulieren kann. Die Händler vertreten eine ständig wachsende Anzahl von Künstlern, damit ihr Angebot eine möglichst große Genrevielfalt aufweist. Die Dauer von Ausstellungen wird auf zwei oder auch nur eine Woche verkürzt. Die Abstellräume der Galerien quellen über vor Kunst. Weil man Künstlern nicht raten darf, ihre unverkäuflichen Werke zu vernichten, kommt es oft zu verzweifelten Reorganisationen der Depositarien, die oft mit der Bitte an die Künstler enden, sie mögen ihre Werke wenigstens bei sich selber lagern. Kein Raum einer kommerziellen Galerie darf wie ein Lager von gebrauchter und unverkäuflicher Ware aussehen. Eine Lösung bieten neue billige Lagerräume an den Stadträndern. So beteiligt sich Kunst an der Verunstaltung der Landschaft.
Es ist sinnlos, das Unmögliche zu versuchen. Einem früher einmal seltenen Schaffen, das sich heute in einen Industriezweig verwandelt hat, gelingt es nicht, den Preis seiner Erzeugnisse auf Dauer zu halten; die Erwartungen des Zuschauers, des Kunden, zu erfüllen und sich auf dem Markt durchzusetzen. Und das vor allem schnell. Bedauert es etwa der Besitzer eines alten Sofas, das einmal richtig schön war, dass er es nicht teurer verkaufen kann, als er es gekauft hat? Warum sollte dann Kunst eine Ausnahme sein, wo sie doch auf ähnliche Weise hergestellt worden ist?

Hauptsache irgendeine Geschichte.
Das Ende wäre sonst allzu hochfliegend.

Ökonomen in den USA und Großbritannien vergleichen das riesige Investitionswachstum in der zeitgenössischen Kunst mit der Internetblase in den Neunzigern. Sie erwarten, dass sie jeden Moment platzt und die Preise in den Keller fallen. Kaum einer von ihnen ahnt dabei, dass diese Preise noch nie eine reale Grundlage hatten und meist von den beinahe charismatischen Fähigkeiten der Verkäufer gestützt werden, sowie von den Käufern, die von ihrem guten Geschmack überzeugt sind. Aktien aller wertlosen Unternehmen abzustoßen, mag ein pragmatischer Schritt sein, aber Kunstwerke für ein Zehntel des Einkaufspreises zu veräußern, kommt für viele dem Eingeständnis der eigenen Dummheit gleich. Die meisten Sammler behalten deshalb die Werke lieber und kaufen weitere. Die Blase wird also nie platzen, und wegen ihr wird man auch noch schlechte Kunstgeschichte schreiben. Es ist jetzt schon besser, keines der dicken Bücher zu lesen, deren Titel mit dem Wort „Geschichte“ beginnt und die sich mit der Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. beschäftigen.
Glauben Sie nicht zu sehr an den finanziellen Wert von Kunst. Den hat sie oft wegen ungenügender Sensibilität für andere Kriterien. Manchmal deshalb, weil ein Werk keinen anderen als den finanziellen Wert hat. Wollen Sie von Kunst nicht hinters Licht geführt werden, fassen Sie sie nicht als Investition auf. Wenn Sie kein Geld für Kunst haben, kaufen Sie sie, um daran Freude zu haben*. Das reicht völlig.

* Dieser Absatz ist die Paraphrase einer Empfehlung von Spunk Seipel im Artikel „Existiert der Kunstmarkt wirklich?“ (in Umělec 3/2007). Der Autor des vorliegenden Texts empfiehlt diesen Artikel aufs Wärmste.




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