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Zeitschrift Umělec
Jahrgang 2006, 3
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Trademark "Wilder Osten"

Zeitschrift Umělec 2006/3

01.03.2006

Jiří Ptáček | rezension | en cs de

Das Festival für zeitgenössische Kunst Tina B. sollte die prestigeträchtigste Ausstellung in diesem Sommer in Prag werden. Als ich aber das Festival besuchte, erinnerte ich mich an meine alte Idee, Anti-Preise für Ausstellungen zu verleihen, wie dies z.B. beim Film mit der legendären “Goldenen Himbeere” als Gegenpreis zum Oscar üblich ist. Tina B. wäre dann mein Kandidat für den Titel “Fiasko des Jahres”.

Ungerade und gerade Jahreszahlen

Tina B. ist eine fiktive Künstlerin und gleichzeitig auch ein Akronym: This Is Not Another Biennale („Dies ist keine weitere Biennale“). Hier in Tschechien erinnert man sich an die Rivalitäten zwischen den Machern zweier Biennalen, die letztes Jahr in Prag kurioserweise zur gleichen Zeit stattfanden.
Das Akronym Tina B. greift dieses Thema wieder auf. Allerdings erinnert mich der Slogan “Dies ist keine weitere Biennale” eher an den Grundsatz von Straßenrowdys: “Wenn du niemanden hast, gegen den du kämpfen kannst, dann suche dir jemanden.“
Die Organisatoren von Tina B. brauchten zwar nicht zu kämpfen, aber sie wollten doch Kampfgeist an den Tag legen. Sie lehnten die Bezeichnung Biennale ab, die allerdings auch niemand mit Tina B. in Zusammenhang gebracht hätte. Eine gewisse Rolle spielte wohl die Befürchtung, dass das Festival sich sonst überhaupt nicht zu profilieren gewusst hätte. So soll die Nicht-Biennale Tina B. alle zwei Jahre stattfinden. Wo der Unterschied zu einer normalen Biennale ist, kann außer den Veranstaltern kein Mensch erkennen.
Zumal das Konzept, verschiedene Kuratoren bestimmte Themenausstellungen innerhalb von Tina B. kuratieren zu lassen, das Konzept vieler anderer Biennalen aufgreift, besonders der letztjährigen Prager Biennale. So ist die große Anzahl von Begleitveranstaltungen der einzige Unterschied zu den anderen Prager Biennalen.
Wir können uns also auf ein lustiges Wechsel­spiel freuen. In den Jahren 2007, 2009 oder 2011 werden wir jeweils eine bis zwei ‚reguläre’ Biennalen in Prag besuchen können, und in den geraden Jahren dann eine regelmäßige “Nicht-Biennale”. Die Bezeichnungen sind unterschiedlich, die Strukturen hingegen fast identisch.

Large and invisible
Insgesamt wurden Kunstwerke von neunzig Künstlern in verschiedenen Themenabteilungen von unterschiedlichem Niveau vorgestellt.
Die Klangkunst fand in den gespenstischen Räumen im hoch über der Stadt gelegenen Nationalmahnmal eine tolle Akustik.
In der großen Halle der Nationalgalerie wurde eine uninspirierte Mischung aus bunt zusammengewürfelten Themenausstellungen angeboten.
Die Ausstellung mit dem merkwürdigen Namen Large/Digital in einer Fabrikhalle im Stadtteil Karlín wirkte dagegen wie eine ganz bewusste Parodie auf den Titel. Gewiss, einige Werke waren wirklich “large”, die restlichen dagegen waren ziemlich einfallslos einfach nur “digital”. Allerdings war die Halle selbst “much larger” als auch die größten Werke, die sich deshalb regelrecht in ihr verloren. Und weil niemand die Halle abgedunkelt hatte, waren die digitalen Werke (es handelte sich dabei ausschließlich um Videoprojektionen) schlichtweg nicht zu sehen.
Aber auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit scheiterten die Organisatoren. Über Tina B. wurde fast nichts berichtet, und wer einen Blick in das Pressematerial warf, konnte sich schnell denken, warum: Es wimmelte nur so von grammatikalischen und inhaltlichen Fehlern. Die Folge war eine Großausstellung unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der Wilde Osten als
Wenn ich oben geschrieben habe, dass sich das Festival nicht von den letztjährigen Biennalen unterschied, habe ich dabei einen Unterschied übergangen. Hinter Tina B. stand ein tschechisches Team, konkret: “Die bürgerliche Vereinigung der künstlerischen Zukunft von Prag” mit der Direktorin Monika Burian. Das Festival wurde nicht vom Staat gefördert, und auch aus dem Ausland fehlte die finanzielle Unterstützung. Es musste sich vielmehr mit tschechischen Sponsoren begnügen. Das niedrige künstlerische und vor allem organisatorische Niveau dieses Festivals untermauert somit die Behauptung, dass Tschechen in Tschechien keine großzügig dimensionierten Aktionen organisieren können.
Den Organisatoren von Tina B. war die Resonanz im Ausland aber sowieso am wichtigsten. Die Kunstinteressierten vor Ort schienen ihnen relativ egal zu sein; wichtiger war offenbar das Image tschechischer Kunst als Exportartikel.
Das postkommunistische Europa verändert sich. Tina B. war ein Beispiel für eine Spielart copyrightwürdiger osteuropäischer Selbstdarstellung der hiesigen zeitgenössischen Kunst. Nach außen hin: trendy, international, einige schicke, junge (und somit nicht allzu teure) Kuratoren, junge Künstler sowie einige Berühmtheiten.
Im Inneren dagegen: Geldnot und eine eklatante organisatorische Unfähigkeit.
Und das Ergebnis? Solange es gelingt, die Missstände zu verbergen, kann man nach außen hin weiterhin behaupten, dass eine “der wichtigsten Attraktionen im Kalender der Kunstliebhaber” gelungen ist.
In Anbetracht dessen, dass solche Augen­wischereien äußerst zahlreich sind, bleibt die Hoffnung, dass sich inländische Künstler und Kuratoren nur deswegen beteiligen, weil sie nicht genügend andere Gelegenheiten haben, und dass die ausländischen zumindest von einem attraktiven Ausstellungsort herbeigelockt werden.

Die Sprache des Filzstiftes
Kennt Ihr diese kleinen Zettel, die darüber informieren, dass etwas nicht so funktioniert, wie es geplant war? Den Leuten von Tina B. war daran gelegen, möglichst viele solcher Informationen in der Ausstellung zu verteilen. Bei der Sammlung von Penissen und Vaginen in der Sektion “Peepshow” kokettierten sie ein bisschen mit der Verruchtheit – allerdings zeigte man auch Anflüge von Angst vor einem Skandal, als man außen an die Koje einen Zettel klebte mit der Aufschrift “Tina B. PEEPSHOW – Eintritt ab 18". Einige Schritte weiter fanden die Besucher Instruktionen der Künstler für das Personal ("Bitte Lautstärke auf 40 drehen“) oder auch Entschuldigungen seitens des Personals ("Wir entschuldigen uns dafür, dass diese Projektion aus technischen Gründen außer Betrieb ist“).
Die Trophäe “blöd und noch blöder” fiel dann aber dem Autor des Zettels zu, der am Pult an der Kasse befestigt war. Englisch sprechenden Besuchern bot dieser Eintrittspreise an, die niedriger waren als das tschechische Angebot daneben. Die Prager Taxifahrer und Restaurantbetreiber sind dafür berühmt, dass sie von Ausländern höhere Preise verlangen – das hier wirkte wie der Versuch einer Wiedergutmachung. Daraufhin rechnete ich auch damit, dass an der Kasse billige Uhren und preiswerter Schinken zu erhalten wären... Dem war aber seltsamerweise nicht so.
Diese zusätzlichen Texte machten die Ausstellung menschlich. Sie machten uns klar, dass hinter der Kunst jemand steht, der ähnlich unfähig ist wie wir selbst. Tina B. war die Geschichte einer einzigen großen Unfähigkeit. Die Zweifel daran, dass es in Tschechien gelingen kann, eine prestigeträchtige, großzügig dimensionierte Aktion zu verwirklichen, haben schon so oft zur Alternative “klein”, “billig” und “improvisiert” geführt. In dieser Ausgabe von UMELEC gibt es einen langen Artikel darüber. Tina B. war ein von viel Selbstbewusstsein getragener Versuch, einen großen Wurf zu landen. Nun, Selbstbewusstsein hat noch niemandem geschadet, langfristig aber ist von solchen Versuchen kein Erfolg zu erwarten.








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